Montag, 21. August 2017

Singen im Glashaus

In der Augsburger Allgemeinen vom 21.8. wurde ein Leserbrief von Dr. Joachim Stoffel aus Sonthofen veröffentlicht:


Der Leserbrief bezieht sich auf einen Artikel in der AZ, in dem über eine Studie zum Spielverhalten von Kindern berichtet wurde, die bei homo- oder heterosexuellen Eltern aufwuchsen.
Dr. Joachim Stoffel begrüßt seine Leser "in der bunten Welt der alternativen Fakten" und stellt kurz die Ergebnisse der Studie dar. Er listet andere Studien auf, die "ähnlich mit unbrauchbaren Fragestellungen und Schlussfolgerungen" hantieren würden. Für ihn ist klar, dass sich das Deutsche Jugend-Institut gerne auf so etwas berufe: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!" Als Gegenbeispiel führt er eine "ernst zu nehmende, randomisierte, kontrollierte und objektive" Langzeitstudie an: "Emotional Problems among Children with Same-Sex Parents: Difference by Definition", die im British Journal of Education, Society and Behavioural Science veröffentlicht wurde. Dr. Joachim Stoffel verweist weiter auf die Lebenserfahrung und schließt:
"Kinder lernen am Vorbild ihrer Eltern! Aber nein, weg mit allem, was dieser Wünsch-dir-was-Gesellschaft in ihrem Gender-Gleichstellungswahn entgegensteht."
Als erste Erwiderung: Ja, Kinder lernen am Vorbild ihrer Eltern. Aber nicht ausschließlich, sie haben auch andere Vorbilder, wie die sozialkognitive Lerntheorie von Albert Bandura zeigt.
Zweite Erwiderung: Ist die Studie von Sullins so valide, wie Dr. Joachim Stoffel behauptet? Zur Probantenauswahl - auf die Dr. Stoffel sich explizit bezieht - und Datenerhebung schreibt Sullins:
"In addition, for each family that includes children under age 18, detailed supplemental health information is collected for one child chosen at random (the 'sample child'). The information is provided by one of the child’s parents or other knowledgeable adult informant."
Aus Familien wurde zufällig ein Kind gewählt, über das die Eltern dann Auskunft gaben. Es werden also Kinder untersucht, die zum Zeitpunkt der Befragung gleich- oder gemischtgeschlechtlichen Eltern zugeordnet werden konnten. Es wurde nicht geklärt, ob und wie lange die Kinder tatsächlich dort aufwuchsen. Die Studie betrachtet Daten aus den Jahren 1997 bis 2013. In diesen Jahren hat sich das homosexuelle Leben in den USA weiterentwickelt, Homosexualität zunehmend akzeptiert. In frühen Jahren mögen Trennungen der Eltern häufiger und für Kinder schmerzhafter gewesen sein. Folgen für das Kindswohl hatte dann aber nicht (nur) die Homosexualität der Eltern, sondern (auch) die Scheidung (Konfundierungseffekt). Abgesehen von solchen methodischen Fragezeichen ist eine Information über den Studienautor D. Paul Sullins relevant, die sich im Kopf der Studie findet:
"Department of Sociology, The Catholic University of America, USA."
Da ist die Vermutung nicht abwegig, wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Dr. Joachim Stoffel hat - vielleicht aus Erregung über die "Wünsch-dir-was-Gesellschaft" und den "Gender-Gleichstellungswahn" - übersehen, dass er nicht auf eine "ernst zu nehmende" Studie verwies. Er hat mithin übersehen, dass er im Glashaus sitzend seine Steine zum Wurfe hob.

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