Donnerstag, 31. August 2017

Parteisoldat

In der Augsburger Allgemeinen wurde am 31.8. ein Leserbrief von Hans Bersenkowitsch veröffentlicht zu einem Kommentar von Joachim Bomhard. Der Kommentar befasst sich mit den Äußerungen des AfD-Politikers Alexander Gauland, die türkischstämmige Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) "entsorgen" zu wollen.


Hans Bersenkowitsch findet es "einfach unverschämt" von Joachim Bomhard, das Wort "entsorgen" "sofort mit den Naziverbrechen in Verbindung" zu bringen. Er meint, der SPD-Politiker Stegner habe "AfDler böswillig" angegriffen und Sigmar Gabriel habe "in der Flüchtlingskrise besorgte Bürger 'Pack'" genannt. Weiter führt er aus, "ein Ausbürgerungsverfahren gegen Frau Özoguz" solle eingeleitet werden, weil eine "deutsche Staatsministerin, die behauptet, eine 'deutsche Kultur'" gäbe es nicht, "in unserem Land unerwünscht" sei. 
Es ist wirklich beachtlich, mt welcher Nonchalance Hans Bersenkowitsch für alle in Deutschland spricht. Er maßt sich an, über die Unerwünschtheit von Personen in Deutschland urteilen zu können. Wie ein Kind im Sandkasten will er Gaulands Äußerungen verharmlosen mit dem Hinweis, andere hätten sein Rudel besudelt. In seinem kurzen Leserbrief zeigt er eine ganze Palette populistischer Methoden. Deshalb: Herr Bersenkowitsch, Sie sprechen nicht für mich, Sie sind also keine deutsche Stimme, keine Stimme Deutschlands.
Hans Bersenkowitsch ist umtriebig. Er schreibt nicht nur Leserbriefe, sondern publiziert auch auf Facebook, beispielsweise lobhudelnd gegenüber Jörg Meuthen, Parteivorsitzender der AfD:


Hans Bersenkowitsch erwartet wunderbare Brandreden, liebt Hr. Meuthen und bewundert dessen sprachliche Möglichkeiten, "Speichellecker, ins politische Abseits zu schicken". Hans Bersenkowitsch ist AfD-Mitglied. Die AfD kann sich freuen, solch stramme Parteisoldaten zu haben - selten passt ein Begriff so gut.

Mittwoch, 30. August 2017

Minijobs zum Minileben?

Christina Heller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 30.8. einen Artikel veröffentlicht, in dem sie über den Umfang der Zweitjobs in Deutschland berichtet:


Christina Heller schreibt zum Umfang der Zweitjobs:
"Momentan arbeiten knapp 2,7 Millionen Menschen nebenbei auf 450-Euro-Basis. Mehr als doppelt so viele wie 2003. Damals waren es nur 1,2 Millionen Menschen."
Wer die Menschen sind, die einen Zweitjob haben, beschreibt sie so:
"Etwas mehr als die Hälfte sind Frauen, die überwiegende Mehrheit ist deutsch und zwischen 25 und 55 Jahre alt. 70 Prozent haben eine abgeschlossene Berufsausbildung."
Worauf die Statistik keine Antwort gibt, macht sie deutlich:
"Was die Statistik nicht verrät: Warum arbeiten eine halbe Million Bayern nach Feierabend noch weiter?"
Enzo Weber, der Autor der Studie sowie eine Gewerkschaftsstimme geben Antworten auf diese Frage:

  • Keine Abzüge für Steuern oder Sozialversicherung
  • Nettes Zubrot
  • Weil Zeit dafür ist oder Urlaubsgeld gebraucht werden kann
  • Vor allem in Großstädten würden Menschen das Geld zum Leben brauchen


Einkommen

Christina Heller hat in der Printausgabe den Artikel kommentiert:


Beispielhaft nennt einen Koch, den "der Jahresurlaub lockt", den er sich nicht leisten kann. Oder einen Koch, der sonst "die Miete nicht bezahlen" oder "sich am Monatsende kaum noch etwas leisten" kann. Für 70 Prozent der Menschen reiche das Geld nicht, obwohl sie eine "abgeschlossene Berufsausbildung" haben und "sich eben nicht als Hilfskräfte von einem Gelegenheitsjob zum nächsten" hangeln würden. Es sein "ein Zeichen für einen großen Missstand", dass in Zeiten der positiven Nachrichten vom Arbeitsmarkt nicht ein einziger Job zum "guten Auskommen" genüge.
Ja, es ist fragwürdig, wenn mit einem Vollzeitarbeitsplatz nach einer Berufsausbildung nicht genügend Geld verdient werden kann, ein Auskommen zu bestreiten. Andererseits ist dies nicht ein Problem, das sich erst mit den guten Entwicklungen am Arbeitsmarkt ergeben hätte. Pflegekräfte, Friseure und viele andere Berufe werden seit Jahren - schon immer? - oft schlecht bezahlt. Es ist jedoch wie beim Tierschutz: jeder verurteilt schlechte Haltebedingungen und Massenmast. Beim Einkauf wird dennoch oft zum billigen Fleisch gegriffen. Übertragen auf die gering bezahlten Jobs: Wer den billigsten Friseur aufsucht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Friseur mit Gesellenbrief wenig verdient.
In einem Artikel des Stern zum gleichen Thema wird Enzo Webers Aussage dargestellt:
"Aus Sicht des Arbeitsmarktforschers sind Minijobs auch nicht mehr sinnvoll. Im Sinne einer nachhaltigen beruflichen Entwicklung müsste man Geringverdiener bei ihren Erstjobs entweder steuerlich oder bei den Sozialabgaben stärker entlasten, meint Weber. "
Das führt zum Einen zu grundsätzlichen Fragen zu Steuergerechtigkeit. Mitte April schrieb ich über eine Studie des DIW, nach dem die Hälfte der Haushalte mit dem geringsten Einkommen nur 7 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer bestreiten - das klingt nicht auf Anhieb ungerecht. Zum Anderen führt die Aussage von Enzo Weber zu der Frage, welche steuerliche Entlastung helfen soll. In der Studie des DIW wird dargestellt, wie viel Euro pro Monat in die Einkommensteuer fließt. Selbst mit einem Einkommen von etwa 2.500€ wird weniger Einkommensteuer fällig, als mit einem Minijob verdient werden kann. Es ist also fraglich, ob eine Steuerentlastung die nötigen Beträge aufbringen könnte. Und schließlich stellt sich die Frage, in wie weit der Staat dafür aufkommen soll, dass in manchen Branchen Löhne bezahlt werden, mit denen ein Auskommen nicht möglich ist. Die gleiche Argumentation trifft auch den Vorschlag, Sozialversicherungsbeiträge zu entlasten. Allerdings kommt hierbei noch der Aspekt auf, wie eng die spätere Rentenzahlung an die geleisteten Beiträge geknüpft sein soll und wie gerecht unser Rentenversicherungssystem sein kann, wenn die geleisteten Beiträge nicht mehr der Haupttreiber für die Rentenhöhe sein sollten.

