Donnerstag, 7. Januar 2016

Michael Stifters Warnung

Leitartikel und ängstliche Volksstimmen

Michael Stifter hat zu den Straftaten in Köln einen Leitartikel in der heutigen Augsburger Allgemeinen veröffentlicht:

 
Seine Argumente sind an wenigen Stellen holprig, die Schlussfolgerungen dennoch berechtigt. Wie berechtigt, zeigen die Leserbriefe des selben Tages. Hier ein paar Beispiele:
 

Aus diesen Leserbriefen sprechen die erwartbaren, reflexhaften Standardreaktionen der angeblich besorgten Bürger. Paul Herrmann schreibt: "Ich habe Angst!" Werner Kugelmann sieht Verschwörungen und hat bereits "circa 40 polizeibekannte Intensivtäter" zugeordnet, obwohl die Polizei bisher kaum Täter überführen konnte.
Aus der Ferne wage ich keine Diagnose zu den Ängsten. Allerdings fällt mir der Begriff Angststörung ein. Man kann versuchen, eine solche Störung durch eine kognitive Verhaltenstherapie zu behandeln. Deshalb ein paar Punkte, die die Ängstlichen in Erwägung ziehen sollten.

Argumente zur Therapie dieser Ängste

Ängstigender Vorfall

Der Vorfall hat stattgefunden. Es wurden Frauen angegriffen, was wohl eine Straftat der sexuellen Nötigung §177 StGB erfüllt. Zudem sollen Mobiltelefone und andere Gegenstände gestohlen bzw. geraubt worden sein, was weitere Straftaten wären. Werden die Täter gefasst, müssen sie sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren verantworten. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Täter überführt werden können.
Die folgenden Vorschläge sollen helfen, den Blick auf Tat, Täter und Konsequenzen zu schärfen, um nicht mit ungeeigneten Aktivitäten falsches zu tun und weiter Grund zu übertriebenen Ängsten zu haben.

Therapie der Übergeneralisierung

Die Angst entsteht, weil aus einem einzelnen Vorfall auf eine Regel geschlossen wird, die für alle gilt. Michael Stifter schreibt dazu:
"Pegida und Co. sehen damit den Beweis erbracht, dass alle Flüchtlinge Frauen vergewaltigen und die Medien lügen."
Anders gesagt: Pegida und Co. übergeneralisieren.
Die Übergriffe erfolgten laut Zeugenaussagen von arabisch und nordafrikanisch aussehenden Personen. Es ist derzeit nicht klar, um welche Personen es sich handelt. Die Folgerung, es müssten Flüchtlinge oder Asylbewerber sein, liegt nahe. Sie kann aber falsch sein, denn es könnten sich auch in Deutschland geborene an den Angriffen beteiligt haben.
Auf die Gefahr hin, den typischen Pegida-Anhänger zu überfordern, muss diese Unterscheidung getroffen werden, denn sie hat Auswirkungen auf das, was als Maßnahme gefordert werden kann. Wohl gemerkt geht es nicht um Strafe, denn bei der Bestrafung braucht es die folgende Unterscheidung kaum. Wenn es Flüchtlinge gewesen sein sollten, mag der Ruf nach Abschiebung plausibel und unter bestimmten Voraussetzungen wie der Strafhöhe auch möglich sein. Für in Deutschland geborene bzw. überhaupt deutsche Staatsbürger ist es nicht möglich. Selbst wenn die Strafe für eine Abschiebung hoch genug sein sollte, ist damit nicht entschieden, ob die Abschiebung tatsächlich erfolgt. Denn in eine Lebensgefahr hinein wird die Abschiebung nicht durchgeführt werden. Wer dennoch auf Abschiebung bestünde, kommt in ein Grenzgebiet zur Todesstrafe und müsste folglich erklären, warum für die Straftat die Todesstrafe angemessen sein soll. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass für Po-Grabschen und  Handy-Abziehen kein Deutscher zum Tode verurteilt würde.

