Donnerstag, 31. März 2016

Grenzen der Obergrenzen

Die Augsburger Allgemeine hat am 31.03. einen Artikel veröffentlicht zu den Ergebnissen von Studien, die die österreichische Regierung in Auftrag gegeben hatte, um die Zulässigkeit von zahlenmäßige Obergrenzen für Flüchtlinge zu prüfen:


Die Studien können beim österreichischen Bundeskanzleramt abgerufen werden. Die Lektüre dieser Studien lege ich jenen nahe, die auch in Deutschland nach einer Obergrenze rufen. Und ich lege sie jenen nahe, die unter Berufung auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der illegalen Einreise den Rechtsstaat umgehen wollen und die wie manche Leserbriefschreiber das Recht zur gerichtlichen Überprüfung einer Asylentscheidung negieren. An dieser Stelle begnüge ich mich mit ein paar erhellenden Zitaten aus den Studien.
  • Seite 86:
"Die Festlegung eines Richtwerts ('Obergrenze') in Form einer zahlenmäßig bestimmten Höchstgrenze, bei deren Überschreitung die Möglichkeit, eine Verletzung von Grundrechten vorzubringen und darüber im Einzelfall eine nachprüfbare Entscheidung zu erhalten, ausschließlich aus dem Grunde der Überschreitung dieser Zahl unbedingt ausgeschlossen wäre, stünde mit geltendem österreichischem Verfassungsrecht nicht im Einklang."
  • Seite 39: 
"Die geltenden völkerrechtlichen Regelungen sehen weder explizit noch implizit Richtwerte (Obergrenzen) für Schutzsuchende vor.  
Im Unionsrecht sind ebenfalls keine Richtwerte (Obergrenzen) normiert. Ansatzweise finden sich dort aber Schutzmechanismen für besonders belastete Mitgliedstaaten. So sieht beispielsweise die Dublin-III-Verordnung im Falle eines besonderen Drucks auf das Asylsystem eines Mitgliedstaats einen Mechanismus zur Frühwarnung, Vorsorge und Krisenbewältigung vor. Dieser beschränkt sich allerdings auf die Ausarbeitung eines präventiven Aktionsplans oder eines Krisenbewältigungsaktionsplans, der jedoch das Asylrecht der Union wahren muss und daher keine zahlenmäßige Obergrenze für Schutzsuchende umfassen darf."
  • Seite 44:
"Das Verbot der Kollektivausweisung in Art 19 Abs 1 GRC umfasst die Aus- und Zurückweisung einer Gruppe von Personen ohne vorherige individuelle Prüfung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Aus- oder Zurückweisung in einen sicheren oder unsicheren (Dritt-)Staat erfolgt."
  • Seite 45:
"Das Recht auf eine gute Verwaltung in Art 41 GRC verlangt, dass die zuständigen (Asyl-)Behörden einerseits den Schutzsuchenden die Möglichkeit bieten, ihren Standpunkt sachdienlich und wirksam vorzutragen, und andererseits alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalles sorgfältig und unparteiisch untersuchen und ihre Entscheidung eingehend begründen.
Das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in Art 47 GRC gibt jeder Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen."

Dienstag, 29. März 2016

Schwäbische Hausfrauen gegen die EZB

Stefan Stahl hat in der Augsburger Allgemeinen vom 29.3. einen Leitartikel zur Politik der EZB veröffentlicht:



Der Beginn ist verwirrend:
"Der Preis der Euro wird immer höher. [...] FDP-Chef Lindner warnt zu Recht: 'Der Euro darf nicht zu einer Lira werden.'"
Die Lira gilt als Symbol für eine schwache Währung. Ihr Preis wurde immer niedriger, man bekam also für 1 DM immer mehr Lira. Schaut man sich die Entwicklung des Wechselkurses des Euro und des Dollars an, zeigt sich gegenüber dem Dollar eine Abwärtsbewegung:

EurUsd.png
Von origin Thomas Steiner - data from onvista: data-link, as of 21.4.2008. created with GNU R, see source and data below; other data source could be [1], CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1493806

