Montag, 31. Juli 2017

Antriebslos

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 31.7. einen Leitartikel veröffentlicht zum aktuellen Geschehen rund um Dieselfahrzeuge, Fahrverbote, Luftverschmutzung, Verfehlungen in Politik und Industrie:


Jürgen Marks schreibt:
"Eigentlich ist es wie so oft. Die Politik wartet, bis es gar nicht mehr anders geht. Erst dann sucht sie unter größtem Druck Lösungen."
Oft ist es genau so. Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik unter Druck keine druckvollen Lösungen generiert, sondern zusammengeschusterte. Wobei, mit Jürgen Marks:
"Doch den globalen Trend zur Elektromobilität haben deutsche Politik und Industrie verschlafen."
Verschlafen trifft es nicht ganz. Elon Musk konnte während dieser Schlafenszeit ein Unternehmen gründen, Mitarbeiter rekrutieren, von Null weg ein neues Produkt entwickeln und erfolgreich am Markt positionieren. Das war kein Schlaf der Politik und der Industrie, das war Bewusstlosigkeit oder Koma. Ein Koma, das sich die Beteiligten selbst eingebrockt haben, weil sie geglaubt haben, mit Augen zu und Luft anhalten würde sich alles Unbill in Wohlgefallen auflösen. Nur haben sie es versäumt, rechtzeitig wieder Augen und Nase zu öffnen.
Das ist nicht allein Alexander Dobrindt anzulasten, seine Vorgänger haben sich ebenfalls sehr defensiv verhalten. Jürgen Marks schreibt:
"Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kümmerte sich lieber um die umstrittene Autobahn-Maut, statt frühzeitig gegenzusteuern."
Bereits im Juni habe ich darauf hingewiesen, dass es keine Aussage zur Qualität einer Lösung ist, wenn man (hier die CSU) sich brüstet, etwas (hier die Maut) "durchgesetzt" zu haben. Im Zusammenhang mit dem Diesel drängt es sich förmlich auf, die Qualität der Lösungen ist zweitrangig, es geht in erster Linie ums Nicht-vergrätzen:
"Niemand wollte die Millionen Fahrer älterer Dieselautos vergrätzen. Niemand hatte Lust, sich mit der mächtigen Autoindustrie anzulegen. Niemand wollte Arbeitsplätze gefährden. Allein in Bayern hängen 400000 Jobs an dieser Industrie."
Und was ist nun das Ergebnis? Vielleicht sind die Arbeitsplätze erst recht gefährdet, weil Politik und Industrie nicht loslassen wollten. Atomindustrie ist out, Kohle auch, Videotheken wurden überflüssig, Fabrikarbeiter werden durch Roboter ersetzt. Wer zu lange schläft, dem blüht ein unsanftes Erwachen. Jürgen Marks schreibt:
"Hätten sie sich vor Jahresfrist zusammengesetzt, um Maßnahmen für den Gesundheitsschutz in den Städten zu beschließen, wäre mehr zu retten gewesen."
Wahrscheinlich, die Situation wäre nicht so eskaliert. Doch selbst dann wäre es ein Warten-bis-es-nicht-mehr-anders-geht gewesen. Klare politische Rahmenbedingungen zur zukünftigen Mobilität könnten seit Jahren ernsthaft diskutiert werden.
Doch was ist nun zu tun? Jürgen Marks schreibt:
"Vielleicht gelingt es ja, mit dem nun angebotenen Mobilitätsfonds die Stadtluft etwas sauberer zu machen. Vielleicht helfen auch die nun diskutierten Steuervorteile, dass der eine oder andere auf einen neuen 'Clean-Diesel' umsteigt."
Steuervorteile, damit Kunden, die von der Industrie betrogen wurden, bei genau dieser Industrie ein neues Produkt kaufen? Und was geschieht mit den ausrangierten alten Dieselstinkern? Raus aus unseren Städten und rein in Städte im Ausland? Sankt-Florians-Prinzip. Ich vermag es nicht einzusehen, dass eine Industrie, die durch Einflussnahme auf die Politik weiche Gesetze realisieren und die weichen Gesetze durch großzügige Interpretation zu ihren Gunsten ausnutzen konnte, nun belohnt werden soll. Belohnt durch zusätzlich Verkäufe, was Absatzstatistik und Gewinne in die Höhe treiben wird. Bei Banken wird gefordert, dass zuerst Eigentümer, Aktionäre und Gläubiger einspringen, bevor der Staat aktiv wird. Diese Reihenfolge muss auch für die Autoindustrie gelten. Zusätzlich spielt hier eine Rolle, dass das Verhalten der Autoindustrie inzwischen als betrügerisch gilt. Das ist ein Argument weniger, Belohnungen an die Hersteller auszuschütten. Das Argument der Arbeitsplätze ist hier nicht stichhaltig, denn die sind auch dann weg, wenn niemand mehr Diesel kaufen will. Das Urteil des Stuttgarter Gerichtes hat klar gemacht: Gesundheitsschutz geht vor Bestandsschutz für Dieselfahrer. Übertragen auf die Industrie: Es gibt kein Anrecht auf Arbeitsplätze, die in weiten Landstrichen zu Gesundheitsgefahren führen. Es ist Aufgabe der Industrie, moderne und nicht gesundheitsschädliche Produkte herzustellen. Es ist Aufgabe der Politik, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu definieren. Beide haben versagt.

Freitag, 28. Juli 2017

Überflieger im Anflug

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 28.7. über mögliche Minister aus den Reihen der CUS im zukünftigen Bundeskabinett. Im Bericht wird die mögliche Rückkehr von Karl-Theodor zu Guttenberg behandelt, der "2011 als Verteidigungsminister über seine zum großen Teil dreist abgekupferte Doktorarbeit gestürzt" war. Bernhard Junginger kommentiert dazu:


