Mittwoch, 27. Juni 2018

Leserbrief

Die Augsburger hat zwei Leserbriefe veröffentlicht zu den aktuellen Diskussionen um Migration, Flucht und Asyl.

23.6., Leserbrief von Ulrich Arnold

Ulrich Arnold bedient sich eines in sozialen Medien von Rechten gerne gebrauchten Vergleiches in seinem Leserbrief zu einem Leitartikel in der AZ. Er stellt die Fläche von Afrika der Fläche von Deutschland gegenüber und will daraus schlussfolgernd argumentieren. Der Vergleich als Bild geht so:


Um diesen Größenvergleich herum baut Ulrich Arnold eine Rechengeschichte:


Afrika hätte nach dieser Geschichte zu bewältigende Probleme, die "gerade mal 2,3 Personen pro Quadratmeter betreffen, während wir (Deutschland, Anm.) 30 Ausländer pro Quadratkilometer mit allem" zu versorgen haben, "was zu einem menschenwürdigen Leben erforderlich ist". Für diese Rechnung setzt er die Zahl der Geflüchteten mit der Zahl der in Deutschland registrierten Ausländer in ein Verhältnis.
Eine solche Rechnung ist indiskutabel, geschmacklos. Sie ist inhaltlich nicht korrekt. Doch die Quelle ist klar, aus der sich solche braune Brühe speist: Ulrich Arnold ist/war AfD-Mitglied in Heimenkirch, das bei der AfD Allgäu in einer Pressemitteilung auftaucht. Die Qualität seiner Argumentation liegt erkennbar auf der Linie der Partei. Die Forderung, dass in Anbetracht der "Bauten der Hauptstädte in Afrika [...] zuerst einmal eine gerechte Umverteilung des Wohlstands innerhalb Afrikas" erfolgen müsse, ist an Realitätsferne kaum mehr zu überbieten.

27.6., Leserbrief von Burkhardt Brinkmann

Burkhardt Brinkmann wendet sich gegen einen Beitrag in der Augsburger Allgemeinen vom 23.6., in dem die langsame Änderung der Sprache analysiert wird:


Burhhardt Brinkmann hält es entgegen dem Artikel für Stimmungsmache "wenn die Asyltouristen in Deutschland als 'Flüchtlinge' bezeichnet werden". Von denen sei keiner mehr in Gefahr, "wenn er aus einem Nachbarland nach Deutschland" einreise. Er zweifelt daran, dass ein Migrant "überhaupt jemals ein Flüchtling war". "Migrationslobbyisten" hätten dann noch den Begriff "Armutsflüchtlinge" geschaffen, was den Flüchtlingsbegriff "noch verlogener" mache. Und es sei "deutschen Steuerzahlern [...] nicht zuzumuten, einreisende Völkerschafen füttern zu müssen".
Wer so argumentiert, braucht sich nicht als Verteidiger europäischer Kultur aufzuspielen. Der hat den Boden dessen verlassen, was diese Kultur ausmacht. Doch auch er bewegt sich auf dem Boden dessen, was die AfD in ihrem Kern ausmacht. Er twittert einschlägig, und schreibt auf seinem Blog über das Weltgeschehen. Dort findet sich auch unter seinem offenen Brief an die CSU folgender Schlusssatz:
"Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht 'weltoffen':
Der hat den A.... offen!"
Ich bin froh, dass der Titel seines offenen Briefes "Wenn ich in der AfD etwas zu sagen hätte ……." nicht (hoffentlich!) zutrifft. Andererseits zeigt der Leserbrief in der AZ erneut, welches Gedankengut in den AfD-braunen Tümpeln vorherrscht.

Conclusio


  • Respekt für die Augsburger Allgemeine, dass sie solche Leserbriefe aus der intellektuellen Dunkelkammer veröffentlichen.
  • Mitleid für die Meinungsfreiheit und Demokratie, dass sie solche Leserbriefe aushalten muss.
  • Respekt für die Meinungsfreiheit und die Demokratie, dass sie solche Leserbriefe aushält.