Auskommen

Damit kommen wir zur Ausgabenseite und zum Auskommen mit dem Einkommen. Zweifelsohne ist es kritisch, wenn mit einem Vollzeitjob es nicht mehr möglich ist, die Miete einer kleinen Wohnung und den sonstigen Lebensunterhalt zu bezahlen. Ein Urlaub sei jedem gegönnt. Darüber hinaus lohnt ein Blick auf die Entwicklung der Konsumentenkredite, wie sie beispielsweise Statista zeigt:


Diese Statistik liefert genauso wenig Motive, wie es die obige Studie zu den Nebenjobs tut. Dennoch zeigt sie eine deutliche Zunahme der Konsumentenkredite, die "an private Haushalte vergeben" werden und "der Finanzierung des Güterverbrauchs" dienen. Das kann als Hinweis verstanden werden, dass der Konsumwunsch größer ist als der Geldbeutel. Vielleicht werden so die neuesten Smartphones, die schickste Kleidung, der längere Urlaub bezahlt. Vor diesem Hintergrund: Wer sich mehr gönnen will, im Hauptjob aber nicht mehr verdienen kann und deshalb auf einen Nebenjob ausweicht: Respekt vor der Disziplin, dafür einige Stunden pro Woche zusätzlich zu arbeiten. Der Respekt ist verbunden mit Skepsis zu den Gründen für den Konsum. Entsteht der Konsumwunsch aus einer Angst, abgehängt zu werden, aus einem Gruppendruck? Oder aus einer Lässigkeit in dem Bewusstsein, es sich leisten zu können?
Ich bin deshalb nicht der Meinung, die zunehmende Anzahl von Minijobs sei per se ein Zeichen für einen Missstand. Ein Missstand ist, dass es möglich ist, Arbeit so gering zu bezahlen, dass Arbeitnehmer trotz Vollzeitarbeit nicht ein Auskommen finden. Es ist eine Frage, wie wir die soziale Marktwirtschaft verstehen wollen und wo wir welche Eingriffe des Staates in Marktvorgänge zulassen oder sogar fordern wollen. Eine Auswertung zu Minijobs taugt ohne genaue Analyse der Motive jedoch kaum, Missstände aufzuzeigen.

Freitag, 25. August 2017

Elefanten und Saurier

Im Laufe dieser Woche waren in der Augsburger Allgemeinen mehrere Artikel und Leserbriefe zum LKW-Verkehr auf Autobahnen und insbesondere einem Überholverbot veröffentlicht worden. Andrea Kümpfbeck lieferte den Einstieg mit diesem Kommentar:


Zurecht verweist sie auf die immer wieder auftretende "gefährliche Situation":
"Dann nämlich, wenn der Lastwagen vor einem plötzlich auf die Überholspur zieht, um einen anderen Lkw zu überholen. Diese Elefantenrennen sind es, die für alle Verkehrsteilnehmer ein hohes Unfallrisiko bergen - oder Staus auslösen."
Das Ausscheren ist das eine, die geringe Geschwindigkeitsdifferenz das andere. Unfallträchtig mögen beide sein, das Ausscheren birgt zudem ein Überraschungsmoment. Andrea Kümpfbeck fordert deshalb:
"Viel wichtiger ist ein generelles Lkw-Überholverbot. Das würde nicht nur die Sicherheit erhöhen - sondern auch die Nerven vieler Autofahrer schonen."
Erwartbar waren Reaktionen, von denen der Leserbrief von Franz Kapeller aus Dasing exemplarisch herausgegriffen werden soll:


