Sonntag, 24. September 2017

Das Ende

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 23.9. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er Angela Merkel als zukünftige Kanzlerin erwartet und hofft, dass nicht noch einmal eine große Koalition den demokratischen Diskurs einschränkt:


Walter Roller schreibt:
"Der in allen Umfragen gemessene Vorsprung der Union ist zu groß, als dass er im Endspurt noch wettgemacht werden könnte. Das Rennen um das Kanzleramt ist gelaufen."
Auch wenn Demoskopen sich um einige Prozentpunkte verschätzen sollten, dürfte das Ergebnis für den ersten und zweiten Platz keine Überraschung bergen. Allerdings:
"Bis zur letzten Minute spannend sind der Kampf um Platz drei [...]"
Außerdem spannend, welche Regierung tatsächlich gebildet werden wird:
"Spannend bleibt, mit wem Merkel künftig regiert. Da es in einem Sechs-Parteien-System wohl weder für Schwarz-Gelb noch für Schwarz-Grün reicht, bleiben nur zwei Optionen: die Fortführung der Großen Koalition oder 'Jamaika', ein für deutsche Verhältnisse exotisch und labil anmutendes Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen. Der Wähler weiß also nicht genau, was er für seine Stimme bekommt."
Denkbar wäre auch eine Minderheitsregierung - kaum zu erwarten, dass sich Merkel darauf einließe. Es ist für die Demokratie kein Schaden, wenn der Wähler vor der Wahl nicht genau weiß, "was er für seine Stimme bekommt". Denn:
"Die Demokratie lebt vom Mitmachen der Bürger und einer zivilisierten Streitkultur im Ringen um den richtigen Weg."
Das Ringen um den richtigen Weg findet vor und nach der Wahl statt. Die Sondierung von Koalitionsmöglichkeiten und das Verhandeln eines Koalitionsvertrages ist Teil des demokratischen Spiels. Am Ende dieser Suche mag eine Politik stehen, die sich in der Form in keinem einzelnen Wahlprogramm der beteiligten Parteien findet.
Walter Rollers Hinweis, dass Bürger mitmachen müssen, ist richtig. Die Bürger sind der Souverän. Die AfD behauptet, sich das Land wieder zurück zu holen. Sie behauptet dabei eine "Enteignung" des Landes durch die Eliten. Das Volk solle - wie ein Bestohlener - vom Dieb das Eigentum zurückholen. Walter Roller kommentiert:
"Spannend ist der Aufstieg der rechten AfD, die nun eine große Bühne für ihre nationalistischen, teils völkisch-dumpfen Parolen erhält."
Den Aufstieg der AfD mag man spannend nennen. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass sie nun die "große Bühne für ihre nationalistischen, teils völkisch-dumpfen Parolen" nutzen wird. Das ist ihr gutes Recht als im Bundestag vertretene Partei in der Opposition. Auf einer großen Bühne auftreten zu dürfen, heißt noch lange nicht, die Bühne auch auszufüllen. Spannend wird, welches Schauspiel die AfD zeigen wird.
Walter Roller wünscht sich keine weitere große Koalition und schreibt zur Begründung:
"Es war kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Parlamentarismus, dass epochale Entscheidungen wie die Grenzöffnung oder die Euro-Rettungspolitik vom Bundestag mit erdrückenden Mehrheiten durchgewunken wurden und weite Bevölkerungskreise mit ihren Einwänden weder Stimme noch Gehör fanden. Auch dies hat im Übrigen maßgeblich zum Erfolg der AfD beigetragen."
