Freitag, 11. November 2016

Trumps Demokratielehren

Die Augsburger Allgemeine bringt in ihrer Ausgabe vom 11.11. eine Vielzahl von Leserbriefen zum Ausgang der Präsidentenwahl in den USA:


Mittels einer Wahl wurde ein Mann zum Präsidenten gewählt, dessen Siegchancen vor der Wahl als eher gering prognostiziert wurden. Darüber freut sich Ruth Heichele:
"Hurra, hurra, welch eine Freude. Und was für eine Klatsche für Wichtigtuer und Besserwisser wie Herrn Röttgen, Frau von der Leyen und viele Medienschaffende. [...] Die Menschen haben die Etablierten satt, satt, satt, die den Willen der Menschen missachten und gegen deren Interessen handeln."
Ruth Heichele freut sich nicht, dass bestimmte Lösungen gewonnen haben, sie freut sich nur über die Klatsche. Ist das eine demokratische Haltung, wenn das der Demokratie inhärente Ziel der Gerechtigkeit als Schadenfreude zum Ausdruck kommt? Nein. Ruth Heichele unterstreicht das noch durch den Titel "Trump-Hasser". Wie soll auf dem Niveau eine demokratische Abwägung von Alternativen stattfinden können?
Norbert Epp schreibt:
"Wie konnte es zu diesem Ergebnis kommen? Ganz einfach. Da hat ein Volk sein Recht zur freien Wahl seines künftigen Präsidenten wahrgenommen."
Hans Bersenkowitsch schreibt:
"Da haben sich all die linkspopulistischen Kommentatoren zu früh gefreut! So funktioniert Demokratie! Die Mehrheit des Volkes bestimmt!"
Mir graut vor einem solchen Demokratieverständnis. Wenn die "Mehrheit des Volkes bestimmt", ist das nicht der demokratische Ausgleich der Interessen, das ist nicht gerecht. Die Minderheit zu überbügeln ist etwas, was der demokratische Diskurs vor einer demokratischen Entscheidung verhindern sollte. Die Schreiber sollten sich vor Augen halten, dass Trump nicht die Mehrheit der Stimmen bekommen hat, wie beispielsweise die New York Times zeigt. Er hat nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, nicht mal die Mehrheit der Wähler. Er hat keine 50% erreicht. Er hat "nur" die Mehrheit der Wahlmänner auf sich vereinigen können. Gewonnen hat er zweifelsohne, von der Mehrheit des Volkes zu reden ist falsch. Auch hat nicht des Mehrheit des "Volkes" entschieden, weil das Volk nicht einheitlich und gleichmäßig ist. In der ganzen Schadenfreude gehen solche Feinheiten als irrelevant unter. Ein paar Details zur Homogenität bzw. Inhomogenität finden sich beispielsweise auf Statista:
  • Trump lag bei Männern vorne
  • Clinton lag bei Jüngeren (bis 24 Jahre) vorne
  • Trump lag auf dem Land vorne
  • Clinton lag bei höher Gebildeten vorne
Wenn man dies überspitzt zusammenfasst, haben die alten doofen Redneck-Landeier nun den Präsidenten, den sie verdienen - die anderen aber auch. Heinz Schönberger schreibt:
"Keine Krokodilstränen weinen. Jedem Volk den Präsidenten, den es verdient."
Auch hier Schadenfreude, nicht wegen des Denkzettels für das Establishments, sondern wegen einer vielleicht falschen Wahl. Die Güte des Wahlergebnisses wird sich erst in Jahren weisen, wenn Trump seine Politik hat realisieren können und die Resultate dieser Politik offenbar werden.
Jürgen Brecht schreibt:
"Eine Politik der offenen Grenzen, wie sie die deutsche Regierung praktiziert, ist grundfalsch. Donald Trump hatte das wiederholt eindeutig geäußert."
Hat Trump wirklich über deutsche Politik gesprochen in seinem America-first-Ansatz? Wohl kaum. Er hat über spezifisch amerikanische Themen gesprochen, von der Abweisung von Muslimen, von der Ausweisung von Mexikanern, vielleicht noch davon, keine Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, weil sie vor Ort bleiben sollten. Das ist mindestens verwirrend, wenn europäische Werte propagiert werden, dann aber den Ansichten eines US-Amerikaners zugejubelt wird. Dass es hier große Differenzen gibt - Krankenversicherung als ein Beispiel - wird ignoriert.
Martin Waltinger schreibt:
"Mehr und mehr läuft weltweit das Wahlvolk rechtspopulistischen Rattenfängern hinterher. [...] Pöbler, Demokratiegegner und Antihumanisten wie Pegida und die AfD in Deutschland und ihre Pendants in den Industrienationen haben massiv Zulauf... Man möchte diesen Menschen weltweit zurufen: 'Leute, ihr habt ein Hirn im Kopf. Benutzt es!'"
Rechtspopulisten sind derzeit en vogue, weil sie eine heile Welt von gestern für das Morgen versprechen oder weil sie die eigenen Leute vor den Fremden zu schützen vorgeben. In Südamerika beispielsweise können auch Linkspopulisten Erfolge verbuchen. Den Populisten gelingt es immerhin, Nichtwähler zu aktivieren - ein demokratisches Plus. Aber: die Leute sollten sich nicht von der Oberfläche der Populisten blenden lassen, sie sollten nicht jeder einfachen Lösung hinterher laufen. Sie müssen unter die Oberfläche schauen, sie müssen die Qualität der Lösungen am Kern ihrer Werte und den Wirkungen bemessen. Beispiel Freihandel: Was nützt es, billig im Ausland hergestellte Produkte zu verbieten, wenn sie im Inland hergestellt deutlich teurer würden? Was nützt es, im Inland Produkte herstellen zu wollen, wenn es im Inland keine Arbeiter gibt, die sie herstellen wollen oder können? Ist es fair, im Ausland Arbeitsplätze zu vernichten, weil man die Produkte nicht mehr importieren möchte? Ist es fair, im Ausland zu produzieren, weil dort die Umweltvorschriften nicht so streng sind? Wem nützt es, wenn inländische Jugendliche laufend ihr Selbst ausdrücken können, indem sie in ausländischen Handelsketten billigst hergestellte Kleidung günstig kaufen können? Wer freut sich über günstiges Schweinefleisch, für das Soja aus Brasilien verfüttert wird? Als ob es für diese und weitere Fragen in diesem Zusammenhang nur die eine Antwort "Weg mit dem Freihandel" gäbe.
Die Wahl zeigt vor allem, dass es notwendig ist, sich auf den Wert der Demokratie zu besinnen und sich das gerechte und faire Miteinander in der Demokratie bewusst zu machen. Sonst begraben wir, was wir bewahren wollten.

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