Mittwoch, 22. Februar 2017

Burka mit Fußfessel

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 22.2. über die Initiative der bayerischen Staatsregierung, ein Burka-Verbot sowie elektronische Fußfesseln für Gefährder einzuführen:


Zur Größe der Zielgruppe heißt es im Bericht:
"Die Zahl der Betroffenen, das musste Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einräumen, wird nicht sehr groß sein."
"Herrmann räumte ein, dass die Personengruppe, die dafür infrage kommt, nicht groß ist. „Das ist sicherlich eine sehr überschaubare Zahl, sicherlich weniger als ein Dutzend“, sagte er [...]"
Um nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und einen Fesselwildwuchs zu schaffen, wird Bayerns Innenminister Herrmann mit den beruhigenden Worten zitiert:
"'Allein der Verdacht, dass jemand etwas im Schilde führen könnte, wird nicht ausreichen.' Man werde in solchen Fällen dem Richter 'sehr konkrete Dinge vorlegen müssen'."
Uli Bachmeier kommentiert treffend die Vorschläge der Staatsregierung:


Uli Bachmeier bezeichnet die Fußfessel als "Symbolpolitik ohne erkennbaren Inhalt" und schreibt weiter:
"Wenn von jemandem eine konkrete Gefahr ausgeht, [...] kann man sich dann damit begnügen, ihm eine Fußfessel zu verpassen, die er jederzeit abnehmen kann? Und wenn die Gefährdung nicht konkret nachgewiesen werden kann, wie lässt sich dieser massive Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dann rechtfertigen?"
Das sind richtige Fragen. Ergänzt werden kann, wie ein angeblicher Gefährder sich entlasten kann, wie also ein Gegenbeweis für den Gefährdervorwurf aussehen kann, wenn doch ein Verdacht zur Fesselung reicht. Muss der Verdächtige argumentieren: "Ich bin verdächtig unverdächtigt."? Das Ganze ist rechtsstaatlich sehr bedenklich.

Burka-Verbot

Zum Burka-Verbot schreibt Uli Bachmeier:
"Ein Burka-Verbot ist so ein Symbol. Es signalisiert, dass es nicht zu einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft passt, sein Gesicht zu verhüllen oder es sich auf Anweisung einer Religion oder einer Tradition oder einer patriarchalischen Gesellschaft verhüllen zu lassen."
Er nennt es eine "kleinkrämerisch wirkende Initiative der Staatsregierung". Wie klein die Krämerseele ist, zeigt sich im Artikel an den Begründungen. Dort wird nicht gesprochen von von Gefahren für das Gemeinwesen, nicht von Unterdrückung. Die Begründungen im Einzelnen:

Neutralität gegenüber dem Bürger

"Begründung: Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes seien 'in besonderer Weise als Repräsentanten des Gemeinwesens zu Neutralität gegenüber dem Bürger verpflichtet'."
Es bleibt ein Geheimnis der Staatsregierung, warum durch die Abwesenheit der Burka die vollständige Neutralität gegenüber dem Bürger hergestellt wird. Es bleibt ein Geheimnis, warum insbesondere bayerische Repräsentanten eine besondere Regelung brauchen, um neutral zu sein. Für Bundesbeamte in Bayern wird das bayerische Gesetz kaum wirken können.

Kommunikation

"Begründung hier: Schüler müssten kommunikative Fähigkeiten erlernen, Lehrer müssten Schüler in die Augen schauen können."
Eine Burka verhindert das Lernen kommunikativer Fähigkeiten? Wäre es nicht eine Erweiterung der Kompetenzen, trotz Burka eine Kommunikation aufbauen zu können? Der Bayernkurier zitiert den Innenminister:
"Ein kommunikativer Austausch findet nicht nur durch Sprache, sondern auch durch Blicke, Mimik und Gestik statt."
Richtig. Was die Regierung hierbei im Hinterkopf hat, ist das Ideal der wahrhaften, ehrlichen Kommunikation. Statt einem Lügenverbot für den Sender einer Kommunikation soll der Empfänger in die Lage versetzt werden, den Wahrheitsgehalt zu erkennen. Was bei vielen Kommunikationen zumindest als potentielle Störung vorhanden ist, verfestigt sich bei Burka-Trägerinnen. Ihnen unterstellt die Regierung mit dem Verbot per se Unehrlichkeit. Da käme sie nur heraus, wenn sie Gesichtsverhüllung in kommunikativen Situationen generell ablehnen würde. Warum dann nur Burka-Verbot? Verboten werden müssen beispielsweise auch:
  • Verbot von Schals auf dem Weihnachtsmarkt
  • Auftrittverbote für Künstler wie Cro, Kiss, Lordi
  • Verbot von Telefonen, SMS und WhatsApp, nur noch Videotelefonie ist zulässig
  • Verbot von Marionettentheatern, weil die überhaupt keine Mimik haben
  • Verbot von Botox, weil es die Mimik einschränkt
  • Verbot von Kinderschminken
  • Verbot von Schlaganfällen
  • Verbot des Landtages, weil es dort zu Lügen gekommen sein soll
Wie konsequent traut sich die CSU zu sein?

