Sonntag, 21. August 2016

Staatsvertrauen in der Krise

Die Augsburger Allgemeine hat am 20.8. einen Leitartikel von Walter Roller veröffentlicht zum Wahlkampfthema Sicherheit:


Das was die Unionsparteien als Sicherheitspaket geschaffen haben, ist der erste Schatten des langen Bundestagswahlkampfes. Die gefühlte verlorene Sicherheit muss die Union als Aufruf verstehen, wie Walter Roller schreibt:
"Die Union steht wie keine andere Partei für einen wehrhaften Staat, der Sicherheit und Freiheit als zwei Seiten einer Medaille begreift."
Ich hoffe, dass im "Umfragetief der Union und [im] Aufstieg der AfD" die zweite Seite der Medaille nicht unter die Räder gerät. Immerhin hat der Bundesinnenminister Forderungen nach einem Burka-Verbot widerstanden, das - wie Walter Roller schreibt - "symbolischer Natur" ist. Denn das hat mit Sicherheit mit Sicherheit nichts zu tun. Keiner der Attentäter in Deutschland trug ein solches Kleidungsstück und sie wären als Männer ohnehin nicht typische Burka-Träger.
Walter Roller zählt auf:
"mehr Polizisten, eine bessere technische Ausstattung, eine engere Kooperation in der EU, die Kontrolle des Cyberraums, die konsequentere Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern, Gefährdern und Hasspredigern. Was ist daran verkehrt?"
Nichts daran ist verkehrt, wenn die Maßnahmen sachgerecht und mit dem gebotenen Augenmaß definiert und umgesetzt werden. Die ersten drei Punkte sind für Kritik wenig anfällig, denn mehr Personal, bessere Ausstattung und bessere Zusammenarbeit können als Grundpfeiler jeglicher Sicherheitsanstrengungen verstanden werden. Für die "Kontrolle des Cyberraums" wird es schon schwieriger, den richtigen Weg zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden. Die "konsequentere Abschiebung" scheitert ja meist nicht an einer gesetzlichen Lücke, sondern an der tatsächlichen Durchführung: der Zielstaat verweigert die Aufnahme, die Fluglinie verweigert die Mitnahme sich widersetzender Personen, bei bestimmten Zielorten stehen höhere Rechtsgüter als das Abschieberecht der Abschiebung entgegen.
Ein paar andere Sicherheitsforderungen werden von Walter Roller richtig analysiert:
"Aber hier ist das vorrangige Kalkül, im Wahlkampf ein paar leichte Punkte zu machen und den konservativen Anhang mit Merkel ein bisschen zu versöhnen, deutlich zu spüren."
Wahrscheinlich dürfen wir uns im langen Wahlkampf auf einige Blüten gefasst machen, wenn Umfragen die AfD reüssieren sehen und vor allem die CSU glaubt, mit AfD-nahen Forderungen konservatives Klientel bedienen zu können.
Eine Passage im Leitartikel ist jedoch fragwürdig. Walter Roller qualifiziert die Aussage von Merkel, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Terrorgefahr und Flüchtlingen:
"Merkels steile These, die im Widerspruch zur Einschätzung von Sicherheitsexperten steht, entspricht ihrem generellen Kurs, nur ja keine Fehler oder Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik einzugestehen."
Warum ist eine These "steil", wenn sie im Widerspruch zu Expertenmeinungen steht? Wenn Walter Roller bei "Sicherheitsexperte" an Rainer Wendt denkt, den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft, ist das das gleiche Expertenniveau, das man von einem Vorstand in der Pharma-Industrie zum Thema Gesundheitswesen kennt. Mir kommt der Begriff "Lobbyist" in den Sinn.
Vielleicht ist Walter Roller einer Verwechslung aufgesessen: Das zeitliche Zusammentreffen des Flüchtlingszuzuges einerseits und die zunehmende Hinwendung islamistischer Terroristen nach Europa und damit auch Deutschland verwechselt er mit Kausalität. Die Terrorprofis des IS sind nicht darauf angewiesen, als Flüchtling getarnte Attentäter nach Europa zu schleusen. Sie können mit Erfolg bereits hier lebende Personen requirieren, wie die Anschläge in Brüssel gezeigt haben. Und: ich traue dem IS soviel Flexibilität zu, dass er bei einer verstärkten Kontrolle von Flüchtlingen Wege finden wird, diese Kontrollen zu umgehen. Denn der IS verfügt über die notwendige Logistik und die notwendige Motivation. Je stärker der IS in seinem "Staatsgebiet" unter Druck gerät, desto mehr wird er versuchen, außerhalb dessen aktiv zu werden. Wie stark seine Motivation ist, lässt sich im Beitrag "Why we hate you & why we fight you" des professionell gemachten IS-Magazins nachlesen, aus dem ich vor zwei Tagen zitiert habe. Natürlich ist es plausibel anzunehmen, dass der IS versuchen wird, in den Flüchtlingen versteckt Terroristen nach Deutschland zu bringen. Allerdings ist es nicht plausibel, dass der Terror mit den Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sei, wie im Leitartikel anklingt.

