Dienstag, 29. März 2016

Schwäbische Hausfrauen gegen die EZB

Stefan Stahl hat in der Augsburger Allgemeinen vom 29.3. einen Leitartikel zur Politik der EZB veröffentlicht:



Der Beginn ist verwirrend:
"Der Preis der Euro wird immer höher. [...] FDP-Chef Lindner warnt zu Recht: 'Der Euro darf nicht zu einer Lira werden.'"
Die Lira gilt als Symbol für eine schwache Währung. Ihr Preis wurde immer niedriger, man bekam also für 1 DM immer mehr Lira. Schaut man sich die Entwicklung des Wechselkurses des Euro und des Dollars an, zeigt sich gegenüber dem Dollar eine Abwärtsbewegung:

EurUsd.png
Von origin Thomas Steiner - data from onvista: data-link, as of 21.4.2008. created with GNU R, see source and data below; other data source could be [1], CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1493806

Der Preis des Euro wird also niedriger. Aber vielleicht meint er ja nicht den Kaufpreis bzw. Wechselkurs, sondern den Preis, den wir alle bezahlen müssen.
Stefan Stahl führt aus, der EZB-Chef Draghi würde dem Prinzip der Sparsamkeit den Krieg erklären. Den Worten verleiht er noch mehr Wucht, als er "Ex-Investmentbanker Draghi" schreibt. "Geld im Überfluss [wird] zu Schleuderpreisen geliehen", Schuldenmachen zur guten Tat. Er sieht "eine verkehrte Welt", eine "Umkehrung aller Verhältnisse", gar einen moralischen Verfall. Das Problem ist nur: er kritisiert die Methoden der EZB, sagt aber nichts zu den Zielen, die damit verfolgt werden sollen. Vielmehr: mit Argumenten gegen die Methoden meint er die Ziele. Die EZB versucht, die Inflation zu erhöhen, um deflationären Tendenzen entgegen zu wirken. Für genau diesen Zweck ist eine Zinssenkung das Standardinstrument der Notenbanken.
Stefan Stahl verweist auf "alte Lehren wie die des deutschen Denkers Gellert" - meint er Christian Fürchtegott Gellert? Was für ein Name! Nach dieser Lehre solle man in der Jugend sparen, um im Alter nicht zu darben. Dem kann auch kaum widersprochen werden. Stefan Stahl hat Recht, wenn er bemerkt, es würde "schwieriger, neben der gesetzlichen Rente Geld auf lange Sicht für den Lebensabend gewinnbringend beiseitezulegen." Er schreibt weiter:
"Schließlich gründen viele zentrale Formen der privaten Altersvorsorge darauf, dass sich vernünftige Zinsen erwirtschaften lassen. Wei das nur schwer möglich ist, treibt der EZB-Boss die Anleger in die Aktienmärkte und zum Immobilienkauf. Beide Optionen sind risikobehaftet und stehen vor allem wohlhabenden Bürgern offen."
Ja, Aktien sind riskanter als das Sparbuch. Stefan Stahl nennt die pleitegegangene US-Bank Lehman Brothers eine "böse Überraschung". Er hätte auch Chancen nennen sollen, wie zum Beispiel Kuka-Aktien, die sich innerhalb von fünf Jahren von etwa 20€ auf über 80€ vervierfacht haben.
Die aktuellen Immobilienpreise nennt Stefan Stahl "Blase", bei deren Platzen das Gejammer groß sei. Die Preise sind gestiegen, ja. Dass es bereits eine Blase sei, ist jedoch mindestens umstritten.
Stefan Stahl schreibt unter dem Ideal der schwäbischen Hausfrau. Er sieht ein Problem, weil gängige Altersvorsorgeprodukte "vernünftige Zinsen" voraussetzen. Er sieht das nicht als Problem der Banken, die Produkte entwickelten mit festen Renditezusagen für die Kunden, jedoch nicht ausreichend sichergestellt haben, wie sie diese Zusagen umsetzen können. Er tut so, als hätte die schwäbische Hausfrau ein Anrecht auf hohe risikolose Zinsen. Hat sie nicht. Zudem: er sollte sich die Mühe machen und prüfen, wann der risikolose Zins höher war als die Inflation. Da wird er feststellen, dass ein realer Vermögensaufbau ohne Risiko mittels simplen Anlageformen wie Festgeld auch vor dem Euro nicht oder kaum möglich war. Die schwäbische Hausfrau hat auch kein Anrecht, mit bestimmten Anlageformen wie Bausparer oder Lebensversicherung für die Ewigkeit hohe Renditen zu bekommen. Er tut so, als könne die schwäbische Hausfrau nicht entscheiden, ob sie einen Kredit aufnimmt oder nicht. Kann sie. Die Klienten der Schuldnerberatung sind eben nicht die schwäbischen Hausfrauen, sondern diejenigen, die bereits vor Draghi nicht mit ihrem Geld umgehen konnten oder die vom Schicksal hart getroffen wurden.
"Draghi attackiert den Wert der Sparsamkeit" und lehne "nicht mal die verrückte Idee kategorisch ab", Gelder zur Belebung der Nachfrage statt über den Umweg Banken direkt an die Konsumenten zu geben. Milton Friedman benutzte das Bild, die Gelder vom Helikopter abzuwerfen. Stefan Stahl nimmt das wörtlich. Er sieht es als Entwertung der Leistung, wenn jeder Bürger einen Konsum-Gutschein bekäme. Sozialleistungen haben oft den gleichen Charakter, da sie ohne Gegenleistung gewährt werden. Lebensmittelmarken für Ayslbewerber sind direkt vergleichbar. An solchen Gratis-Konsum-Möglichkeiten findet niemand etwas schlechtes.
Die EZB möchte das Problem des zu geringen Konsums lösen und kommt mit ihrem Latein an Grenzen. Stefan Stahl lehnt den Latein ab, bietet jedoch keine Alternativlösungen, er schweigt sich aus, wie er über die "Ankurbelung der Konjunktur" denkt. Denn eigentlich müsste er eine nachfrageorientierte Politik gutheißen, die auf die Bürger und Verbraucher abzielt und nicht den Konzernen alles nachwirft. Das Prinzip der schwäbischen Hausfrau würde genau das verschärfen, was die EZB als Ursache sieht. Ein Teufelskreis, in dem sich die Argumente fruchtlos drehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen