Donnerstag, 16. Juni 2016

Die enthemmte Mitte

Verena Mörzl berichtet in der Augsburger Allgemeinen am 16.6. über die Studie "Die enthemmte Mitte", in der die autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland untersucht wurde:


Ein paar Ergebnisse und Befunde aus der Studie sind aus meiner Sicht bedenklich, weshalb ich den Artikel ergänze.

Definition Rechtsextremismus

Auf Seite 29 ist folgende Definition von Rechtsextremismus angegeben:
"Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im polititschen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen."
In der Studie verwendet wurden diese Dimensionen:
  • Befürwortung Diktatur
  • Chauvinismus
  • Ausländerfeindlichkeit
  • Antisemitismus
  • Sozialdarwinismus
  • Verharmlosung Nationalsozialismus
Sieht man sich AfD, Pegida und Konsorten an, bewegen sie sich auf diesen Dimensionen unterschiedlich stark. Den Nationalsozialismus zu verharmlosen würde sie in die Nähe einer Straftat rücken. Entsprechend vorsichtig äußern sie sich zur deutschen Geschichte. Ausländerfeindlichkeit oder der Ruf nach dem starken Mann findet sich dagegen bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung.
AfD, Pediga etc. verwenden zudem eine Methode, die augenscheinlich harmlos klingt, es aber nicht ist. Sie hantieren immer wieder mit Aber-Relativierungen im Stile von "Ich bin kein Nazi, aber der Sozialstaat soll sich zuerst um uns kümmern." Diese Aber-Relativierungen zeigen oft auf eine Ungleichwertigkeitsvorstellung, in der vermeintliche Bevorzugungen/Benachteiligungen bestimmter Gruppen oder Erlaubnisse/Verbote etc. für bestimmte Gruppen ausgedrückt werden. Damit sind diese Relativierungen ein Indiz für rechtsextreme Einstellungen.

Fragen und Antworten der Studie

Die Studie bringt auf Seite 30f den Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung. Ein paar Fragen greife ich heraus:
"Frage 06: Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen."
Dieser Frage wird von einem knappen Drittel der Befragten überwiegend bzw. voll und ganz zugestimmt. Die Deutschen haben also ein Anrecht auf Sozialstaat, die Ausländer nutzen ihn aus.
"Frage 10: Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken."
Ein gutes Viertel der Befragten zeigen hier ihre Ungleichwertigkeitsvorstellung offen.
"Frage 08: Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben."
Dieser Frage stimmen mehr als ein Drittel zu. Ein starkes Nationalgefühl bzw. der Appell an ein solches beflügelt derzeit die Brexit-Befürworter in Groß Britannien, ist das Vehikel Erdogans für seine fragwürdigen Ausritte, ist das Argument Polens sich trotz undemokratischer Entwicklungen eine Kritik zu verbitten. In die gleiche Richtung zielt die Frage 12, der von über einem Viertel zugestimmt wird:
"Frage 12: Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland."
Selbst zur offensichtlich rechtsextremen Frage geben über ein Drittel ihre Zustimmung:
"Frage 16: Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet."
Diese Fragen im Zusammenhang mit rechtsextremer Einstellung zeigen, dass Rechtsextremismus nicht erst dann beginnt, wenn man Hitler toll oder die Juden als schuld an allem findet. Rechtsextremismus fängt viel harmloser an. Wolf im Schafspelz.

Rechtsextremismus nach Personengruppen

Die Studie zeigt auch einen Aufriss nach Erwerbsstatus und Alter. Zum Erwerbsstatus wird die Aussage getroffen:
"Es zeigt sich, dass die rechtsextreme Einstellung durchaus in allen Gruppen anzutreffen ist, mit Schwerpunkten bei den Erwerbslosen und den Ruheständlern. Allerdings ist auch die größte Gruppe, die der Erwerbstätigen, gegen Vorurteile und antidemokratische Einstellungen nicht resistent" Seite 40
Bei den Ruheständlern und den in Ausbildung befindlichen Personen ist auch von einem Alterseffekt auszugehen. Besonders hohe Werte für Ausländerfeindlichkeit erreichen hier Arbeitslose (25,4%) sowie Ruheständler (25,2%), also jene Gruppe, die vom Sozialstaat profitiert. Es ist jene Gruppe, bei denen Behauptungen bzgl. möglicher Verluste oder Einschränkungen staatlicher Leistungen wegen "der Ausländer" an die Lebensgrundlage gingen. Es wäre spannend  zu wissen, wie diese Personengruppen bei der Frage 06 geantwortet haben.

Beunruhigende Mediennutzung

Die Studie zeigt ein knappes Viertel der Ostdeutschen unter 30jährigen (23,7%, Seite 39) als ausländerfeindlich, im Westen 13,7%. Das über alle Alterklassen hinweg nicht die Maximalwerte. Allerdings haben diese Personen wahrscheinlich einen Großteil ihrer politischen Entwicklung noch vor sich. Hier lohnt ein Blick auf den Digital News Report 2016, den das Reuters Institute for the Study of Journalism vorgelegt hat. Die Studie zeigt, dass von 2013 bis 2016 die sozialen Medien als Nachrichtenquelle von 18% auf 31% gestiegen sind. Soziale Medien nehmen in ihrer Bedeutung also zu, während TV und Print im Fallen sind. Soziale Medien werden eher von jungen Menschen genutzt. In sozialen Medien wird entweder vom Plattformbetreiber der Nachrichtenfluss gesteuert (z.B. mit Das-könnte-dich-interessieren-Algorithmen) oder der Nutzer selbst sorgt durch Auswahl seiner Freunde und Teilnahme an Gruppen für bestätigende Nachrichten. Somit kommen die Anwender mit vor allem bestätigenden Meldungen in Berührung. Je nach Plattform sogar nur noch mit Satz- und Informationsfragmenten, bei denen eine echte thematische Auseinandersetzung so wahrscheinlich ist wie eine Bild-Zeitungs-Überschrift vollständig informiert.
Nochmals ein Blick zurück auf die Studie "Die enthemmte Mitte". Die Studie besteht aus mehreren Teilen und widmet sich im hinteren Teil (ab Seite 137) der Frage: "Wer unterstützt Pegida?" Hiernach haben den größten Einfluss auf die Zustimmung zu den Zielen von Pegida & Co eine rechtsextreme Einstellung und die Islamfeindschaft. An dritter Stelle ("Signifikante, aber sehr schwache Einflussgrößen", Seite 145) steht Verschwörungsmentalität. Bei Anhängern von Verschwörungstheorien dürfte das Suchen nach gemeinsamer Sicht besonders ausgeprägt sein. Da wird schnell die "Lügenpresse" gesehen, Ablehner einer Verschwörung als naiv.
Noch ist Deutschland kein rechtsextremes Land. Je mehr auch und vor allem Jüngere mit einem Social-Media-Tunnelblick durch das Leben laufen, desto mehr ist ein demokratisches Deutschland in Gefahr. Dabei meine ich nicht die unappetitlichen Hetzer, die Drohungen und Schimpfwörter stammeln - das ist zu offensichtlich. Ich meine diejenigen, die im Glauben an Information und Austausch in einer Social-Media-Glaskugel sitzen und es nicht merken. Diejenigen, die sofort auf die Straße gehen, um gegen eine Vergewaltigung zu demonstrieren, die nur in sozialen Netzwerken existierte. Diejenigen, die sich gegenseitig Einzelfälle solange bestätigen, bis sie glauben, alle Fälle wären so wie der Einzelfall.

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