Franz Kapeller äußert Verständnis für die Autofahrer, spricht gleichzeitig Andrea Kümpfbeck fehlende Kompetenz zu:
"[...] aber so was kann nur jemand schreiben, der noch nie selbst Lkw gefahren ist."
Franz Kapeller führt aus, dass moderne Lkw trotz Steigung 80 km/h fahren können, während schwach motorisierte Lkw ("oftmals aus Osteurope") das nicht könnten und mit teilweise 20 km/h den Berg hinaufzuckeln. Er frägt:
"aber warum soll er [der starke Lkw, Anm.] dann hinter dem schwachen Lkw herzuckeln müssen?"
Berechtigte Frage. Franz Kapeller fordert deshalb:
"Wenn man ein generelles Lkw-Überholverbot fordert, muss man auch dafür sorgen, dass auf den Straßen keine ungleichen Verhältnisse herrschen - was aber kaum möglich sein dürfte."
Seine Schlussfolgerung:
"Also ist die Verbotsforderung sinnlos."
Doch damit macht er es sich zu einfach. Andrea Kümpfbeck erhält derweil Unterstützung durch einen Artikel der Printausgabe der AZ vom 25.8.:


Der Bundesverkehrsminister habe eine Untersuchung beauftragt, um "die stark veränderten Verkehrsverhältnisse" zu prüfen. Ein "generelles Überholverbot für Lastwagen auf Autobahnen" sei Gegenstand der Untersuchung. Elefantenrennen seien bereits heute rechtswidrig, weil der Überholer "mindestens zehn Stundenkilometer schneller" sein müsse.
Damit stehen sich zwei Argumente entgegen:

  • Sicherheit, Verkehrsfluss: aus diesen Gründen ist ein Überholverbot plausibel
  • Termine, Warenverkehr: aus diesen Gründen ist ein Überholverbot abzulehnen
Was nicht vorkommt ist die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit dieser Transporte. Ohne Zweifel erfordert das moderne Wirtschaften Warenverkehr. An einzelnen Stellen mag ein Zurück zur Region abhelfen können - im Sommer müssen keine Zwiebeln quer durch Europa transportiert werden. Doch wer mag schon auf koreanische Smartphones, auf amerikanische Jeans oder japanische Autos verzichten? An vielen Stellen wird durch Just-In-Time-Logistik die Lagerhaltung auf die Straße verlagert. Nicht nur, dass hierbei Unternehmen Kosten sparen für Läger, sich können auch Effekte wie Schadstoffbelastungen an die Allgemeinheit externalisieren. Mit einem Überholverbot würden solche Logistikstrukturen schwerer zu kalkulieren, weil die Fahrgeschwindigkeit abhängig wird vom jeweils langsamsten Fahrzeug auf der Strecke. Ein Aufschrei und Veto der Industrie ist bei einem Überholverbot deshalb vorhersehbar.
Ein Überholverbot ist keine Frage, die die Politik singulär auf Basis des Sicherheitsaspekts beantworten sollte. Die Politik muss die Frage einbetten in ein Mobilitätskonzept, bei dem der Lkw-Verkehr insgesamt zu hinterfragen ist: Wie ist das Verhältnis von Bahn und Straße? Was soll überhaupt transportiert werden? Welche autonomen Transportmittel können verwendet werden? Vielleicht steht am Ende die Erkenntnis, dass Lkw keine Elefanten sind, sondern Saurier. Ein Überholverbot wird dann nicht reichen.

Mittwoch, 23. August 2017

Seriös geht anders

Am 21.8. hatte die Augsburger Allgemeine bereits einen Leserbrief veröffentlicht zu einer Studie über die Auswirkungen homosexueller Eltern auf das Spielverhalten von Kindern. Der Autor des Leserbriefes hatte die Studie kritisiert, weil sie von voreingenommenen Forschern durchgeführt worden sei, und auf eine andere Studie verwiesen, die zu anderen Ergebnissen kommt. Der Autor hatte dabei übersehen, dass der Verfasser der letzteren Studie an einer katholischen Universität lehrt, und damit der Voreingenommenheit selbst verdächtig ist.
In der Ausgabe der AZ vom 23.8. gibt es nun einen weiteren Leserbrief, diesmal von Prof. Manfred Stöhr zum selben Thema:


Prof. Manfred Stöhr schreibt:
"Die beiden zitierten Untersuchungen wurden von Frauen (Feministinnen?) durchgeführt und widersprechen in Bezug auf die Schlussfolgerungen früheren internationalen Studien."
Es ist völlig unwissenschaftlich, wenn der Professor ohne Kenntnis - darum das Fragezeichen - Studienautoren ein Etikett anheftet, das negativ konnotiert die Autoren in ein schlechtes Licht rückt. Zusätzlich führt er als Beweis für die Mangelhaftigkeit der im Artikel genannten Studien eine Studie an, die implizit als wissenschaftlich sauber behauptet wird und zu anderen Ergebnissen kommt.
Douglas W. Allen war nach der einem Artikel der Huffington Post Zeuge in einem Verfahren zum Verbot der Homoehe in Michigan. Die Zeitung zitiert eine Frage des Richters und die Antwort von Allen:
"'Is it accurate that you believe the consequence of engaging in homosexual acts is a separation from God and eternal damnation. In other words, they’re going to hell?' Mogill asked.
Allen answered, 'Without repentance, yes.'"
Ohne Buße würden Homosexuelle zur Hölle fahren, sagte der als Zeuge fungierende Wissenschaftler.
Mir fehlen da die Worte. Akademisch ausgebildete Personen behaupten in Leserbriefen, bestimmte Studien seien falsch oder ideologisch eingefärbt. Als Beweise führen sie andere Studien an, die zu anderen Ergebnissen kommen und angeblich seriös seien. Dabei sind diese anderen Studien von Autoren verfasst, deren Voreingenommenheit zum Studienthema bereits die Spatzen von den Dächern pfeifen. Ich würde mich schämen, wenn ich mich unter dem Deckmantel der Wissenschaft auf solche Studien berufen würde.
Am Schluss seines Leserbriefes schreibt Prof. Manfred Stöhr:
"Als Konsequenz aus derartigen Studien wurde in die Charta der Rechte von Waisenkindern ein Anspruch auf Erzieher beiderlei Geschlechts aufgenommen."
Die Charta schreibt zum Recht der Kinder in "institutions":
"diversified staff, particularly in terms of gender;"
Natürlich brauchen Kinder (in Waisenhäusern oder nicht) ein Umfeld, wo sie mit Vorbildern (role models) beiderlei Geschlechts Kontakt haben. Das stellt niemand in Abrede. Die Schlussfolgerung, das müssten die Eltern sein, lässt sich daraus nicht ableiten.