Der Preis des Euro wird also niedriger. Aber vielleicht meint er ja nicht den Kaufpreis bzw. Wechselkurs, sondern den Preis, den wir alle bezahlen müssen.
Stefan Stahl führt aus, der EZB-Chef Draghi würde dem Prinzip der Sparsamkeit den Krieg erklären. Den Worten verleiht er noch mehr Wucht, als er "Ex-Investmentbanker Draghi" schreibt. "Geld im Überfluss [wird] zu Schleuderpreisen geliehen", Schuldenmachen zur guten Tat. Er sieht "eine verkehrte Welt", eine "Umkehrung aller Verhältnisse", gar einen moralischen Verfall. Das Problem ist nur: er kritisiert die Methoden der EZB, sagt aber nichts zu den Zielen, die damit verfolgt werden sollen. Vielmehr: mit Argumenten gegen die Methoden meint er die Ziele. Die EZB versucht, die Inflation zu erhöhen, um deflationären Tendenzen entgegen zu wirken. Für genau diesen Zweck ist eine Zinssenkung das Standardinstrument der Notenbanken.
Stefan Stahl verweist auf "alte Lehren wie die des deutschen Denkers Gellert" - meint er Christian Fürchtegott Gellert? Was für ein Name! Nach dieser Lehre solle man in der Jugend sparen, um im Alter nicht zu darben. Dem kann auch kaum widersprochen werden. Stefan Stahl hat Recht, wenn er bemerkt, es würde "schwieriger, neben der gesetzlichen Rente Geld auf lange Sicht für den Lebensabend gewinnbringend beiseitezulegen." Er schreibt weiter:
"Schließlich gründen viele zentrale Formen der privaten Altersvorsorge darauf, dass sich vernünftige Zinsen erwirtschaften lassen. Wei das nur schwer möglich ist, treibt der EZB-Boss die Anleger in die Aktienmärkte und zum Immobilienkauf. Beide Optionen sind risikobehaftet und stehen vor allem wohlhabenden Bürgern offen."
Ja, Aktien sind riskanter als das Sparbuch. Stefan Stahl nennt die pleitegegangene US-Bank Lehman Brothers eine "böse Überraschung". Er hätte auch Chancen nennen sollen, wie zum Beispiel Kuka-Aktien, die sich innerhalb von fünf Jahren von etwa 20€ auf über 80€ vervierfacht haben.
Die aktuellen Immobilienpreise nennt Stefan Stahl "Blase", bei deren Platzen das Gejammer groß sei. Die Preise sind gestiegen, ja. Dass es bereits eine Blase sei, ist jedoch mindestens umstritten.
Stefan Stahl schreibt unter dem Ideal der schwäbischen Hausfrau. Er sieht ein Problem, weil gängige Altersvorsorgeprodukte "vernünftige Zinsen" voraussetzen. Er sieht das nicht als Problem der Banken, die Produkte entwickelten mit festen Renditezusagen für die Kunden, jedoch nicht ausreichend sichergestellt haben, wie sie diese Zusagen umsetzen können. Er tut so, als hätte die schwäbische Hausfrau ein Anrecht auf hohe risikolose Zinsen. Hat sie nicht. Zudem: er sollte sich die Mühe machen und prüfen, wann der risikolose Zins höher war als die Inflation. Da wird er feststellen, dass ein realer Vermögensaufbau ohne Risiko mittels simplen Anlageformen wie Festgeld auch vor dem Euro nicht oder kaum möglich war. Die schwäbische Hausfrau hat auch kein Anrecht, mit bestimmten Anlageformen wie Bausparer oder Lebensversicherung für die Ewigkeit hohe Renditen zu bekommen. Er tut so, als könne die schwäbische Hausfrau nicht entscheiden, ob sie einen Kredit aufnimmt oder nicht. Kann sie. Die Klienten der Schuldnerberatung sind eben nicht die schwäbischen Hausfrauen, sondern diejenigen, die bereits vor Draghi nicht mit ihrem Geld umgehen konnten oder die vom Schicksal hart getroffen wurden.
"Draghi attackiert den Wert der Sparsamkeit" und lehne "nicht mal die verrückte Idee kategorisch ab", Gelder zur Belebung der Nachfrage statt über den Umweg Banken direkt an die Konsumenten zu geben. Milton Friedman benutzte das Bild, die Gelder vom Helikopter abzuwerfen. Stefan Stahl nimmt das wörtlich. Er sieht es als Entwertung der Leistung, wenn jeder Bürger einen Konsum-Gutschein bekäme. Sozialleistungen haben oft den gleichen Charakter, da sie ohne Gegenleistung gewährt werden. Lebensmittelmarken für Ayslbewerber sind direkt vergleichbar. An solchen Gratis-Konsum-Möglichkeiten findet niemand etwas schlechtes.
Die EZB möchte das Problem des zu geringen Konsums lösen und kommt mit ihrem Latein an Grenzen. Stefan Stahl lehnt den Latein ab, bietet jedoch keine Alternativlösungen, er schweigt sich aus, wie er über die "Ankurbelung der Konjunktur" denkt. Denn eigentlich müsste er eine nachfrageorientierte Politik gutheißen, die auf die Bürger und Verbraucher abzielt und nicht den Konzernen alles nachwirft. Das Prinzip der schwäbischen Hausfrau würde genau das verschärfen, was die EZB als Ursache sieht. Ein Teufelskreis, in dem sich die Argumente fruchtlos drehen.

