Mittwoch, 18. März 2015

Augsburger Allgemeine zum Kopftuchurteil


Mein Warten hat sich gelohnt! Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zu Kopftüchern in Schulen sowie dem Leitartikel von Walter Roller war ich überzeugt, die Leserbriefe würden eine Offenbarung. So war es. Amen.

Das Urteil des Verfassungsgerichts

Nach 2003 war es den Ländern freigestellt, selbst zu regeln, wie sie es mit der Religion halten wollen. In dieser Gretchenfrage entschlossen sich einige Länder nun dazu, bestimmte religiöse Symbole in Schulen zu verbieten. Das Kopftuch weiblicher Muslime wurde als ein solches Symbol identifiziert: Es sei das Symbol der Unterdrückung von Frauen durch Männer in muslimisch geprägten Gesellschaften. In der Folge war es Muslimas nicht mehr erlaubt, in Schulen ein Kopftuch zu tragen.
Im aktuellen Urteil hat das Bundesverfassungsgericht diese Praxis abgelehnt. Es dürfe nicht pauschal allen Muslimas die Ausübung ihrer Religion eingeschränkt werden. Vielmehr müsse vor einem Verbot eine konkrete Gefährdung erwartet werden können.

Der Leitartikel von Walter Roller

Herr Roller spricht von einem „erstaunlichen Richtungswechsel“, den das Gericht vollzogen habe. Das Gericht hat geurteilt, dass ein generelles Kopftuchverbot ohne „hinreichend konkrete Gefahr“ für die Schüler nicht verfassungskonform sei. Herr Roller findet das neue Urteil unpassend zum Kruzifix-Urteil von 1995. Und er findet, das Kopftuch sei ein „Symbol der Unterdrückung der Frau“:

Dazu ein paar Anmerkungen:
  • Das Kruzifix-Urteil sollte klarstellen, dass an Wänden aufgehängte christliche Symbole in Klassenzimmern nicht vorgeschrieben werden dürfen. Das aktuelle Urteil bezieht sich auf die Kleidung von Frauen. Das macht einen erheblichen Unterschied, weil ersteres einem Statement einer Institution gleichkommt, letzteres ein persönliches Statement einer Person ist. Somit halte ich das Urteil auch nicht für erstaunlich.
  • Das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung der Frau mag in bestimmten Fällen zutreffende Symbolik sein. Es gibt jedoch auch muslimische Frauen, die das Kopftuch freiwillig tragen, weil es ihrem Religionsverständnis entspricht. Zudem: Christliche Symbole wurden benutzt im Zusammenhang mit der Verfolgung von Menschen, die der Ketzerei, Hexerei etc. beschuldigt wurden. Sie wurden benutzt im Zusammenhang mit Kreuzzügen, gewaltsamer Missionierung. Und man könnte auch unterstellen im Angesicht der Missbrauchsfälle, Mönchskutten seien das Symbol für den Missbrauch Schutzbefohlener. Und überhaupt sei die Kleidung christlicher Würdenträger das Zeichen einer verklemmten und menschenfeindlichen Sexualauffassung.

Die Leserbriefe in der AZ

Norbert Schneider fragt sich, ob „seine (Anm.: der Islam) Rechte über denen des Christentums stehen“. Da schimmert eine Art Leitkultur durch. Klaus Liedtke befürchtet, „Hardliner“ wollten „ihre Frauenwertung auch im Öffentlichen Dienst als Vorbild durchsetzen“. Leo Barisch wähnt schon „die erste Lehrerin in der Burka vor der Klasse“ stehend. Das Ganze gipfelt im Leserbrief von Friedel Ruppert. Für sie ist es „schlichtweg unverschämt in einem Gastland (das wir ja immer noch z.Z. sind) [Klammerausdruck Bestandteil des Zitats]“. Warum ist Deutschland ein Gastland für alle Muslime? Gibt es nicht auch Menschen mit deutschem Pass und dem Islam als Religion? Ein Gastverhältnis vermag ich hier nicht zu erkennen.

Ein Gedankenexperiment

Aus den Leserbriefen spricht ein Weltbild der Kategorie „mir san mir“. Hier empfehle ich ein Gedankenexperiment. Es greift die Idee der „Theory of Justice“ von John Rawls auf. Um Gerechtigkeit zu erreichen, müsse man sich selbst in einen Schleier des Nichtwissens hüllen. Rawls meint damit, dass man selbst nicht weiß, auf welcher Seite man steht bzw. stehen wird. Aus dieser Position heraus sei die Diskussion im Sinne der Gerechtigkeit zu führen.
Übersetzt auf den aktuellen Fall würde es bedeuten, dass sich die Leserbriefschreiber und Walter Roller von ihren religiösen Ansichten befreien müssten. Sie wären nicht areligiös, sondern sie wüssten nicht, ob sie am Ende der Diskussion als Christen oder als Muslime mit dem Ergebnis leben müssten.

Ich bin überzeugt davon, sie alle würden sich anders äußern.

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