Therapie der Etikettierung

Die Angst entsteht, weil aus einem Vorfall ein umfassender Sachverhalt gemacht wird. Michael Stifter nennt "kulturelle Unterschiede". Für den geneigten Pegida-Anhänger bietet sich die Religion vieler Araber und Nordafrikaner an: der Islam.
Wenn diese kulturelle Etikette so einfach zuträfe. Der Islam verbietet Alkohol. Die Täter waren den Berichten nach alkoholisiert und damit enthemmt. Um lupenreine Gläubige kann es sich deshalb kaum gehandelt haben. Ein paar weitere überlegenswerte Punkte fallen mir ein:
  • Je nach Strenge der Islamauslegung dürfen sich Männer nicht nackt anderen Männern zeigen. Frauen müssen sich verhüllen, weil sie sonst zu verführerisch wären. In diesem Falle wäre die Berufung auf den Islam lediglich eine Begründung, warum Sexualität unangemessen ist. Auch mit biblischen Argumenten kann in die gleiche Richtung argumentiert werden, siehe Zölibat. Wenn Sexualität als etwas Unangemessenes gilt, könnte das zu einem unangemessenen Umgang mit den sexuellen Bedürfnissen führen. Die Straftaten könnten das Ergebnis dieses Umgangs sein und wären nicht religiös verursacht.
  • Den Berichten nach waren die Straftaten organisiert, da sie in großer Anzahl zur gleichen Zeit in einem beschränkten Gebiet verübt wurden. Es könnte sich auch um einen aus dem Ruder gelaufenen Flash-Mob gehandelt haben. Oder es war tatsächlich eine Verabredung zur Verübung von Straftaten. In beiden Fällen kommt das Argument ohne Religionsbezug aus.

Weiter denken als es Zyniker tun

In Zusammenhang mit den Übergriffen finde ich es zynisch, die Abschiebung zu fordern oder eine Begrenzung des Zuzugs. Denn eine Abschiebung wird erst nach der Straffälligkeit möglich. Wollen die Zyniker abwarten, bis eine Straftat geschieht, damit sie dann die Standardmaßnahme der Abschiebung fordern können? Und sie glauben, Obergrenzen würden Straftaten wie in Köln verhindern. Nein, denn es ist egal, ob es zu Übergriffen durch 1.000 oder durch 200 Täter kommt, wenn man in Prozentanteilen der insgesamt eingereisten Personen denkt. Jede dieser Taten ist eine zu viel. Gefängnisstrafen als unmittelbare Reaktion auf eine Straftat sind plausibel, jedoch nicht unkritisch. Denn eine Gruppe verurteilter Täter hätte im Gefängnis nicht unbedingt den besten Umgang.
Michael Stifter schreibt "Wer Probleme verharmlos, hilft den rechten Hetzern". Stimmt, schönreden von Problemen wird nicht helfen und weder solche Straftaten verhindern noch der Hetze Einhalt gebieten. Deshalb müssen Probleme benannt und passende Maßnahmen angegangen werden. In einer Zeitkategorie empfehlen sich kurz- und mittel-/langfristige Maßnahmen.
Kurzfristig gilt es, Veranstaltungen und ihre Teilnehmer zu schützen. Mittel-/Langfristig reicht es nicht, Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu gewähren und sie in Kulturkurse zu stecken. Wer sich über Jahre in seinem Heimatland von Tag zu Tag durchgeschlagen hat, wer es illegal bis nach Deutschland schafft, hat tief verwurzelte Erfahrungen von Misstrauen, von Gewalt und Respektlosigkeit. Die ankommenden Menschen müssen Vertrauen schöpfen können zu Deutschland und den bereits hier lebenden Menschen. Sie müssen Respekt erfahren und sie müssen Respekt leben können. Wir müssen vorleben, was wir fordern. Das dauernde Gefasel von Abschiebung und Begrenzung unterminiert Vertrauen und Respekt. Da wundert es nicht, wenn die geforderte Integration misslingt.

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