Montag, 28. März 2016

Walter Rollers fester Stand

In der Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 26.3 schreibt Walter Roller einen Leitartikel zu den Konsequenzen der Brüsseler Terroranschläge:


Walter Roller weist zu Recht auf die Gefahr hin, die mit dem Verlust des Sicherheitsgefühls einher geht und die "gefestigte demokratische Ordnung über kurz oder lang in Turbulenzen" bringen kann. Er zeigt Grenzen auf:
"Selbstverständlich ist dieser Terrorismus mit besseren Sicherheitsmaßnahmen allein nicht zu besiegen. Seine Brutstätten liegen in der muslimisch-arabischen Welt, die selbst am meisten unter diesem religiösen Fanatismus leidet und einen Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt und der Religionskriege finden muss."
Wo die Grenzen noch korrekt benannt werden, greift der zweite Satz zu kurz. Wenn einerseits europäische Maßnahmen nicht ausreichen, kann Europa die "muslimisch-arabische Welt" doch nicht alleine lassen bei der Suche nach dem Weg aus dem "Teufelskreis der Gewalt". Europa muss ein Interesse daran haben, bei der Suche zu unterstützen, wo Unterstützung gefordert wird oder notwendig ist.
Walter Roller fordert, "[m]it kühlem Kopf und im Wissen um die moralischen und rechtlichen Grenzen rechtsstaatlicher Mittel" die Fanatiker zu bekämpfen, die "allem, was den Europäern lieb und teuer ist, den Krieg erklärt" haben. Er hätte die inhaltliche Grenze vom Schluss des Leitartikels ebenfalls nennen sollen. Denn nicht nur das Recht und die Moral, sondern auch die Praktikabilität und Effektivität von Maßnahmen sollte der Rechtsstaat bedenken.
An welche Maßnahmen Walter Roller denkt, bleibt meist im nebulösen. Nur an einer Stelle wird er konkret:
"Nach allem, was bisher [...] bekannt ist, haben nicht nur die belgischen Behörden versagt. [...] Die grenzüberschreitende Kooperation und der Austausch von Daten und Erkenntnissen [...] liegen weiter im Argen."
In einem freizügigen Europa mit Kooperation auf allen möglichen Gebieten ist nicht einzusehen, warum geheimdienstliche, erkennungsdienstliche und ermittlungsrelevante Informationen im Kontext einer gesamteuropäischen Gefahr nicht gesamteuropäisch zur Verfügung stehen sollten.
Nebulös lässt Walter Roller, welche Erkenntnisse über "kreuz und quer durch Europa reisende[...] Dschihadisten" er genau meint. Sind es zufällige Erkenntnisse, die sich aus einer zufälligen Kontrolle eines Fahrzeugs auf der Autobahn ergeben. Oder sollen alle Reisen überwacht werden, neben Flügen auch Bahnreisen sowie Mietwagenfahrten? Von allen Bürgern oder nur von amtsbekannten Personen aus dem Terrorumfeld? Oder von allen verurteilten Verbrechern? Oder von allen, die Verbrechen begehen könnten?
Nebulös lässt Walter Roller, was "ein entschiedenes Vorgehen gegen die islamistischen Milieus und Parallelgesellschaften" ist. Soll es keine Islamistenviertel mehr geben? Oder denkt er an Viertel wie Brüssel Molenbeek? Das wäre - gemessen an der Bevölkerung - bestenfalls ein islamisches Viertel, kein islamistisches. Solche Feinheiten würden jedoch den Ruf nach Standhaftigkeit unterminieren.
Nebulös lässt Walter Roller auch, was er konkret meint, wenn er fordert, der Rechtsstaat müsse "dabei seinen Prinzipien treu bleiben". Denn im Folgesatz sieht er "die ritualhafte Warnung vor einem 'Überwachungsstaat' und einem Verlust freiheitlicher Rechte" als "übertrieben" an. Damit gewinnt, trotz seines Hinweises auf die "moralischen und rechtlichen Grenzen", die "Härte, die zur Verteidigung unserer Ordnung unerlässlich ist", die Oberhand. Will er ein Ende der Reisefreiheit? Will er lückenlose Telefonüberwachung? Will er Vorratsdatenspeicherung? Will er mehr Polizeikontrollen? Will er die Todesstrafe für Selbstmordattentäter?
Einer der Attentäter von Brüssel hat in seinem "Testament" geschrieben, er wolle lieber sterben als im Gefängnis sitzen. Walter Roller schreibt, die Dschihadisten hätten Europa, seinen Werten und seinem Lebensstil den Krieg erklärt. Der Kristallisationspunkt der Kriegserklärung sind Werte und Kultur, die Europa hoffentlich nicht aufgeben wird. Die absehbare Härte als rechtsstaatliche Reaktion auf vorangegangene Taten des Attentäters haben das Selbstmordattentat zumindest befeuert. Walter Rollers Antwort hierauf ist: mehr Härte.
Walter Roller hat in seinem Leitartikel Standfestigkeit bewiesen, weil er wie in der Vergangenheit hartes Vorgehen fordert. Zur Erhellung oder zur Lösung der Terrorgefahr trägt sein Leitartikel jedoch nichts bei.

