Sonntag, 31. Januar 2016

Walter Roller fordert politisches Handeln

Walter Roller fordert in seinem Kommentar entschlossenes Handeln:


Es stimmt, die deutsche Demokratie kann es aushalten, wenn eine AfD den Einzug in Landtage oder den Bundestag schafft. Die Demokratie hat auch keinen Schaden genommen, als die NPD in Landtage gewählt wurde. Besser noch: deren Auftreten war so dilletantisch, dass die damalige Alarmstimmung inzwischen einem heiteren Kichern gewichen ist.
Es stimmt, die Volksparteien haben es "in der Hand, die AfD klein zu halten. Brisant würde die Lage erst, wenn der Rechten auf breiter Front der Einbruch in die Mitte der Gesellschaft gelänge". Ausgrenzung ist dazu wenig hilfreich. Die AfD kann sich als Opfer darstellen, wenn ihr Fernsehdebatten vor den anstehenden Wahlen verweigert werden mit schalen Begründungen, es würden nur die im Landtag vertretenen Parteien eingeladen. Ihnen muss jede Gelegenheit gegeben werden, sich zu blamieren. Die anderen Teilnehmer solcher Veranstaltungen müssen sowohl inhaltlich vorbereitet sein als auch mit Verhaltensoriginalität der AfD-Vertreter rechnen.
Notwendig ist eine konsequente Abgrenzung der politischen Lösungen. Walter Roller springt zu kurz, wenn er fordert: "Nun muss die Kanzlerin nur noch liefern." Sie ist die Hauptadressatin der Forderung, nicht jedoch die alleinige. In Berlin regiert eine Große Koalition, auf Landes- und kommunaler Ebene sind noch andere Spieler aktiv. Sie alle sind gefordert, gegen die "simplen, auf Stimmungsmache und Abschottung zielenden Parolen" der AfD anzugehen. Wenn die AfD fordert, die Grenzen zu schließen, wird es nicht leicht sein, mit fundierter Politik dagegen zu halten. Es muss präzise angegeben werden, welcher rechtliche Rahmen besteht, wo überhaupt Eingriffsmöglichkeiten bestehen und wie Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden sollen. Das, was derzeit in Europa an nationalen Alleingängen passiert, ist bereits ein erster Sieg der Rechten.
So manche Stimme aus der sogenannten "Mitte der Gesellschaft" ist nur schwerlich von rechten Seitenrufen zu unterscheiden. Die AfD will niemanden hereinlassen, die CSU will nach einer bestimmten Anzahl von Personen das gleiche. Einen Ausflug in die geistige Dunkelkammer, wie ihn Frauke Petry machte mit dem Hinweis, Schusswaffengebrauch müsse als Ultima Ratio möglich sein, wird sich keine ernsthafte politische Kraft antun. Es wird jedoch nicht reichen, alles als "Stimmungsmache" und "Parolen" zu titulieren, was von der AfD kommt und im nächsten Atemzug nur marginal andere Lösungen anzubieten. Die Politik muss Lösungen liefern und erklären, welche Qualitätsanforderungen an diese Lösungen zu stellen sind. Wenn das nicht gelingt, hilft nur noch das Hoffen auf die Behäbigkeit der Stammwähler und ihre Weil-ich-die-schon-immer-gewählt-habe-Haltung.

Donnerstag, 28. Januar 2016

Walter Roller sieht Seehofer stark

Walter Roller hat einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er Kanzlerin Merkel am längeren Hebel sitzen sieht:


Er schreibt, Seehofer erhöhe den Druck, müsste die Koalition der Konsequenz und Glaubwürdigkeit halber verlassen, wolle aber nicht wirklich zubeißen. Er glaubt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik bald aufgebraucht sei, wenn nicht "flankierende nationale Maßnahmen" ergriffen würden. Letztendlich wähnt er die Festigkeit der Merkelschen Haltung - manche sagen: Sturheit - als Ursache für den Vertrauensverlust.
Ich glaube, es ist anders herum. Es ist nicht die wirksame Lösung, die Seehofer vor sich her trägt. Werden die deutschen Grenzen dicht gemacht, werden sich die Menschen in anderen Ländern stauen. Ganz nach Plan rückwärts von Österreich, über den Balkan bis nach Griechenland. Und dann? Horst Seehofer macht einfach die Augen zu und hält die Luft an. Sollen das doch die Griechen lösen, die sollen ja eh aus dem Euro, aus Schengen, aus der EU. Weg aus dem abendländischen Kulturkreis, weil sie nur Probleme machen. Die von Walter Roller umrissene Politikkrise ist ein Widerstreit der Angebote zur Problemlösung: Funktioniert eine lokale Lösung (Seehofer) oder braucht es eine große (Merkel)?
Eine kleine Lösung wird nicht funktionieren, dafür ist die Aufgabe zu groß, die Wechselbeziehungen zu komplex und viele Faktoren schlichtweg kaum beherrschbar. Das Interview von Tuesday Reitano zeigt dies ganz deutlich, zu lukrativ das Schleppergeschäft, zu findig die Teilnehmer am Spiel. Es würde mich wundern, wenn es Horst Seehofer am Intellekt ermangelte, die Weite des Problems zu verstehen. Er handelt als Bayerns starker Mann, der im Bierzelt gegen die Blasmusik anreden muss. Darum braucht er laute Töne. Darum stampft er ordentlich auf, stellt Ultimaten und schreibt Briefe. Er erhöht nicht den Druck auf Merkel. Er tut nur so, als würde er den Druck erhöhen. Er trifft Vereinbarungen mit Merkel, nur um am nächsten Tag weiter zu bohren. Als lästige Fliege umkreist er diejenigen, die an der großen Lösung arbeiten. Er sichert seine rechte Flanke gegen die AFD. Er versucht, Lösungsqualität à la AFD als tragfähige Lösung zu verkaufen. Er biedert sich bei potentiellen AFD-Wählern an, während er sich gleichzeitig von der AFD zu distanzieren sucht, um nicht zu rechts zu wirken.
Fast möchte ich Mitleid haben. Ein Ministerpräsident, den außerhalb Bayerns keiner braucht, weil in Berlin ohne CSU regiert werden kann. Stammwähler, die mit den Freien Wählern und der AFD durchaus Alternativen haben. Wie ein kleines Kind im Sandkasten, die anderen Kinder außerhalb spielen Verstecken und Fangen, aber nicht mit Horst. Er möchte mitspielen, aber seine Sandkiste nicht verlassen, die seine Welt ist. Dafür ruft er Mutti, die solle dafür sorgen, dass er mitspielen darf. In seinen Sandkasten lässt er dennoch niemand. Mitleid ist fehl am Platze. Ich höre mich auf den Spielplatz rufen: "Werd' erwachsen, Horst. Hör auf zu quängeln, sei konstruktiv. Dann darfst Du bei den Großen mitspielen, dann wirst Du ernst genommen."


Freitag, 22. Januar 2016

Stefan Stahl ruft zur Agenda 2025 auf

Stefan Stahl hat einen Leitartikel veröffentlicht mit einem Aufruf zur Agenda 2025:





Er umreißt damit, was die Bevölkerung erwarten und die Politik liefern muss. Die Lektüre des Leitartikels möchte ich insbesondere der CSU ans Herz legen, die behauptet, auf's Volk zu schauen, tatsächlich aber auf's Volk herabschaut. Die in Wildbad Kreuth aufgestellten Lösungen sind Scheinlösungen, Katzengold statt glänzendes Edelmetall. Wo Stefan Stahl die Breite des Themas bedenkt, denkt die CSU von Weißbier bis Weißwurst und sucht ihr Heil in "Grenzen dicht!". Sie geht dabei naiv davon aus, dass die Flüchtlinge die Grenzschließung frühzeitig erfahren und mit "Achso, ja dann drehe ich halt um." reagieren. Ihr kommt nicht in den Sinn, dass bei Grenzkontrollen auf Autobahnen die Waldwege attrakiver werden. Ihr kommt nicht in den Sinn, dass sie dem Schleppergeschäft neue Kunden zuführt. Ihr kommt nicht in den Sinn, dass abenteuerliche Reisewege wahrscheinlicher werden, bis sie wieder angesichts eines Aylan Kurdi Betroffenheit zeigen können, ohne auf die Idee zu kommen, ihre Politik könnte mit eine Ursache sein für solche Bilder. Sie belässt es bei plakativen Maßnahmen, ohne die Realität der Umsetzung und die Wirkung in der Wirklichkeit zu erklären.
Mehr noch: mit Ultimaten, Gedankenspielen zum Koalitionsaustritt und der Darstellung ihrer Scheinlösungen als alleinige Lösung schafft sie den fruchtbaren Boden für die Zweifel von AFD- und Pegida-Anhängern an der Lösungskompetenz der etablierten Parteien. Das ist politisches Muskelspiel, einer demokratischen Lösungsfindung zu einem komplexen Problem unwürdig.

