Sonntag, 10. September 2017

Rechte Katastrophe?

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 10.9. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er den erwartbaren Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag als historische Zäsur bezeichnet und eine "harte Auseinandersetzung in der Sache" als nötig bezeichnet:


Walter Roller bezeichnet es als "Zäsur in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik", dass voraussichtlich "eine dezidiert rechte Partei in den Bundestag" einziehe. Damit behaupte sich eine "'demokratisch legitimierte Partei' [...] - eine neue Konkurrenz, die vornehmlich in den schon kleiner gewordenen Revieren der Volksparteien" wildert.
Die Vokabel "wildern" passt hervorragend, wie Walter Roller ausführt:
"Sie bündelt den Protest, der sich gegen das 'System' und den großkoalitionären Einheitsbrei angesammelt hat. Sie lebt vom weit verbreiteten Unbehagen an der Massenzuwanderung von Muslimen. Sie lockt heimatlos gewordene Konservative an, die sich in der von Merkel 'modernisierten' Union nicht mehr zuhause fühlen."
Der bei der Wahl sich voraussichtlich ergebende Einzug der AfD in den Bundestag ist richtig eingeordnet:
"Für eine nationalkonservative Partei, die dem vielfältigen Protest Gehör und Stimme verleiht, ist durchaus Platz im Bundestag."
Das Problem dabei beschreibt Walter Roller zutreffend:
"Das Problem ist, dass sich die AfD mit ihren Parolen und kühl inszenierten Provokationen zunehmend am rechten Rand des Spektrums bewegt und zu einer in beträchtlichen Teilen offen rechtsradikalen Bewegung geworden ist."
Ja, Deutschland verträgt eine konservative Partei im Bundestag. Es verträgt auch eine, die sich "am rechten Rand des Spektrums bewegt". Wenn die braune Brühe dann überschwappt und im Rechtsradikalismus einen Tümpel bildet, ist der im Parlament immer noch besser aufgehoben als in irgendwelchen Hinterhöfen. Im Parlament wird keine Äußerung unwidersprochen bleiben. In Hinterhöfen erklingt dagegen Applaus. Im Parlament werden die Medien berichten, im Hinterhof köchelt das Ganze im eigenen Saft auf der Flamme Gleichgesinnter. Deshalb: Zäsur ja, Katastrophe nein.
Bereits im März 2016 hatte Walter Roller geschrieben:
"Vonnöten ist neben einer harten argumentativen Auseinandersetzung in der Sache, die Lösung von Problemen."
Heute schreibt er:
"Eine AfD, die Volkshetze betreibt und das Klima vergiftet, sollte auf den entschiedenen Widerstand aller Demokraten treffen. Nicht in Form des Ausgrenzens und Ignorierens, sondern – woran es leider hapert – durch knallharte inhaltliche Auseinandersetzung. Argumente und das Aufzeigen politischer Lösungen sind die besten Mittel, um konservative Wähler von radikalen Experimenten abzuhalten."
Im Grunde ist die Forderung richtig. Allerdings hat sie einen Haken, der sich am Beispiel von Donald Trump darstellen lässt. Donald Trump behauptet, der Klimawandel existiere nicht, sei von den Chinesen erfunden, um Amerika zu schwächen. Mit dieser Meinung steht er gegen fast die gesamte Wissenschaft, die mit großer Mehrheit von einem von Menschen gemachten Klimawandel ausgeht. Trumps Wähler folgen ihm bei seinen Ansichten, auch gegen wissenschaftliche Argumente.
Die AfD argumentiert ähnlich:
"Die Aussagen des Weltklimarats, dass Klimaänderungen vorwiegend menschengemacht seien, sind wissenschaftlich nicht gesichert. Sie basieren allein auf Rechenmodellen, die weder das vergangene noch das aktuelle Klima korrekt beschreiben können."
Neben einer Leugnung des Klimawandels wird die zu Grunde liegende wissenschaftliche Methode "Rechenmodelle" in Zweifel gezogen und als obskur hingestellt.