Samstag, 26. März 2016

Blutige Hetze

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 26.3. über das Urteil über Radovan Karadzic und Winfried Züfle kommentiert dazu:


Im Bericht zum Kommentar steht:
"'Weder die EU noch die internationale Gemeinschaft haben nach (den Anschlägen in) Paris und Brüssel begriffen, mit wem es die bosnischen Serben in den 90er Jahren zu tun hatten', zitierte ihn eine serbische Zeitung. Genau wie damals sieht Karadzic die muslimischen Bosniaken als Terroristen und Gefahr für das christliche Europa."
Bevor Karadzic seine Hetze begann, lebten Christen und Muslime auf dem Balkan als Nachbarn. Vielleicht nicht immer völlig spannungsfrei, aber dennoch. In diese Nachbarschaft hinein trieb Karadzic seine Hetze solange, bis sie im Massaker entsetzlich kulminierte.
Welche Bewandtnis hat die Geschichte heute? Der Schluss des Kommentars gibt dazu einen Hinweis:
"[...] huldigten einem [...] Nationalismus und gaben vor, das christliche Abendland zu verteidigen. Aber christlich war daran nichts. Sie waren und sind vielmehr Verbrecher."
Das sollten sich diejenigen mehrfach durchlesen, die heute als Pegida, AfD und andere besorgte (Wut)Bürger durch die Lande ziehen und glauben, sie müssten das Abendland verteidigen.

Rentenversicherung und Familienlasten

In der Augsburger Allgemeinen vom 27.8. wird berichtet über eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung, die bei der Sozialversicherung von Personen mit bzw. ohne Kindern eine Gerechtigkeitslücke identifiziert. Zu dem Thema hat Michael Pohl einen Kommentar verfasst:


Es verwundert nicht, dass Familienverbände als Interessensvertretung versuchen, Vorteile für ihre Klientel zu erreichen. Allerdings sind in der Studie zwei Fragen angelegt, deren Antwort spannend sein dürfte.

Soziale Versicherung?

Die Klage dreht sich um die Kranken- und Rentenversicherung. Im Artikel wird der Präsident des Deutschen Familienverbandes zitiert, der es für skandalös hält, dass ein "vierfacher Vater die gleichen Beiträge [...] einzahlt wie ein gleichverdienender Versicherter, der ohne Nachwuchs lebt". Den
Skandal vermag ich nicht zu erkennen.
Zum Einen handelt es sich um eine Versicherung. Das Wesen einer Versicherung ist es, Beiträge einzuzahlen und im Schadensfall Leistungen zu bekommen. Bei der Krankenversicherung ist der Begriff Schadensfall klar, bei der Rentenversicherung irreleitend. Umgekehrt besagt das Prinzip: Wer
Leistungen beziehen will, muss vorher Beiträge geleistet haben. Bei der Krankenversicherung mit echtem Versicherungscharakter richtet sich die Leistungshöhe nach der Höhe des Schadens, der Krankheitskosten. Bei der Rentenversicherung ist - wenn man so will - der Schaden das Ende des
Erwerbslebens und eine am Einkommen orientierte Leistung plausibel.
Zum anderen ist die Versicherung sozial. Das Sozialprinzip realisiert sich beispielsweise durch die Nichtgewichtung des Schadensrisikos. Die Beiträge hängen von der Einkommenshöhe ab, nicht jedoch vom Risikoverhalten. Die Familienmitversicherung ist ein weiteres Beispiel für den sozialen Charakter.
Die Studie rechnet hingegen eine Art Investition (vgl. Seite 32):
"Auf der Basis vergleichsweise stark stilisierter Berechnungen kommt er zu einem externen Effekt in Höhe von 175.000 DM (ca. 89.500 Euro; Barwert für  das Jahr 1997), den ein durchschnittliches Kind im Rahmen des gesetzlichen Rentensystems an andere Versicherte mit sich bringt. Gestützt auf realitätsnähere Annahmen und detailliertere Fortschreibungen von Ist-Daten – etwa für Löhne, Beitragssätze und das Rentenniveau – legten Werding und Hofmann (2005) eine neue Berechnung vor. Für ein durchschnittliches Kind ermitteln sie dabei einen externen Effekt im Rahmen des Rentensystems in Höhe von 139.300 Euro (Barwert für das Jahr 2000). Daneben errechnen sie auch analoge Effekte im Rahmen aller anderen Zweige der Sozialversicherung, insbesondere der Kranken- und Pflegeversicherung, beziehen daneben auch Einkommen- und Verbrauchsteuerzahlungen des Kindes ein und berücksichtigen im Gegenzug die dem Kind unmittelbar zurechenbaren, steuerfinanzierten Leistungen in Form öffentlich finanzierter Kinderbetreuung und Bildung, familienpolitischer Leistungen sowie staatliche Leistungen ('öffentliche Güter'), die allen Bürgern lebenslang zugutekommen. Als Netto-Effekt dieser umfassenden 'fiskalischen Bilanz' eines neu geborenen Kindes ergibt sich dabei ein Überschuss der Beitrags- und Steuerzahlungen über die zu erwartenden Leistungen, das heißt eine fiskalische Externalität im Rahmen des gesamten Steuer-Transfer-Systems in Höhe von 76.900 Euro (erneut berechnet als Barwert für das Jahr 2000)."
Mir ist unklar, warum eine Versicherung eine Leistung erbringen muss, die sicher höher ist als die eingezahlten Beiträge.
Im Artikel wird Bezug genommen auf die Pflegeversicherung und den erhöhten Beitrag für Kinderlose. Beim Pflegefall handelt sich um eine tatsächliche Versicherungsleistung. Durch eigene Kinder steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Pflege durch Familienangehörige wahrgenommen wird und damit eine geringere Versicherungsleistung beansprucht wird. So lässt sich eine Beitragsdifferenz argumentieren. Die erhöhten Beiträge Kinderloser sind ein Abgehen von der oben genannten Sozialkomponente, nach der Beiträge nicht vom Risiko abhängen. Es handelt sich mithin um eine Strafe, nicht um ein Goodie für Versicherte mit Kindern.
Zudem: Wenn Familien mit Kindern eine Besserstellung bekommen sollen wegen ihrer Verdienste um das Versicherungssystem, wo soll die Grenze gezogen werden? Nichtraucher beispielsweise oder Normalgewichtige oder Sporttreibende leisten ebenfalls einen Beitrag. Sie gehen sorgsam mit sich um und reduzieren so das Risiko des Versicherungsfalles (v.a. in der Krankenversicherung). Warum werden diese Personen nicht ebenfalls entlastet? In der Rentenversicherung müssten sie belastet werden, weil sie auf Grund ihrer gesünderen Lebensweise wahrscheinlich länger leben und länger Leistungen beziehen.