Bernhard Junginger schreibt:
"Jeder hat eine zweite Chance verdient. Das gilt auch für Karl-Theodor zu Guttenberg."
Richtig. Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob jeder für alles eine zweite Chance haben soll. Ein Unternehmer, der Konkurs anmelden muss, weil Kunden ihn nicht bezahlen? Ja, ohne Zweifel. Ein pädophiler Kindergärtner nach seiner Verurteilung? Nach einer Therapie? Ein Ja fällt hier schwer.
Statt einer pauschalen zweiten Chance muss bedacht werden, wie wahrscheinlich die zweite Chance positiv genutzt werden wird und welche Risiken damit verbunden sind. Der DSDS-Dauerkandidat Menderes Bağcı, der seit 2002 in jeder Staffel antrat, hat - wenn man so will - alle Chancen verstreichen lassen, er kann immer noch nicht singen. Allerdings hat er Unterhaltungswert, beeindruckt mit seinem Durchhaltevermögen und kommt als Sympathieträger durch.
Guttenberg ist sicherlich ein politisches Talent. Er vermochte die Menschen mit seinen Auftritten für sich zu gewinnen. Sein Publikum war von seiner (schauspielerischen) Leistung beeindruckt. Doch reicht für Politik diese Äußerlichkeit? Vielleicht hatte er schon lange das Ziel einer politischen Karriere. Vielleicht war ihm früh klar, dass er sich dafür schmücken muss: Aussehen, Rhetorik, Bildungsweg. Vielleicht hat er nicht "übersehen", wie in wissenschaftlichen Arbeiten zu zitieren ist und was überhaupt wissenschaftliches Arbeiten ist, sondern er hat den Doktortitel als Katalysator seines politischen Weges von langer Hand vorbereitet. Bernhard Junginger schreibt:
"War der Grundton seines Buches 'Vorerst gescheitert' von 2011 noch uneinsichtig und besserwisserisch, übt sich Guttenberg heute in Demut und Selbstironie."
Mag sein, dass Guttenbergs Einsicht mit den Jahren gewachsen ist. Es mag aber auch sein, dass er für die Rückkehr auf die Politbühne Demut und Selbstironie als notwendigen Schmuck identifiziert hat. Er hätte sich damit nicht weiterentwickelt, lediglich sein Arsenal. Seine Demut wäre Ausdruck einer Reue, die angetrieben wird vom Vorsatz, sich das nächste Mal nicht erwischen zu lassen.
Wie soll es weitergehen? Bernhard Junginger schreibt:
"Doch der Weg zurück sollte für den abgestürzten Überflieger nicht durch die Hintertür führen. Guttenberg müsste einen echten politischen Neuanfang wagen, sich der Parteibasis stellen und den Wählern. Sich für ein Mandat bewerben, sich wieder hocharbeiten, Schritt für Schritt."
Nein, nicht "sollte". Es kann nicht anders laufen. Ein Comeback "nach Gutsherrenart" wäre Wasser auf die Mühlen derer, die "denen da oben" Abgehobenheit vorwerfen - dann allerdings zu Recht.
Eine zweite Chance steht Guttenberg zu. Eine zweite Chance ist jedoch nicht einfach ein neuer Anlauf, die man so oft in Anspruch nimmt, wie es beliebt und bis es gelingt. Sie ist auch eine Bewährungsprobe. Unsere politischen Repräsentanten müssen sich gefallen lassen, dass an sie besondere - besonders strenge - Anforderungen gestellt werden. Sie sind kein Menderes, mit dem man sich über Jahre hinweg über kleinste Fortschritte freuen mag. Guttenberg hat sich zu bewähren. Es reicht nicht, wenn er mit seinem neuen Arsenal der Demut auftritt. Die Wähler sollten genau hinschauen, was er ihnen auftischt. Sie sollten skeptisch sein, wenn im Wahlkampf Seehofer und seine CSU mit einem vermeintlichen Supermann auf Stimmenfang gehen. Sie müssen vor allem selbst wissen, was Ihnen vorgesetzt werden soll: ein Schauspiel oder echte Qualität. Der Fall Guttenberg ist auch für den Wähler eine zweite Chance, sich nicht von Äußerlichem beeindrucken zu lassen, sondern in die Tiefe zu schauen. Guttenberg ist nicht der erste und er wird nicht der letzte Politiker sein, der Wähler zweimal beeindruckte: beim Aufstieg und später beim Fall über selbst gelegte Fußangeln.
Ist Guttenberg jetzt ein besserer Mensch oder lediglich ein besser herausgeputzter? Skepsis ist notwendig angesichts der Begeisterung der CSU-Führung.

Freitag, 21. Juli 2017

Politische Themenwellen

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 21.7. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er das Fehlen der Flüchtlingsthemas im Wahlkampf kritisiert:


Zwar sei der "große Ansturm [...] vorüber. Aber die nächste Migrationskrise", ausgelöst durch "Afrikaner auf [der] Suche nach einem besseren Leben in Europa" "schon in Sicht". Richtig, nur weil derzeit so etwas wie Ruhe herrscht in Deutschland, ist der Themenkomplex nicht verschwunden. Wie nah das Ganze ist, zeigt die Drohung Österreichs, den Brenner zu sperren, um Flüchtlingen den Weg aus Italien nach Norden abzuschneiden - die AZ hat Anfang der Woche darüber berichtet. Walter Roller weiter:
"Umso erstaunlicher, dass darüber im Bundestagswahlkampf kaum geredet wird."
Ja, man staut wirklich. Walter Roller verdächtigt die Union, "das Thema aus dem Wahlkampf raushalten" zu wollen, um der AfD kein Futter zu geben. Ein Blick in das Regierungsprogramm der CDU zeigt zwar nicht die Motivation, jedoch wie wenig relevant das Thema erachtet wird. Im Kapitel "Menschen in Not helfen, Migration steuern und reduzieren, abgelehnte Bewerber konsequent zurückführen" schreibt die CDU:
"Wir werden die menschenverachtenden Aktivitäten der Schleuser energisch bekämpfen und Möglichkeiten schaffen, dass Migranten ohne Schutzanspruch von der Überfahrt nach Europa abgehalten werden. Gleichzeitig wollen wir helfen, gemeinsam mit internationalen Organisationen ihre Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens wollen wir entsprechende Verträge auch mit afrikanischen Ländern abschließen.[...]
Ein starker Staat braucht insgesamt einen starken öffentlichen Dienst. Gerade in Zeiten von Verunsicherung brauchen wir öffentliche Institutionen, welche die staatlichen und kommunalen Aufgaben gut und umfassend erledigen. Wir setzen auf einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst mit motivierten Mitarbeitern, ausreichend Personal und zeitgemäßer Ausstattung. Wir stehen zu den bewährten beiden Säulen des öffentlichen Dienstes, den Tarifangestellten und dem Berufsbeamtentum mit seinen Prinzipien Besoldung, Versorgung und Beihilfe."
Beachtlich, wie die Kurve von Toten im Mittelmeer zu Versorgung und Beihilfe von Beamten und Angestellten gezogen wird. Bei der Korrektur eines Schulaufsatzes würden Lehrer an Themenverfehlung denken.
Die SPD ist in ihrem Regierungsprogramm ausführlicher:
"Fluchtursachen wollen wir mit außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Initiativen bekämpfen. Es ist unser Ziel, zerfallende Staaten zu stabilisieren und Gewalt und Bürgerkriege einzudämmen. [...]
Geflüchteten Menschen wollen wir frühzeitig dort helfen, wo sie sich zunächst in Sicherheit gebracht haben. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) benötigt dafür eine angemessene Ausstattung und kontinuierliche Finanzierung. [...]
Wir wollen eine solidarische Verteilung der Aufgaben für Flüchtlingshilfe und eine einheitliche Entscheidungspraxis in der Europäischen Union. [...]
Die Außengrenzen müssen besser vor illegalen Grenzübertritten geschützt werden. [...]
Grundvoraussetzung für uns: Menschenrechte werden geachtet und die Genfer Flüchtlingskonvention wird eingehalten. Asylverfahren werden grundsätzlich weiterhin auf europäischem Boden durchgeführt. Entlang der Fluchtrouten wollen wir außerdem Anlaufstellen schaffen."
Darüber könnte man diskutieren - Walter Roller schreibt, die SPD "will jetzt ebenfalls keine Debatte über die Leitplanken der Flüchtlingspolitik". Erstaunlich, zumal es zum Leitbild der Gerechtigkeit passt, die sich die SPD auf die Fahnen geschrieben hat.
Walter Roller listet einige Fragen auf, um die es unter anderem geht:
"Doch wie will es die Politik schaffen, die illegale Zuwanderung dauerhaft zu begrenzen und die Kontrolle darüber zu gewinnen, wer Aufnahme findet? Wie lange will man noch hinnehmen, dass das Asylrecht zum Einwanderungsrecht geworden ist? Was fordern wir von den Zuwanderern? Hat die magnetische Wirkung Deutschlands auch mit den Sozialleistungen zu tun? Was passiert in einer Gesellschaft, deren Bevölkerungsstruktur sich so rasch verändert? Wird sie 'gewaltaffiner, machohafter, antisemitischer', wie der CDU-Spitzenpolitiker Spahn befürchtet?"
Berechtigte Fragen, die auch anders gestellt werden könnten:

  • Wie kann Einwanderung gesteuert werden, ohne das Asylrecht auszuhöhlen?
  • Wie kann das Asylrecht gestaltet werden, damit es zielgenau helfen kann?
  • Was bedeutet Integration für alle Beteiligten, welche Bedürfnisse und Beiträge Einzelner können und müssen berücksichtigt werden?
  • Was ist eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa und wie kann sie umgesetzt werden?
  • Was passiert mit einer Gesellschaft, in der zu solch großen Fragekomplexen mit simplen Lösungen, Fake News, Hate Speech "diskutiert" wird?

Die unterschiedliche Formulierung inhaltlich gleicher Fragen zeigt ein Problem auf: Wie soll die Diskussion gestaltet werden? Eine "Antwortvariante" ist die von Walter Roller kritisierte, die sich der Diskussion nicht stellt und sich in seiner Frage widerspiegelt:
"Aber wo bleibt der große Diskurs der Parteien darüber, wohin die Reise gehen soll und unter welchen Bedingungen Deutschland tatsächlich 'so bleibt, wie es ist' (Angela Merkel)?"
Eine andere "Antwortvariante" ist die Art und Weise, wie in den letzten eineinhalb Jahren diskutiert wurde. Beides lehne ich ab. Weder hilft es, das Thema auszublenden. Noch hilft es, mit Über- und Untertreibungen und in großer Lautstärke lediglich emotional (Schein)Argumente wider zu käuen. Walter Roller hierzu:
"Am linken und rechten Rand des Parteienspektrums ist die Sache klar. Die Linkspartei will 'offene Grenzen für alle', die AfD totale Abschottung. Beides ist unverantwortlicher Unfug."
Ein echter großer Diskurs wäre nötig. Die Bevölkerung darf beanspruchen zu erfahren, wohin die Reise geht. Ich bin im Zweifel, ob ein Wahlkampf mit seinen plakativen Verkürzungen das geeignete Umfeld für diesen Diskurs ist. Der Zeitpunkt vor einer Wahl, in der über die Politik für die nächsten Jahre entschieden wird, wäre der richtige.
Der Beginn der Diskussion muss dabei früher ansetzen: bei der Frage, ob Deutschland so bleiben solle, wie es ist (oder war, wie es sich die AfD wünscht) oder welche Veränderungen erfolgen können. Hierzu passt eine der Geschichten von Herrn Keuner, die Bertold Brecht verfasst hat. In "Das Wiedersehen" heißt es:
"Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: Sie haben sich gar nicht verändert. 'Oh!' sagte Herr K. und erbleichte."
Politik tritt an, etwas verändern zu wollen; die FDP nimmt gar ein neues Denken für sich in Anspruch. Doch Deutschland soll so bleiben, wie es ist. Ein erstaunlicher Widerspruch.

Donnerstag, 20. Juli 2017

Verschleierung in der Koalition

Michael Pohl hat für die Augsburger Allgemeine mit dem Grünen-Politiker Konstantin von Notz gesprochen und das Interview am 20.07. veröffentlicht:


Von Notz vs.

Zu den Gewaltexzessen in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels und wie es dazu kommen konnte, meint von Notz:
"Der G20-Gipfel war eine Bundesveranstaltung, die auch vom BKA, Bundespolizei und dem Bundesverfassungsschutz in Verantwortung des Bundesinnenministeriums vorbereitet wurde. Und im Innenausschuss des Bundestags wurde uns auf mehrfache Nachfragen vor dem Gipfel versichert, dass alles im Vorfeld unternommen wurde, um Krawalle zu verhindern. Wir haben alles auf dem Zettel, hieß es. Das war wohl eine krasse Fehleinschätzung."
Viele überschlugen sich direkt im Anschluss an die Krawalle mit Lob für die Polizei. Ich hatte bereits Anfang Juli darauf hingewiesen, dass zu unterscheiden ist zwischen der Arbeit der Polizisten vor Ort und den Führungskräften der Polizei. Wenn von Notz richtig liegt mit seiner Bewertung, es sei "eine krasse Fehleinschätzung" im Vorfeld des Gipfels gewesen, sollten die Lobesreden auf die Polizei leiser werden und einer kritischen Aufarbeitung Raum lassen.
Möglichen Anwürfen der Verharmlosung der Gewalt begegnet von Notz:
"Dass es beim G20-Gipfel zu unerträglichen Gewaltexzessen gekommen ist, muss man klar verurteilen."
Die folgende Feststellung zeigt, dass ihm die zunehmende Gefahr durch politisch und religiös motivierte Gewalttäter bewusst ist. Aus diesem Bewusstsein heraus formuliert er eine dringend zu diskutierende Frage:
"Die terroristische Bedrohung ist gestiegen. Die Frage ist, wie reagieren die Demokratie und der Rechtsstaat effektiv darauf?"
Von Notz bezeichnet die übliche Antwort vieler Politiker als populistisch:
"Man sollte aber nicht bei jeder Gesetzesüberschreitung gleich nach einer Verschärfung der Gesetze oder einer Änderung des Grundgesetzes rufen, wie es üblicherweise die CSU und inzwischen auch die Linke populistisch tun."
Ja, solche Forderungen sind populistisch. Sie sind darüber hinaus keine politischen Antworten. Sie sind Reflexe. Dabei ist die Lage nicht so simpel, dass ihr reflexhafte Antworten angemessen wären. Von Notz:
"Ist es ein schlüssiges Konzept, aus Angst vor Terrorismus gerade die Freiheitsrechte abzubauen, die die Terroristen ja bekämpfen? Nein."
Dem ist zuzustimmen. Zu einem solch klaren Blick sind die Reflexgetriebenen nicht mehr fähig. Sie glauben an die Wirkung schärferer Gesetze, glauben an deren Abschreckungswirkung bei emotionsgeleiteten Taten, glauben an ein Mehr an Überwachungsbefugnissen. Um es auf die Spitze zu treiben: Wenn die Sicherheitsbehörden von jedem jederzeit den Aufenthaltsort kennen würden (Fußfessel, Handyortung etc.) und über alle Kommunikation Bescheid wüssten (Abhören, Vorratsdatenspeicherung, verschlüsselte Nachrichten vor dem Versand auslesen etc.), dann wäre dies das Paradies der Sicherheit. Freiheitsrechte? Wer braucht die schon, Hauptsache es ist sicher!
In wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Sicherheitspolitik wird eines der großen Themen sein. Doch wir haben keine Wahl. Die politischen Angebote sind inzwischen so ähnlich, dass mir schleierhaft ist, wie in diesem Punkt eine echte Differenzierung möglich sein soll. Die Forderungen der CSU im Bayernplan zur Sicherheit finden bei der AfD Anklang, mein entsprechender Tweet wurde von der AfD innerhalb von Minuten retweeted:


Die CSU macht sich nichts daraus, weil sie sich als Sicherheitsgarant positionieren will. Und sie gibt eine Ordnungsgarantie:


Wie zielführend die Konzentration auf Migranten ist, um Ordnung zu schaffen, hat der G20-Gipfel in Hamburg gezeigt. Die SPD springt - vielleicht aus Verzweiflung über die geringe Zündkraft der von ihr gewählten Themen - auf den gleichen Zug auf. Von Notz verschafft mir mit seinen Aussagen zumindest einen kleinen Lichtblick.

vs. Spahn

Wie Lautstärke funktioniert, zeigt Jens Spahn eindrücklich:


Er ist so laut, dass der AfD-Vize Alexander Gauland die Positionen Spahns "erfrischend" findet und sich bedankt. Natürlich ist es richtig, auf "Probleme der Integration in Deutschland" hinzuweisen. Allerdings bedient er sich Methoden, die sich dem Vorwurf des Populismus stellen müssen. Ein Beispiel findet sich auf Twitter:


Jens Spahns Aufforderung zum Lesen von Regionalzeitungen ist nur laut. Sie ist ein Beispiel für den Dünger, auf dem die freiheitseinschränkenden Reflexantworten von Mr. Sicherheit, von Klare-Kante-Vertretern und Strafgesetzbuchwinkern ins Kraut schießen. Ich befürchte, die Reflexantworten werden im Wahlkampf die lauteren sein und die Lichtblicke überwuchern.

Wahlkampf! Mir graut's vor dir.

Montag, 10. Juli 2017

Storchennest - Beatrix hebt ab

Beatrix von Storch absolvierte einen Auftritt vor geprüftem Publikum im Zeughaus. Demonstrationen rund um den Auftritt verliefen friedlich, was Jörg Heinzle in einem Kommentar als "Zeichen für Demokratie" wertet. Michael Stifter hatte Gelegenheit, von Storch zu interviewen. Das Interview bietet einen schönen Anlass zu einem neuen Ei im Storchennest:


Beatrix von Storch räumt ein, dass sie sich "damals - in missverständlicher Form" geäußert habe, als sie mit dem Hinweis "auf ein gültiges deutsches Gesetz" Waffeneinsatz zur Grenzsicherung gefordert hatte. Sofort legt sie sich in die Ablenkungskurve und beschwert sich, dass es bei der Aussage des CSU-Europapolitikers Weber keinen Aufschrei gegeben habe. Sie zitiert Weber mit den Worten:
"Da müssen die Europäer notfalls auch die Waffe zur Hand nehmen"
Direkt im Anschluss führt sie den fehlenden Aufschrei auf die "Lückenpresse" zurück, den Begriff "Lügenpresse" habe sie "nie verwendet". Wie lückenhaft die Presse ist, zeigt eine Web-Suche mit dem behaupteten Zitat, die derzeit lediglich eine Website als Suchergebnis bringt, nämlich die des Interviews. Schockierend, wie weit verbreitet die lückenhafte Presse bereits ist.
Auf die Frage von Michael Stifter, welches Beispiel die "Lückenpresse" belegen könnte, antwortet Beatrix von Storch:
"Dass nicht darüber berichtet wird, dass die einzige, die wirklich Menschen an der Grenze erschießen lässt, Frau Merkel ist."
Man hört im "Wie bitte?" des Interviewers förmlich die Fassungslosigkeit ob dieser Behauptung. Beatrix von Storch weiter:
"Ja, sie hat unseren Grenzschutz ausdrücklich an Herrn Erdogan übertragen, der die türkisch-syrische Grenze schützen soll, weil wir unsere Grenzen ja angeblich nicht schützen können – es sei, denn es ist G20-Gipfel. Und an dieser türkisch-syrischen Grenze wurden Selbstschussanlagen aufgebaut, dort werden Menschen getötet. Über die Toten dort hören wir nichts. Aber das geschieht im Auftrag von Frau Merkel. Das ist natürlich zugespitzt, aber es ist faktisch so."
Für mich klingt dies nach etwas, was im Liedtext zu "Astronaut" von Sido und Andreas Bourani so heißt:
"Die Stimme der Vernuft ist längst verstummt,
wir hör'n sie nicht mehr"
Was Beatrix von Storch als Lückenpresse bezeichnet, wird zu einem Phänomen auf Rezipientenseite. Was Beatrix von Storch als "zugespitzt" bezeichnet, passt zu den Worten von Sido und Andreas Bourani:
"Ich heb ab
Nichts hält mich am Boden"
Einen weiteren Höhenflug leistet sich Beatrix von Storch zum Thema Ehe für alle:
"Die eingetragene Lebenspartnerschaft garantiert faktisch Gleichberechtigung. Es bedarf also keiner 'Ehe für alle'. Das ist ein Dammbruch. Es ist doch logisch, was jetzt kommt: Jetzt gibt es auch kein Argument mehr dagegen, dass auch eine Ehe zu dritt möglich wird."
Auf die Anmerkung von Michael Stifter, es gäbe weder gesellschaftliche noch politische Mehrheiten für die Ehe zu dritt, antwortet Beatrix von Storch:
"Warten Sie mal ab. Der Prozess geht nun weiter. Es wird jetzt weiter Lobby gemacht. Und irgendwann wird es heißen: Warum eigentlich nicht?"
Den "Dammbruch" verorte ich an anderer Stelle, sicherlich nicht bei der Gefahr, jedwede denkbare Ehekonstellation werde nun Realität werden. Sido und Andreas Bourani geben einen Hinweis:
"Wir laufen rum mit der Schnauze voll
die Köpfe sind leer"
Im Lied zeigt sich später Licht und Hoffnung:
"Und beim Anblick dieser Schönheit fällt mir alles wieder ein
Sind wir nicht eigentlich am Leben um zu lieben und zu sein?"
Das Interview zeigt anders. Es ist ein Manifest der vollen Schnauze in einem leeren Kopf.