Montag, 21. August 2017

Singen im Glashaus

In der Augsburger Allgemeinen vom 21.8. wurde ein Leserbrief von Dr. Joachim Stoffel aus Sonthofen veröffentlicht:


Der Leserbrief bezieht sich auf einen Artikel in der AZ, in dem über eine Studie zum Spielverhalten von Kindern berichtet wurde, die bei homo- oder heterosexuellen Eltern aufwuchsen.
Dr. Joachim Stoffel begrüßt seine Leser "in der bunten Welt der alternativen Fakten" und stellt kurz die Ergebnisse der Studie dar. Er listet andere Studien auf, die "ähnlich mit unbrauchbaren Fragestellungen und Schlussfolgerungen" hantieren würden. Für ihn ist klar, dass sich das Deutsche Jugend-Institut gerne auf so etwas berufe: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!" Als Gegenbeispiel führt er eine "ernst zu nehmende, randomisierte, kontrollierte und objektive" Langzeitstudie an: "Emotional Problems among Children with Same-Sex Parents: Difference by Definition", die im British Journal of Education, Society and Behavioural Science veröffentlicht wurde. Dr. Joachim Stoffel verweist weiter auf die Lebenserfahrung und schließt:
"Kinder lernen am Vorbild ihrer Eltern! Aber nein, weg mit allem, was dieser Wünsch-dir-was-Gesellschaft in ihrem Gender-Gleichstellungswahn entgegensteht."
Als erste Erwiderung: Ja, Kinder lernen am Vorbild ihrer Eltern. Aber nicht ausschließlich, sie haben auch andere Vorbilder, wie die sozialkognitive Lerntheorie von Albert Bandura zeigt.
Zweite Erwiderung: Ist die Studie von Sullins so valide, wie Dr. Joachim Stoffel behauptet? Zur Probantenauswahl - auf die Dr. Stoffel sich explizit bezieht - und Datenerhebung schreibt Sullins:
"In addition, for each family that includes children under age 18, detailed supplemental health information is collected for one child chosen at random (the 'sample child'). The information is provided by one of the child’s parents or other knowledgeable adult informant."
Aus Familien wurde zufällig ein Kind gewählt, über das die Eltern dann Auskunft gaben. Es werden also Kinder untersucht, die zum Zeitpunkt der Befragung gleich- oder gemischtgeschlechtlichen Eltern zugeordnet werden konnten. Es wurde nicht geklärt, ob und wie lange die Kinder tatsächlich dort aufwuchsen. Die Studie betrachtet Daten aus den Jahren 1997 bis 2013. In diesen Jahren hat sich das homosexuelle Leben in den USA weiterentwickelt, Homosexualität zunehmend akzeptiert. In frühen Jahren mögen Trennungen der Eltern häufiger und für Kinder schmerzhafter gewesen sein. Folgen für das Kindswohl hatte dann aber nicht (nur) die Homosexualität der Eltern, sondern (auch) die Scheidung (Konfundierungseffekt). Abgesehen von solchen methodischen Fragezeichen ist eine Information über den Studienautor D. Paul Sullins relevant, die sich im Kopf der Studie findet:
"Department of Sociology, The Catholic University of America, USA."
Da ist die Vermutung nicht abwegig, wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Dr. Joachim Stoffel hat - vielleicht aus Erregung über die "Wünsch-dir-was-Gesellschaft" und den "Gender-Gleichstellungswahn" - übersehen, dass er nicht auf eine "ernst zu nehmende" Studie verwies. Er hat mithin übersehen, dass er im Glashaus sitzend seine Steine zum Wurfe hob.

Sonntag, 20. August 2017

Unterschätzter Terror

Die Augsburger Allgemeine hat am 19.8. den Terroranschlag in Barcelona kommentiert. Auf Seite 1 der Printausgabe mit einem Kommentar zu einem Bericht der Ausgabe vom gleichen Autor:


Michael Pohl schreibt:
"Seit Islamisten Lkw, Transporter und Autos als perfide Mordwaffen entdeckt haben und ohnehin - ebenso menschenverachtend wie feige - unschuldige Zivilisten als ihr Hauptziel gewählt haben, erleben die Europäer einmal mehr, wie verletzlich ihre offenen Gesellschaften sind."
Ja und Nein. Die Taten sind zweifelsohne menschenverachtend, feige. Die als Mordwaffen eingesetzten Gegenstände zeugen von der Perfidie der Täter. Es trifft Unschuldige. Aus Sicht der Terroristen sind es jedoch keine unschuldigen Zivilisten. Es sind Repräsentanten der Systeme, die sie bekämpfen. Es trifft nicht nur die "offenen Gesellschaften" der Europäer. Terroristen verüben ihre Mordanschläge in Kenia, in Afghanistan, in Indien, der Türkei und anderswo. Auch Gesellschaften, die nicht so offen wie die unsere sind, sind nicht gefeit.
Michael Pohl schreibt weiter:
"Die aus der als Islamisten-Hochburg bekannten Region um Barcelona stammenden Terroristen wählten sie [Las Ramblas, Anm.] vermutlich vor allem aus dem schlichten Zweck grenzenloser Bösartigkeit, möglichst viele Menschen zu ermorden."
Ja. Wer mit Autos Attentate begehen will, wird sich Ziele suchen, wo die Wirkung möglichst verheerend ist. Eine gewisse Symbolik des Ortes mag eine Art Garnitur sein, aber kaum ausschlaggebend. Die Attentate von Brüssel zeigen sogar, dass ursprüngliche Ziele aufgegeben und neue gesucht werden, wenn das aus Tatgründen sinnvoll erscheint. Deshalb: Ziel ist der pure Schaden. Michael Pohl fordert die "schärfste Beobachtung und konsequente Verfolgung der islamistischen Szene". Ja. Doch das schafft das Problem nicht aus der Welt. Es ist, als ob man einen Topfdeckel mit Steinen beschwerte, auf dass kein Dampf entweiche.
Walter Roller hat in der gleichen Ausgabe der AZ einen Leitartikel veröffentlicht:


Walter Roller schreibt, eines der weichen Ziele, "die nicht umfassend zu schützen sind", sei getroffen worden bei einem Attentat "mit einem leicht beschaffbaren Lkw". Seine Aussichten sind pessimistisch:
"Und selbst wenn es demnächst gelingen sollte, die Terrormiliz in ihrem syrisch-irakischen Kerngebiet militärisch zu besiegen, so wird der im Namen Allahs geführte Krieg gegen den Westen weitergehen – noch brutaler als bisher."
Er begründet dies damit, der IS sei "ja nur die Speersputze dieses Terrorismus, der Europa in Angst und Schrecken versetzen will". Die Attentate erfolgten "aus unbändigem Hass auf die 'Ungläubigen' und die säkularen, liberalen Gesellschaften". Hierzu - wie schon weiter oben - die Anmerkung, dass es nicht nur säkulare Gesellschaften trifft. Es trifft in anderen Ländern "Glaubensbrüder": Muslime sind ebenfalls Opfer von IS-Attentaten. Walter Roller entlarvt richtig:
"Die Nahostpolitik des Westens oder die angebliche soziale Ausgrenzung von Muslimen, die häufig als wesentliche Ursachen genannt werden, spielen dabei – wie im IS-Magazin Dabiq nachzulesen ist – nur eine untergeordnete Rolle."
Richtig. Aus dem Magazin habe ich bereits im August zitiert. An erster Stelle der "Begründung" findet sich der Begriff "disbelievers", Ungläubige. An zweiter Stelle folgt "secular, liberal societies permit the very things that Allah has prohibited", also das Widersetzen gegen Allahs Verbote. Ungläubig können sogar Muslime sein. Es reicht, wenn sie nicht dem "Steinzeit-Islam" folgen, den der IS diktiert, denn die "eingeschworenen jungen Männer verachten einfach alles, was uns lieb und teuer ist - und morden skrupellos". Auch wenn weibliche Attentäter in Europa bisher nicht in Erscheinung traten, zeigen die Ausreisen von jungen Mädchen in das IS-Gebiet, dass die Anziehungskraft des IS nicht nur Männer anspricht. Richtig natürlich, dass die überwiegende Mehrheit der Attentäter männlich ist.
Trotz ihrer Skrupellosigkeit werden die Terroristen nicht obsiegen:
"Die freien Gesellschaften sind stark genug, um diese ungeheure Herausforderung zu meistern. Und sie lernen, mit dieser furchtbaren Bedrohung zu leben, ohne in Panik zu verfallen. Nur nicht einschüchtern lassen und so weiterleben, wie man will: Das ist, wie am Tag nach dem Massaker von Barcelona zu Recht betont wurde, die einzig richtige Reaktion [...]"
Notwendig dazu sei die unbedingte "Entschlossenheit, den Mordbrennern und ihren salafistischen Sympathisanten mit allen rechtsstaatlichen Mitteln das Handwerk zu legen":
"Die Staaten Europas vermögen ihren Bürgern keine vollständige Sicherheit zu bieten. Aber sie müssen, zumal angesichts einer verschärften Bedrohungslage, noch enger zusammenrücken, um die Schwachstellen der Sicherheitsarchitektur auszubügeln."
Ja. Die Rechtsstaaten müssen dabei jedoch aufpassen, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und bei der Beseitigung der Schwachstellen der Sicherheitsarchitektur den Rechtsstaat auf dem Altar vermeintlicher Sicherheit zu opfern. Dies ist zuletzt geschehen bei jüngst verabschiedeten Maßnahmenpaket, über das die AZ im Mai berichtet hatte:
"Um die Identität eines Flüchtlings ohne gültige Ausweispapiere klären zu können, soll künftig auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Datenträger zugreifen können, die die Asylbewerber bei sich haben. Gemeint sind damit vor allem Smartphones und SIM-Karten."
Dabei kann auf alle Daten zugegriffen werden, auch solche, die weit über das für die Identitätsfeststellung notwendige Maß hinausgehen. Das Maßnahmenpaket gerät damit in Konflikt mit Persönlichkeitsrechten, die beispielsweise den Schutz intimster Details sichern sollen. Solche Einschränkungen freiheitlicher Rechte werden inzwischen oft schulterzuckend zur Kenntnis genommen.
Für Walter Roller steht fest:
"Im Übrigen belegt die Anschlagsserie, dass die Gefahr zu lange unterschätzt wurde. Man hat, aus falsch verstandener Toleranz, die islamistischen Szenen und Netzwerke sowie deren Einpeitscher gewähren lassen und zugesehen, wie sich mitten in Europa antidemokratische Parallelgesellschaften gebildet haben."
Nein, die Anschlagsserie ist kein Beweis für das Unterschätzen der Gefahr. Gerade in und um Barcelona hat sich in den letzten Jahren eine große Salafisten-/Islamisten-Szene gebildet. Dies wurde von den Sicherheitsorganen sehr wohl bemerkt und Maßnahmen gesetzt. Der Anschlag gelang trotzdem. Zudem ist es nicht so, dass die Terrorgefahr seit langem unverändert gewesen wäre. Was mit dem Anschlag am 11. September 2001 begann und vor wenigen Tagen zu dem Attentat in Barcelona führte, zeigt eine Entwicklung. Die Strategie des Terrors hat sich gewandelt. Terroristen haben sich gewandelt. Heute begehen Menschen Attentate, die keinesfalls in der Lage wären, eine Tat wie in 2001 in New York zu planen und durchzuführen.
Mit dem Wechsel der Terrorstrategie wurden natürlich die Maßnahmen geändert. Einpeitscher schwärmten aus, um in verschiedenen Ländern leichte Opfer für ihre abstrusen Narrative zu suchen und zu finden. Sie agieren hier nicht anders als Einpeitscher der rechten oder linken Szene:
  • Sie suchen Menschen mit geringem Selbstwertgefühl, mit dem Gefühl, abgehängt und wehrlos zu sein, mit dem Gefühl fehlender Zugehörigkeit (an dieser Stelle spielt die von Walter Roller genannte "soziale Ausgrenzung" eine Rolle, es geht nicht um Terrorrechtfertigung, es geht um die Zielgruppe)
  • Sie bieten eine Geschichte, die Zugehörigkeit vermittelt und bedienen sich dabei aus dem Islam, dem Sozialismus oder der völkischen Gemeinschaft
  • Sie bieten eine Erklärung, wer und was Schuld ist am geringen Selbstwert und nennen Ungläubige, das Kapital, die Juden
  • Sie zeigen einen Weg aus der Misere und rechtfertigen dabei Gewalt (Beispiele lieferten u.a. Interviews anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg)
Islamisten haben den fragwürdigen "Vorteil", ein jenseitiges Leben versprechen zu können. Rechts- oder Linkseinpeitscher können nur ein diesseitiges Utopia zeichnen. Dies könnte mit eine Erklärung sein, warum islamistischer Terror mehr Todesopfer fordert als Links- oder Rechtsterror.
Nun mag trefflich diskutiert werden, ob die islamistische Gefahr unterschätzt wurde oder die Einschätzung der Gefährdung notgedrungen der tatsächlichen Gefährdung nachlaufen muss. Letztendlich spielt das keine Rolle. Die Sicherheitsbehörden sind gefordert, eine realistische Einschätzung zu liefern. Walter Roller fordert, "endlich Schluss" zu machen mit "Parallelgesellschaften", die sich "aus falsch verstandener Toleranz" entwickeln können. Er sollte dabei nicht nur auf Islamisten zeigen, sondern auch auf Reichsbürger, auf Identitäre, auf das linke Spektrum. Auch dort finden sich Staatsverächter, die die Freiheiten des Rechtsstaates für ihre Zwecke ausnützen. Und bis zu einem gewissen Grad ausnützen dürfen, denn dies ist das Wesen eines Rechtsstaates in unserem europäischen Verständnis. Wenn Reichsbürger mit ihren abstrusen Ansichten in Deutschland unbehelligt leben dürfen, solange sie keine Straftaten begehen, muss dieses Recht auch anderen Personen mit anderen abstrusen Ansichten zustehen. Wer Straftaten begeht, muss die rechtsstaatlichen Konsequenzen tragen, unabhängig von persönlichen Ansichten.
Walter Roller schließt:
"Aber der Islamismus, der in seiner radikalsten Spielart Gewalt legitimiert, hat nun mal mit dem Islam zu tun. Deshalb ist die islamische Welt gefordert, konsequenter als bisher die Auseinandersetzung mit den Extremisten zu führen und den im Namen ihrer Religion verübten Terror zu ächten."
Das ist, als ob von Katholiken erwartet würde, sich permanent von tödlich verlaufenden Exorzismen zu distanzieren. Oder alle Autofahrer von Rasern. Da gefällt mir die Einschätzung von Jürgen Marks Anfang Juni anlässlich der Anschläge in London besser. Er schrieb:
"Doch der Kampf gegen den islamistischen Terror ist selbstverständlich auch eine Aufgabe der Muslime."
Auch eine Aufgabe der Muslime. Keine Aufgabe für die Muslime allein. Ich schrieb damals:
"Die Ablehnung terroristischer Gewalt ist - wenn man so will - 'überreligiös' und muss jedem Menschen ein Anliegen sein."
Die Aufgabe für Muslime besteht nicht in der "Auseinandersetzung mit den Extremisten" und der Ächtung des "im Namen ihrer Religion verübten" Terrors. Die Aufgabe besteht darin, einen Common Sense ihrer Religion zu entwickeln und zu etablieren, der es Einpeitschern schwer macht, sich der Religion als gemeinsame Klammer und Gewaltrechtfertigung zu bedienen. Die Aufgabe für den Rechtsstaat besteht darin, aufmerksam zu bleiben und unter Wahrung der Freiheitsrechte professionell innerhalb einer modernen Sicherheitsarchitektur gegen Kriminelle und Terroristen vorzugehen - wobei klar ist, dass er nie aller habhaft werden und es weiterhin zu Verbrechen kommen wird. Die Aufgabe des Sozialstaates besteht darin, aufmerksam zu bleiben und Menschen die Hilfe zuteil werden zu lassen, dass sie keine leichte Beute mehr für Einpeitscher sind.