Sonntag, 24. Juni 2018

Söders Tritte

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen am 23.6. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die ersten 100 Tage von Markus Söder als Ministerpräsident in Bayern beleuchtet:


Söders Wahlstrategie

Einleitend zitiert er Franz Josef Strauß mit den Worten:
"Bayern ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland, Europa ist unsere Zukunft."
Söder verabschiede sich "von diesem grundsätzlichen Bekenntnis seines großen politischen Vorbilds":
"Mit seinem leichtfertigen Gerede vom 'Ende des geordneten Multilateralismus' stellt Söder das Projekt Europa infrage. Das ist die mit Abstand gefährlichste Entwicklung in seinen ersten 100 Tagen als Regierungschef in Bayern. Denn was, bitte schön, soll die Alternative zur Zusammenarbeit in Europa sein? Etwa ein ungeordneter Nationalismus? Jeder gegen jeden?"
Offenbar. Zur Migration beteuert die CSU zwar, sie wolle sich einer europäischen Lösung anschließen. Falls die nicht käme oder nicht so aussehe, wie die in Bayern ersonnene und für Deutschland hocherpresste "Lösung" des "Masterplans" es definiere, werde die "Lösung" eben national umgesetzt:


Diese Haltung hatte sich bereits vor 10 Tagen abgezeichnet, als Söder verlautbarte:


Uli Bachmeier schreibt, "Kritik von linker, liberaler oder grüner Seite" störe Söder nicht. Im Gegenteil, eine solche Kritik mache die CSU von Rechten wieder wählbarer. Söder habe Bayern einen "Rechtsruck" verordnet. Noch im Februar war ein solcher Rechtsruck von Unionswählern nicht gewünscht, nur bei den AfD-Wählern stand ein "konservativerer" Kurs hoch im Kurs.
Diese "[simple] Logik" steht hinter dem Wahlkampfmanöver der CSU. Wobei sie übersieht, dass nicht alle Zustimmung aus dem rechten Eck ein Qualitätssiegel für die eigene Position ist und nicht alle Kritik aus dem mittleren oder linken Eck ein Ansporn. Es ist eine pubertäre Trotzhaltung. Hauptsache gegen die Eltern, speziell die Mutti. Hauptsache die coole Gang applaudiert. Dabei:
"Im Landtagswahljahr 2018 aber hat sich die Partei unter der Doppelspitze Horst Seehofer und Markus Söder in eine Situation manövriert, in der alles auf dem Spiel steht: der Zusammenhalt mit der Schwesterpartei CDU, die Stabilität und das Wertefundament des politischen Systems in Deutschland und die Zukunft der Europäischen Union, die den Bürgern in Bayern und Deutschland wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit und Reisefreiheit von Portugal bis Finnland beschert hat."
Ja, die CSU stellt alles zur Disposition, was bisher als Werte an sich galt. Weiterhin zeigt sie in ihrem Fokus auf die AfD, dass sie mit ihrer - nennen wir es: Haltung inzwischen jeden Anspruch verloren hat, sich auf eine europäische Prägung und Kultur berufen zu dürfen. Denn sie trampelt auf dieser Kultur herum, auf den Werten herum, auf Bewährtem. Uli Bachmeier schreibt:
"Söder hält es für eine Stärke, sich ausschließlich auf den 14. Oktober zu konzentrieren und alles andere diesem einen Ziel unterzuordnen. Er meint, dass das Schicksal der CSU als Volkspartei allein dadurch schon besiegelt ist, wenn sie sich im Landtag einen Koalitionspartner suchen muss. Er meint, der Zeitgeist rücke nach rechts, also müsse auch die CSU weiter nach rechts.
Dass er damit der AfD nur in die Hände spielt, dass die CSU dann nicht mehr dieselbe ist wie zuvor, dass sie ihre Kraft zur Integration breiter Wählerschichten verlieren könnte, klammert er ebenso aus wie alle anderen Risiken auch. Für einen härteren Kurs in der Asylpolitik mag es eine Mehrheit geben, für einen Anti-Europa-Kurs mit Sicherheit nicht."
Was Söder für Stärke hält, ist Schwäche. Denn er läuft den Themen hinterher, die die AfD auf die politische Bühne gehievt hat. Söder und die CSU schreien ihr Migrationsthema so laut hinaus, dass alle anderen Themen unter die Räder kommen. Vielmehr unter die braunen Stiefel, die sich die CSU ursprünglich anzog, um gegen die AfD zu marschieren. Inzwischen ist sie jedoch im Gleichschritt, sie ist #AFDkopie.

