Mittwoch, 2. November 2016

Digitaler Kampf um Wahlen

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 2.11. einen Leitartikel zur Digitalisierung des Wahlkampfes veröffentlicht:


Jürgen Marks schreibt:
"Wahlkampf war früher eine überschaubare Veranstaltung. [...] Heute ergänzt der immer wuchtigere digitale Wahlkampf die Auseinandersetzung."
Der Wahlkampf geht mit der Zeit. So wie sich das Miteinander ändert und sich neue Kommunikationswege auftun, so wird sich auch der Wahlkampf ändern. Was früher Plakate und Marktplatzstände waren, wurde zu Websites und sind heute Facebook-Auftritte, Twitter-Kanäle, Videobotschaften und Podcasts. Das ist noch nicht der Rückschlag für die politische Kultur. Der Rückschlag ist die Wuchtigkeit der Auseinandersetzung, wie Jürgen Marks schreibt:
"Bislang wird die Diskussion vor allem durch die Hasskommentare bestimmt."
Hasskommentare sind vielleicht und bis an bestimmte Grenzen von der Rede- und Meinungsfreiheit gedeckt. Viele Hasskommentare befinden sich jenseits dieser Grenzen: sie beleidigen, diskriminieren oder rufen zur Gewalt auf. Das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun, das hat nichts mit politischer Auseinandersetzung zu tun und es hat gar nichts mit Demokratie zu tun. Wer glaubt, mit Hasskommentaren seine berechtigte demokratische Beteiligung an der Politik leben zu können, irrt.
Jürgen Marks schreibt zu den digitalen Werkzeugen im Wahlkampf:
"Im aktuellen amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf haben beide Kandidaten den Waffenschrank mit neuester Software ausgestattet. Das hinterlistigste Kaliber sind dabei sogenannte 'Social Bots'. Das sind kleine Software-Roboter, die sich automatisch bei Twitter und Facebook zu Wort melden. Kein Nutzer kann diese getürkten Meldungen und Profile von tatsächlichen Meinungen realer Menschen unterscheiden."
Was als "kleine Software-Roboter" bezeichnet wird, sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Mechanismen, die nach einer Lernphase an Hand echter Äußerungen von Personen neue synthetische Äußerungen generieren können, die wie die originalen Personen klingen. Ein schönes Beispiel - wenn "schön" der passende Begriff ist - ist DeepDrumpf, über das ich Mitte Oktober geschrieben hatte. Jürgen Marks schreibt:
"Mit diesen digitalen Helfern, die in den Wahlkampfzentralen programmiert wurden, versuchen beide Lager, die Stimmung zu manipulieren. Das ist massenhafte Wählertäuschung."
"Doch die eigentliche Gefahr geht auch in Deutschland von den 'Social Bots' aus."
Dazu sind ein paar Ergänzungen nötig. Ein Social-Bot ist noch keine Wählertäuschung, wenn er die Inhalte transportiert, die auch die Originalperson transportiert hätte. Denn sonst müsste jeder Facebook- oder Twitter-Account eines hochrangigen Politikers als Täuschung gelten, bei dem Assistenten die Inhalte schreiben. Würde der Bot Inhalte verfälschen, sollte sich weniger der Wähler getäuscht fühlen als der Politiker sich fragen, ob er die richtigen Werkzeuge einsetzt.
Demokratisch bedenklicher ist, dass es in sozialen Netzen nur gefilterte Informationen gibt. Wo der Wähler früher an Wahlplakaten des politischen Gegners vorbeigeschlendert ist und deren Äußerungen zumindest am Rande mitbekommen hatte, kann sich der Wähler heute in einem einheitlichen Biotop aufhalten. In diese Filterblase dringt der politische Gegner nicht mehr ein, weil er nicht zum Freundeskreis gehört und auch nicht zu den aus Big Data abgeleiteten Interessen. Doch wie soll ein demokratischer Diskurs stattfinden, wenn die Positionen der Diskursteilnehmer nicht bekannt und damit diskutierbar sind? Wer die Inhalte der Filterblase verfasst hat, ist nachrangig.
Jürgen Marks schreibt zur Gefahr für Deutschland, die von den Bots ausgeht:
"Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das [die Gefahr, Anm.] erkannt und kürzlich einen Verzicht auf die Roboter vorgeschlagen. Fast alle Parteien stimmten zu. Mit einer Ausnahme: Die AfD will auf diese schmutzige Waffe setzen. Für einen fairen Wettstreit ist das keine gute Voraussetzung."
Klar will die AfD die Waffe einsetzen, weil sie die Kanäle der Online-Welt intensiver nutzt als die anderen Parteien und bei ihrer Klientel auf offenere Ohren stößt. Unfair ist das nicht, denn es zeigt den Rückstand der anderen Parteien bei der Online-Kommunikation. Jürgen Marks schreibt weiter:
"Denn es wäre unerträglich, wenn uns diese kranke Welt des digitalen Wahlkampfs tatsächlich erreichen würde und irgendwelche Polit-Automaten versuchen, die demokratische Willensbildung zu manipulieren."
Wir werden uns darauf einstellen müssen, ob wir es für unerträglich halten oder nicht. Das wird sich so wenig aufhalten lassen wie Putins Desinformation über Russia Today. Demokratie wird anstrengender, weil viel mehr Sand und Müll vom Gold gewaschen werden muss. Was technisch als geringe Hürde für das Mitmachen erscheint - jede Kundgabe ist nur einen Like-Mausklick entfernt - ist tatsächlich eine hohe geistige Hürde. Demokraten sollten diese Aufgabe aktiv angehen und sich nicht dem unvermeidlichen verweigern.

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