Identifikation von Personen

"In diesen Fällen geht es der Staatsregierung schlicht darum, eine Identifikation von Personen zu ermöglichen."
Ich vermute, es geht nicht um die Identifikation konkreter, auffälliger Personen, denn die ließen sich dezidiert ansprechen. Augenscheinlich geht es um eine Art Massenidentifikation, die sich in eine Reihe stellt mit der anlaßlosen Massenüberwachung wie der Vorratsdatenspeicherung: Alle sind verdächtig, vom Verdacht befreit sind nur überführte Täter.

Conclusio

Das Ärgerliche an solcher "Symbolpolitik mit und ohne Inhalt" (Uli Bachmeier) ist weniger, dass sie überhaupt stattfindet. Das Ärgerliche sind die Argumente der Staatsregierung, die so schwach und kurzsichtig sind, dass man als Bürger kaum glauben kann, die Regierung meine es ernst, und sich verschaukelt fühlt.

Montag, 20. Februar 2017

Kampf um Managergehälter

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 20.2. über Überlegungen der Regierung, Managergehälter nur noch beschränkt steuerlich abzugsfähig zu machen:


Der Artikel ist in ähnlicher Form auch online erschienen. Im Artikel heißt es:
"CDU-Generalsekretär Peter Tauber hält Änderungen im Steuerrecht zur Begrenzung von Managergehältern für eine mögliche Variante. Er habe keine Probleme damit, wenn gut arbeitende Vorstände Millionen verdienten.'Aber die Frage, ob astronomische Gehälter von der Steuer abgesetzt werden können müssen, darf man stellen. Das schränkt die Unternehmen nicht in ihrer Gehaltspolitik ein', sagte Tauber der 'Berliner Zeitung'."
Im Artikel werden mögliche Hindernisse dargestellt. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat verfassungsrechtliche Bedenken, sieht einen "Dammbruch". Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ist überhaupt "gegen gesetzliche Regelungen". Warum nur Manager betroffen sein sollen, nicht aber beispielsweise Sportler, bleibt offen.
Im Bericht wird eine im Koalitionsvertrag bestehende Gehaltsbremse angesprochen:
"Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht bereits den Ansatz vor, dass die Hauptversammlung von Aktiengesellschaften über die Management-Vergütung entscheiden soll."
Ich frage mich, wie das wirken soll. Denn in der Hauptversammlung sind genau jene mit hohen Stimmanteilen vertreten, die selbst betroffen wären von einer Gehaltseinschränkung. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es hier zu einer wirksamen Begrenzung kommen könnte. Zur Höhe der Gehälter heißt es im Bericht:
"So soll die steuerliche Absetzbarkeit bei variablen Gehaltsbestandteilen auf jeweils 500 000 Euro begrenzt werden. Zudem will die SPD ein Maximalverhältnis der Vergütung von Managern zum Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer festlegen."
Völlig unverständlich, wie im Angesicht der Vielfalt der Unternehmen eine solche fixe Grenze gerecht sein soll. Konzerne haben 1.000, 10.000 oder über 100.000 Mitarbeiter, unterschiedliche Gehälter der Vorstände sind deshalb plausibel, wenn die Mitarbeiteranzahl eine Rolle spielen soll. Eine andere Frage ist, was das Durchschnittseinkommen sein soll. Gelten nur Mitarbeiter in Deutschland für die Berechnung oder kommen auch Hilfsarbeiter in Indien etc. zum Ansatz? Welche Unternehmen in einem Konzern sollen überhaupt berücksichtigt werden?

Gerechtigkeit der Gehaltsgrenze

So wie die Diskussion laut dem Artikel geführt wird, ist sie grundsätzlich falsch. Die hohen Gehälter sind deshalb in Frage gestellt, weil sie als ungerecht oder ungerechtfertigt empfunden werden. Es geht eher um ein empfundenes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, weniger um die absolute Höhe. Die folgenden Beispiele zeigen, dass Gerechtigkeit von Managergehältern eine umfangreichere Fragestellung ist, als uns die Koalition Glauben machen will mit ihren Steuerplänen.