Gleichschritt der CSU mit AfD

Der Gleichschritt zeigt sich in einer ganzen Reihe unsäglicher (Re)Tweets der CSU. Eine Auswahl aus dem Monat Juni 2018 belegt dies. Da wird das europäische und deutsche Asylsystem als feudales Menü dargestellt, aus dem sich Asylbewerber nach belieben ihren Aufenthalt zusammenstellen können:


Die ganze Angelegenheit sei so schlimm, dass dem Migrationsstrom mit einer Asylwende begegnet werden müsse:


Eine Asylwende reicht jedoch nicht, das System stehe Kopf und müsse auf die Füße gestellt werden:


Und nicht nur mit Zurückweisungen müsse der Migrationsstrom eingedämmt werden, es müsse mehr Abschiebungen geben. Doch da gebe es ja diese Abschiebe-Verhinderungs-Industrie (Dobrindt) und überhaupt sei das Rechtssystem hinsichtlich der Abschiebungen untauglich:


Die AfD sägt ebenfalls mit solchen Aussagen am Grundsätzlichen: mit "Systemparteien" und "Altparteien" werden die bezeichnet, die nicht AfD sind. "Lügenpresse" und Geschichtsrelativismus sind inzwischen ihr Markenkern.
Ich bin gespannt, wie weit die CSU diesen braunen Pfad ebenfalls begehen wird. Schmutzige Stiefel hat sie sich schon geholt. Doch es besteht wenig Anlass zur Hoffnung. Denn das braune Gestampfe sei kein Wahlkampf:


Wer es glaubt. Die Journalisten jedenfalls nicht, denn Markus Blume erntete Lacher. Überhaupt ist er ein Spaßvogel, wie der Tweet zeigt, in dem er Ordnung ankündigt und verhindern will, dass sich das Jahr 2015 wiederhole:


Wie weit der Rechtsruck der CSU gediehen ist, zeigt ein aktueller Bericht in der AZ, nach dem der österreichische Bundeskanzler statt der deutschen Bundeskanzlerin auf der Abschlusskundgebung des Wahlkampfes auftreten solle. Kein Wunder, denn mit Kurz gibt es keinen solchen Dissens wie mit Merkel.


Das ist mindestens pikant. Ein ausländischer Politiker soll in Deutschland einen Wahlkampfauftritt absolvieren. Bei Erdogan war so ein Vorgang undenkbar, ihm oder seinen Wahlkämpfern wurde es explizit verboten. Doch was kümmert die CSU eine solche Beschränkung? Eine "[g]emeinsame Überzeugung in der Zuwanderunspolitik" rechtfertigt es jedenfalls, einen Kanzler sprechen zu lassen, der mit Rechtspopulisten (FPÖ) koaliert.
Die (Denk)Welt, in der sich die CSU befindet, hält die CSU so fest umschlungen, dass sie nicht mehr merkt, wie sehr sie auf europäischer Kultur und europäischen Werten herumtrampelt. Ich glaube nicht, dass da noch leichte Schläge auf den Hinterkopf helfen. Ein Arschtritt scheint nötig. In der Wahlkabine.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Scheindebatte Asyl

Andrea Kümpfbeck hat am 20.6. in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht über die Asyldebatte in Deutschland und diese Debatte eingeordnet in die Gesamtheit aller Fluchtphänomene:


Andrea Kümpfbeck bezieht sich dabei auf den Bericht "Forced Displacement in 2017" des UNHCR. Sie nennt die zwei Beispiele Bangladesch und Südsudan und schreibt:
"Innerhalb weniger Wochen sind im vergangenen Herbst gut eine halbe Million Rohingya, Angehörige der muslimischen Minderheit Myanmars, vor den Gewaltexzessen in ihrer Heimat ins Nachbarland geflohen. Dort ist das größte Flüchtlingslager der Welt entstanden, mit dem das überforderte Bangladesch weitgehend alleingelassen wird."
"Jeder dritte Südsudanese ist in dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland auf der Flucht. 2,4 Millionen Menschen sind in den Nachbarländern Uganda, Sudan und Äthiopien untergekommen, wo auch die eigene Bevölkerung immer wieder von Hungersnöten bedroht ist."
Die AfD und die CSU überbieten sich gegenseitig, wer es wohl schafft, garstiger zu Asylbewerbern und Migranten zu sein. Die Asyldebatte spalte die Politik, "sogar die Regierung [droht] daran zu zerbrechen". Während inzwischen in Deutschland die Einreisezahlen deutlich zurückgegangen sind, berichtet das UNHCR, es seien "weltweit 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. So viele wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs".
Im krassen Gegensatz zu den Fakten steht das Verhalten der Populisten, die den "Eindruck schüren", die "Flüchtlingskrisen dieser Welt" spielten sich in Europa ab. Der Bericht der UNHCR zeigt:


Die Grafik bestätigt, was Andrea Kümpfbeck schreibt: die Flüchtlingskrisen "spielen in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten europäischer Staaten haben, einer solchen Herausforderung zu begegnen".
In Anbetracht dieser Zahl werden die Sprüche von AfD und CSU, Deutschland könne nicht allen helfen, zur ekelhaften Farce. Es kommen nicht alle. Es werden nie alle kommen. Es wollen und können nicht alle kommen. Andrea Kümpfbeck schreibt:
"Nur ein Bruchteil der Geflohenen und Vertriebenen kommt überhaupt bis an unsere Grenzen, die meisten können sich die teure Reise überhaupt nicht leisten. Oder wollen nicht weg aus ihrer Heimatregion."
Das macht die Sprüche der Populisten noch ekelhafter. Allenthalben weisen die Populisten auf die Frage hin, wie sich die angeblich so armen Flüchtlinge denn die Schlepper und die Reise überhaupt leisten können. Die einfache Antwort: Es kommen nur die in Europa an, die es sich überhaupt leisten konnten. Weil sie nicht die Ärmsten der Armen waren. Weil sie gesammelt hatten. Weil sie sich prostituiert haben. Weil sie versklavt wurden.
Die gleiche Farce ist der Versuch der Populisten, durch Abschreckung - nichts anderes ist die Asyl- und Migrationspolitik der Populisten - Flucht zu unterdrücken. Es wird als "Lösung" propagiert, was keine Lösung ist:
"Denn die Mehrzahl der Flüchtlinge verlässt ihr Land eben nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Viele flüchten vor der Klimaveränderung, besonders aus den Ländern Afrikas. Weil ihre Felder vertrocknen und nicht mehr genügend abwerfen. Weil verschobene Regenzeiten die Aussaat wegschwemmen. Weil sie dadurch ihre Familie nicht mehr ernähren können. Die meisten Flüchtlinge aber verlassen ihr Land, weil dort Korruption und Ausbeutung herrschen, Chaos und Gewalt."
Ja, es sind keine Wirtschaftsflüchtlinge, wenn in der Heimat Hunger droht, weil kein Regen mehr fällt. Oder zuviel. Bei solchen Fluchtursachen kommt auch die Entwicklungshilfe oder -politik an ihre Grenzen. Dennoch:
"Entwicklungszusammenarbeit ist der richtige Ansatz. Jeder Euro, der in Bildungs- und Ausbildungsprojekte junger Menschen in Entwicklungsländern investiert wird, ist gut angelegtes Geld. Denn wer in seiner Heimat die Chance auf ein anständiges Ein- und Auskommen hat, der will und wird auch dort bleiben. Das belegt die Statistik."
Entwicklungszusammenarbeit ist etwas, wo Deutschland allein einen gewichtigen Beitrag leisten kann. Bei klimatischen Veränderungen braucht es eine gemeinsame Anstrengung der Weltgemeinschaft. Wer sich hier auf die Nation zurückzieht, wer hier glaubt, "America First" oder "Deutschland zuerst" sei eine zielführende Devise, befindet sich auf dem Holzweg. Totholz.
Die von den Populisten am Kochen gehaltene Asyldebatte ist deshalb eine scheinheilige Debatte. Es wird behauptet, (europäische) Werte würden verteidigt - die christliche Kultur, den Sozialstaat, das Geld der Steuerzahler. Dabei geht es nur um das dumpfe Gefühl, die Flüchtlinge würden etwas bekommen, was ihnen nicht zustehe, sondern der "angestammten Bevölkerung". Das Problem wird überhöht und Scheinlösungen werden angeboten. Letztendlich verlieren die Populisten das Recht, europäische Werte für sich zu beanspruchen. Sie treten sie mit Füßen.