Mittwoch, 20. Januar 2016

Uli Bachmeiers notwendige Erinnerung

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht:


Ich finde, ein guter Leitartikel. Insbesondere der Schluss des Artikels verdient Beachtung, weil Integration keine Einbahnstraße ist.
Da von bayerischen Politikern gerne die Leitkultur hochgehalten, auf den Rechtsstaat und die Bräuche verwiesen wird, versuche ich mich in einem Entwurf zur Leitkultur aus den Worten und dem Verhalten von Einheimischen in der letzten Zeit:
  • Die Leitkultur ist verbindlich einzuhalten.
  • Leithammel dürfen nicht geschächtet oder geschlachtet werden.
  • Alkohol ist schädlich. Der Konsum von Bier ist Nahrungsaufnahme, weshalb nach dem Konsum ein Auto geführt werden darf.
  • Vorschriften sind einzuhalten. Außer es handelt sich um die Beschäftigung naher Verwandter zu Lasten der Staatskasse.
  • Wir feiern fröhliche Feste. Die Sparkasse zahlt alles.
  • Kinder sind zu respektieren. Außer sie sind Ministrant, wohnen in einem Heim oder sind in einem Chor.
  • Frauen sind zu respektieren. Der Staat unterstützt dies durch ein Betreuungsgeld, weswegen Frauen gerne zu Hause bleiben sollen.
  • Die Pflege von Traditionen wie Kuhglocken, Kirchenglocken, Volksfeste und Blasmusik ist zulässig. Andere Traditionen sind Ruhestörung.
  • Zur besseren Integration wird die deutsche Sprache vereinfacht. Kurze Wörter sind zu bevorzugen. Zum Beispiel Neger.

Sonntag, 17. Januar 2016

Walter Roller riskiert Vertrauen

Walter Roller schreibt in der Augsburger Allgemeinen über das Vertrauen der Bürger in die Kanzlerin:


Wo Walter Roller Klärung verspricht, schafft er Verwirrung. Seine sprachliche Verwirrung beginnt mit der Vokabel "Einwanderung", obwohl der die Ankunft von Flüchtlingen meint. Folgt man der Definition auf Wikipedia, sind Einwanderer Personen, die ihren bisherigen Wohnort verlassen, um sie dauerhaft oder für längere Zeit wo anders nieder zu lassen. Bevor Walter Roller seine negative Grundhaltung artikuliert, sollte er die Motivlage der Einwanderer bedenken - ein notwendiger Aspekt in einem Rechtsstaat zur angemessenen Würdigung einer Tat, auch und insbesondere bei Straftaten. Wer wegen der schönen Landschaft in Deutschland leben will, muss damit rechnen, andere Voraussetzungen erfüllen zu müssen wie jemand, der um sein Leben rennt. Solche Feinheiten sind Walter Rollers Sache nicht.
Weiter Verwirrung stiftet er, wenn er schreibt:
"Das Volk wurde nicht befragt, ob es binnen kurzem so viele Menschen aus dem islamischen Kulturkreis aufnehmen will. [...] In einer repräsentativen Demokratie haben die gewählten Volksvertreter das Sagen."
Was soll das anklagende Das-Volk-werde-nicht-gefragt, wenn er zwei Sätze weiter schreibt, dass das ohnehin nicht relevant sei in einer repräsentativen Demokratie? Er bewegt sich so in eine beachtliche Nähe zu AFD und anderen selbsternannten Volksverstehern.
Die Verwirrung setzt sich fort:
"Die Entscheidung darüber, ob in großem Stil Einwanderung stattfinden soll und das geltende Recht (wie das Verbot der Einreise ohne Aufenthaltstitel oder Pass) außer Kraft gesetzt wird, obliegt dem Parlament. Die Öffnung der Grenzen und der Zustrom von über einer Million Flüchtlingen sind jedoch ohne ausdrückliche, sorgfältig diskutierte Beschlüsse des Bundestags erfolgt. Dieses demokratische Defizit ..."
Es gibt keine Entscheidung - auch keine Kanzlerentscheidung - das Recht außer Kraft zu setzen und auf Grenzkontrollen zu verzichten. Es gibt keine Entscheidung, eine Million Einwanderer ins Land zu holen. Es gibt eine Kanzlerentscheidung in einer konkreten Situation, in Europa gestrandete Flüchtlinge aufzunehmen. Diese konkrete Entscheidung hat sich quasi verselbständigt und zur Million Flüchtlinge geführt. Worüber hätte also im Bundestag debattiert werden sollen? Ob die paar tausend Gestrandeten nach Deutschland kommen dürfen? Ich behaupte, die Antwort wäre "Ja" gewesen. Der weitere Verlauf wäre dadurch nicht geändert worden. Vielleicht war diese Kanzler-Entscheidung von der grundgesetzlichen Richtlinienkompetenz des Kanzlers gedeckt, nach der "Bundeskanzler [...] die Richtlinien der Politik" bestimmt. Dazu sagt Walter Roller leider nichts. Er verweist lieber auf den Verfassungsrechtler Michael Bertrams, ehemals Präsident des Verfassungsgerichtshofes NRW. Andere Juristen wie der von Bayern beauftragte Udo Di Fabio stoßen in das gleiche Horn mit ihrer Kritik an der Kanzlerin. Letzterer wird sogar geadelt:
"... denn die Erkenntnisse darin sind nicht neu: es sind Forderungen, die die AfD seit mehr als einem Jahr erhebt ..."
Das schreibt Frauke Petry zu dem Gutachten von Udo Di Fabio in einer Pressemitteilung am 12.01.2016. Walter Roller versucht sich nach der inhaltlichen Nähe wieder in Abgrenzung:
"Ist es da ein Wunder, dass die Politik weiter an Vertrauen in ihre Rechtstreue und Handlungsfähigkeit einbüßt und die schlichten Parolen von Rechtspopulisten zunehmend Gehör finden - bis hinein in die breite demokratische Mitte?"
Nein, das wundert mich nicht. Allerdings weniger weil die Rechtspopulisten richtig liegen mit ihren Äußerungen, sondern weil Leitartikel wie dieser die Position der Rechten weniger abseitig erscheinen lassen, als sie es sind.

Nicht nur Jubel über den Ölpreis

Jens Noll kommentiert einen Bericht zum aktuellen Preisverfall beim Rohöl und die damit zusammenhängenden Vorteile für Verbraucher:


Er warnt zu Recht, dass die heutigen Preise verführerisch wirken. Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt, wie sich der Preis von etwa 2008 bis 2012 vervierfacht hat. Es wäre also naiv, zu glauben, der derzeitige Preis würde dauerhaft so niedrig bleiben.
Jens Noll schreibt, es würden auch Firmen profitieren. Allerdings nicht alle. Erdölförderer haben ein echtes Problem. Sie kalkulieren teilweise mit erzielbaren Preisen um oder über 40$. Sie kommen deshalb unter Kostendruck, der sich beispielsweise im Personalabbau wie von BP angekündigt entladen kann. Sie investieren weniger, was die Ölfeldausrüster treffen und auch dort zu einem Personalabbau führen wird. Freuen wir uns also über die günstigen Preise an der Tankstelle und vergessen nicht die, denen das Lachen vergangen ist.
 

Montag, 11. Januar 2016

Walter Rollers schreckliche Schlussfolgerung

Walter Roller hat in der heutigen Ausgabe der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er energische Handlungen einfordert:


Ohne Frage, die Vorkommnisse sind frappierend, die nach und nach auftauchenden Fakten zu Polizeiarbeit, Kommunikation und Medienverhalten geeignet, das Vertrauen in gesellschaftliche und staatliche Institutionen zu erschüttern.
Walter Roller stellt die Welt als nicht nur schwarz und weiß dar, wenn er von Willkommenskultur-Bürgern, Fremdenfeinden und der "große[n] breite[n] Mitte unserer Gesellschaft" schreibt. Er nennt Realität, "dass es längst islamische Parallelwelten gibt". Aber wahrscheinlich auch russische, georgische etc. Er schreibt, Clans betrieben Organisierte Kriminalität. Aber wahrscheinlich auch die italienische Mafia, Cosa Nostra, die japanische Yakuza etc.
Er verweist auf die Realität, dass unkontrollierter Zuzug Sicherheitsprobleme verschärfen kann und Integration mit steigender Anzahl von Einreisenden schwieriger wird. Wer möchte widersprechen? Er warnt vor dem Kleinreden von Problemen und den Folgen. Als Lösung fordert er, die Politik müsse "den Worten auch Taten folgen lassen". Die Worte sind derzeit allesamt scharfe Worte. Er fordert weiter, die Anzahl der Flüchtlinge sei zu reduzieren.
Die Frage ist nur, was hat das mit den Vorfällen zu tun? Was löst es, wenn nicht eine Million, sondern 500.000 oder 200.000 Personen einreisen? Walter Roller hat ja gerade Angst vor einreisenden Kriminellen. Warum sollen keine einreisen, wenn nur 200.000 Personen einreisen? Er vermittelt das Bild, die ersten Einreisenden wären die guten, die bösen kämen erst später. Er stellt keine Forderung auf, wie getarnte Kriminelle oder potentielle Kriminelle identifiziert und behandelt werden können.
Walter Rollers Forderung "nach hartem Vorgehen und konsequentem Ausweisen" bezieht sich nur auf die Personen, die eine Straftat verübt haben und dabei erwischt wurden. Er stellt keine Forderung auf, wie potentielle Kriminelle von einer Straftat abgehalten werden können. Ich frage mich, wie viele Frauen Walter Roller einer Vergewaltigung anheim stellen will, damit die konsequente Abschiebung als Tat den Worten folgt.

Wohltuend hingegen der Leserbrief von Rebecca Knecht von heute. Sie denkt den Schritt weiter über das übliche Geschrei hinaus, den ich mir von einem Leitartikel wünschen würde:
 

Donnerstag, 7. Januar 2016

Michael Stifters Warnung

Leitartikel und ängstliche Volksstimmen

Michael Stifter hat zu den Straftaten in Köln einen Leitartikel in der heutigen Augsburger Allgemeinen veröffentlicht:

 
Seine Argumente sind an wenigen Stellen holprig, die Schlussfolgerungen dennoch berechtigt. Wie berechtigt, zeigen die Leserbriefe des selben Tages. Hier ein paar Beispiele:
 

Aus diesen Leserbriefen sprechen die erwartbaren, reflexhaften Standardreaktionen der angeblich besorgten Bürger. Paul Herrmann schreibt: "Ich habe Angst!" Werner Kugelmann sieht Verschwörungen und hat bereits "circa 40 polizeibekannte Intensivtäter" zugeordnet, obwohl die Polizei bisher kaum Täter überführen konnte.
Aus der Ferne wage ich keine Diagnose zu den Ängsten. Allerdings fällt mir der Begriff Angststörung ein. Man kann versuchen, eine solche Störung durch eine kognitive Verhaltenstherapie zu behandeln. Deshalb ein paar Punkte, die die Ängstlichen in Erwägung ziehen sollten.

Argumente zur Therapie dieser Ängste

Ängstigender Vorfall

Der Vorfall hat stattgefunden. Es wurden Frauen angegriffen, was wohl eine Straftat der sexuellen Nötigung §177 StGB erfüllt. Zudem sollen Mobiltelefone und andere Gegenstände gestohlen bzw. geraubt worden sein, was weitere Straftaten wären. Werden die Täter gefasst, müssen sie sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren verantworten. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Täter überführt werden können.
Die folgenden Vorschläge sollen helfen, den Blick auf Tat, Täter und Konsequenzen zu schärfen, um nicht mit ungeeigneten Aktivitäten falsches zu tun und weiter Grund zu übertriebenen Ängsten zu haben.