Arbeitsplatzrisiko eines CEO

In Ihrer Studie "CEO Turnover and Relative Performance Evaluation" untersuchten Dirk Jentner und Fadi Kanaan an einem Sample von knapp 3.500 CEO-Wechseln in den Jahren 1993 bis 2009, unter welchen Umständen ein CEO-Vertrag verlängert bzw. der CEO gefeuert wurde. In ihrer Conclusio schreiben sie:
"We conclude that boards allow exogenous shocks to firm performance to affect their CEO turnover decisions.[...] Our results are consistent with the idea that boards mistakenly credit and blame CEOs for performance beyond their control, but also with the idea that performance in recessions reveals more (or more important) information about CEO quality than performance in booms."
Exogene Schocks, also Vorgänge außerhalb des Unternehmens und folglich vom CEO nicht zu kontrollieren, beeinflussen die Entscheidung, einen CEO auszutauschen. Belohnung oder Bestrafung für Dinge, die man nicht zu verantworten hat, werden als nicht gerecht empfunden. Nun kann argumentiert werden, dass das Risiko des Jobverlustes im Gehalt des CEO berücksichtigt werden und das Gehalt deshalb tendenziell höher ausfallen müsse. Dem kann entgegen gehalten werden, dass auch "normale" Angestellte ohne Verschulden ihren Job verlieren, z.B. wenn das Management schlecht entscheidet oder die Weltwirtschaft einbricht. Normale Angestellte haben keinen Risikoaufschlag im Gehalt. Ein Aufschlag für Manager wäre zumindest tendenziell unabhängig von der Leistung eines CEO, seine Höhe schwer festzulegen. Welcher Aufschlag wäre gerecht?

Asymmetrische Gehaltsentwicklung

In ihrem Diskussionspapier "CEO Pay and the Rise of Relative Performance Contracts: A Question of Governance" schreiben Brian Bell und John Van Reenen:
"Base salary tends to be unresponsive to firm performance, while incentive pay (bonuses and LTIPs) are very responsive. Not all of this CEO pay-performance relationship is likely to be due to purely competitive reasons. First, the response to performance is asymmetric: CEO pay rises much more when the firm does well, than it falls when the firm does badly. Further, this asymmetry occurs only for firms with weaker governance (as proxied by low levels of institutional ownership and IVIS based measures of corporate governance). Second, there remains substantial pay-for-luck with pay responding to industry-wide improvements in performance. Third, even when CEO pay is explicitly tied to performance relative to sector averages, it seems to have little effect on reducing pay for luck."
Fixgehälter reagieren wenig auf Performance, variable Gehälter stark. Das ist der Sinn von variablen Gehältern. Allerdings ist zu fragen, ob die Zunahme nach oben nicht zu einer gleich starken Abnahme führen müsse. Hier Gerechtigkeit herzustellen kann nicht Aufgabe des Steuerrechts sein. Die Asymmetrie deckt sich mit Ergebnissen des folgenden Beitrages.

Gerechtes Managergehalt

Das Beratungsunternehmen Fehr Advice hat die Leistung und Gehälter für Unternehmen im ATX, dem österreichischen Börsenindex, verglichen. Die Zeitung Der Standard hat darüber berichtet. Würden Gehälter und Leistung zusammenhängen, müsste sich ein Bild wie links dargestellt ergeben:


Tatsächlich ergibt sich die rechts dargestellte Verteilung: die Bezahlung ist unabhängig von der Leistung.
Was macht überhaupt eine gerechte Managerbezahlung aus? In seinem Beitrag "Leistung ist relativ – warum bewerten wir sie nicht auch so?" schreibt Marcus Veit:
"Für die steile Entwicklung der Saläre sind zwei Erklärungsansätze möglich. Der eine besagt, dass sich Manager in grossen Aktienunternehmen, wo der einzelne Aktionär als Miteigentümer nur wenig zu sagen hat, relativ ungehindert selbst bedienen können (diese Sicht ist vielleicht der Treiber der aktuellen Steuerdebatte, Anm.). Die andere Erklärungsmöglichkeit ist, dass durch die Globalisierung die Produktivität des Managements drastisch zugenommen hat.
Nun werden beide Erklärungsansätze zum Teil richtig sein. Entscheidend ist jedoch, dass durch die Konstruktion heutiger Vergütungssysteme häufig zu einem grossen Teil pures Glück und weniger die wirkliche Managementleistung belohnt wird. Wenn eine gute konjunkturelle Lage den Absatz und damit beispielsweise auch den Umsatz, den Gewinn oder auch den Aktienkurs steigen lässt, hat dies weniger mit einer guten Arbeit des Managements zu tun als vielmehr mit der konjunkturellen Grosswetterlage in der jeweiligen Branche."
Für eine gerechte Entlohnung des Managements, bei der "die wirkliche Managementleistung belohnt wird", müssen die Zufälle, das "pure Glück" herausgerechnet werden. Das schweizer Beratungsunternehmen FehrAdvice schlägt hierfür den MAPI (Market-Adjusted Performance Indicator) vor. Er soll - frei von Störgeräuschen - zeigen, wie gut Entscheidungsträger eines Unternehmens arbeiten. Im Beitrag heißt es:
"Mit ihm wird eine unverzerrte und holistische Bewertung von Managementleistung möglich. Dazu wird die langfristige Aktienrendite eines Unternehmens (Total Shareholder Return, TSR) mit dem TSR einer massgeschneiderten, relevanten Vergleichsgruppe verglichen. Die genaue Ausrichtung der Vergleichsgruppe an den Verlauf des TSR ermöglicht das Herausrechnen externer Marktschocks. Die Differenz des Unternehmens-TSR und des TSR der Vergleichsgruppe lässt nun eine Aussage über die eigentlichen Leistungen der Unternehmensführung zu. So wird Managementleistung transparent."
Für die steuerliche Handhabung ließe sich argumentieren, dass das Glücksmoment im Gehalt nicht abzugsfähig sein soll. Dies führt zur Frage, wie das Glücksmoment bestimmt werden soll. Selbst wenn dies gelänge auf breiter Front, lässt sich damit keine fixe Obergrenze argumentieren, wie sie in der Regierung derzeit thematisiert wird. Ein nachweisbar extrem gutes Management zu bestrafen, weil es über die Grenze käme, wäre ebenfalls ungerecht.
Als Maß für die Unternehmensleistung wird der Total Shareholder Return TSR herangezogen. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine Sicht aus der Perspektive von Aktionären der steuerlichen Fragestellung angemessen ist. Denn für Aktionäre ist es vielleicht positiv, wenn Mitarbeiter entlassen werden. Diese Mitarbeiter verlieren ihren Job, ihr Gehalt, zahlen weniger Steuern. Das soll im Steuerrecht belohnt werden? Was ändert sich, wenn durch die Entlassung das Überleben des Unternehmens gesichert wurde?

Conclusio

Bevor die Politik von Gerechtigkeitsgefühlen getrieben eine Obergrenze für Managergehälter festlegt, muss sie sagen, was eine gerechte Gehaltshöhe ist. Das hat nichts mit einer Absolutzahl zu tun und nichts mit dem Durchschnittsgehalt aller Angestellten. Solange die Politik nicht vermag, die Gerechtigkeit greifbar zu machen, muss sie sich zurückhalten. Andernfalls müsste auch die Frage gestellt werden, wie teuer Firmenwagen sein dürfen, um steuerlich berücksichtigt zu werden.

Sonntag, 19. Februar 2017

Der Zauber des Martin Schulz

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 18.2. einen Leitartikel veröffentlicht über die Aussichten der SPD, mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz die anstehende Bundestagswahl zu gewinnen:


Walter Roller schreibt:
"Martin Schulz hat das Kunststück vollbracht, die in der Depression versunkene SPD binnen weniger Wochen zu neuem Leben zu erwecken. [...] Und, noch erstaunlicher: Im direkten Vergleich mit der Kanzlerin hat der Mann, der bundespolitisch bis dato keine Rolle spielte, die Nase vorn."
Wirklich erstaunlich. Zum Aufstieg des Martin Schulz schreibt Walter Roller:
"Das Phänomen Schulz ist nicht so rätselhaft, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der Mann kommt an, weil er glaubwürdig und entschlossen wirkt und mit klaren Worten auch das Gemüt der Menschen erreicht. Da ist ein neues, den meisten eben noch unbekanntes Gesicht, das – endlich – eine Alternative verheißt. Schulz profitiert von dem Überraschungseffekt und der Erleichterung darüber, dass der politische Wettbewerb der Volksparteien um die Mitte wieder an Spannung gewinnt – was der Demokratie ganz guttut."
Mehr dürfte tatsächlich kaum dahinter stecken. Das Herumgeeiere mit absehbar chancenlosen Herausforderern der Kanzlerin war wahrlich nicht spannend. Dass klare Worte wirken, zeigen auf der politischen Bühne viele, bis hin zum Populismus. Wolfgang Schäuble hat diesen Vorwurf bereits gemacht und Schulz mit Trump verglichen. Ein gewisser Populismus tut dem Politgeschäft gut: Inhalte müssen verkauft werden und wenn der Verkäufer gut ankommt bei den Wählern, macht er einen guten Job. Allerdings darf das verkäuferische Talent nicht nur eine Kulisse für die Leere dahinter sein. Es müssen auch die Inhalte stimmen. Populisten im banalen, negativen Sinn haben hier nichts zu bieten, sie schreien ihre einfachen "Lösungen" mit einfachen Worten hinaus und hoffen, dass ob der Lautstärke keiner die Qualität ihres Angebotes ernsthaft prüft. Ob der Zauber von Martin Schulz nachhaltig wirkt, beschreibt Walter Roller so:
"Der Hype um den zum 'Erlöser' (SPD-Vize Schäfer-Gümbel) hochstilisierten Europapolitiker wird sicher nicht von Dauer sein und spätestens dann abflauen, wenn es der Überflieger Schulz mit den Mühen der Ebene zu tun bekommt und die Bürger mehr hören wollen als flotte Sprüche und emotionale Ansprachen."
Damit dürfte er richtig liegen. Bisher ist nichts über die Ebene bekannt, die Mühen verstecken sich noch im Freudentaumel. Einige der Mühen deutet Walter Roller als Fragen an:
"Wie will die SPD dafür sorgen, dass es 'gerechter' zugeht? Sie hat ja die meiste Zeit seit 1998 (mit)regiert.
Wie hält es Schulz mit der Flüchtlingsfrage und der inneren Sicherheit? Was passiert mit den Steuern? Will Schulz Europas Schulden noch immer auf Kosten der Deutschen vergemeinschaften?"
Das Aushängeschild der Wahl soll die soziale Gerechtigkeit werden, wie ich in meinem letzten Eintrag darstellte und auf mögliche Fallen hinwies, die sich Martin Schulz selbst gestellt haben könnte. Bisher lässt die SPD offen, was sie unter sozialer Gerechtigkeit überhaupt verstehen will. Wikipedia nennt das Konzept "seit jeher umstritten und vielschichtig", als eine Ausprägung wird eine Variante der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) dargestellt. In der Studie der FES "Ungleichheit bekämpfen! Wo der deutsche Wohlfahrtsstaat jetzt investieren muss" heißt es bereits im ersten Satz des Vorwortes:
"82 Prozent der Menschen in Deutschland sind inzwischen der Meinung, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland zu groß ist."
Noch im Vorwort wird weiter ausgeführt:
"Eine Mehrheit fühlte sich zudem nicht gut gegen die Risiken im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit sowie beim Einkommen im Alter abgesichert. Und immerhin knapp 40 Prozent der Befragten gaben an, dass sie nicht mehr glauben, dass sozialstaatliche Leistungen zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft führen. Zwei Drittel der Befragten äußern zudem die Sorge, dass die soziale Ungleichheit inzwischen ein Ausmaß erreicht hat, welches der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland schadet.
