Sonntag, 7. Februar 2016

Walter Roller setzt Kurs

Walter Roller setzt in seinem Leitartikel den Kurs auf Kursänderung:


Er bezieht sich auf Bundespräsident Gauck und behauptet, "eine Begrenzung der Massenzuwanderung [sei] 'politisch und moralisch' geboten". Das politische und moralische Gebot kommt in Anführungszeichen, mithin als Zitat. Ich weiß nicht, wann Gauck das so gesagt haben soll. Die Tagesschau zitiert den Bundespräsidenten so:
"Wenn in der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl dafür, dass Solidarität unser Lebensatem ist, wenn das schwinden würde und aus Angst und Abwehr sich eine kollektive Identität entwickeln würde, die immer nur 'Das Boot ist voll' schreit - dann hätten wir ein moralisches Problem und nicht nur ein politisches."
Walter Roller scheint seinem Kurs bereits voraus zu sein und die Das-Boot-ist-voll-Identität ist bereits Status quo. Zumindest gibt er selbst Anlass zu dieser Vermutung:
"Das moralische Vorbild, das Deutschland in Überschätzung seiner eigenen Kräfte abgeben will, findet keine Nachahmer. Sogar die Schweden winken ab - und führen ungerührt vor, dass sich Grenzen sehr wohl kontrollieren lassen."
Walter Roller bedient die Angst und Abwehr und erweckt den Eindruck, die Sicherung einer Grenze sei (in Deutschland oder Europa?) so leicht, wie es die Schweden vormachen. Nun ja, Schweden hat keine Landgrenze zur Flüchtlingsroute, sondern die Ostsee und eine gut ausgebaute Infrastruktur. Die bayerischen Wälder werden schwerer zu sichern sein. Schweden hat an seiner Seegrenze keine Quellstaaten von Flüchtlingen, kann sich auf die jeweiligen Partnerländer verlassen. Das ist an der Außengrenze der EU nicht so.
Wenn Walter Roller sich auf das Gauck-Interview bezieht, hätte er die weiteren Einlassungen des Präsidenten ebenfalls darstellen müssen:
"Gauck selber kommt zumindest zu dem Schluss, 'dass es in der Bemühung, möglichst vielen helfend zur Seite zu stehen, begründet sein kann, dass man nicht allen hilft'. Gauck mahnt, dass dieses Maß an Aufnahmebereitschaft jetzt öffentlich diskutiert werden muss, aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Es dürfe nicht dem rechten Rand überlassen werden, Probleme im Zusammenhang mit Zuwanderung anzusprechen. Die Politik fordert er auf, sich auch mit der AfD auseinander zu setzen."
Die Auswahl, die Walter Roller trifft, ist kein Aufruf, die Aufnahmebereitschaft aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu diskutieren. Es ist ein Widerhall der eigenwilligen Situationsdarstellung und der unangemessenen Lösungsansätze von Pegida, AfD  und Co.
Vor einigen Tagen hat Rudi Wais in seinem Leitartikel die Umfragen, die ein Erstarken der AfD zeigen, als Alarmsignal gesehen:


Er sieht durch den Zuspruch für die AfD "die Verwerfungen im Parteiengefüge größer, als viele Koalitionäre es wahrhaben wollen." Mit der AfD im Parlament würden Koalitionen schwieriger, es bliebe nur eine große Koalition, die sich meist durch wenig Änderungsbereitschaft hervor tut. Er schreibt: "Selbst zwei von drei Anhängern der Union halten die Regierung für überfordert". Und vorher: "Je länger Angela Merkels europäische Lösung auf sich warten lässt, umso rasanter fallen die Zustimmungswerte für die Kanzlerin und ihre Koalition."
Rudi Wais hat recht mit seinem Alarmsignal. Ich möchte seine Warnung um einen  weiteren Aspekt ergänzen. Eine Partei wie die AfD, die Absurdes für Deutschland propagiert, wird die deutsche Demokratie vertragen. Die Gefahr liegt darin, dass andere Parteien vor lauter Ehrfurcht angesichts der AfD-Umfragewerte die Distanz zur AfD verlieren. Walter Roller schreibt hinsichtlich der jüngsten Asylgesetze:
"Darin steht vieles, was eben noch als rechtspopulistisches und scharfmacherisches Gedankengut der CSU geschmäht worden ist: Aufnahmezentren, mehr sichere Herkunftsstaaten, konsequente Abschiebungen usw."
Als ob politische Realisierungen per se ein Siegel für die Lösungsqualität wären. Augenfällige Beispiele dazu gibt es derzeit in Ungarn, in Polen und anderen europäischen Ländern. Dort werden ohne Augenzucken die heiligen Kühe der europäischen Kultur wie Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Solidarität zur Schlachtbank geführt.
Europa rückt nach rechts. Landesgrenzen werden wieder als Bollwerke verstanden, die die Guten drinnen von den Bösen draußen trennen sollen. Der Zweck heiligt die Mittel, auch wenn die Mittel weder dem Problem gerecht werden noch wirksam sind, wie das Beispiel von Markus Ferber zeigt, der Geldleistungen für Flüchtlinge reduzieren will. Was gestern rechtspopulistisch war, wird heute als Lösung verkauft. Sogar Waffeneinsatz an der Grenze gegen Flüchtlinge wird laut einem Focus-Bericht von 29% als gerechtfertigt angesehen - so hoch war das Wahlergebnis der SPD in der Bundestagswahl 2013. Rechts ist in der Mitte angekommen und hat nicht nur seine "Fühler schon weit ins bürgerliche Milieu hinein ausgestreckt". Die Mitte merkt es nicht einmal.
Wie wirkmächtig das Ganze ist, belegen diese beiden zitierten Leserbriefe:


Hubert Bühler meint, die Ursachen sollten "schon an der Wurzel, sprich Grenzen, bekämpft werden." Eine Grenze als Wurzel der Ursache? Interessant. Petra Kiederle lobt den Augsburger Oberbürgermeister Gribl, der sich für ein Hausverbot im Rathaus für Frau Petry einsetzt. Ist die AfD nicht eine demokratisch legitimierte Partei? Warum soll sie nicht Räumlichkeiten nutzen wie andere gewählte Parteien auch? Man möge demonstrieren, aber nicht "mithilfe von Rechtsanwälten" "Hintertürchen" (Hubert Bühler) suchen.

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