Freitag, 15. Juni 2018

Rechter Knall

Gregor Peter Schmitz hat in der Augsburger Allgemeinen am 15.6. den weiter anhaltenden Streit zwischen Seehofer mit seiner CSU und der Kanzlerin Merkel kommentiert:


Richtig, ein "großer Knall löst nicht alle Probleme". Und man sollte sich sicher sein, dass man ihn auslöst und nicht hat. Sonst geht es nach hinten los und es wird ein "Selbstmord aus Angst vor dem eigenen Tod".
Der Knall, das könnte ein Bruch der Union sein, ein Lossagen der CSU von der CDU. Die Vertrauensfrage. Wobei: nach den markigen Sprüchen der CSU stellt sich vielmehr die Frage, wie ein Vertrauen mit der CDU jemals wieder hergestellt werden könne. Zerrüttet ist es ohnehin bereits. Die Aussicht, tatsächlich die Koalition zu kündigen, erfolgt nicht auf dem Boden vertrauensvoller Zusammenarbeit, sondern trägt erpresserische Züge. Entweder gibt Merkel nach oder es knallt.
Gregor Peter Schmitz beschreibt die Welt, in der solche bitteren Früchte reifen:
"Von ihrer Warte sieht die Welt so aus: Die CSU ackert sich in Bayern ab, stellt eine Rekordbilanz nach der anderen auf, brennt Wahlkampf-Feuerwerke voller grandioser Vorschläge ab, bis hin zum Raumfahrtprogramm und Reiterstaffeln – doch die AfD wird in den Umfragen nicht kleiner, sondern größer. Und die Schuld darin liegt für die Anhänger dieser Denkschule in Berlin, wo Angela Merkel regiert und Horst Seehofer (der andere für die CSU-Landtagsfraktion bereitstehende Sündenbock) nicht wie erhofft durchregiert. Die AfD sei ja nicht in Bayern entstanden, sagte Ministerpräsident Söder gerade bei unserem Augsburger Allgemeine Forum, unter großem Applaus."
Sehr witzig, Herr Söder, aber reine Ablenkung. Denn in den alten Bundesländern ist die AfD in Bayern bei der letzten Bundestagswahl am erfolgreichsten gewesen und errang 12,4%. Bayern mag nicht die Geburtsstation der AfD sein, doch sie gedeiht in Bayern prächtig. Die Kurzsichtigkeit offenbart sich auch in den Erwartungen in der CSU-Welt:
"Diese Gruppe ist überzeugt: Solange die Mutter der Flüchtlingspolitik nicht weg ist, wird auch die AfD nicht verschwinden."
Das sind Vereinfachungen im Stile einer AfD, die mit #MerkelMussWeg die sozialen Medien überschwemmt. Wer so einfach denkt, denkt auch an die Endlösung aller Migrationsprobleme durch das Dichtmachen der deutschen Grenzen. Gregor Peter Schmitz dazu:
"Und schließlich: Zumindest der Glaube, dass die CSU ihrer Sorgen ledig sei, sobald Merkel abtreten muss, ist naiv."
Das Verhalten der CSU ist mehr als nur naiv. Es ist geschichtsvergessen. Der Katalysator für Merkels Grenzöffnung war im Sommer 2015 war der grausame Erstickungstod von 71 Menschen in einem luftdichten Kühllaster. Erst diese Woche wurden die hauptverdächtigen Schlepper in Ungarn zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Wie will die CSU trotz geschlossener Grenzen der Wiederholung solcher oder ähnlicher Fälle begegnen? Gar nicht, Hauptsache als Rumpelstilzchen die Grenzen geschlossen.
Zur Eingangs gestellten Frage, nach dem Tun oder dem Haben des Knalls muss beleuchtet werden, ob es zur Aufrechterhaltung von Recht, Rechtsstaatlichkeit und Ordnung - das sind ja die behaupteten Absichten der CSU - überhaupt zulässig ist, die Grenzen zu schließen. Die AZ hat hierzu einige Fakten und Bewertungen zusammengestellt. Ein paar Auszüge:
"Eigentlich müssen laut EU-Recht Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie als Erstes europäischen Boden betreten, sagt der Bielefelder Staatsrechtler Christopher Gusy. 'Das Problem ist, dass viele Flüchtlinge in den Ankunftsstaaten weder einen Asylantrag gestellt haben noch dort registriert wurden.' Wenn nicht eindeutig klar sei, welches das Ankunftsland ist, könne man einen Betroffenen kaum dorthin zurückschicken."
"'Die herrschende Meinung unter den deutschen Europarechtlern lautet, dass es im Regelfall rechtlich nicht zulässig ist, in einem anderen Land bereits registrierte Asylbewerber einfach an der Grenze zurückzuschicken', sagt der Staatsrechtler Walther Michl von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. 'Es ist aber umstritten, ob sich Deutschland auf eine Ausnahmeklausel der europäischen Verträge berufen kann, wenn es die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht sieht', sagt der Europarechts-Experte. Allerdings sei diese Rechtsfrage kompliziert, da die Voraussetzungen umstritten seien und zudem die EU-Grundrechte-Charta gelte. Minderjährige Flüchtlinge oder solche mit engen Verwandten in Deutschland könnten in kaum einem Fall zurückgewiesen werden."
"Verfassungsrechtler Gusy sieht die Sache klar: 'Die Kanzlerin kann praktisch jede Regierungsangelegenheit zur Richtlinie machen – oder wie es heute heißt: zur Chefsache', betont er. 'Ich sag’s mal auf gut Bairisch: Der Ober sticht den Unter', sagt der Professor. "
Also: Die CSU will trotz erheblicher rechtlicher Bedenken und entgegen der herrschenden Meinung Einreisewillige an der Grenze zurückschicken. Die CSU behauptet ferner, Seehofer könne das entscheiden, weil es seine Ressortverantwortung wäre, und ignoriert dabei die Darstellung des Verfassungsrechtlers Gusy, der sicherlich keine Einzelmeinung hat. Die CSU will Recht und Ordnung herstellen, steht dabei auf rechtlich wackeligem Boden. Ist das noch Wahlkampf oder dämmert bereits eine neue Herrschaft des Unrechts herauf?
Die ganze Aktivität der CSU ist vor allem ihrer Angst vor der AfD geschuldet und dem kurzsichtigen Unterfangen, die AfD rechts überholen zu wollen. Damit ist aber auch klargestellt: Knall hat man in der CSU, einen rechten Knall. Verursachen wird sie bestenfalls eine Knallerei.