Dies sei, so könnte man argumentieren, lediglich eine subjektive Wahrnehmung. [...] Dass dies aber nur ein Teil der Wahrheit ist, zeigen jüngste Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung (vgl. Presseerklärung, Anm.). Demnach ist die soziale Mobilität in Deutschland in den letzten Jahren gesunken. Die Wahrscheinlichkeit, heute arm zu sein, wenn man schon vor 25 Jahren arm war, ist gestiegen. Auch die Einkommens- und Vermögensungleichheit hat in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre zugenommen. Gleiches gilt für die Armutsrisikoquote, die 2015 den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht hat."
Die Autoren schlagen zur Lösung vor, die Betonung des Forderns aufzugeben zu Gunsten des Förderns, das in folgenden sechs Bereichen zur Beseitigung sozialer Ungleichheiten beitragen soll:
  1. Bekämpfung der Kinder- und Bildungsarmut durch Investition in Bildung und frühkindliche Förderung
  2. Übergangssystem für benachteiligte Jugendliche mit individuell betreuenden Bildungscoaches
  3. Bessere Betreuungsschlüssel bei der Vermittlung und Qualifizierung Erwerbsloser, um eine bedarfsgerechte, intensive und individuelle Fallbetreuung zu ermögliche
  4. Investitionen in öffentliche Beschäftigungsförderung
  5. Ausbau des Programms der Sozialen Stadt zur Verhinderung negativer Segregations- und Exklusionstendenzen.
  6. Maßnahmen im Bereich der Schulen, damit gezielte Selbstlern-/ Selbstorganisationsfähigkeiten vermittelt werden, um für die wandelnden Anforderung der digitalen Wissensgesellschaft gerüstet zu sein.
Wie schwer der Aufstieg ist, wie gering also die soziale Mobilität, lässt sich beispielsweise nachlesen im Buch "Rückkehr nach Reims" des französischen Schriftstellers und Soziologen Didier Eribon. In einem Interview mit der Berliner Zeitung sagte er:
"In den 80ern hat vor allem die sozialistische Partei in Frankreich versucht, die Existenz einer Sozialstruktur nach Klassen zu verleugnen. Stattdessen sprach man von der Selbstbestimmtheit des Individuums und dessen Verantwortung für sich selbst. Man sagte den Leuten: 'Wenn du arbeitslos bist und keinen Schulabschluss hast, ist das deine schuld.'
Damit nahm man den Arbeitern ihre Identität. Das Problem ist: Klassen existieren, auch wenn keiner darüber sprechen möchte. Und in dieses Vakuum stieß der FN. Marine Le Pen hat vor einigen Tagen noch in einer Rede gesagt: 'Wir sind diejenigen, die für die Arbeiterklasse kämpfen.' Die AfD in Deutschland und Ukip in Großbritannien machen das Gleiche."
In einem Interview mit der TAZ sagte er:
"Als Erstes muss die Linke aufhören, soziale Forderungen wie ordentliche Gehälter, gute Wohnungen, anständige Arbeitsbedingungen, Pensionen, Sozialversicherung und ein anständiges Gesundheitssystem zu ignorieren. Wir müssen gegen die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates in Europa kämpfen."
Hier deckt sich seine Analyse mit den Ergebnissen der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die SPD könnte ihr Wahlprogramm entsprechend gestalten und von Martin Schulz glaubwürdig vertreten lassen. Zumindest seine Biographie gäbe das her, da er nicht an Universitäten eine elitäre Ausbildung genossen hat. In einem Beitrag in der Zeitung Der Standard heißt es:
"Die Sozialdemokraten Europas hätten eine riesige Mitschuld am Aufstieg der Rechten. Natürlich spielten die Verwerfungen durch die Wirtschaftskrise eine Rolle. Das Problem sitze aber tiefer, sagt Eribon. 'Viele Menschen fühlen sich abgehängt und ausgeschlossen. Nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Sie haben keinen Zugang zur Öffentlichkeit, können sich keinen Ausdruck verschaffen.'"
"Die Ursachen für die Entwicklungen in seinem Heimatland sieht Eribon tief in der Gesellschaft verankert. 'Wenn Sie das französische Schulsystem ansehen, dann werden Sie feststellen, dass es nahtlos daraufhin ausgelegt ist, die Reproduktion der Bourgeoisie zu gewährleisten und alle anderen von den oberen Sphären der Gesellschaft auszuschließen.'"
Schulz könnte neben Nichtwählern auch wieder die angestammte Klientel der SPD von der AfD zurückholen. Allerdings lastet ihm derzeit der Vorwurf an, sehr wohl im elitären Stile derer da oben Pfründe und Gelder verteilt zu haben an Vasallen, die es verdient haben. Sollte sich dieser Vorwurf bewahrheiten, wird er unglaubwürdig. Glaubwürdigkeit ist nach Walter Roller eines der Erfolgsaspekte von Martin Schulz. Verspielt Schulz dies, wird mehr nötig sein als ein simpler Zauber, um die SPD zur Kanzlerschaft zu führen.