Abgeltung familiärer Leistung?

Zur Abgeltung familiärer Leistungen sagt die Studie auf Seite 16:
"Unabhängig davon, ob das Gericht in dieser Sache in absehbarer Zeit entscheidet oder ob es das Verfahren aussetzt und einen Vorlagebeschluss trifft, wird sich wohl bald auch das Bundesverfassungsgericht wieder damit befassen müssen, welche Bedeutung elterliche Betreuungs- und Erziehungsleistungen bzw. unter förderlichen Bedingungen aufwachsende, gut ausgebildete Kinder für die umlagefinanzierten Sozialversicherungen haben."
Hier verbirgt sich ein kritischer Punkt. Denn einerseits fußt die Argumentation vom Wert von Kindern für das Gesamtsystem auf Einzahlungen in das System. Das Zitat zeigt, wie voraussetzungsstark das Argument ist: "unter förderlichen Bedingungen aufwachsende, gut ausgebildete Kinder" werden angeführt. Was ist aber, wenn ein Kind die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllt? Was ist, wenn es krankheitsbedingt kein Einkommen erzielt? Was ist, wenn es auf Grund von Bedingungen im Elternhaus in die Kriminalität abgleitet und die Gesellschaft Geld kostet durch Gefängnis, Therapien etc.? Wer so eng am Geld argumentiert wie der Familienbund und die Studie, muss auch beantworten, welchen Anspruch die Gesellschaft an die Eltern haben wird, wenn diese das Versprechen nicht halten, für das System nützliche Kinder zu haben und für dieses Versprechen Vergünstigungen beansprucht haben.

Fazit

Die Studie stellt auf Seite 18 dar:
"Das Übergewicht der durch staatliche Maßnahmen erzeugten Belastungen von Familien und Kindern gegenüber ihrer Förderung hat weit reichende Folgen. Unmittelbar beeinträchtigt werden dadurch die wirtschaftliche Situation der Familien und damit die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen. Das trägt dazu bei, dass Kinder in Deutschland derzeit eines der gewichtigsten Armutsrisiken darstellen. Diese Aussicht kann zurückwirken auf die Bereitschaft junger Menschen, Familien zu gründen und weitere Kinder zu haben, obwohl oder eigentlich gerade weil ihre Existenz effektiv allen Mitgliedern der Elterngeneration zu Gute kommt."
Wenn Kinder ein hohes Armutsrisiko bedeuten, dann ist es nicht an der Sozialversicherung, das zu lösen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Welcher Beitrag ist hier von den Kinderlosen zu fordern, die nicht in die Sozialversicherung einzahlen? Und selbstverständlich: Welche Zuwendung bekommen diejenigen, die nicht in die Rentenversicherung einzahlen, die aber Kinder haben, die in die Rentenversicherung einzahlen werden? Wenn diese Personen leer ausgehen, hat das mit sozial nichts mehr zu tun. Michael Kohl hat Recht: Der eigentliche Hebel liegt im Steuerrecht.

