Donnerstag, 18. August 2016

Walter Rollers Klartext

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 18.8. einen Leitartikel von Walter Roller:


Walter Roller schreibt:
"Liebend gern hätte die Bundesregierung weiter geheim gehalten, was nun ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist und die deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern wird: Die Türkei hat sich nach Einschätzung von Kanzleramt und Innenministerium zur 'zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt'."
Der erste Satzteil ist sicher richtig, da er mangelhafte Abstimmung zwischen den Ministerien sowie fehlende Geheimhaltung vertraulicher Unterlagen offenbart. Das ist unprofessionell, ja peinlich. Der letzte Satzteil, der die Rolle der Türkei als große Neuigkeit präsentiert, bringt keine Neuigkeit. Es ist nicht neu, dass Erdogan "als Pate und Förderer diverser islamistischer, auch terroristischer Gruppen fungiert". Seit Jahren schon.
Beispiel Muslimbruderschaft:  Das sind diejenigen, die in Ägypten nach dem Umsturz und dem Sturz Mubaraks 2011 demokratische Wahlen gewannen und die auch für den Westen willkommene Gesprächspartner waren. Noch vor einem Jahr schreibt die Welt:
"Sind die Muslimbrüder Terroristen? Die Frage lässt sich zunächst mal mit Nein beantworten. Darin sind sich Experten und westliche Geheimdienste einig. Bisher zumindest – und bezogen auf Ägypten."
Erdogan soll die Kooperation nun zum Vorwurf gemacht werden? Da stellt sich ein schaler Beigeschmack ein. Weiter schreibt Walter Roller:
"Sogar der 'Islamische Staat' (IS) konnte offenbar lange auf die klammheimliche Unterstützung Ankaras zählen, das Dschihadisten aus ganz Europa ungehindert durch die Türkei Richtung Syrien ziehen ließ.
Um den syrischen Despoten Assad zu stürzen, seinen Einfluss in der Region zu mehren und einen Kurdenstaat zu verhindern, scheint Erdogan jedes Mittel recht."
Der Westen findet auch nichts dabei, sich sogenannter gemäßigter Rebellen gegen Assad zu bedienen. Sogar Waffenlieferungen werden befürwortet. Im Kampf gegen den IS ist man sich einig, wobei zum Beispiel Russland und die USA sich nicht völlig einig sind, welche Gruppe wo zuzuordnen ist. Walter Roller schreibt weiter:
"Seine (Erdogans, Anm.) ideologische Nähe zu den Muslimbrüdern und sein großtürkischer Traum, zum Führer der arabischen Massen aufzusteigen – das sind zwei Seiten einer Medaille."
Ja. Beide streben einen Staat an, in dem islamische Geschichte, Kultur und Religion (vgl. Panislamismus) die tragende Rolle spielen. Die Methode Erdogan ist vor allem eine, in der äußere Feinde als Werkzeug der inneren Einigung dienen: die Kurden, die Gülen-Bewegung, Europa, der Westen insgesamt. Solange die Feindbilder funktionieren, wird sich Erdogan kaum von den Feinden dreinreden lassen.
Erdogan - vielmehr seine Anhänger - werden sich erst bewegen, wenn sie ihren Weg als problematisch erkennen. Zumindest die Wirtschaft zeigt bereits erste Dellen. Der Tourismus wendet sich von der Türkei ab und Spanien zu, wie die FAZ zeigt:


Der Wechselkurs der Türkischen Lira zum Euro schwankt stark, die "Börse brach ein, türkische Staatsanleihen gerieten unter Druck", wie der ORF schreibt. Das wird vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs unter Erdogan in den letzten Jahren eher zu Zweifeln in der Bevölkerung führen als Einmischungen von außen.
Walter Roller stellt selbst fest:
"Richtig ist: In der Politik kann man sich seine Freunde und Gesprächspartner nicht aussuchen [...]"
Ja. Deshalb muss genau überlegt werden, ob es sinnvoll ist, Gespräche mit der Türkei abzubrechen oder ob nicht mehr erreicht werden kann mit klaren Worten zu Menschenrechten, Demokratieverständnis und Staatsverständnis. Ein Abbruch der Gespräche würde nur das Feindbild Europa verstärken, er würde es Erdogan ermöglichen, Europa als wortbrüchig darzustellen. Der Abbruch wäre kein Signal, das beim gemeinten Empfänger verstanden würde. Die kritisierbare Zurückhaltung Merkels als allein von der Angst vor der Aufkündigung des Flüchtlingsdeals motiviert darzustellen, greift zu kurz: Die Balkanroute ist nicht offen, die Hoffnung der Flüchtlinge auf einen Reiseweg über die Türkei und weiter nach Europa also ohnehin gedämpft. Der Leitartikel ist keine Analyse der Türkei, sondern eine reflexhaft wiederholte Ablehnung der Aufnahme der Türkei in die EU und er ist eine wiederholte Kritik an Merkel wegen fehlender klarer Worte und harter Handlungen.


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