Freitag, 17. Februar 2017

Die soziale Gerechtigkeit des Martin Schulz

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Printausgabe vom 17.2. über mögliche Fehltritte des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz:


Der Bericht weist auf die Karrieren von Markus Winkler und Monika Strasser hin, die von Martin Schulz auf neue Posten gebracht wurden. Agenda Europe schreibt über Vorwürfe an Schulz:
"Shoehorning political allies into well-paid posts in the EP administration without going through proper recruitment procedures, and in many cases persons neither suited nor qualified for their jobs."
Detlev Drewes ordnet das Verhalten so ein:
"Was von der Kritik an Schulz' Amtsführung aber wirklich bleibt, ist ein im Politik-Geschäft eher übliches Verhalten: Kurz vor Ende der Amtszeit werden getreue Vasallen noch mit lukrativen Jobs versorgt."
Im Bericht wird zudem die Konstruktion der Anstellung von Martin Engels als Mitarbeiter eines Informationsdienstes des Parlaments in Berlin dargestellt:
"Der Mann blieb formal in Brüssel angestellt und konnte sein Gehalt dadurch um 2200 Euro an Reisespesen aufbessern."
Der Spiegel führt weiter aus:
"Engels, der mit Dienstort Brüssel angestellt war, arbeitete für Schulz von 2012 an überwiegend im Berliner Informationsbüro.
Da sein vertraglicher Dienstort jedoch Brüssel war, konnte Engels einen steuerfreien Auslandszuschlag geltend machen. Das bedeutet ein Plus von monatlich 840 Euro auf sein Grundgehalt in Höhe von 5200 Euro. Wegen der Einstufung von Brüssel als Dienstort konnte Engels seine Anwesenheit in Berlin zudem als Dienstreise abrechnen. Laut internen Unterlagen war Engels allein 2012 ganze 273 Tage dort auf Dienstreise, was ihm zusätzlich 16.621,47 Euro einbrachte."
Die Zeitung Der Standard ergänzt und berichtet über Reaktionen:
"Demnach sei dieser Vertraute, Martin Engels, als EP-Mitarbeiter anfangs so angestellt gewesen, als würde er an einem EU-Standort seinen Lebensmittelpunkt haben. Tatsächlich sei er aber in Berlin gewesen."
"Nach Ansicht von EU-Abgeordneten, die im zuständigen Ausschuss wie im Präsidium des Parlaments mögliche Missbräuche von EU-Geldern prüfen, seien 'geltende Regeln pervertiert worden', sagte die deutsche EU-Abgeordnete Ingeborg Gräßle (CDU) am Mittwoch dem Standard. 'Und zwar zulasten der Steuerzahler'."
Detlev Drewes schreibt:
"Bisher, so bestätigen sogar einige der politischen Gegner des heutigen SPD-Herausforderers von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), reiche 'das alles aber wohl nicht ernsthaft, um den Mann abzuschießen'."
Pikant wird die Sache vor dem Hintergrund des großen Themas "Soziale Gerechtigkeit", das die SPD in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellen will. Der Philosoph Alexander Grau schreibt zur Qualität dieses Zieles:
"Abgesehen davon, dass diese einfältigste und hohlste aller Phrasen der ohnehin schon unterkomplexen politischen Rhetorik dermaßen abgestanden ist, dass sie sich jedem ernsthaften politischen Kopf verbieten müsste, wirft sie ein bezeichnendes Licht auf die intellektuelle Welt des Hoffnungsträgers."
Er führt weiter aus, dass es zu einem "Wahrnehmungsparadox" komme:
"Je ähnlicher die Konsummöglichkeiten in einer Wohlstandsgesellschaft werden, desto größeren Widerwillen erzeugen die verbleibenden Unterschiede. Es entsteht das, was Sozialpsychologen Vergleichsstress nennen: Nicht, was ich habe und konsumiere, befriedigt. Vielmehr frustriert, dass sich mein Nachbar mehr leisten kann als ich. [...] Das Soziale, uminterpretiert zum Recht auf Konsum, wird zum Heilsversprechen der Wohlstandsgesellschaft."
Verfehlt die Stimme der sozialen Gerechtigkeit ihren eigenen Anspruch, wird's also stressig für die Bürger und sie fragen sich: Wo ist die soziale Gerechtigkeit, wenn Bekanntschaften stärker die Auswahl von Mitarbeitern beeinflussen als Kompetenzen? Wo ist die soziale Gerechtigkeit, wenn besondere Kreativität gezeigt wird bei der Ausgestaltung von bestimmten Arbeitsverhältnissen?
Nach derzeitigem Stand sieht es so aus, als reihe sich ein weiteres Beispiel ein in die lange Reihe von Beispielen, bei denen es sich die da oben gerichtet hätten. Insbesondere für eine SPD kann das zu einer großen Belastung werden.

Montag, 13. Februar 2017

Ungeheuerliches für den Wahlkampf

Simon Kaminski kommentiert in der Printausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 13.2. die Aussagen von Wolfgang Schäuble, der den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz mit Donald Trump verglich:


Simon Kaminski schreibt:
"Jetzt hat der Finanzminister bei seinem Rundumschlag gegen den Ex-Präsidenten des EU-Parlaments vor der Bundespräsidentenwahl die ganz große Keule ausgepackt. Etwas bemüht versuchte er, Gemeinsamkeiten zwischen Schulz und US-Präsident Donald Trump herauszuarbeiten."
Simon Kaminski stellt fest, dies sei "kein guter Stil". Recht hat er. Allerdings nicht, weil "die Anschuldigungen im Ungefähren" gehalten sind, sondern weil das Ausgraben von vermeintlichen Aufregern zur Schwächung eines als stark bzw. gefährlich gewähnten Gegenkandidaten Kindergartenniveau hat. Deshalb hier ein kleines Angebot für echte Aufreger:
  • Horst Seehofer konsumiert im Dienst Bier
  • Cem Özdemir teilt in der Kirche aus
  • Markus Söder schickt andere, um die Bratwürste zu holen
  • Die Merkel-Raute ist nur ein Dreieck
  • Wolfgang Schäuble hat keine Winterreifen

Dienstag, 7. Februar 2017

Fake-Friede in der Union

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen vom 7.2. einen Leitartikel veröffentlicht zum Friedensschluss zwischen CDU und CSU:


Uli Bachmeier benutzt ein schönes Bild, wenn er schreibt:
"Trotz all dem Streit, wir bleiben zusammen, vorerst, schon wegen der Kinder..."
Den Ausgangspunkt des Krachs beschreibt er so:
"Horst Seehofer hat den Streit über die Obergrenze für Flüchtlinge bis zur Obergrenze ausgereizt. Er hat geschimpft, gezetert, gedroht. Seine Attacken auf Angela Merkel dienten vor allem einem Zweck: Den Unzufriedenen in der Gesellschaft wie auch dem rechts- und nationalkonservativen Publikum in Bayern und auch in Deutschland zu signalisieren: Die CSU ist anders."
Die Methode zeitigt Erfolg, weil "die CSU ihre Ausnahmestellung in Bayern verteidigen" kann trotz eines erwartbaren Erfolges der AfD. Der längerfristige Blick des Horst Seehofer geht über 2017 hinaus:
"Bei allem, was Seehofer sagt und tut, geht es immer auch um die Landtagswahl 2018. Das ist sein wichtigster Orientierungspunkt. Er kämpft um den Nimbus der CSU."
Ja, es gibt eine Reihe an Gemeinsamkeiten innerhalb der Union, auch Trennendes wie die Haltung gegenüber Putin oder die Mütterrente. Diese Gemeinsamkeiten hat Horst Seehofer aufgegeben, als er glaubte, mit der Obergrenze gegen die AfD Erfolg haben zu können. Er wird es wieder tun. Für den Bundestagswahlkampf scheint derzeit die Gefahr von Rechts kleiner als die Gefahr von links. Deshalb wurde bereits der Kampf gegen Rot-Rot-Grün als das Leitbild propagiert und der Streit um die Obergrenze hinter einer Fassade des Lächelns versteckt. Mit Martin Schulz hat ein Mitspieler die Arena betreten, der zumindest kräftig am vermeintlich sicher stehenden Wahlbaum schütteln kann.
Uli Bachmeier beschreibt den Frieden so:
"Ihren Frieden hat die CSU mit Merkel nicht gemacht. Sie hat sie nur zu ihrer Kandidatin ausgerufen. Das ist wie in der Ehekrise. Der Vater sagt zu den Kindern, seid lieb zu Mutti. In Wirklichkeit aber denkt er anders. Und sie weiß das."
Ja, des wurde kein Frieden geschlossen, bestenfalls ein Waffenstillstand. Wie Uli Bachmeier treffend schreibt, wurde der vorherige Streit "bis zur Obergrenze ausgereizt". Während des Waffenstillstandes wird die CSU in der Gaststube ein freundliches Gesicht machen und in der Küche die Messer wetzen. Ich vermag nicht mehr zu zählen, wie viele Frieden bereits geschlossen und gebrochen wurden, wie oft Sticheleien und Stänkereien jede Vereinbarung binnen kürzester Zeit zur Makulatur werden ließen.
Die CSU glaubt, mit ihrer Politik ein Zeichen der Stärke zu setzen. Dabei reagiert sie nur. Aus Angst vor der AfD wurde die Obergrenze zum Heiligen Gral erklärt. Aus Angst vor Martin Schulz wird eine linke Gefahr plakatiert. Uli Bachmeier schreibt, die Union lasse die Wähler allein mit "der Frage, wie ernst das zu nehmen ist", weil sie keine Antworten geben. Doch die Antworten liegen auf der Hand: Der Friede ist bestenfalls Wahltaktik. Der Streit wird aufbrechen, sobald sich der CSU eine Gelegenheit eröffnet oder eine Gefahr bekämpft werden will. Einen Frieden in einer Unionsregierung wird es nur geben ohne CSU. Bis dahin herrscht ein kalter Krieg.