Freitag, 17. Juni 2016

Regeln für alle

Michael Schreiner hat am 17.6. zum Artikel "Islam für viele Türken wichtiger als Gesetze" in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen einen Kommentar veröffentlicht:


Der Artikel und der Kommentar beziehen sich auf die Studie von Detlef Pollack. Bereits mit seinem ersten Satz weist Michael Schreiner auf die Ambivalenz der Studie hin: "ermutigend und alarmierend zugleich". Ebenso ist sein Satz am Ende des Kommentars richtig:
"Integration bedeutet nicht, dass Zuwanderer an das Gleiche glauben müssen oder so sein müssen wie wir."
Nicht ganz richtig ist die Forderung, Integration bedeute, Zuwanderer müssten sich an die gleichen Regeln halten wie wir. Das ist auf einem abstrakten Niveau wie dem Grundgesetz richtig, en detail jedoch nicht. Als Beispiel seien Gesetze und Regeln angeführt, die für Einwanderer, Flüchtlinge etc. speziell gelten. Doch um solche "Kleinigkeiten" geht es hier nicht.
Michael Schreiner ist erschrocken, weil "fast die Hälfte der Befragten das offenbar anders sieht", womit er meint, "[w]eder der Koran noch irgendeine andere religiöse Schrift kann eine Missachtung [der] gemeinsamen Regeln und Werte rechtfertigen", die das Grundgesetz definiert. Er zieht diesen Schreck aus der Abb. 12 der Studie, in der 47% aller befragten Türkischstämmigen stark oder eher zustimmend auf die Aussage reagieren:
"Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe"
Vielleicht wäre er weniger erschrocken, hätte er auch andere Ergebnisse der Studie berücksichtigt. Als erstes nenne ich die Antworten auf die Fragestellung:
"Wie ist Ihre persönliche Haltung zu den Mitgliedern folgender Gruppen?"
86% äußerten sich eher oder sehr positiv zu Menschen mit deutscher Herkunft, 80% zu Christen. Das halte ich für positiv. Vorsichtig lässt mich die geringe positive Haltung zur Gruppe der Atheisten oder Juden (jeweils knapp unter 50%) werden. Diese ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Befragten selbst es ablehnen, auf Grund ihrer Religion negativ eingeordnet zu werden bzw. ihre Religion insgesamt negativ eingeordnet zu sehen. Gegenüber Atheisten und Juden kommt jedoch eine religiöse Kathegorie zum Einsatz, an der Bewertungen von Menschen festgemacht werden. Ich finde das nicht stimmig.
In der nächsten Frage wurde nach Bedingungen guter Integration gefragt:
"Was sollte man Ihrer Meinung nach tun, um gut in Deutschland integriert zu sein?"
91% sahen das Erlernen der deutschen Sprache und 84% das Beachten deutscher Gesetze als relevant ein. Hier offenbart sich die Ambivalenz: Das Beachten deutscher Gesetze wird als wichtige Voraussetzung guter Integration genannt, andererseits sollen die religiösen Gebote Vorrang haben. Dieser Widerspruch lässt sich nicht mit der einfachen Forderung Michael Schreiners nach Regeleinhaltung lösen. Vielmehr ließe sich entgegnen: Die Forderung ist (fast) erfüllt, weil 84% dem zustimmen. Zudem schreibt der Studienautor:
"Unterscheidet man wieder nach Einwanderergenerationen, so zeigt sich, dass derartige dogmatische und fundamentalistische Orientierungen in der zweiten/dritten Generation etwas weniger verbreitet sind: Dass die Befolgung der Gebote ihrer Religion wichtiger ist als die Gesetze des Staates, in dem sie leben, meinen 36 % von ihnen (erste Generation: 57 %), eine Rückkehr der Muslime zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds wünschen sich 27 % (erste Generation: 36 %). Nur eine wahre Religion gibt es für 46 % der Befragten der zweiten/dritten Generation (erste Generation: 54 %); 33 % sind der Ansicht, nur der Islam könne die Probleme unserer Zeit lösen (erste Generation: 40 %). Der Anteil derjenigen, die allen vier Aussagen zustimmen, ist in der zweiten/dritten Generation mit 9 % halb so groß wie in der ersten Generation." Seite 14f
Die Studie gibt direkt Hinweise, um solche fundamentalistischen Haltungen abzuschwächen:
"Wie weiterführende multivariate Analysen gezeigt haben, könnte sich die Popularität derartiger Haltungen jedoch in Zukunft abschwächen – sofern die strukturelle und soziale Integration insbesondere bei der zweiten/dritten Generation weiter von Erfolg gekrönt ist: Als wichtigste Einflussfaktoren, die einer fundamentalistischen Grundhaltung entgegenwirken, haben sich häufige Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft, gute Kenntnisse der deutschen Sprache und die Einbindung in den Arbeitsmarkt herauskristallisiert, während sich Gefühle mangelnder Anerkennung ('Bürger 2. Klasse') und ethnisch-kulturelle Segregation (Kontakte vorwiegend innerhalb der muslimischen Community) als eher hinderlich erweisen." Seite 15
Im Fazit der Studie finden sich Empfehlungen:
"So wichtig es ist, das Augenmerk in der Integrationspolitik weiterhin auf die strukturelle Ebene, vor allem das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt, zu richten: Für eine umfassende und nachhaltige Integration der Bevölkerungsgruppe der Türkeistämmigen, aber auch mit Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt, sind Veränderungen auf der Ebene der Wahrnehmung und Anerkennung mindestens ebenso notwendig. Ein erster Schritt zum Gelingen ist dabei das Bemühen, den anderen zu verstehen. Und hierbei sind zweifellos beide Seiten gefordert: Die deutsche Mehrheitsbevölkerung sollte mehr Verständnis für die spannungsreichen Probleme der Zugewanderten und ihrer Kinder aufbringen, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, ohne die Prägungen der Herkunftsgesellschaft zu verleugnen. Sie sollte auch wahrnehmen, dass eine Mehrheit der Türkeistämmigen keine dogmatischen Haltungen vertritt, und sich insgesamt ein differenzierteres Bild von Muslimen und vom Islam machen. Die Türkeistämmigen sollten mehr Verständnis für die Vorbehalte der deutschen Mehrheitsgesellschaft aufbringen und auf sie nicht nur mit Verteidigung und Empörung reagieren, sondern sich auch kritisch mit fundamentalistischen Tendenzen in ihren eigenen Reihen auseinandersetzen." Seite 20
Michael Schreiner hat zwar Recht mit seiner Forderung, Regeln seien einzuhalten. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Integration gelingen lässt.

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