Therapie der Übergeneralisierung

Die Angst entsteht, weil aus einem einzelnen Vorfall auf eine Regel geschlossen wird, die für alle gilt. Michael Stifter schreibt dazu:
"Pegida und Co. sehen damit den Beweis erbracht, dass alle Flüchtlinge Frauen vergewaltigen und die Medien lügen."
Anders gesagt: Pegida und Co. übergeneralisieren.
Die Übergriffe erfolgten laut Zeugenaussagen von arabisch und nordafrikanisch aussehenden Personen. Es ist derzeit nicht klar, um welche Personen es sich handelt. Die Folgerung, es müssten Flüchtlinge oder Asylbewerber sein, liegt nahe. Sie kann aber falsch sein, denn es könnten sich auch in Deutschland geborene an den Angriffen beteiligt haben.
Auf die Gefahr hin, den typischen Pegida-Anhänger zu überfordern, muss diese Unterscheidung getroffen werden, denn sie hat Auswirkungen auf das, was als Maßnahme gefordert werden kann. Wohl gemerkt geht es nicht um Strafe, denn bei der Bestrafung braucht es die folgende Unterscheidung kaum. Wenn es Flüchtlinge gewesen sein sollten, mag der Ruf nach Abschiebung plausibel und unter bestimmten Voraussetzungen wie der Strafhöhe auch möglich sein. Für in Deutschland geborene bzw. überhaupt deutsche Staatsbürger ist es nicht möglich. Selbst wenn die Strafe für eine Abschiebung hoch genug sein sollte, ist damit nicht entschieden, ob die Abschiebung tatsächlich erfolgt. Denn in eine Lebensgefahr hinein wird die Abschiebung nicht durchgeführt werden. Wer dennoch auf Abschiebung bestünde, kommt in ein Grenzgebiet zur Todesstrafe und müsste folglich erklären, warum für die Straftat die Todesstrafe angemessen sein soll. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass für Po-Grabschen und  Handy-Abziehen kein Deutscher zum Tode verurteilt würde.

Therapie der Etikettierung

Die Angst entsteht, weil aus einem Vorfall ein umfassender Sachverhalt gemacht wird. Michael Stifter nennt "kulturelle Unterschiede". Für den geneigten Pegida-Anhänger bietet sich die Religion vieler Araber und Nordafrikaner an: der Islam.
Wenn diese kulturelle Etikette so einfach zuträfe. Der Islam verbietet Alkohol. Die Täter waren den Berichten nach alkoholisiert und damit enthemmt. Um lupenreine Gläubige kann es sich deshalb kaum gehandelt haben. Ein paar weitere überlegenswerte Punkte fallen mir ein:
  • Je nach Strenge der Islamauslegung dürfen sich Männer nicht nackt anderen Männern zeigen. Frauen müssen sich verhüllen, weil sie sonst zu verführerisch wären. In diesem Falle wäre die Berufung auf den Islam lediglich eine Begründung, warum Sexualität unangemessen ist. Auch mit biblischen Argumenten kann in die gleiche Richtung argumentiert werden, siehe Zölibat. Wenn Sexualität als etwas Unangemessenes gilt, könnte das zu einem unangemessenen Umgang mit den sexuellen Bedürfnissen führen. Die Straftaten könnten das Ergebnis dieses Umgangs sein und wären nicht religiös verursacht.
  • Den Berichten nach waren die Straftaten organisiert, da sie in großer Anzahl zur gleichen Zeit in einem beschränkten Gebiet verübt wurden. Es könnte sich auch um einen aus dem Ruder gelaufenen Flash-Mob gehandelt haben. Oder es war tatsächlich eine Verabredung zur Verübung von Straftaten. In beiden Fällen kommt das Argument ohne Religionsbezug aus.