Richtig ist, dass die große Koalition eine erdrückende Mehrheit hatte: von 630 Sitzen waren 502 Sitze von CDU, CSU und SPD. In einer solchen Konstellation gerät die Opposition unter die Räder, weil beispielsweise auch in Ausschüssen die Regierung eine übermächtige Gruppierung stellt. Zudem ist mit der FDP, die nicht im Bundestag vertreten war, eine mögliche Oppositionspartei nicht präsent gewesen. Im zukünftigen Bundestag wird die AfD dafür sorgen, dass Oppositionsarbeit mit großer Lautstärke betrieben werden wird. Diese Lautstärke wird sich in der Bevölkerung fortsetzen, wie der Wahlkampf mit den Schrei- und Pfeiforgien gezeigt hat. Der zukünftige Bundestag wird also nicht so von der Regierung erdrückt werden können wie der vergangene. Deshalb wäre eine weitere große Koalition kein fauliges "Ruhmesblatt in der Geschichte des Parlamentarismus".
Walter Roller sieht die "erdrückenden Mehrheiten", die "weite Bevölkerungskreise mit ihren Einwänden" überhörten, als maßgeblich für den Erfolg der AfD. Er schreibt ferner:
"Die etablierten Parteien sollten daraus [Aufstieg der AfD, Anm.] lernen, dass der von der Flüchtlingskrise profitierenden Protestpartei nicht mit Ausgrenzung und Dämonisierung, sondern nur mit harten Argumenten sowie dem Benennen und Lösen von Problemen beizukommen ist."
Die AfD begann 2013 als Partei gegen den Euro. Der Euro sollte demnach Schuld sein an einer drohenden Verarmung in Europa. Später kamen Flüchtlinge, Asyl und Migration als Gefährder hinzu. Gleich blieb die Argumentationslinie: Den Bürgern stünde etwas zu und das würde von außen bedroht. Wo es anfangs um einen Rückzug aus Europa ging, wurde zunehmend und mit Wechsel der Gefährder das Nationale bis in den Nationalismus hinein betont. Gegen ein Mir-steht-etwas-zu-Gefühl wird eine "vernünftige Politik" nur bedingt helfen.
Walter Roller wendet sich gegen "Ausgrenzung", fordert harte Argumentation und das "Benennen und Lösen von Problemen". Grundsätzlich richtig. Allerdings ist nicht jede Sau, die von der AfD durch das Dorf getrieben wird, ein Problem, das benannt und gelöst werden muss. Andererseits ist nicht alles, was die AfD als Problem benennt, Fiktion und Einbildung. Im Parlament mögen Argumente verfangen, in die Echokammern der sozialen Netzwerke, in denen die AfD sehr aktiv und erfolgreich ist, dringen sie nicht vor. In diesen Echokammer wird die Welt gezeichnet von der Jungen Freiheit, von RT Today und anderen. Alles andere ist Lügenpresse, Establishment, manchmal Volksverräter.
Im Parlament wird sich dennoch die Frage stellen, mit wem von der AfD in "einer zivilisierten Streitkultur im Ringen um den richtigen Weg" Gespräche möglich sind. Ein Sitz im Parlament ist kein Garant für eine solche Kultur, wie Landesparlamentarier der NPD - geprägt von Ahnungslosigkeit und Egozentrik - gezeigt haben. Sollten sich einzelne Teufel im Gewand der AfD in das Parlament schleichen, dürfen sie als Teufel offenbart werden. Eine Argumentation setzt beim Gegenüber voraus, sich die Argumente überhaupt anhören zu wollen. Wer sich hier bereits der "zivilisierten Streitkultur" verweigert, braucht sich über ausbleibende Einladungen nicht zu wundern.
Walter Rollers Einschätzung darüber, wie spannend der Wahlkampf war, trifft zu. Doch die Spannung ist mit dem Schließen der Wahllokale nicht zu Ende. In den kommenden Jahren wird sich erweisen, welches "Ruhmesblatt in der Geschichte des Parlamentarismus" der Einzug der AfD in das Parlament und der Umgang der anderen Parteien mit dem Neuankömmling werden wird. Die Frage, ob eine große Koalition gebildet werden wird oder nicht, ist dagegen nur eine Eintagsfliege.

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