Sonntag, 9. Juli 2017

Mit aller Gewalt

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 8.7. einen Kommentar veröffentlicht zu den gewalttätigen Ausschreitungen in Hamburg anlässlich des G20-Gipfels:


Bernhard Junginger schreibt:
"Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft linksextremer Chaoten hat selbst die schlimmsten Befürchtungen der Sicherheitskräfte weit übertroffen. Und dass dieselben Kreise, die seit Monaten in der autonomen Szene zu diesen massiven Gewaltakten aufrufen, nun die Polizei dafür verdammen, dass sie das Schlimmste zu verhindern versucht, ist zynisch."

Gewalttäters Welt

Ich würde es nicht "zynisch" nennen, wenn die Gewaltaufrufer "die Polizei dafür verdammen, dass sie das Schlimmste zu verhindern versucht". Es passt in deren Welt, in der sie sich auf der Seite des Guten wähnen und gegen "das System" kämpfen. Selbstverständlich sind "die Anderen" Schuld. Die Argumentation ist viel einfältiger als es ein Zynismus je sein könnte.
Bernhard Junginger frägt:
"War es leichtsinnig, den Gipfel ausgerechnet in Hamburg, einer Hochburg der Autonomen, abzuhalten? War das eine unnötige Provokation?"
Nein. Es spielt keine Rolle, wo ein solcher Gipfel stattfindet, wie Veranstaltungen in Heiligendamm oder Schloss Elmau gezeigt haben. Anreisen von vielen Hundert Kilometern waren für die angeblich Provozierten kein Problem. Bernhard Junginger weiter:
"Darum muss auch und gerade in Hamburg [...] jederzeit ein Treffen der führenden Politiker der Welt möglich sein, ohne dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt."
Nicht nur an symbolischen Orten. In einer Demokratie nach meinem Verständnis muss es überall möglich sein, dass sich führende Köpfe treffen können. Nicht nur Politiker, auch Künstler, Wirtschaftsführer. Nicht nur führende, sondern jedwede. Die einzige Beschränkung sollte die Logistik sein, also An- und Abreisemöglichkeiten, die Unterbringung, die Tagungslokalität und die Möglichkeiten zum Schutz.
Bernhard Junginger entlarvt die Exzesse als das, was sie sind:
"Hinter den Gewaltexzessen steckt nichts weiter als eine nur schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale, Gewalt und Zerstörung."
An diesem Punkt deckt sich linke mit rechter Gewalt und mit der Gewalt, die aus reinem Selbstzweck erfolgt und wie sie beispielsweise von Hooligans praktiziert wird. Manche machen sich noch die Mühe und versuchen eine Argument-Kulisse aufzubauen: Das System, der Kapitalismus, das bedrohte eigene Volk. Vor dieser Kulisse werden Schauspiele inszeniert, in der sogenannte Provokateure auftreten. Der Polizei fällt oft diese Rolle zu. Die Provokateure werden als Katalysator gesehen, an dem sich die Gewalt erst entzünde. Dies ist reine Schönfärberei der eigenen Position. Bereits durch den Aufbau der Kulissen und der Ankündigung, bei Provokationen entsprechend reagieren zu müssen, wird der späteren Gewalt der Weg geebnet. "Reagieren müssen", gezwungen sein ist übrigens auch eine Parallelität zwischen linker und rechter Gewalt. Alle nehmen für sich in Anspruch, ein Opfer zu sein und aus dieser Opferposition heraus ein Selbstverteidigungsrecht wahrnehmen zu dürfen und müssen.
Es ist nicht nur die "schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale", es ist auch eine frappierend schwache Argumentation der Gewaltbefürworter. Die Schwäche der Argumentation tritt besonders deutlich hervor, weil sich die Befürworter auf politische Ideale berufen, die in ihrem Kern durchaus berechtigte Kritik am Status Quo mitbringen können.

Polizeiwelt

Die Gewaltbereitschaft habe "selbst die schlimmsten Befürchtungen der Sicherheitskräfte weit übertroffen", schreibt Bernhard Junginger. Im TV sieht man Bilder von Wasserwerfern, brennenden Autos, von mehreren Polizisten niedergeworfene Vermummte. Viele artikulieren ihren Respekt und ihre Anerkennung für die harte Arbeit der Polizei.
Ja, dennoch das ist zu differenzieren. Einerseits die Polizeikräfte unmittelbar im Geschehen, die mit Schutzausrüstung in sommerlichen Temperaturen körperliche Höchstleistung vollbringen und gleichzeitig besonnen bleiben müssen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, provoziert zu haben oder übertrieben gewalttätig geworden zu sein. Unübersichtlich, wie solche Straßenkämpfe sind, ist das auch psychisch eine enorme Aufgabe. Auf der anderen Seite die Polizeiführung, die in der Vorbereitung und im Einsatz Entscheidungen zu treffen hat: Wo Kräfte aufstellen, wohin im Einsatz verschieben, wie früh oder spät mit welchen Mitteln bei welchen Aktionen der (zu dem Zeitpunkt vielleicht erst potentiellen) Gewalttäter reagieren?
Mit dieser Differenzierung fällt auch das Urteil über die Polizeiarbeit zwiespältig aus, wenn Bernhard Junginger richtig liegt, dass die Befürchtungen übertroffen wurden. Denn das hieße nichts anderes als eine Fehleinschätzung der kommenden Situation. Nun kann man diskutieren, ob die Maßnahmen, die nach dem Erkennen der Fehleinschätzung ergriffen wurden, gut oder weniger gut waren. Anerkennung und Respekt vor dem Einsatz der Polizei darf nicht dazu führen, jedwede Analyse auf mögliche Fehler oder Verbesserungspotentiale zu verteufeln. Genauso wenig hilfreich ist ein nach Lagern aufgeteilter Urteilskanon. Von eher rechts erschallt Lob, Kritik von eher links wird skandalisiert. Von links wird über Provokation durch die Polizei schwadroniert, von rechts mit Provokation der linksextremen Gewalttäter dagegengehalten. All das mag vorgekommen sein, aber kaum in der breiten Masse. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen. Erkenntniswert haben solche gegenseitigen Vor- und Anwürfe keinen.