Weiter denken als es Zyniker tun

In Zusammenhang mit den Übergriffen finde ich es zynisch, die Abschiebung zu fordern oder eine Begrenzung des Zuzugs. Denn eine Abschiebung wird erst nach der Straffälligkeit möglich. Wollen die Zyniker abwarten, bis eine Straftat geschieht, damit sie dann die Standardmaßnahme der Abschiebung fordern können? Und sie glauben, Obergrenzen würden Straftaten wie in Köln verhindern. Nein, denn es ist egal, ob es zu Übergriffen durch 1.000 oder durch 200 Täter kommt, wenn man in Prozentanteilen der insgesamt eingereisten Personen denkt. Jede dieser Taten ist eine zu viel. Gefängnisstrafen als unmittelbare Reaktion auf eine Straftat sind plausibel, jedoch nicht unkritisch. Denn eine Gruppe verurteilter Täter hätte im Gefängnis nicht unbedingt den besten Umgang.
Michael Stifter schreibt "Wer Probleme verharmlos, hilft den rechten Hetzern". Stimmt, schönreden von Problemen wird nicht helfen und weder solche Straftaten verhindern noch der Hetze Einhalt gebieten. Deshalb müssen Probleme benannt und passende Maßnahmen angegangen werden. In einer Zeitkategorie empfehlen sich kurz- und mittel-/langfristige Maßnahmen.
Kurzfristig gilt es, Veranstaltungen und ihre Teilnehmer zu schützen. Mittel-/Langfristig reicht es nicht, Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu gewähren und sie in Kulturkurse zu stecken. Wer sich über Jahre in seinem Heimatland von Tag zu Tag durchgeschlagen hat, wer es illegal bis nach Deutschland schafft, hat tief verwurzelte Erfahrungen von Misstrauen, von Gewalt und Respektlosigkeit. Die ankommenden Menschen müssen Vertrauen schöpfen können zu Deutschland und den bereits hier lebenden Menschen. Sie müssen Respekt erfahren und sie müssen Respekt leben können. Wir müssen vorleben, was wir fordern. Das dauernde Gefasel von Abschiebung und Begrenzung unterminiert Vertrauen und Respekt. Da wundert es nicht, wenn die geforderte Integration misslingt.

Freitag, 1. Januar 2016

Jörg Sigmunds Mitleid

Ergänzung zur Rechtslage

In der Augsburger Allgemeinen wird berichtet über die Beschlussvorlage der CSU, nach der zukünftig eine Einreise nur noch möglich sein soll mit gültigen Papieren:


Die Rechtslage ist nicht vollständig korrekt. Denn zur Strafe nach §95 AufenthG ist geregelt:
"Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 
1. entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält, "
Der §48 II AufenthG regelt:
"(2) Ein Ausländer, der einen Pass oder Passersatz weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, genügt der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist."
Es ist damit jedenfalls nicht so, dass die Straftaten illegal Einreisender oft nicht erkannt und deshalb straffrei bleiben. Sie können auch straffrei bleiben, weil alternative Bescheinigungen vorgelegt werden können. Zudem sollte auch §48 III berücksichtigt werden:
"(3) Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. [...]"

Jörg Sigmund hat Mitleid mit der CSU

Jörg Sigmund kommentiert zum Artikel nun so:


Alle Vorstöße der CSU würden "empört zurückgewiesen", "der Aufschrei war jedes Mal groß". Da muss die Frage erlaubt sein, ob die Vorstöße so gut und die Reaktion ungerechtfertigt war oder ob die Vorstöße in qualitativer Hinsicht nicht vielleicht Luft nach oben hatten.
Mit der Mitleidsmasche macht Jörg Sigmund weiter und fragt ernsthaft:
"Doch was ist so abwegig daran, auf eine Passpflicht zu drängen?"
Die Antwort ist natürlich: nichts. Außer die Realität. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Antragsteller seinen Pass nicht vorlegt, beispielsweise
  • der Pass ging tatsächlich verloren
  • der Pass wurde weggeworfen in der Hoffnung, so die Asylchancen zu steigern
  • der Pass wurde von Schleppern abgenommen
  • der Antragsteller hat keinen Pass, weil er sich in seiner korrupten Heimat keinen leisten konnte
Natürlich ist es nicht fremdenfeindlich, eine gültige Einreiseerlaubnis zu verlangen. Das Verlangen ist jedenfalls gerechtfertigt, wenn es sich um Einreisen von Touristen, Geschäftsreisenden etc. handelt. Allerdings führt gerade die Situation der Asylantragsteller dazu, dass sie in einem illegalen Kontext einreisen. Die Ursachen können unter anderem in Schengenmodus, in Dublin-2 und dem Schleppergeschäft verortet werden.
Wer so argumentiert wie Jörg Sigmund, der muss Auskunft darüber geben, warum er einem Asylantragsteller den Schutz verweigern will, nur weil der Pass in den Wirren der Flucht tatsächlich verloren ging. Er muss sagen, wie er solche Fälle differenzieren will von denen, wo der Pass absichtlich zurückgehalten wird. Und er muss sagen, wie er sicher echte von falschen Pässen unterscheiden will. Ohne solche Differenzierungen wird er den Stallgeruch der Fremdenfeindlichkeit nicht los, gegen den er sich so engagiert stemmt.