Mittwoch, 30. August 2017

Minijobs zum Minileben?

Christina Heller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 30.8. einen Artikel veröffentlicht, in dem sie über den Umfang der Zweitjobs in Deutschland berichtet:


Christina Heller schreibt zum Umfang der Zweitjobs:
"Momentan arbeiten knapp 2,7 Millionen Menschen nebenbei auf 450-Euro-Basis. Mehr als doppelt so viele wie 2003. Damals waren es nur 1,2 Millionen Menschen."
Wer die Menschen sind, die einen Zweitjob haben, beschreibt sie so:
"Etwas mehr als die Hälfte sind Frauen, die überwiegende Mehrheit ist deutsch und zwischen 25 und 55 Jahre alt. 70 Prozent haben eine abgeschlossene Berufsausbildung."
Worauf die Statistik keine Antwort gibt, macht sie deutlich:
"Was die Statistik nicht verrät: Warum arbeiten eine halbe Million Bayern nach Feierabend noch weiter?"
Enzo Weber, der Autor der Studie sowie eine Gewerkschaftsstimme geben Antworten auf diese Frage:

  • Keine Abzüge für Steuern oder Sozialversicherung
  • Nettes Zubrot
  • Weil Zeit dafür ist oder Urlaubsgeld gebraucht werden kann
  • Vor allem in Großstädten würden Menschen das Geld zum Leben brauchen


Einkommen

Christina Heller hat in der Printausgabe den Artikel kommentiert:


Beispielhaft nennt einen Koch, den "der Jahresurlaub lockt", den er sich nicht leisten kann. Oder einen Koch, der sonst "die Miete nicht bezahlen" oder "sich am Monatsende kaum noch etwas leisten" kann. Für 70 Prozent der Menschen reiche das Geld nicht, obwohl sie eine "abgeschlossene Berufsausbildung" haben und "sich eben nicht als Hilfskräfte von einem Gelegenheitsjob zum nächsten" hangeln würden. Es sein "ein Zeichen für einen großen Missstand", dass in Zeiten der positiven Nachrichten vom Arbeitsmarkt nicht ein einziger Job zum "guten Auskommen" genüge.
Ja, es ist fragwürdig, wenn mit einem Vollzeitarbeitsplatz nach einer Berufsausbildung nicht genügend Geld verdient werden kann, ein Auskommen zu bestreiten. Andererseits ist dies nicht ein Problem, das sich erst mit den guten Entwicklungen am Arbeitsmarkt ergeben hätte. Pflegekräfte, Friseure und viele andere Berufe werden seit Jahren - schon immer? - oft schlecht bezahlt. Es ist jedoch wie beim Tierschutz: jeder verurteilt schlechte Haltebedingungen und Massenmast. Beim Einkauf wird dennoch oft zum billigen Fleisch gegriffen. Übertragen auf die gering bezahlten Jobs: Wer den billigsten Friseur aufsucht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Friseur mit Gesellenbrief wenig verdient.
In einem Artikel des Stern zum gleichen Thema wird Enzo Webers Aussage dargestellt:
"Aus Sicht des Arbeitsmarktforschers sind Minijobs auch nicht mehr sinnvoll. Im Sinne einer nachhaltigen beruflichen Entwicklung müsste man Geringverdiener bei ihren Erstjobs entweder steuerlich oder bei den Sozialabgaben stärker entlasten, meint Weber. "
Das führt zum Einen zu grundsätzlichen Fragen zu Steuergerechtigkeit. Mitte April schrieb ich über eine Studie des DIW, nach dem die Hälfte der Haushalte mit dem geringsten Einkommen nur 7 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer bestreiten - das klingt nicht auf Anhieb ungerecht. Zum Anderen führt die Aussage von Enzo Weber zu der Frage, welche steuerliche Entlastung helfen soll. In der Studie des DIW wird dargestellt, wie viel Euro pro Monat in die Einkommensteuer fließt. Selbst mit einem Einkommen von etwa 2.500€ wird weniger Einkommensteuer fällig, als mit einem Minijob verdient werden kann. Es ist also fraglich, ob eine Steuerentlastung die nötigen Beträge aufbringen könnte. Und schließlich stellt sich die Frage, in wie weit der Staat dafür aufkommen soll, dass in manchen Branchen Löhne bezahlt werden, mit denen ein Auskommen nicht möglich ist. Die gleiche Argumentation trifft auch den Vorschlag, Sozialversicherungsbeiträge zu entlasten. Allerdings kommt hierbei noch der Aspekt auf, wie eng die spätere Rentenzahlung an die geleisteten Beiträge geknüpft sein soll und wie gerecht unser Rentenversicherungssystem sein kann, wenn die geleisteten Beiträge nicht mehr der Haupttreiber für die Rentenhöhe sein sollten.

Auskommen

Damit kommen wir zur Ausgabenseite und zum Auskommen mit dem Einkommen. Zweifelsohne ist es kritisch, wenn mit einem Vollzeitjob es nicht mehr möglich ist, die Miete einer kleinen Wohnung und den sonstigen Lebensunterhalt zu bezahlen. Ein Urlaub sei jedem gegönnt. Darüber hinaus lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Konsumentenkredite, wie sie beispielsweise Statista zeigt:


Diese Statistik liefert genauso wenig Motive, wie es die obige Studie zu den Nebenjobs tut. Dennoch zeigt sie eine deutliche Zunahme der Konsumentenkredite, die "an private Haushalte vergeben" werden und "der Finanzierung des Güterverbrauchs" dienen. Das kann als Hinweis verstanden werden, dass der Konsumwunsch größer ist als der Geldbeutel. Vielleicht werden so die neuesten Smartphones, die schickste Kleidung, der längere Urlaub bezahlt. Vor diesem Hintergrund: Wer sich mehr gönnen will, im Hauptjob aber nicht mehr verdienen kann und deshalb auf einen Nebenjob ausweicht: Respekt vor der Disziplin, dafür einige Stunden pro Woche zusätzlich zu arbeiten. Der Respekt ist verbunden mit Skepsis zu den Gründen für den Konsum. Entsteht der Konsumwunsch aus einer Angst, abgehängt zu werden, aus einem Gruppendruck? Oder aus einer Lässigkeit in dem Bewusstsein, es sich leisten zu können?
Ich bin deshalb nicht der Meinung, die zunehmende Anzahl von Minijobs sei per se ein Zeichen für einen Missstand. Ein Missstand ist, dass es möglich ist, Arbeit so gering zu bezahlen, dass Arbeitnehmer trotz Vollzeitarbeit nicht ein Auskommen finden. Es ist eine Frage, wie wir die soziale Marktwirtschaft verstehen wollen und wo wir welche Eingriffe des Staates in Marktvorgänge zulassen oder sogar fordern wollen. Eine Auswertung zu Minijobs taugt ohne genaue Analyse der Motive jedoch kaum, Missstände aufzuzeigen.

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