Donnerstag, 24. März 2016

Muslime und Nazis

In der Augsburger Allgemeinen vom 24. März findet sich ein Leserbrief von Eugen Domberger:


Dazu fällt mir nur ein:
Nicht jeder Deutsche ist ein Nazi, aber die Nazis sind Deutsche!

Freitag, 18. März 2016

Walter Rollers schöne Rede

Walter Roller kommentiert in seinem Leitartikel das Wahlergebnis der Landtagswahlen sowie die aus seiner Sicht notwendigen Schlussfolgerungen, die die Parteien ziehen sollten:



Walter Roller schreibt:
"Die CDU-Spitze deutet den Niedergang in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg spitzfindig in eine glanzvolle Bestätigung für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin um - woraus natürlich zwingend folgt, dass es am Kurs Merkels nichts zu korrigieren gibt. [...] Die beiden Volksparteien machen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Keine Spur von Selbstkritik. Kein Hinweis darauf, dass die Botschaft des Wahlsonntags angekommen ist."
Und was ist die Botschaft? Dass zwingend der Kurs Merkels zu korrigieren ist?
Alle Erfolge der AfD, alle Kritik an den etablierten Parteien sieht Walter Roller zuerst im Lichte der Flüchtlinge. In bunten Farben schöner Worte skizziert er eine einfache Welt, in der eine nationale "Lösung" die Lösung aktueller Probleme verheißt. Dass CDU und SPD nach den Wahlergebnissen nicht sofort auf eine Grenze-Dicht-Rhethorik umschwenken, stellt er in einen Zusammenhang mit erstaunlicher Schönfärberei. Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Die Zeit schreibt, die AfD sei "eine von mittelalten bis älteren Männern aus der Mittel- und unteren Mittelschicht dominierte" Partei. Diese Menschen treibt eine diffuse Angst um, die ihnen zustehenden Staatsleistungen könnten eingeschränkt werden, wenn mehr für Flüchtlinge und Integration aufgewendet werden muss. Diese Menschen glauben, eine dominante Führungsperson könnte alle Probleme lösen. Mit einfachen Mitteln wie "Grenze dicht". Aus den Augen, aus dem Sinn. Da ist der Schritt zum Führer nicht weit, auch wenn Walter Roller die AfD für "Demokraten [...] wählbar" hält. Formal hat er damit Recht.
Der AfD gelingt es, aus zwei Aspekten Kapital zu schlagen. Zum Einen profitiert sie aus einer gewissen Unzufriedenheit mit Parteien generell. Wie hoch dieser Vertrauensverlust ist, zeigt eine Umfrage auf der Website des Statistischen Bundesamtes. Rund 70% der Befragten gaben an, eher nicht zu vertrauen. Eine weitere Umfrage zeigt, dass die AfD nur von 16% wegen der Inhalte, jedoch von 68% aus Unzufriedenheit mit anderen Parteien gewählt wird. Zum Anderen nimmt die AfD anderen Parteien Wähler ab, der größte Strom der AfD-Wähler kam jedoch von den Nichtwählern:

Infografik: AfD mobilisiert Nicht-Wähler | Statista

Der AfD gelingt es also, aus der Unzufriedenheit mit Parteien und womöglich dem ganzen System Kapital zu schlagen und sich als Partei der Unzufriedenen, der Protestwähler zu positionieren.
Die aktuellen Wahlergebnisse sind nicht allein geprägt von der aktuellen Lage. Der Niedergang der SPD hat nicht erst im letzten Jahr begonnen, als das Flüchtlingsthema an Präsenz gewann. Bereits unter Gerhard Schröder hat die Agenda 2010 die angestammte SPD-Klientel verschreckt.
Walter Roller warnt im Schulterschluss mit Horst Seehofer, "weil die nationalkonservativ denkenden Wähler dann eine demokratische Alternative haben." Ob "denken" im Zusammenhang mit Ich-wähle-rechts-um-es-den-Großkopferten-zu-zeigen-und-weil-mir-der-Muslim-mein-Deutschland-wegnimmt die richtige Vokabel ist, sei dahingestellt. Warum die oben genannten alten Männer der Unter-/Mittelschicht die Stimme des Volkes seien, erklärt Walter Roller nicht. Sie sind bloß eine der lautesten Stimmen im Volk. In seiner Welt damit die Stimme.
Am Ende kann Walter Roller zugestimmt werden:
"Vonnöten ist neben einer harten argumentativen Auseinandersetzung in der Sache, die Lösung von Problemen."
Hinzugefügt werden muss jedoch, dass die Lösungen im Kontext des europäischen Gedankens, der Menschenrechte und notwendiger Moral gedacht werden müssen. Und es ist zu fragen, ob das bei den angstvoll besorgten Bürgern überhaupt fruchtet: wo Emotio regiert, hat Ratio schlechte Karten. Zudem sind es nicht nur politische Lösungen im Tages- und Wochengeschäft. Es geht auch um die Identität von Parteien und ihre Fähigkeit, die vielfältigen Ansichten in der Bevölkerung so zu kanalisieren, dass über Wahlen stabile Regierungen entstehen können. Die nachlassende Wahlbeteiligung in den letzten Jahren und Jahrzehnten ist der Aufruf an alle Parteien, den grundgesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung des politischen Willens ernster zu nehmen. In Zeiten sozialer Medien, dem damit verbundenen Posing und dem Ruhm für alle keine leichte Herausforderung. So zu tun, als wäre mit der Wahl nichts geschehen, wäre ein Fehler. Wegen der Wahl jetzt hektische Betriebsamkeit zu entwickeln auch.