Jens Spahns Meinungsstrauß

Jens Spahn, CDU-Präsidiumsmitglied, sah sich berufen, eine Reihe von Tweets abzusetzen. In einem liefert er ein beachtliches Statement zu dem eben dargestellten wenig hilfreichen Lagerdenken:


Als ob "d Linken" allesamt zu "schwach durch angebliche politische Ideale maskierte Lust an Randale, Gewalt und Zerstörung" (B. Junginger) applaudieren würden. Vielleicht ist Jens Spahn bereits im Wahlkampfmodus, inhaltlich hilfreich ist sein Tweet nicht.
Weiter geht es mit einem von Jens Spahn retweeteten Tweet von Kristina Schröder:


Beim Original und beim Retweet frage ich mich, ob das ein Diskussionsbeitrag sein soll oder lediglich ein Stimmungsbild. Wir haben ein Problem mit gewaltbereiten, menschenverachtenden Extremisten. Die Rechten zünden Asylbewerberheime an, Islamisten rasen durch Fußgängerzonen, Linke plündern und greifen Polizisten an. Alles inakzeptabel. Alles zu bekämpfen mit rechtsstaatlichen Mitteln und mit Aussteigerprogrammen, Bildung, Sozialarbeit etc., um bereits einzelne vor Gewalttaten aus ihrer Extremistenwelt wieder in die der Menschen zu führen.
Martin Schulz tweetete, Randale habe nichts mit Politik zu tun. Der ist damit auf der Linie von Bernhard Junginger und der schwachen ideologischen Untermauerung. Jens Spahn sieht das anders aus seinem Links-Rechts-Lagerdenken:


Als ob es gesellschaftlicher Konsens wäre, linksextremistische Gewalt zu leugnen. In Teilen der SPD mag es Personen geben, die linke Gewalt verharmlosen. Vielleicht genauso viele, wie es in der Union Mitglieder gibt, die brennende Asylbewerberheime nicht ganz so schlimm und als Signal an Flüchtlinge sehen, dass sie hier unerwünscht sind. So wenig hilfreich mein letzter Satz in einer Diskussion wäre, so wenig ist es der Betrag von Jens Spahn.
Doch Jens Spahn sieht mehr Handlungsbedarf:


Der Grüne Konstantin von Notz meint zu Recht, Polizeiarbeit müsse verhältnismäßig sein und zielgenau auf Gewalttäter abzielen. Ja, richtig, alles andere ist auch kaum vorstellbar als rechtmäßiges Handeln. Jens Spahn hingegen meint, alle Friedfertigen müssten sich "KLIPP UND KLAR von Gewalttätigen" unterscheiden und abgrenzen. Warum? Warum sollen sich ständig "Normale" von Extremisten abgrenzen? Muslime sollen sich von Islamisten distanzieren, Demonstranten von Gewalttätern. Da habe ich weitere Vorschläge:
  • Steuerehrliche von Steuerhinterziehern und -betrügern
  • Katholiken nach jedem tödlich verlaufenen Exorzismus von einem solchen Verständnis von Katholizismus
  • Konservative Frauen-an-den-Herd-Befürworter von Frauen-bleiben-zu-Hause-Muslimen
  • Menschen mit jüngeren Ehepartnern oder -partnerinnen von Kinderehen
Nein, niemand muss sich rechtfertigen, wenn andere eine gemeinsame ideologische Grundposition extrem oder extremistisch auslegen. Es sollte Konsens sein, dass Extremisten extreme Positionen einnehmen, die nichts mit den Positionen "der Normalen" gemein haben.

Samstag, 8. Juli 2017

Storchennest - Beatrix nicht ganz dicht

Beatrix von Storch leckt:


Für nicht ganz dicht hält sie Heiko Maas, der die deutsche Verfassung als "entwicklungsoffen" bezeichnet hat. Doch wie will sie eine andere Politik machen, wenn sich nix ändern soll? Vielleicht hat sie Blut geleckt, als ihr eine 1000jährige Verfassung in den Sinn kam.

Dienstag, 4. Juli 2017

Volksstimmen zur Ehe für alle

Am 4.7. hat die Augsburger Allgemeine eine Sonderseite mit Leserbriefen zur Ehe für alle veröffentlicht. Einige dieser Leserbriefe verdienen besondere Aufmerksamkeit und deshalb sollen sie hier zitiert werden.
Wolfgang Böhm unterscheidet "einerseits eine staatliche Ehe für alle [...] und andererseits eine sakramentale christliche Ehe, die sich aus der Heiligen Schrift" ergebe. Soweit verständlich, man kann ja eine standesamtliche und eine kirchliche Hochzeit feiern. Weil in der Heiligen Schrift stehe, "dass Mann und Frau eins sein und fruchtbar sein sollen", fordert Wolfgang Böhm, "die Christen im Bundestag" müssten gegen das beschlossene Gesetz vor dem Verfassungsgericht klagen, damit "[allen] Menschen in Deutschland [...] dieser fundamentale Unterschied klar" werde und "in einer so wichtigen Sache wie der Ehe keine Zweideutigkeit" entstehe. Mit dem Argument einer göttlichen Vorgabe soll also ein staatliches Gesetz geändert werden? In einem säkularen Staat sehr fragwürdig.


Einen Schritt weiter geht Hermann Schäffler. Er meint, "Medien, Politik, Menschen und sogar Kirchenvertreter sind weg von den von unserem Schöpfer gesetzten Maßstäben und machen sich selbst zum Maßstab!" Die Vokabel der Häresie kommt mir hier in den Sinn. Dazu passt das Zitat aus Röm. 1 Vers 28, mit dem Hermann Schäffler unterstellt, die Menschen wären "zu keinem vernünftigen Urteil mehr fähig". Nochmals: Deutschland ist ein säkularer Staat. Religiöse Gebote einzelner Religionen als normative Vorgaben der weltlichen Politik passen zu einem Gottesstaat, nicht nach Mitteleuropa.


Anton Hieble schlägt aus dem religiösen eine Brücke zur Politik, wenn er den Vätern des Grundgesetzes zubilligt, sie "waren noch klar im Kopf", weil es für sie selbstverständlich war, "dass nur Mann und Frau eine Ehe bilden können". Anton Hieble verweigert sich sogar jedweder Entwicklung, weil "Gottes Gebote [...] keinem Zeitgeist" unterlägen. Dem Islam wird vorgeworfen, er sei nicht in der Moderne angekommen, werde mittelalterlich ausgelegt. Und dann bringt Anton Hieble die ewige Gültigkeit unveränderlicher göttlicher Gebote.