Mittwoch, 13. Juni 2018

Zerreißprobe

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 13.6. den eskalierenden Streit innerhalb der Union kommentiert, der entbrannte, als Seehofer die Vorstellung seines Masterplans zur Flüchtlingspolitik vorerst absagen musste:


Bernhard Junginger nennt den Streit über die Flüchtlingspolitik notdürftig zugekleistert. Ja, bestenfalls. Ich frage mich, wie viele Schichten Kleister über diesen Riss bereits gepinselt sind. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl gab es einen Riss, während der Koalitionsverhandlungen und auch sonst lässt die CSU keine Gelegenheit aus, mit Forderungen nach mehr Härte Politik betreiben zu wollen. Nach Obergrenze, Ankerzentren, Leitkultur geht es nun um ein neues Thema:
"Jetzt geht es um das Zurückweisen von Flüchtlingen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. Im Kern steht die Frage, ob Deutschlands Grenzen unter allen Umständen für alle Flüchtlinge offen sein müssen. Dass Seehofer nicht dieser Meinung ist, ist bekannt. Jetzt kann er sich sogar auf den Koalitionsvertrag berufen, in dem es heißt: 'Bis der Schutz der EU-Außengrenzen effektiv funktioniert, sind Binnengrenzkontrollen vertretbar.'
Kontrollen an den Grenzen haben aber nach der Seehofer-Lesart keinen Sinn und tragen erst recht nichts zur Steuerung und Begrenzung von Migration bei, wenn Zurückweisungen nicht möglich sind."
Bernhard Junginger zitiert aus dem Koalitionsvertrag, nach dem Kontrollen an den Binnengrenzen vertretbar seien. Und er verweist auf Seehofers Lesart, nach der nur Zurückweisung an den Grenzen zu sinnvoller "Steuerung und Begrenzung von Migration" beitrage. Bisher waren die Kontrollen nur notwendig, weil ein Land wissen müsse, wer einreist. Nun soll die Grenze un-, mindestens schwer überwindbar werden. Das steht sicherlich nicht im Koalitionsvertrag. Seehofer dreht und wendet es sich zurecht nach Belieben.
Zu wie viel Fantasie die CSU fähig ist, zeigt auch ein Tweet der CSU-Fraktion im Bundestag:


Ja, es ist Rechtslage in Europa, dass das Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Antragsteller erstmals europäischen Boden betreten hat. Es ist aber auch Rechtslage, dass ein anderes Land das Asylverfahren an sich ziehen kann. Was kümmern die CSU Rechtslagen, wenn sie der eigenen Rechtslage, vielmehr: Rechtsdrall, im Wege stehen? Nichts.
Bemerkenswert ist das Verhalten der CSU vor dem Hintergrund europäischer Werte, die sie angeblich verteidigen will. Merkel will bestimmte rote Linien nicht überschreiten, sie orientiert sich an Werten, die Europa ausmachen: Die Flüchtlingsfrage müsse gemeinsam in Europa geklärt werden und nicht national, zu Lasten anderer Länder. Die Behandlung von Flüchtlingen muss sich an Menschlichkeit orientieren, auch wenn es dazu einiger Anstrengung bedarf. Das einzige Argument der CSU:


Das hat das Argumentationsniveau einer AfD. Auf diesem Niveau spielen Werte keine Rolle mehr, es geht nur um Zustimmung. Die Zustimmung wird erreicht durch emotional aufgeladene Themen, betrachtet aus der Ich-Perspektive. Wo Merkel einen europäischen Weg sucht, setzt sich die CSU auf ein Gleis mit der AfD, mit Orbán, mit Trump, die rücksichtslos die angeblichen Interessen der eigenen Leute durchsetzen wollen.
Ist das schon populistisch? Das alleine nicht. Aber wenn die Begründung für politische Ziele nur an einem Bevölkerungswillen - vulgo: Volkswille - ausgerichtet und diese Begründung mit Aussagen im Stile der klar populistischen AfD garniert wird, dann ist es populistisch. Die #AFDkopie Aussage kam von der CSU am 12. Juni auf Twitter:


Es ist weniger das Bild, es ist der Text zum Bild:
"#Asylwende jetzt! Dauerbelastung durch den #Migrationsstrom muss eingedämmt werden. #CSU"
Solche Aussagen strafen die CSU Lügen, die sich von den bösen Rechten der AfD distanzieren will, und dennoch mit ihnen das Tanzbein schwingt. Wer so spricht, will sich nicht von den Rechtspopulisten distanzieren. Wer so spricht, will mit Rechtspopulismus Erfolge einfahren und hofft, dabei nicht erwischt zu werden. Wer so spricht, stellt sich selbst vor eine Zerreißprobe: Wie lange gelingt der Spagat zwischen Populismus und der Behauptung europäischer Werte, bevor es einen zerreißt?
Bernhard Junginger schreibt am Ende seines Kommentars:
"Eine Eskalation des Streits ist kaum noch zu vermeiden. Einfach rauswerfen aber kann Merkel den Chef des Unions- und Koalitionspartners CSU ja nicht – denn dann wäre ihre Regierung sofort am Ende."
Ja, die Sturheit der CSU wird zur Eskalation führen. Wenn nicht: siehe oben, es wird gekleistert, nicht aber gelöst werden. Würde sich Merkel trauen, das Rumpelstilzchen rauszuwerfen, könnte die Regierung am Ende sein. Eine Lösung wäre das kaum, weil die CSU auf Krawall gebürstet ist. Es würde niemand nachrücken können, der nicht den selben Konfrontationskurs führe. Ein politisches Debakel.