Freitag, 19. August 2016

Terror auch ohne Flüchtlinge

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 18.8. einen Online-Artikel, in dem über den aus Merkels Sicht fehlenden Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terrorgefahr berichtet wird:


Angela Merkel wird wiedergegeben:
"Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) sagte sie auf die Frage, ob mit den Flüchtlingen auch der Terrorismus nach Deutschland gekommen sei, es sei in der Tat zu erkennen, dass versucht werde, Flüchtlinge für islamistischen Terrorismus zu gewinnen. Allerdings sei 'das Phänomen des islamistischen Terrorismus des IS nicht ein Phänomen, das durch die Flüchtlinge zu uns gekommen ist, sondern das wir auch schon vorher hatten.'"
Das sehe ich genau so. Der Terrorismus kommt nach Deutschland. Ein Weg ist die Radikalisierung hier lebender Personen, ein anderer die Einreise bereits radikalisierter.
Um zu verstehen, warum der Terrorismus unabhängig von den Flüchtlingen nach Deutschland kommt, lohnt ein Blick in das "Islamic State Magazine Dabiq", das als "Monatsmagazin des IS" verstanden werden kann (auf einen Link auf das Magazin verzichte ich hier). In der Ausgabe 15 findet sich der Artikel "Why we hate you & Why we fight you". Mit deutlichen Worten wird beschrieben, warum der IS Terror für gerechtfertigt hält. Zu Anschlägen wird allgemein ausgeführt:
"A hate crime? Yes. Muslims undoubtedly hate liberalist sodomites, as does anyone else with any shred of their fitrah (inborn human nature) still intact. An act of terrrorism? Most definitely. Muslims have been commanded to terrorize the disbelieving enemies of Allah. But an act ofe senseless violence? [...] you know full well, that the likes of the attacks carried out [...] in revenge for Islam and the Muslims make complete sense."
Terrorismus wird vom IS als sinnvoller Auftrag für jeden Muslim gesehen, nicht nur für Flüchtlinge. Der IS braucht nur Leute, die so beeinflussbar sind, dass sie sich vor den IS-Karren spannen lassen. Diese Leute würden auch ohne Flüchtlinge ihren Weg zu einem Terrorziel finden.
Der Artikel führt weiter aus, welche Gründe aus IS-Sicht den Terror rechtfertigen:
"1. We hate you, first and foremost, because you are disbelievers; you reject the oneness of Allah [...], you blaspheme against Him, claiming that He has a son.
2. We hate you because your secular, liberal societies permit the very things that Allah has prohibited while banning many of the things He has permitted [...]. As such, we wage war against you to stop you from spreading your diesbelief and debauchery - your secularism and nationalism, your perverted liberal values, your Christianity and atheism [...]
3. In the case of the atheist fringe, we hate you and wage war against you because you disbelieve in the existence of your Lord and Creator. [...]
4. We hate you for your crimes against Islam and wage war against you to punish you for your transgressions against our religion. [...]
5. We hate you for your crimes against the Muslims; your drones and fighter jets bomb, kill, and maim our people around the world [...] we fight you to stop you from killing our men, women, and children [...]
6. We hate you for invading our lands and fight you to repel you and drive you out. [...]
What's importand to understand here is that although some might argue that your foreign policies are the extent of what drives our hatred, this particular reason for hating you in secondary [...]."
Weiter unten im Artikel wird ausgeführt:
"As much as some liberal journalist would like you to believe that we do what we do because we're simply monsters with no logic behind our course of action, the fact is that we continue to wage - and escalate - a calculated war that the West thought it had ended several years ago."
Der Terrorismus des IS ist aus IS-Sicht eine Kriegsführung, mithin ein strategisch und taktisch planbares Vorgehen. Flüchtlinge sind in dieser Landkarte ein- aber vor allem auch ersetzbare Figuren. Deshalb hat Angela Merkel Recht: Den Terrorismus des IS hatten wir schon bevor die Flüchtlinge zu uns kamen. Wer es auf die Flüchtlinge schiebt, verstellt den Blick auf echte Lösungen.

