Freitag, 18. März 2016

Walter Rollers schöne Rede

Walter Roller kommentiert in seinem Leitartikel das Wahlergebnis der Landtagswahlen sowie die aus seiner Sicht notwendigen Schlussfolgerungen, die die Parteien ziehen sollten:



Walter Roller schreibt:
"Die CDU-Spitze deutet den Niedergang in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg spitzfindig in eine glanzvolle Bestätigung für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin um - woraus natürlich zwingend folgt, dass es am Kurs Merkels nichts zu korrigieren gibt. [...] Die beiden Volksparteien machen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Keine Spur von Selbstkritik. Kein Hinweis darauf, dass die Botschaft des Wahlsonntags angekommen ist."
Und was ist die Botschaft? Dass zwingend der Kurs Merkels zu korrigieren ist?
Alle Erfolge der AfD, alle Kritik an den etablierten Parteien sieht Walter Roller zuerst im Lichte der Flüchtlinge. In bunten Farben schöner Worte skizziert er eine einfache Welt, in der eine nationale "Lösung" die Lösung aktueller Probleme verheißt. Dass CDU und SPD nach den Wahlergebnissen nicht sofort auf eine Grenze-Dicht-Rhethorik umschwenken, stellt er in einen Zusammenhang mit erstaunlicher Schönfärberei. Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Die Zeit schreibt, die AfD sei "eine von mittelalten bis älteren Männern aus der Mittel- und unteren Mittelschicht dominierte" Partei. Diese Menschen treibt eine diffuse Angst um, die ihnen zustehenden Staatsleistungen könnten eingeschränkt werden, wenn mehr für Flüchtlinge und Integration aufgewendet werden muss. Diese Menschen glauben, eine dominante Führungsperson könnte alle Probleme lösen. Mit einfachen Mitteln wie "Grenze dicht". Aus den Augen, aus dem Sinn. Da ist der Schritt zum Führer nicht weit, auch wenn Walter Roller die AfD für "Demokraten [...] wählbar" hält. Formal hat er damit Recht.
Der AfD gelingt es, aus zwei Aspekten Kapital zu schlagen. Zum Einen profitiert sie aus einer gewissen Unzufriedenheit mit Parteien generell. Wie hoch dieser Vertrauensverlust ist, zeigt eine Umfrage auf der Website des Statistischen Bundesamtes. Rund 70% der Befragten gaben an, eher nicht zu vertrauen. Eine weitere Umfrage zeigt, dass die AfD nur von 16% wegen der Inhalte, jedoch von 68% aus Unzufriedenheit mit anderen Parteien gewählt wird. Zum Anderen nimmt die AfD anderen Parteien Wähler ab, der größte Strom der AfD-Wähler kam jedoch von den Nichtwählern:

Infografik: AfD mobilisiert Nicht-Wähler | Statista

Der AfD gelingt es also, aus der Unzufriedenheit mit Parteien und womöglich dem ganzen System Kapital zu schlagen und sich als Partei der Unzufriedenen, der Protestwähler zu positionieren.
Die aktuellen Wahlergebnisse sind nicht allein geprägt von der aktuellen Lage. Der Niedergang der SPD hat nicht erst im letzten Jahr begonnen, als das Flüchtlingsthema an Präsenz gewann. Bereits unter Gerhard Schröder hat die Agenda 2010 die angestammte SPD-Klientel verschreckt.
Walter Roller warnt im Schulterschluss mit Horst Seehofer, "weil die nationalkonservativ denkenden Wähler dann eine demokratische Alternative haben." Ob "denken" im Zusammenhang mit Ich-wähle-rechts-um-es-den-Großkopferten-zu-zeigen-und-weil-mir-der-Muslim-mein-Deutschland-wegnimmt die richtige Vokabel ist, sei dahingestellt. Warum die oben genannten alten Männer der Unter-/Mittelschicht die Stimme des Volkes seien, erklärt Walter Roller nicht. Sie sind bloß eine der lautesten Stimmen im Volk. In seiner Welt damit die Stimme.
Am Ende kann Walter Roller zugestimmt werden:
"Vonnöten ist neben einer harten argumentativen Auseinandersetzung in der Sache, die Lösung von Problemen."
Hinzugefügt werden muss jedoch, dass die Lösungen im Kontext des europäischen Gedankens, der Menschenrechte und notwendiger Moral gedacht werden müssen. Und es ist zu fragen, ob das bei den angstvoll besorgten Bürgern überhaupt fruchtet: wo Emotio regiert, hat Ratio schlechte Karten. Zudem sind es nicht nur politische Lösungen im Tages- und Wochengeschäft. Es geht auch um die Identität von Parteien und ihre Fähigkeit, die vielfältigen Ansichten in der Bevölkerung so zu kanalisieren, dass über Wahlen stabile Regierungen entstehen können. Die nachlassende Wahlbeteiligung in den letzten Jahren und Jahrzehnten ist der Aufruf an alle Parteien, den grundgesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung des politischen Willens ernster zu nehmen. In Zeiten sozialer Medien, dem damit verbundenen Posing und dem Ruhm für alle keine leichte Herausforderung. So zu tun, als wäre mit der Wahl nichts geschehen, wäre ein Fehler. Wegen der Wahl jetzt hektische Betriebsamkeit zu entwickeln auch.

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