Montag, 4. Juni 2018

Gaulandschiss

Bernhard Junginger hat einen Debattenbeitrag geliefert zur Aussage von Alexander Gauland, Hitler und die Nazis seien nur "ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte":


Bernhard Junginger mutmaßt zu Recht, der provozierte Eklat sei kein Zufall:
"Die Rechtspopulisten brauchen dringend Aufmerksamkeit."
Wo manch zittrige AfD-Hand auf Mäusen ausrutscht, wird Alexander Gauland wissen, was er wo sagt. Denn Aufmerksamkeit ist der Treibstoff, der Populisten am Leben hält. Dabei ist der Ablauf immer gleich:
"Und so wichtig es ist, jede einzelne hetzerische Aussage als eben solche zu entlarven, der Verlauf der Auseinandersetzungen folgt längst einer vorhersehbaren Dramaturgie: Auf schmutzelnde AfD-Polemik nach dem Motto 'man wird ja wohl noch sagen dürfen...', folgt die empörte Reaktion im Rest-Parlament. Die wiederum die AfD zum Anlass nimmt, sich als unschuldiges Opfer fieser Attacken mit der 'Nazi-Keule' zu stilisieren. Man habe doch schließlich alles ganz anders gemeint..."
Trotz der Vorhersehbarkeit der Abläufe: solche Aussage solcher Populisten dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Allerdings ist große Erregung wenig hilfreich, weil das nur die Lautstärke erhöht, den Kritiker unprofessionell erscheinen und die Kritik wirkungslos verpuffen lässt.
Abseits der Aufmerksamkeit stellt sich die Frage nach dem Zweck solcher Aussagen solcher Populisten. Bernhard Junginger schreibt:
"Galt der Jurist und Historiker noch vor kurzem als Leitfigur der enttäuschten Konservativen, verspielt er nun die allerletzten Reste des Anscheins bürgerlicher Anständigkeit, den gerade er so sorgsam gepflegt hat. Der frühere CDU-Mann und Publizist hat die AfD auf einen stramm-rechten Kurs getrimmt, die einstige Anti-Euro-Partei zu einem Sammelbecken radikaler Kräfte gemacht."
Vor diesem Hintergrund: War die Provokation wirklich nur eine Provokation? Wenn die AfD einen deutschen Patriotismus will, bei dem die Nazizeit nicht nur Schande war (schließlich seien die Autobahnen gebaut worden), dann erscheint die Provokation in einem anderen Licht. Gauland will historische Ereignisse nicht mehr an ihrem historischen Gewicht messen, sondern an ihrer Dauer. Dann wird die Nazizeit eben kleingeredet auf ein gutes Prozent des gesamten historischen Denkhorizonts. Da fügt sich der Klimawandel ein, dessen Existenz mit Beispielen einzelner Jahre und Monate überhaupt negiert wird. Da lassen sich auch Atombombenabwürfe als wenig relevant abstempeln, weil der Knall nur von sehr kurzer Dauer war.
Doch warum das Ganze? Politische Qualität im Sinne von nachhaltigen Lösungen für echte Probleme kann die AfD nicht vorweisen.
"Doch Gauland denkt über den Moment hinaus. Er weiß, dass für seine Partei, die in Sachfragen schwach aufgestellt oder – wie in der Rentenpolitik – zerstritten ist, die Fundamentalkritik an der Flüchtlingspolitik wichtigstes 'Verkaufsargument' bleibt."
Fundamentalkritik mag verlockend sein, solange es genügend Kritikpunkte gibt oder sich solche leicht beschaffen lassen und das geneigte Publikum es hören mag. Werden Probleme wirklich gelöst, wird das Publikum bald weghören:
"Dann könnte es mit den AfD-Erfolgen schnell vorbei sein – zumindest bei enttäuschten Bürgerlichen und Protestwählern aus abgehängten Regionen. Gauland bliebe nur noch der äußerste rechte Rand, an dem völkische Parolen und Geschichtsrevisionismus gedeihen. Dem biedert er sich schamlos an."
Gelänge es Gauland, tatsächlich seine Umwertung historischer Bewertungen zu realisieren, würde er nicht nur am äußersten rechten Rand erfolgreich sein können. Er könnte, wenn er sich nicht zu weit als Nazifreund geriert, für alle die interessant werden, die sich mit dem Argument, patriotisch zu sein, an der Grenze zum Nationalen entlanghangeln. Dann würde aus dem Schiss von Gauland ein großer Haufen.