Donnerstag, 18. August 2016

Walter Rollers Klartext

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 18.8. einen Leitartikel von Walter Roller:


Walter Roller schreibt:
"Liebend gern hätte die Bundesregierung weiter geheim gehalten, was nun ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist und die deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern wird: Die Türkei hat sich nach Einschätzung von Kanzleramt und Innenministerium zur 'zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt'."
Der erste Satzteil ist sicher richtig, da er mangelhafte Abstimmung zwischen den Ministerien sowie fehlende Geheimhaltung vertraulicher Unterlagen offenbart. Das ist unprofessionell, ja peinlich. Der letzte Satzteil, der die Rolle der Türkei als große Neuigkeit präsentiert, bringt keine Neuigkeit. Es ist nicht neu, dass Erdogan "als Pate und Förderer diverser islamistischer, auch terroristischer Gruppen fungiert". Seit Jahren schon.
Beispiel Muslimbruderschaft:  Das sind diejenigen, die in Ägypten nach dem Umsturz und dem Sturz Mubaraks 2011 demokratische Wahlen gewannen und die auch für den Westen willkommene Gesprächspartner waren. Noch vor einem Jahr schreibt die Welt:
"Sind die Muslimbrüder Terroristen? Die Frage lässt sich zunächst mal mit Nein beantworten. Darin sind sich Experten und westliche Geheimdienste einig. Bisher zumindest – und bezogen auf Ägypten."
Erdogan soll die Kooperation nun zum Vorwurf gemacht werden? Da stellt sich ein schaler Beigeschmack ein. Weiter schreibt Walter Roller:
"Sogar der 'Islamische Staat' (IS) konnte offenbar lange auf die klammheimliche Unterstützung Ankaras zählen, das Dschihadisten aus ganz Europa ungehindert durch die Türkei Richtung Syrien ziehen ließ.
Um den syrischen Despoten Assad zu stürzen, seinen Einfluss in der Region zu mehren und einen Kurdenstaat zu verhindern, scheint Erdogan jedes Mittel recht."
Der Westen findet auch nichts dabei, sich sogenannter gemäßigter Rebellen gegen Assad zu bedienen. Sogar Waffenlieferungen werden befürwortet. Im Kampf gegen den IS ist man sich einig, wobei zum Beispiel Russland und die USA sich nicht völlig einig sind, welche Gruppe wo zuzuordnen ist. Walter Roller schreibt weiter:
"Seine (Erdogans, Anm.) ideologische Nähe zu den Muslimbrüdern und sein großtürkischer Traum, zum Führer der arabischen Massen aufzusteigen – das sind zwei Seiten einer Medaille."
Ja. Beide streben einen Staat an, in dem islamische Geschichte, Kultur und Religion (vgl. Panislamismus) die tragende Rolle spielen. Die Methode Erdogan ist vor allem eine, in der äußere Feinde als Werkzeug der inneren Einigung dienen: die Kurden, die Gülen-Bewegung, Europa, der Westen insgesamt. Solange die Feindbilder funktionieren, wird sich Erdogan kaum von den Feinden dreinreden lassen.
Erdogan - vielmehr seine Anhänger - werden sich erst bewegen, wenn sie ihren Weg als problematisch erkennen. Zumindest die Wirtschaft zeigt bereits erste Dellen. Der Tourismus wendet sich von der Türkei ab und Spanien zu, wie die FAZ zeigt:


Der Wechselkurs der Türkischen Lira zum Euro schwankt stark, die "Börse brach ein, türkische Staatsanleihen gerieten unter Druck", wie der ORF schreibt. Das wird vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs unter Erdogan in den letzten Jahren eher zu Zweifeln in der Bevölkerung führen als Einmischungen von außen.
Walter Roller stellt selbst fest:
"Richtig ist: In der Politik kann man sich seine Freunde und Gesprächspartner nicht aussuchen [...]"
Ja. Deshalb muss genau überlegt werden, ob es sinnvoll ist, Gespräche mit der Türkei abzubrechen oder ob nicht mehr erreicht werden kann mit klaren Worten zu Menschenrechten, Demokratieverständnis und Staatsverständnis. Ein Abbruch der Gespräche würde nur das Feindbild Europa verstärken, er würde es Erdogan ermöglichen, Europa als wortbrüchig darzustellen. Der Abbruch wäre kein Signal, das beim gemeinten Empfänger verstanden würde. Die kritisierbare Zurückhaltung Merkels als allein von der Angst vor der Aufkündigung des Flüchtlingsdeals motiviert darzustellen, greift zu kurz: Die Balkanroute ist nicht offen, die Hoffnung der Flüchtlinge auf einen Reiseweg über die Türkei und weiter nach Europa also ohnehin gedämpft. Der Leitartikel ist keine Analyse der Türkei, sondern eine reflexhaft wiederholte Ablehnung der Aufnahme der Türkei in die EU und er ist eine wiederholte Kritik an Merkel wegen fehlender klarer Worte und harter Handlungen.


Donnerstag, 11. August 2016

Von Hinz und Kunz

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 11.8. einen Artikel über Petra Hinz:


Petra Hinz hat ihren Lebenslauf geschönt und Ausbildungen behauptet, die sie nie durchlaufen hat. Allerorten ist der Aufschrei groß und die Empörung bricht sich Bahn. Der Rücktritt wird gefordert, Diätenmitnahme unterstellt. Manche versteigen sich, wie Petra Hinz im Interview mit der WZ berichtet:
"Aber was ich in den letzten zwei Wochen erleben musste, erschreckt mich sehr. Es gab sogar Morddrohungen, eine Collage einer Prostituierten."
Wähler können sich getäuscht fühlen, ja. Aber das geht viel zu weit. In all dem stellen sich mir jedoch ganz andere Fragen als die, was Petra Hinz nun tun sollte.


Frage der Formalqualifikation

Petra Hinz hat ihren Lebenslauf manipuliert. Es sei dahin gestellt, ob es nur der selbstgeschriebene Lebenslauf war oder ob tatsächlich Zeugnisse gefälscht wurden. Die Frage ist, warum Frau Hinz glaubte, für die politische Arbeit diese Formalqualifikationen zu brauchen und warum ihre langjährigen Begleiter nie Zweifel hatten. Sie musste ja von Parteigremien etc. nominiert werden, um überhaupt die Chance auf Wählbarkeit zu bekommen.
Auf die Frage, warum sie gelogen und die Manipulation nie korrigiert hat, sagt sie:
"Ich kann das nicht mehr nachvollziehen. Die Lüge war da, aber gleichzeitig so weit weg."
Über die Gründe ließe sich trefflich spekulieren, nur das führt zu nichts. Offensichtlich war die behauptete Qualifikation für ihre politische Arbeit nicht notwendig:
"Die vielen Jahre in der Ratsarbeit waren für mich Lehrjahre, ich habe Kommunalpolitik von der Pike auf gelernt. Die Jahre im Bundestag waren mein Gesellenstück."
Ihre Unterstützer in all den Jahren haben nichts gemerkt, hatten keinen Zweifel an Petra Hinz' Fähigkeiten. Konnten oder wollten sie nicht die Formalqualifikation prüfen? Mit welcher Qualifikation sind die Unterstützer ausgestattet, um die Qualifikation der Unterstützten zu prüfen, wenn sie bei der Prüfung so versagt haben?
Wenn weder die Formalqualifikation für die politische Arbeit notwendig war noch die Qualifikation ausreichend geprüft wurde, drängt sich die Frage auf, was die große Empörung auslöst? Einen möglichen Grund nennt Petra Hinz selbst:
"Ich störe natürlich. Im nächsten Jahr sind Landtagswahlen. Es geht darum, mich so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden zu lassen."