Sonntag, 13. August 2017

Elektrisierende Quote

Die Augsburger Allgemeine hat am 12.8. berichtet, dass sich Kanzlerkandidat Martin Schulz für eine EU-Quote für Elektro-Autos einsetzt:


Die Elektro-Quote

Im Bericht wird ausgeführt:
"Die Quote solle nicht für die Autobauer gelten, sondern für Neuzulassungen, erläuterte Schulz seinen Vorschlag, der Teil eines Fünf-Punkte-Plans zur Zukunft des Automobilstandorts Deutschland ist. Der Staat müsse einen E-Auto-Anteil festlegen, etwa bezogen auf die Einwohnerzahl. Das sei ein Anreiz für die Autobauer, sich auf diesem Markt eine gute Position zu sichern. Kaufanreize sollten Kunden dazu bringen, E-Autos zu kaufen."
Weiter heißt es:
"Greenpeace nannte den Vorstoß ein 'richtiges Signal an Hersteller und Verbraucher'."
Signal für was? Dass die Verbraucher jetzt gefälligst anfangen sollen, die angebotenen Produkte zu kaufen? Zur Reaktion des Verbandes der Automobilindustrie VDA schreibt der Bericht:
"Der VDA zeigte sich dagegen skeptisch: Für die Elektromobilität gebe es 'wirksamere und marktwirtschaftlich überzeugendere Anreize'. Dazu zählten eine ausgebaute Lade-Infrastruktur und Privilegien für die Elektromobilität, etwa Parken in Innenstädten."
Das ist eine Fehleinschätzung des VDA. Die "ausgebaute Lade-Infrastruktur" ist eine Voraussetzung, damit Elektromobilität überhaupt funktionieren kann. Und die Privilegien? Sind das Täuschmanöver, um von der Unattraktivität der Produkte abzulenken? Und wie viele Elektroautos dürfen auf den Straßen unterwegs sein, um sich als Fahrer noch privilegiert zu fühlen?
Zu dem Bericht kommentiert Jürgen Marks:


Jürgen Marks schreibt:
"Und zum anderen ist die Forderung nach einer EU-Quote für Elektro-Autos ein Griff in die Mottenkiste der Planwirtschaft. Klüger wäre es im Sinne sauberer Luft, auf strengere Grenzwerte zu setzen. Ob die mit einem Zuwachs tatsächlich sauberer Diesel, Elektro-Autos, Brennstoffzellenantrieben oder Erdgas-Fahrzeugen erreicht werden, bliebe die freie Entscheidung der Autohersteller und ihrer Kunden."
Richtig, warum soll eine Quote das richten, was bisher an mangelndem Kundeninteresse krankt? Elektroautos sind zu teuer, die Ladeinfrastruktur ist nicht ausreichend, die Reichweite der Autos mag für Stadtverkehr genügen, der erste Ausflug wird jedoch bereits zum Abenteuer. An Urlaubsfahrten trauen sich nur Wagemutige. Die ersten Taschencomputer oder "PDA" wurden nicht von der breiten Masse genutzt. Erst ein überzeugendes Produkt schuf das Interesse vieler, sich mit einem Taschencomputer - inzwischen zum "Smartphone" gewachsen - auszustatten. Die aktuellen Elektroautos sprechen eine kleine Zielgruppe an. Für einen zukünftigen und breiten Erfolg muss sich die Industrie mehr einfallen lassen.

Einfallslose Industrie

Das Ganze ist ja reichlich konfus. Im März hat die Welt berichtet, Daimer wolle sich neu erfinden, weg vom Autohersteller und hin zu einem Mobilitätsanbieter.
"Auch andere Hersteller haben erkannt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Welt den Atem anhielt, nur weil bei der North American Auto Show in Detroit oder beim Autosalon in Paris eine neue Konzeptstudie enthüllt wurde."
"'Die Welt der Automobilhersteller wächst zusammen mit der Welt der Digitaltechnik und der mobilen Daten', sagt der Branchenkenner Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach."
Weiter heißt es:
"'Es hat keinen Sinn, sich abzuschotten', erklärt Dieter Zetsche in Austin. Um den branchenübergreifenden Austausch fortzusetzen, will er im Herbst einen Ableger der SXSW zur IAA nach Frankfurt holen. Der Daimler-Chef ist davon überzeugt, dass sein Unternehmen alte Kunden halten und neue hinzugewinnen kann, wenn es überlegene Produkte und Dienstleistungen anbietet. Dabei sei es am Ende gar nicht wichtig, ob mehr Autos verkauft werden oder weniger."
Um so beachtlicher, dass auf dem Dieselgipfel lediglich ein Software-Update herausgekommen ist. Inzwischen haben sich die Hersteller zu sog. Umweltprämien durchgerungen, mit denen sie Besitzer älterer Diesel zu einem Neukauf animieren wollen. Dazu in einem Bericht der AZ:
"'Die Bürger sehen die Maßnahmen der Unternehmen mehrheitlich positiv', zeigte sich VDA-Präsident Matthias Wissmann in der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' überzeugt. Er gehe davon aus, dass die Umweltprämien eine spürbare Wirkung auf die Nachfrage haben werden."
Der VDA freut sich, dass die Nachfrage nach Euro-6-Dieseln spürbar zunehmen werde. Es geht also doch nur darum, mehr Autos zu verkaufen.
Angesichts drohender Fahrverbote für ältere Diesel ist es verständlich, dass Kunden diese Fahrzeuge los werden wollen und dafür bereit sind, Geld in neue Fahrzeuge zu investieren. Doch das hat weniger mit einem überlegenen Produkt zu tun, wie Zetsche meint. Es ist der Griff eines Ertrinkenden nach einem schwimmenden Holzbalken - Holzbalken sind keine überlegenen Produkte für die Fahrt auf dem Wasser.
Die Autoindustrie hat sich Zeit gekauft. Sie hat kein überzeugendes Zukunftskonzept für die Mobilität. Sie ist kein Mobilitätsanbieter. Sie sind weiterhin Autoverkäufer. Sie schläft weiter, obwohl sie bereits heftig wachgerüttelt wird.

