Mittwoch, 13. Juni 2018

Zerreißprobe

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom 13.6. den eskalierenden Streit innerhalb der Union kommentiert, der entbrannte, als Seehofer die Vorstellung seines Masterplans zur Flüchtlingspolitik vorerst absagen musste:


Bernhard Junginger nennt den Streit über die Flüchtlingspolitik notdürftig zugekleistert. Ja, bestenfalls. Ich frage mich, wie viele Schichten Kleister über diesen Riss bereits gepinselt sind. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl gab es einen Riss, während der Koalitionsverhandlungen und auch sonst lässt die CSU keine Gelegenheit aus, mit Forderungen nach mehr Härte Politik betreiben zu wollen. Nach Obergrenze, Ankerzentren, Leitkultur geht es nun um ein neues Thema:
"Jetzt geht es um das Zurückweisen von Flüchtlingen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. Im Kern steht die Frage, ob Deutschlands Grenzen unter allen Umständen für alle Flüchtlinge offen sein müssen. Dass Seehofer nicht dieser Meinung ist, ist bekannt. Jetzt kann er sich sogar auf den Koalitionsvertrag berufen, in dem es heißt: 'Bis der Schutz der EU-Außengrenzen effektiv funktioniert, sind Binnengrenzkontrollen vertretbar.'
Kontrollen an den Grenzen haben aber nach der Seehofer-Lesart keinen Sinn und tragen erst recht nichts zur Steuerung und Begrenzung von Migration bei, wenn Zurückweisungen nicht möglich sind."
Bernhard Junginger zitiert aus dem Koalitionsvertrag, nach dem Kontrollen an den Binnengrenzen vertretbar seien. Und er verweist auf Seehofers Lesart, nach der nur Zurückweisung an den Grenzen zu sinnvoller "Steuerung und Begrenzung von Migration" beitrage. Bisher waren die Kontrollen nur notwendig, weil ein Land wissen müsse, wer einreist. Nun soll die Grenze un-, mindestens schwer überwindbar werden. Das steht sicherlich nicht im Koalitionsvertrag. Seehofer dreht und wendet es sich zurecht nach Belieben.
Zu wie viel Fantasie die CSU fähig ist, zeigt auch ein Tweet der CSU-Fraktion im Bundestag:


Ja, es ist Rechtslage in Europa, dass das Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Antragsteller erstmals europäischen Boden betreten hat. Es ist aber auch Rechtslage, dass ein anderes Land das Asylverfahren an sich ziehen kann. Was kümmern die CSU Rechtslagen, wenn sie der eigenen Rechtslage, vielmehr: Rechtsdrall, im Wege stehen? Nichts.
Bemerkenswert ist das Verhalten der CSU vor dem Hintergrund europäischer Werte, die sie angeblich verteidigen will. Merkel will bestimmte rote Linien nicht überschreiten, sie orientiert sich an Werten, die Europa ausmachen: Die Flüchtlingsfrage müsse gemeinsam in Europa geklärt werden und nicht national, zu Lasten anderer Länder. Die Behandlung von Flüchtlingen muss sich an Menschlichkeit orientieren, auch wenn es dazu einiger Anstrengung bedarf. Das einzige Argument der CSU:


Das hat das Argumentationsniveau einer AfD. Auf diesem Niveau spielen Werte keine Rolle mehr, es geht nur um Zustimmung. Die Zustimmung wird erreicht durch emotional aufgeladene Themen, betrachtet aus der Ich-Perspektive. Wo Merkel einen europäischen Weg sucht, setzt sich die CSU auf ein Gleis mit der AfD, mit Orbán, mit Trump, die rücksichtslos die angeblichen Interessen der eigenen Leute durchsetzen wollen.
Ist das schon populistisch? Das alleine nicht. Aber wenn die Begründung für politische Ziele nur an einem Bevölkerungswillen - vulgo: Volkswille - ausgerichtet und diese Begründung mit Aussagen im Stile der klar populistischen AfD garniert wird, dann ist es populistisch. Die #AFDkopie Aussage kam von der CSU am 12. Juni auf Twitter:


Es ist weniger das Bild, es ist der Text zum Bild:
"#Asylwende jetzt! Dauerbelastung durch den #Migrationsstrom muss eingedämmt werden. #CSU"
Solche Aussagen strafen die CSU Lügen, die sich von den bösen Rechten der AfD distanzieren will, und dennoch mit ihnen das Tanzbein schwingt. Wer so spricht, will sich nicht von den Rechtspopulisten distanzieren. Wer so spricht, will mit Rechtspopulismus Erfolge einfahren und hofft, dabei nicht erwischt zu werden. Wer so spricht, stellt sich selbst vor eine Zerreißprobe: Wie lange gelingt der Spagat zwischen Populismus und der Behauptung europäischer Werte, bevor es einen zerreißt?
Bernhard Junginger schreibt am Ende seines Kommentars:
"Eine Eskalation des Streits ist kaum noch zu vermeiden. Einfach rauswerfen aber kann Merkel den Chef des Unions- und Koalitionspartners CSU ja nicht – denn dann wäre ihre Regierung sofort am Ende."
Ja, die Sturheit der CSU wird zur Eskalation führen. Wenn nicht: siehe oben, es wird gekleistert, nicht aber gelöst werden. Würde sich Merkel trauen, das Rumpelstilzchen rauszuwerfen, könnte die Regierung am Ende sein. Eine Lösung wäre das kaum, weil die CSU auf Krawall gebürstet ist. Es würde niemand nachrücken können, der nicht den selben Konfrontationskurs führe. Ein politisches Debakel.

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