Horst Freitag erwartet nicht, "dass jetzt legitime gleichgeschlechtliche Paare weniger verächtlich behandelt werden". Vermutlich hat er recht, leider. Mit seiner Frage, wie "ein Adoptivkind eines männlichen Ehepaares [...] auf die Frage" antwortet, wie die Mama hieße. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es eben nicht "normal" ist, gleichgeschlechtliche Eltern zu haben. Damit ist es eine Diskriminierung, ausgeführt "im Kindergarten oder Schule". Es ist ein Appell, in der Erziehung sensibler gegenüber Diskriminierung zu sein. Dazu passt der Film "The Imagination Game", in dem ein Teil des Lebens von Alan Turing gezeichnet wird, der sich mit 42 Jahren umbrachte, weil der die Diskriminierung wegen seiner Homosexualität nicht länger ertragen konnte.


Otmar Hoffmann fordert gar Volksentscheide, weil ihm die Entscheidung des demokratisch gewählten Bundestages nicht gefällt. Er sieht unsere abendländische Kultur durch "falsch verstandene Toleranz von anderen Kulturen überlagert". Er frägt, ob "wir für solche Entscheidungen zu dumm" seien. In Anbetracht der Argumentation möchte ein Ja aus meiner Kehle fahren.


Herbert Schaidnagel ist unfassbar dankbar, dass "endlich das existenziellste Problem der Bundesrepublik" gelöst sei. Er hält "Eurokrise, Flüchtlingskrise, über 500 000 ausreisepflichtige Ausländer, Altersarmut [...]" für dringender. Was soll ein solches Argument? Politik ist ein so weites Feld, sich immer nur um das wichtigste Problem zu kümmern, wäre fatal - wenn überhaupt Einigkeit erzielbar wäre über das wichtigste Problem. Herbert Schaidnagel übersieht zudem andere wichtige Probleme wie Klimawandel, Kriege, Hunger und Dürre in Afrika. 


Wolfgang Illauer stellt die Fragen, ob Kinder "ein Recht auf Vater und Mutter" hätten, ob sie beide "für ihre beste Entwicklung" brauchen und ob es "neue und fundierte Erkenntnisse [gäbe], die die Auffassung der vergangenen Jahrhunderte, Kinder bräuchten Vater und Mutter, als überholt erscheinen lassen". Die Antworten gibt er selbst mit Nein, Nein und Ja. Er meint, "[solche] von einer geradezu radikalen Ideologie geprägten Antworten müssten eigentlich sehr zu denken geben". Nein, müssen sie nicht. Zumindest dann nicht, wenn man die Erkenntnisse über die Divergenz von biologischem und "sozialem" Geschlecht, vulgo "Gender" anerkennt. Diese Erkenntnisse sind nicht radikal, nicht ideologisch. Sie sind Ausfluss des Verhaltens und Erlebens von Menschen. Mithin natürlich.



Es ist kaum zu glauben, mit welchen Argumenten gegen die Ehe für alle angeschrieben wird. Vielleicht hilft beten, weshalb ich mich dem Stoßgebet von Jasmin Langenmayer anschließe: "Vor Gott sind alle Menschen gleich." Mehr gibt es nicht zu sagen.

Samstag, 1. Juli 2017

Zeitgeist für alle

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 1.7. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die "Ehe für alle" sowie dem Weg dahin kommentiert:


Walter Roller schreibt:
"Es ist ein großer Tag für Schwule und Lesben. Es ist ein historischer Erfolg für die Grünen."
Dem ersten Satz stimme ich zu und ergänze: für alle, die "Leben und leben lassen" verinnerlicht haben, die es für selbstverständlich erachten, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden solle, die es ernst meinen mit der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit aller Menschen. Walter Roller beleuchtet hierbei zwei Aspekte, die getrennt betrachtet werden müssen.

Ehe für alle

Der erste Aspekt ist das Rechtsinstitut der Ehe selbst, zu dem Walter Roller weiter schreibt:
"Das Rechtsinstitut der Ehe, seit Jahrhunderten in unserem Kulturraum der Verbindung von Mann und Frau vorbehalten, wird für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Die mit großer Mehrheit getroffene Entscheidung des Bundestages hebelt das traditionelle, im Einklang mit dem Grundgesetz stehende Verständnis von Ehe aus und vollzieht per einfachem Gesetz, was dem vorherrschenden Zeitgeist entspricht."
Ja, die Ehe wurde "in unserem Kulturraum" lange als "Verbindung von Mann und Frau" verstanden und stand "im Einklang mit dem Grundgesetz". Es ist anzufügen, dass der §175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, von 1872 bis 1994 mehrere Jahrzehnte ebenfalls im Einklang mit dem Grundgesetz war, weil er nicht durch eine Richterentscheidung, sondern durch eine politische Entscheidung abgeschafft wurde. Dass die "Ehe für alle" nun "per einfachem Gesetz" vollzogen wird, kann deshalb nicht als Argument für eine ablehnende Haltung gegenüber dem Gesetz herangezogen werden. Dennoch unbenommen:
"Man wüsste gern, wie Karlsruhe darüber denkt. [...] Trotzdem ist es sehr fraglich, ob die Verfassungsrichter im Fall einer Klage den Gesetzgeber zurückpfeifen."
Ich denke ebenfalls nicht, dass die Verfassungsrichter "den Gesetzgeber zurückpfeifen" würden. Denn anders als "Ehe für alle" dem Wortlaut nach klingt, ist der Umfang des Gesetzes klar umrissen. Es soll gleichgeschlechtlichen Paaren die gleiche Rechtsstellung gegeben werden wie verschiedengeschlechtlichen. Es ging nie um das, was manche an die Wand malen als Untergang des Abendlandes: Vielehen oder Ehen mit Kindern oder mit Tieren.
Es darf nicht vergessen werden, welche Historie die Ehe hat. Früher war sie ein probates Mittel der Politik. Heirat sollte die Verbindung zwischen Gruppen, Clans, Fürstentümern, Königreichen, Bauernhöfen, Handwerkern etc. stärken. Das waren keine Heiraten aus Liebe. Die Kinder aus diesen Ehen sollten keine Kinder der Liebe sein, sondern Garanten der politischen oder ökonomischen Verhältnisse. Vielleicht waren Ehen auch Vehikel, um männliche Besitzansprüche gegenüber Frauen zu formulieren und so den Sexualvollzug für sich selbst zu sichern. Damit wäre die Ehe keinesfalls ein hohes Gut, sondern lediglich ein in Worte gegossener Keuschheitsgürtel. Die Historie der Ehe muss sich vor Augen halten, wer mit ihrer kulturellen Tradition argumentiert.
Walter Roller schreibt:
"Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates; das höchste Gericht hat die Ehe wiederholt als Verbindung von Mann und Frau definiert, weil ja nur daraus - das macht den Unterschied aus - Kinder hervorgehen können."
Das ist ein Argument, das oft gebracht wird. Allerdings ist es nicht stichhaltig und unterminiert die Ehe. Wenn es richtig wäre, dürfte der besondere Schutz auch nur den Ehen gelten, aus denen Kinder hervorgehen. Doch was ist mit Ehen, die
  • geplant kinderlos bleiben?
  • ungeplant kinderlos bleiben?
  • geschlossen werden im höheren Alter, wenn Kinder inzwischen aus dem Haus sind?
Sind das alles Beispiele für Ehen zweiter Klasse, für unwürdige Ehen? Wer die Ehe als Institution so eng an das Kinderkriegen knüpft, muss sich ernsthaft fragen, ob er sie wirklich als lebenslanges Versprechen der gegenseitigen Liebe und Fürsorge versteht oder nicht lediglich als die Rechtsform einer Gebärmaschine.
Ja, der Zeitgeist hat die "Ehe für alle" ermöglicht, so wie er vor Jahren die Abschaffung des oben erwähnten §175 ermöglicht hat. Walter Roller schreibt:
"Ein Unbehagen bleibt. Das hat nichts mit Homophobie, sondern mit dem Gefühl vieler Menschen zu tun, dass die Fundamente der Gesellschaft ins Rutschen geraten sind und zu viel an Bewährtem über Bord geworfen wird."
Für viele mag es Unbehagen sein, das bleibt. Manch andere sehen das strenger, finden Homosexualität widernatürlich, haben gar Angst vor "Ansteckung". Das Unbehagen hadert mit dem Zeitgeist, der sich schneller bewegt als vielen lieb ist - wobei das viele andere Aspekte des Lebens wie Digitalisierung, Globalisierung etc. ebenfalls betrifft. Das hat, wie Walter Roller richtig schreibt, "nichts mit Homophobie" zu tun. Allerdings wird bei manchem Gegner der "Ehe für alle" der Vorwurf der Homophobie schwerer zu widerlegen sein.