Frage der Realqualifikation

Nachdem die Formalqualifikation kaum als notwendige Voraussetzung für gute politische Arbeit gesehen werden kann, stellt sich die Frage, was tatsächlich qualifiziert. Petra Hinz bleibt vage:
"Das, wofür ich gewählt wurde, habe ich mit viel Einsatz und meist gut gemacht."
Das ist wohl richtig, schließlich wurde sie über Jahre hinweg in verschiedene Ämter gewählt. Sie hat die richtigen Themen aufgegriffen, richtige Entscheidungen getroffen oder unterstützt und die Wähler von sich überzeugt. Ist es nicht das, was allenthalben von Politikern gefordert wird? Sie werden kritisiert, dass sie nicht die richtigen und wichtigen Themen anpacken und dass sie nicht entschlossen genug handeln würden. Kein Politiker wurde je dafür kritisiert, dass er kein Studium absolviert hätte - außer er behauptet es fälschlicherweise.


Frage der Schlussfolgerungen

Das Beispiel Petra Hinz zeigt uns, dass manche Formalqualifikationen für politische Arbeit tatsächlich entbehrlich sind und bestimmte Realqualifikationen wichtig. Um so unverständlicher, warum eine behauptete Formalqualifikation solche Wellen auslöst. Das Fehlen an sich kann es nicht sein. Vielleicht Enttäuschung darüber, dass Unterstützer und Wähler auf eine Hochstapelei hereingefallen sind, dass sie so lange Zeit "belogen" werden konnten, ohne je echt nachgefragt zu haben? Eine solch emotionale Komponente ist ein schlechter Ratgeber. Bei einem Richter wäre Befangenheit zu prüfen.
Letztendlich berührt der Fall die Frage, was einen guten Politiker ausmacht. Hat es ein Wolfgang Bosbach, der zu allen Themen etwas sagt? Hat es ein Björn Höcke mit seinem fragwürdigen Vokabular? Hat es Angela Merkel mit ihrer Zurückhaltung? Sind es stromlinienförmige Leute, die viel Zustimmung bekommen oder die mit Ecken und Kanten? Oder mal so und mal so? Es wäre schön, wenn die lautesten Rufer nach Konsequenzen für und wegen Petra Hinz ihre Motive offenlegten und sich nicht hinter einer Empörungsfassade versteckten. Der AZ-Artikel zitiert den Kommunikationswissenschaftler Christoph Bieber:
"Nach allem, was wir aus der politischen Skandalforschung wissen, wäre eine ausführliche öffentliche Entschuldigung die bessere Variante gewesen."
Offenbar gibt sich die Öffentlichkeit oft mit Fassaden zufrieden.

Mittwoch, 10. August 2016

Populistenmaul

Die Augsburger Allgemeine veröffentlicht am 10.8. einen Leitartikel von Christian Imminger:


Christian Imminger beschreibt die Wirkungsweise des Populismus gut. "[Bar] jedweder Inhalte" geht es darum, dem Volk das Gefühl zu geben, verstanden zu werden. Das wird verbunden mit der "Ausgrenzung und Verächtlichmachung Andersdenkender" und dem Zusammenschweißen der eigenen Anhängerschaft. In einem früheren Blog-Eintrag habe ich noch einen dritten Aspekt genannt: Die ausgegrenzten Andersdenkenden seien in einem Sinne "aggressiv", als sie den eigenen Leuten etwas nehmen oder vorenthalten wollen. Es wird ein Feindbild geschaffen und der Feind als böse dargestellt.
Wie leicht Populismus auf fruchtbaren Boden fallen kann, zeigt ein Zitat aus dem Roman "Andersen" von Charles Lewinsky:
"Wenn die beiden (Andersen spricht von seinen Eltern, Anm.) ausnahmsweise doch einmal von politischen Dingen reden, hört man von ihnen nur solche Sätze, wie ich sie mir auch für Andersen ausgedacht hatte, um ihn im Fall einer Vernehmung als unbedarft und damit ungefährlich erscheinen zu lassen. 'Die da oben machen ja doch, was sie wollen', oder 'Der kleine Mann muss immer alles ausbaden'. Mehr als solche Phrasen habe ich noch nie von ihnen gehört.
Wenn die beiden mit dieser Einstellung typisch für die Mehrheit sind - und ich habe keinen Grund, etwas anderes anzunehmen -, dann muss das Land leicht zu regieren sein."
Als Feindbild reicht die Kategorie "die da oben", als Freundbild "der kleine Mann".