Mittwoch, 16. März 2016

Martin Ferbers zutreffende Analyse

Martin Ferber kommentiert den Konflikt zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel:


Martin Ferber hat Recht, wenn er konstatiert:
"Zwar geht es beiden um die Macht [...]. Für Seehofer heißt dies einzig und allein: absolute Mehrheit der CSU."
Ebenso richtig ist die Analyse, nach der die Merkelschen Mehrheiten eher in der Mitte, die Seehoferschen eher rechts zu finden sind. Das erklärt auch, warum Seehofer die AfD als unmittelbare Gefahr wahrnimmt: CSU und AfD fischen im selben Teich. Horst Seehofer, der gern den Starken gibt, ist wie das Kind im Wald: Von bösen Gefahren umgeben tritt er besonders laut auf, damit er selbst seine Angst nicht spüre und die Zuhörer von seiner lauten Stärke beeindruckt sein mögen. Dabei ist das ganze Gehabe nichts weiter als ein Eingeständnis der Schwäche: Die CSU hat kein anderes Thema, mit dem sie sich punkten sieht. Wo ist sie hin, die vielgepriesene bayerische Stärke? Wo sind die politischen Erfolge und die Entscheidungen, die Bayern zu dem gemacht haben, was es ist? Wo ist der Zukunftsplan der CSU für ein weiterhin erfolgreiches Bayern? Wenn die Flüchtlinge das einige Thema sind , von dem die CSU glaubt, der AfD Paroli bieten zu können, dann Gute Nacht, Bayern. In diesem Fall sollte die CSU jedoch auch ihren Anspruch der absoluten Mehrheit aufgeben.
Was in der ganzen Hysterie auf der Strecke bleibt, ist das "CS" im Parteinamen. Deshalb, liebe CSU, als Anregung zum Nachdenken über Euer Verhalten im Konflikt ein kleiner Auszug aus "Wer die Nachtigall stört" von Harper Lee:
"Atticus, du mußt dich irren." 
"Wieso?"
"Weil die meisten Leute denken, daß du dich irrst."
"Sie sind durchaus berechtigt, so zu denken, und sie können auch verlangen, daß wir ihre Meinung respektieren. Aber bevor ich mit anderen leben kann, muß ich mit mir selber leben. Das einzige, was sich keinem Mehrheitsbeschluß beugen darf, ist das menschliche Gewissen."

Montag, 14. März 2016

Walter Rollers Wahlanalyse

Walter Roller kommentiert in seinem Leitartikel das Wahlergebnis in drei Landtagswahlen:


Er beschreibt einige Punkte, denen kaum widersprochen werden kann:
  • Die AfD könnte sich dauerhaft etablieren oder auch wieder abtauchen, wie seinerzeit die Republikaner.
  • Die FDP könnte die Existenzkrise überwunden haben oder vielleicht einem Jojo gleich mal den Sprung schaffen und mal wieder nicht.
  • Die Parlamente werden bunter werden und damit die Regierungsbildung.
Walter Roller sieht die Ursache für den Aufstieg der AfD "vor allem der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der Kanzlerin geschuldet". Damit macht er es sich zu einfach. Die in der selben Ausgabe abgedruckte Wahlstromanalyse bietet einige Ansatzpunkte:


  • Die Analyse zeigt, dass 40% der AfD-Wähler vorher Nichtwähler waren. Diese Nichtwähler sehen in keiner bisherigen Partei eine, die ihre Interessen vertritt. Vielleicht halten sie "die da oben" für überhaupt suspekt, die EU auch und finden, der Euro hätte alles teurer gemacht. Die AfD bedient solche Ressentiments und wird damit zum Kristallisationspunkt des Dagegenseins. Das hat bestenfalls auch mit der Flüchtlingssituation zu tun, aber nicht vor allem.
  • Die Analyse zeigt, dass 32% der AfD-Wähler von der CDU kamen. Hier kann vermutet werden, dass diese Wähler den Kurs der CDU nach links nicht goutieren und mehr Konservativität wünschen. Eine Abkehr von Merkels Kurs kann als wahrscheinliche Ursache für den Wechsel unterstellt werden.
  • Die Analyse zeigt, dass etwa 1/4 der AfD-Wähler von den Grünen, den Linken und auch von der SPD kamen. Diese Wähler haben teilweise eine 180-Grad-Wende vollzogen: von einer sozialen, offenen, eher linken Haltung zu einer rechten. Das lässt in mir die Frage auftauchen, auf welch weichen Fundamenten diese Wähler ihre Entscheidung fußen lassen. Eine gewisse Flexibilität in der Wahlentscheidung kann ich verstehen, aber eine völlige Kehrwende ist für mich nicht nachvollziehbar.
Das Wahlergebnis ist für mich bedenklich: Wahlentscheidungen, die die Politik über Jahre bestimmen, werden aus einer Befindlichkeit gegenüber einer aktuellen Situation heraus getroffen. Von der Politik wird verlangt, sie möge zum Wohle des Volkes handeln. Ein Anspruch, den das Volk auch an sich selbst stellen sollte.
Walter Rollers Leitartikel bringt leider kein neues Licht in das bunte Dunkel des Wählerwillens. Er setzt das Wahlergebnis als richtig voraus und kommt nicht auf die Idee zu fragen, ob das Wahlergebnis eine gute, eine passende, eine vernünftige Antwort auf die aktuelle politische Situation ist. Er verlängert nur seine bisherige Kritik an Merkels Politik.

Dienstag, 8. März 2016

Wen treibt die AfD?

Die Augsburger Allgemeine berichtet über die Kommunalwahlen in Hessen und den Erfolg der AfD. Michael Stifter kommentiert hierzu im Hinblick auf die Landtagswahlen am 13. März.


Im Bericht wird Peter Münch, einer der Vorsitzenden der hessischen AfD zitiert:
"Frau Merkel hat einfach gesagt, das Land wird sich verändern. Viele Bürger wollen das eben nicht."
Michael Stifter kommentiert:
"Eine schlüssige Lösung bietet sie zwar nicht, aber sie zwingt Union und SPD, selbst Alternativen zur Alternativlosigkeit zu entwickeln."
Damit ist das Feld der AfD vollständig umrissen. Sie fabuliert von einem Garten Eden, der so wie früher am Besten für immer bleiben solle. Was das genau ist, lässt sie offen. Damit bietet sie sich an, eine Lösung zu haben für alle, die einem verklärten Bild von Familie, Volk, Nation und Kultur nachhängen. Michael Stifter schreibt zu diesen Wählern:
"Das heißt aber nicht unbedingt, dass diese Leute mit allem einverstanden sind, was Petry, Höcke und Co. von sich geben. Erst reicht heißt es nicht, dass alle AfD-Wähler rechtsextrem sind."
Der erste Satz lässt sich auf alle Parteien anwenden. Nicht jeder Wähler wird mit allem einverstanden sein, was die Proponenten der jeweiligen Partei von sich geben. Der zweite Satz hat es in sich. Nicht alle AfD-Wähler seien rechtsextrem. Ohne klare Definition von "Rechtsextremismus" lässt sich diese Aussage nicht einordnen. Wenn man Rechtsextremisten als diejenigen versteht, die aktiv die deutsche Verfassung und den deutschen Staat bekämpfen, die Gewalttaten verüben und Brände legen, kann man dem Satz zustimmen. Nur macht das die Sache kaum besser. Denn auch die Rechtsradikalen denken sich ein Deutschland der Deutschen, wenngleich sie keine Molotow Cocktails werfen. Wer AfD wählt, denkt rechts, denkt national, denkt konservativ und glaubt, in dieser kleinen Welt die Lösung für alle Probleme zu finden - sofern die Probleme nicht die der anderen sind und folglich nicht gelöst werden müssen.
Die ganze Schönheit des Satzes offenbart sich im Kontext mit seinem oft gesagten Pendant: "Nicht alle Ausländer sind kriminell." Klar. Aber die meisten sind es doch zumindest ein bißchen, oder?
Der Bericht titelt mit "Die AfD treibt alle vor sich her". Nein, tut sie nicht. Sie sammelt wie Donald Trump Ressentiments gegen die da oben auf (wieder ein diffuses Gebilde). Sie ist eine Sickergrube, von deren Gestank die anderen Parteien glauben, hühnerhaufiges Herumgackern wäre die adäquate Antwort. Ist es nicht. Hätten die anderen Parteien Lösungen anzubieten und würden sie glaubhaft vermitteln, müssten sie nicht wie Getriebene auf die Schlange starren; sie könnten die Blindschleiche im Gewand einer scheinriesigen Schlange erkennen.
Die Erklärung Michael Stifters, viele AfD-Wähler stimmen nicht für die AfD, sondern gegen die anderen, ist kein Lichtblick. Denn aus Protest könnten auch kommunistische, umweltschützerische, hard-core-christliche oder sonstige Parteien gewählt werden. Wer sich für die AfD entscheidet - und sei es aus Protest - steht den Inhalten der AfD zumindest nahe.