Mittwoch, 9. August 2017

Storchennest - Beatrix' verdiente Prügel

Am 8. August, zum Augsburger Friedensfest, twitterte Beatrix von Storch ihre Friedensbotschaft:


Immerhin: vor nicht gar zu langer Zeit war sie noch der Auffassung, Schusswaffen wären die angemessene Antwort:
"Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen."
Die Welt beispielsweise hat darüber berichtet und dabei auf einen Kommentar von Beatrix von Storch hingewiesen, nach dem sie auch auf Kinder schießen lassen wollte.
Damals Falke, heute schon fast Friedenstaube. Nur Prügel, keine Waffen mehr - es geht aber auch nur um die Belohnenden, nicht die Erstürmenden. Dennoch: Vielleicht ist dies ein Ausfluss der Ökumene, in deren Zeichen das Augsburger Friedensfest stattfindet? Sogar einer, an der Muslime beteiligt sind? Das wäre ja fast unheimlich.

Donnerstag, 3. August 2017

Höhere Mächte, absurd?

Rudi Wais hat in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen einen Kommentar veröffentlicht zu dem Bericht über eine vom EUGH gestoppte Abschiebung nach Moskau:


Rudi Wais schreibt:
"Kaum entschließt sich die Koalition, gefährliche Islamisten schneller und konsequenter auszuweisen, führt eine höhere Macht die neue Entschlossenheit schon wieder ad absurdum."
Die "höhere Macht" ist keine außerirdische, auch kein Verschwörungsklüngel wie die Illuminaten. Es ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Nun mag man über einzelne Entscheidungen dieses Gerichts geteilter Meinung sein, "ad absurdum" ist jedoch weit hergeholt und in diesem Falle völlig unangemessen. Denn: Der Gerichtshof hat nicht in der Sache entschieden, sondern nur vorläufig. Dazu eine Einordnung auf Legal Tribune Online:
"Derartige vorläufige Maßnahmen kann die Kammer des EGMR nach Art. 39 der EGMR-Verfahrensordnung auf eine Beschwerde hin ergreifen. Eine Entscheidung in der Sache ist dies allerdings nicht – nicht über Zulässigkeit der Beschwerde und schon gar nicht über die materiell-rechtlichen Fragen."
Rudi Wais erkennt an:
"Das ist ihr gutes Recht, ja."
Richtig. Das ist Rechtsstaatlichkeit nach unserem Verständnis. Das mag in anderen Ländern anders sein. In Deutschland gehört das zur Leitkultur. Auch wenn Rudi Wais schreibt:
"So nutzen ausgerechnet die Gegner unseres liberalen Rechtsstaats alle Möglichkeiten aus, die ihnen eben jener Rechtsstaat bietet."
Nochmals: Ja, das ist ihr gutes Recht. Rudi Wais weiter:
"Wenn der Gerichtshof für Menschenrechte in allen Fällen mit derart strengen Maßstäben misst, wird die Ausweisung von Gefährdern bald zur Farce: Theoretisch ist sie möglich, in der Praxis bleibt sie eine Illusion."
Wie oben zitiert, ist die Entscheidung des Gerichtshofes keine Entscheidung in der Sache. Der Gerichtshof hat nicht gemessen, wie uns Rudi Wais weiß machen will. Zu einer vorläufigen Maßnahme nach der EMGR-Verfahrensordnung sagt der Art. 39:
"(1) Die Kammer oder gegebenenfalls der Sektionspräsident oder ein nach Absatz 4 bestimmter Dienst habender Richter kann auf Antrag einer Partei oder jeder anderen betroffenen Person sowie von Amts wegen gegenüber den Parteien vorläufige Maßnahmen bezeichnen, die im Interesse der Parteien oder eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs ergriffen werden sollten."
Es geht also um einen geordneten Verfahrensablauf oder um das Interesse der Parteien. Ein geordneter Verfahrensablauf ist die Grundlage jeglichen Rechtsstaats. Gegenbeispiele liefert derzeit die Türkei.
Der Kommentar von Rudi Wais liefert leider keinerlei Erkenntnis zum Fall. Er bedient eine Stimmung, wie sie die AfD schürt. Dabei zeigt der Fall, dass der Rechtsstaat funktioniert und über verschiedene Instanzen hinweg sich bemüht, Recht zu sprechen und dabei der Gerechtigkeit eine Stimme zu geben. Doch leider sind - wie so oft - die Schreihälse lauter.