Sonntag, 7. August 2016

Stimmungsbilder

Die Augsburger Allgemeine hat am 6.8. einen Artikel veröffentlicht, in dem über den Streit in der Union über den Kurs zur Flüchtlingspolitik berichtet wird:


Karl-Georg Wellmann kritisiert das Festhalten am "Wir schaffen das" und zeigt gleichzeitig, was alles geschafft wurde und woran gearbeitet wird in einem Flyer. Wolfgang Bosbach beteiligt sich mit der Analyse, immer mehr Menschen machten sich Sorgen, ob geschafft werden kann, was geschafft werden müsste und schlägt selbst vor, in Europa die Verweigerer der Flüchtlingsaufnahme finanziell zu belasten. Peter Ramsauer behauptet gar, viele empfänden das Festhalten als Provokation. Der Vorwurf der Sturheit wird wiederholt gemacht.
Stur ist sie jedoch nur in den Augen derer, die inhaltlich anderer Meinung sind. Standfestigkeit, die Kurt Kister als Alternative anbietet,  ist in der Wirkung gleich, jedoch ungleich positiver konnotiert. Standfestigkeit ist eine Eigenschaft, die notwendig ist, um verantwortlich Politik treiben zu können. Wer wie Andreas Scheuer seine Bestätigung in Umfragewerten sieht, läuft Gefahr, seine eigene Fundierung zu verlieren. Wie oft hat die CSU bereits mit der CDU gesprochen, um die Flüchtlingsthematik nicht zu Spaltpilz werden zu lassen? Und wie oft war der Burgfrieden über Bord geworfen worden, sobald sich ein vermeintlicher Anlass gefunden hat?
Der Artikel zeigt die Gefahr gut. Einerseits steigt die Zahl derer, die Merkels Flüchtlingspolitik ablehnen und stärkere nationale Alleingänge fordern, wenn die EU sich nicht zusammen finden kann. Sie entfernen sich damit von europäischen Idealen wie der Hilfe für Bedürftige, dem Gemeinsinn, der unbedingten Achtung von Menschenrechten. Andererseits halten sie europäische Ideale hoch, wenn sie eine bestimmtere Haltung gegenüber Erdogan fordern und hierfür sogar das Flüchtlingsabkommen mit Ankara aufgeben wollen. Und dann? Soll dann wieder mit Erdogan gesprochen werden, damit er erneut die Grenzen schließt? Ewig grüßt das Murmeltier.
Natürlich ist es notwendig, dass eine Politik von den Bürgern unterstützt wird. Bei Wahlen kann ein Politikversprechen unterstützt und bei Nichterfüllung bei der nächsten Wahl sanktioniert werden. Wer wie Andreas Scheuer stark auf Umfragewerte schielt, wird nur solange erfolgreich sein, bis jemand die Tastatur des Volkes virtuoser spielt. Donald Trump greift die Ängste vor Wohlstands- und Arbeitsplatzverlust bestimmter Personenkreise auf. Als Kämpfer für diese Personenkreise gegen das Establishment muss er nicht einmal fürchten, wegen irrlichternder Äußerungen Zuspruch zu verlieren, weil er diese Irrlichter als Leuchtturm darstellen kann. Erdogan greift eine Art Minderwertigkeitskomplexe auf, wenn er den wahren Türken wieder zu dem ihnen zustehenden Ansehen verhilft. Dass er dabei großzügig mit den Grundsätzen der türkischen Verfassung umgeht, wird ignoriert.
Politik muss sich an grundlegenden Prinzipien orientieren. Solche Prinzipien sind beispielsweise im Grundgesetz beschrieben oder über Verträge geregelt. Diese Prinzipien sind unbedingt zu verteidigen, sie sind nicht beliebige Manövriermasse. Es ist ein Unding, wenn Erdogan die Verfassung ändern will, um seine Machtfantasien zu realisieren. Es ist ein Unding, wenn die CSU außerhalb des von Verfassung und Verfassungsgericht definierten Rahmens einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren wollen. Es ist ein Unding, wenn verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich bedenkliche Maßnahmen wie die Nichtannahme von Asylanträgen gefordert werden. Wer seine Politik standfest auf grundlegenden Prinzipien aufbaut, kann gelassen den Vorwurf der Sturheit und der Provokation ignorieren.