Politischer Weg zur Ehe für alle

Die Diskussion zog sich über Jahre. Die Äußerung von Angela Merkel, es sei eine Gewissensentscheidung, war der Zündfunke, an dem sich die Parlamentsentscheidung von gestern entzünden konnte. Walter Roller schreibt:
"Es ist bedauerlich, dass diese bedeutsame Entscheidung am Ende hoppla-hopp und im Schatten machtpolitischer Spiele zustande kam. Doch das Wehklagen der Union über den 'Vertrauensbruch' des Koalitionspartners SPD ist fehl am Platze."
Ja, "diese bedeutsame Entscheidung" hätte einen besseren politischen Kontext verdient, jenseits "machtpolitischer Spiele". Es ist müßig, nun aufzählen zu wollen, wer wie oft in welchem Ausschuss oder Gremium welchen Schritt verhindert oder nicht initiiert hat. Das ist nur die Fortsetzung der Spiele. Was bleibt ist: "ein großer Tag". Denn was wäre die Alternative gewesen, zu der Walter Roller schreibt:
"Sie hat sich kühl von einer klassischen konservativen Position verabschiedet, um nur ja nicht den Anschluss zu verlieren. Wer will, kann das prinzipienlos nennen. Aber hätten Merkel und Seehofer [...] eine längst verlorene Schlacht weiterführen sollen?"
Richtig, die Schlacht war verloren, wie die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt hat. Das zeigt das grundsätzliche Dilemma der "klassischen konservativen Position": Sie widersetzt sich dem Zeitgeist. Sie kann aber nicht gewinnen. Walter Roller hat natürlich recht, wenn er am Schluss fordert, konservative Positionen müssten "von den politischen Mehrheiten auch ernster als bisher genommen werden". Das Dilemma bleibt. Wer sein Heil ausschließlich im Gestern sucht, wird sich morgen nicht mehr wiederfinden.

Leserbriefe

Zu den Vorgängen rund um die Parlamentsentscheidung sind viele Leserbriefe veröffentlicht worden, von denen ein paar hier zitiert werden wollen. Dr. Gerhard Großkurth findet, Merkel setze sich "immer da über demokratische Gepflogenheiten, geltendes Recht und gültige Verträge [hinweg], wo es dem deutschen Volk zum Schaden gereicht":


Er schreibt Merkel ein "autokratisches Image" zu. Ein Autokrat zu sein ist ein Vorwurf, den sich Personen vom Schlage eines Putin oder Erdogan gefallen lassen müssen. Es ist zu fragen: wenn sich Merkel immer wieder über geltendes Recht hinwegsetzt und dem deutschen Volk schadet, warum greift Dr. Großkurth nicht zu rechtsstaatlichen Mitteln und geht gegen die behaupteten Rechtsbrüche vor?
Zwei weitere Leserbriefe verdienen Erwähnung und Zitat:


Rudolf Speth meint, Merkel habe Angst, "im Herbst keinen Koalitionspartner zu bekommen". Er meint, aus reinem Machterhalt gehe "Einigkeit vor Wahrheit", die Wahrheit werde gar "verleugnet". Er sieht eine Abwendung "vom wahren Gott", einen "Irrtum", wenn Merkel glaubt, "dass gleichgeschlechtliche Paare dieselben Werte hätten". Es wäre interessant zu wissen, ob Rudolf Speth zwar für Deutschland fordert, Politik müsse sich am "wahren Gott" orientieren, für Muslime aber die Befolgung der Scharia ablehnt.
Konrad Geißler unterstellt den alten Römern strotzende Dekadenz, dennoch "gingen sie aber bei großem sittlichen Verfall und absehbarem Ende ihrer Republik" nicht "den Schritt zum Erhalt aller Eherechte für Schwule und Lesben". Solche historischen Vergleiche sind nicht hilfreich, weil sie den jeweiligen zeitlichen Kontext, die Gepflogenheiten (Kultur) ausblenden und lediglich auf Ebene von Vokabeln vergleichen. So entsteht kein Erkenntnisgewinn. Doch Konrad Geißler setzt nach und frägt, "woher die Nachkommen und Pflegekräfte für diese Personen kommen sollen, die unsere Schwulen und Lesben im Alter betreuen werden." Das ist ein Argument aus dem finstersten Mittelalter, als die Ehe noch - wie oben ausgeführt - ein Instrument der Politik war. Ein solches Argument hat der Zeitgeist längst hinweggespült.

Storchennest-Beatrix im Glashaus

Beatrix von Storch hat getwittert:



Sie findet die Sperre ihres Accounts durch die CSD/CDU bemerkenswert. Es ist mir nicht klar, warum sie das bemerkenswert findet. Sie selbst greift auch zu solchen Methoden. Das ist natürlich ihr gutes Recht. Und spricht für sich. Oder war das "mit sich"?