Eine harte argumentative Auseinandersetzung kann nur stattfinden, wenn eine Diskussionsbasis vorhanden ist. Die AfD ruft bei jeder Gelegenheit "Lügenpresse", Mainstream-Medien würden nicht die Wahrheit berichten. Verschwörungstheorien untermauern, warum alles Lüge sei, wobei je nach Thema Juden, Eliten, Industrie, Politik etc. die Verschwörer seien. Hier kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung in Gang. Die AfD entzieht sich einer solchen Auseinandersetzung bei jeder Gelegenheit und mit vielerlei Mitteln:
  • Mainstream und Lügenpresse verlauten nur Unwahrheiten, was allen über diese Kanäle transportierten Argumenten das Etikett "Falsch" umhängt und nicht mehr diskutiert werden muss.
  • Die AfD sei auf vielfältige Weise Opfer einer Verschwörung des Establishments, sei es, dass sie nicht in Fernsehsendungen eingeladen wird, sei es, dass ihr Mietverträge gekündigt werden. Eine Diskussion mit einem solchen Establishment lohnt nicht.
  • Die von der AfD angesprochenen Probleme zielen teilweise auf tatsächliche Probleme. Auf dieser Ebene wäre eine Diskussion möglich. Allerdings werden von der AfD die Ursachen und Lösungen soweit vereinfacht, dass eine weitere Diskussion erstickt wird.
Ferner kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung zu Stande, wenn sich - wie zuletzt in Fernsehsendungen - alle auf die AfD einschießen und die Veranstaltung in Gebrüll, gegenseitigem Unterbrechen und Flucht aus dem Studio endet.
Das zeigt zweierlei:
  1. Es ist nicht erwiesen, dass die AfD-Anhänger für eine inhaltliche Auseinandersetzung zugänglich sind und sich davon ernstlich beeinflussen ließen. In den neuen Bundesländern hat die AfD ein hohes Stimmenpotential mit ihrer auf Migranten zielenden Politik, obwohl in den neuen Bundesländern wenig Migranten leben.
  2. Die Gegner der AfD haben bislang kein Mittel gefunden, mit dem sie erfolgreich Inhalte auseinandersetzen könnten. Es wird nicht reichen, beispielsweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse hinzuweisen. Eine solche Argumentation zielt auf den Kopf und wird niemanden beeindrucken, der "mit dem Bauch" für die AfD ist.
Walter Roller schreibt zu Schluss:
"Auf Dauer behaupten kann sich die AfD nur, wenn sie die radikalen Kräfte in ihren Reihen zurückdrängt und seriöse, über jeden demokratischen Zweifel erhabene Oppositionsarbeit betreibt – wonach es, zur Stunde jedenfalls, nicht aussieht."
Nein, sie muss für einen dauerhaften Aufenthalt im Parlament keine "über jeden demokratischen Zweifel erhabene Oppositionsarbeit" leisten. Es würde reichen, wenn sie sich dauerhaft als Stimme der besorgten Bürger, der Wutbürger, der Ohne-die-vielen-Ausländer-wäre-alles-viel-besser-Gläubigen festsetzen kann. Die Oppositionsarbeit würde sich dabei auf eine Art Geschrei beschränken können, die nichts mit qualitätsvoller Parlamentsarbeit zu tun haben muss.
Mit Genugtuung stimme ich jedoch Walter Rollers Einschätzung zu, dass es zur Stunde nicht danach aussieht, die AfD könne die Oppositionsarbeit leisten. Sie wird politische Anfänger in den Bundestag entsenden, die mit einer Schultüte in der Hand durch die Parlamentsgänge mäandern. Es wird auch einige Zeit dauern, bis sie sich überhaupt soweit organisiert haben, dass sie parlamentarisch arbeiten können.
Walter Roller schreibt:
"Die Deutschen haben, klug geworden aus historischer Erfahrung, ein feines Gespür für die Gefahren, die von einer radikalen, zum völkischen Ressentiment neigenden Politik ausgehen."
Mag sein. Das feine Gespür ist besonders gefordert, wenn eine zurückhaltende Rhetorik wie von Alice Weidel verwendet wird. Nicht alle in der AfD sind grobe Klötze, denen die völkischen Ressentiments aus jeder Pore dünsten. Bei manchen Positionen sind CSU und AfD nicht weit auseinander, konsequente Abschiebungen zum Beispiel. Die Deutschen müssen sich fragen, wie viel rechte Politik sie als konservativ durchgehen lassen und wo sie die Grenze ziehen wollen. Und genau hinsehen, welche Ansprüche sie an eine im Bundestag vertretene Partei stellen. Bei der nächsten Wahl können sie dann neu entscheiden.

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