Sonntag, 14. Juni 2015

Walter Rollers Sicht der Vorratsdatenspeicherung

Nachdem im Bundestag der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet wurde, hat Walter Roller in seinem Leitartikel in der Augsburger Allgemeinen beruhigt, der Rechtsstaat gehe nicht zugrunde:

Was soll gespeichert werden?

In dem Gesetzesentwurf sind Änderungen am Telekommunikationsgesetz angegeben. Der zukünftige §113b beschreibt, was auf Vorrat gespeichert werden soll:

Speicherdauer zehn Wochen

Nach dem Gesetzentwurf sind für Telefondienstleistungen zu speichern:
  • Rufnummer oder andere Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses
  • Beginn und Ende der Verbindung
  • Angaben zum genutzten Dienst
  • Bei Mobiltelefonie neben der Anschlusskennung bzw. Rufnummer auch die Kennung des Endgerätes (diese IMEI ist eine weltweit eindeutige Kennung des Mobiltelefons, die sich auch bei einem Tausch der SIM-Karte, also des Anschlusses, nicht ändert. Damit bleiben Telefone trotz Anbieterwechsel verfolgbar)
  • Bei Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen und Benutzerkennungen der verwendeten Anschlüsse
  • Die gleichen Informationen sind zu speichern bei telefondienstbasierten Nachrichten wie SMS.
  • Auch für unbeantwortete oder erfolglose Anrufe gilt die Speicherpflicht
Nach dem Gesetzentwurf sind für Internetdienstleistungen zu speichern:
  • Die zugewiesene IP-Adresse
  • Die Kennung des verwendeten Anschlusses
  • Die zugewiesene Benutzerkennung
  • Beginn und Ende der Internetnutzung

Speicherdauer vier Wochen

Die verkürzte Speicherdauer bezieht sich auf die Standortdaten. Damit sind "die Bezeichnungen der Funkzellen" gemeint, die zu Beginn der Verbindung genutzt wurden. Zudem muss der Dienstanbieter Daten vorhalten, um aus den Funkzellendaten die geografische Lage des Teilnehmers möglichst genau zu ermitteln.

Was nicht gespeichert werden darf

Hier ist der §113b (5) sehr eindeutig:
"Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden."

Was unterschlägt Walter Roller?

Walter Roller übersieht, dass Gerätekennungen sowie Benutzerkennungen gespeichert werden. Über die weltweit einmaligen Gerätekennungen lassen sich Profile erstellen. Werden als Benutzerkennungen beispielsweise Mailadressen verwendet, ließen sich auch daraus interessante Schlüsse ziehen, wenn die gleiche Kennung bei unterschiedlichen Diensten verwendet wird.

Wann dürfen Behörden die gespeicherten Daten abfragen?

In dem Gesetzentwurf sind im geänderten §110g des Strafgesetzbuchs die Bedingungen hinsichtlich der Straftat genannt, unter denen die Daten erhoben, also beim Dienstanbieter abgefragt werden dürfen.

Rechtfertigende Straftaten

Vorausgesetzt wird der Verdacht, eine Person habe als Täter oder Teilnehmer bei einer der folgenden Taten gehandelt:
  • Friedens- und Hochverrat
  • Schwerer Landfriedensbruch
  • Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung
  • Sexueller Missbrauch von Kindern
  • Gemeinschaftliche Vergewaltigung
  • Sexuelle Nötigung widerstandsunfähiger Personen
  • Besitz oder Erwerb kinderpornografischer Schriften
  • Mord und Totschlag
  • Menschenraub und Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung
  • Bandendiebstahl
  • Schwerer Raub und räuberische Erpressung
  • Brandstiftung
  • Einschleusen von Ausländern
  • Bestimmte Straftaten nach dem Betäubungsmittel- oder Grundstoffüberwachungsgesetz
  • Unterlaufen von der EU oder der Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen
  • Tätigkeit für einen fremden Geheimdienst
  • Waffenhandel

Was unterschlägt Walter Roller?

Walter Roller nennt nur "Terrorismus, organisierte Bandenkriminalität, Kindsmissbrauch, Menschenhandel" - zweifelsohne gefühlt schwere Straftaten. Allerdings unterschlägt er Straftaten aus - wenn man so will - einer anderen Liga. Kindsmissbrauch auf der einen und Besitz kinderpornografischer Schriften auf der anderen Seite. Beide Straftaten sind ekelhaft, keine Frage. Terrorismus auf der einen und Totschlag auf der anderen Seite. Organisierte Bandenkriminalität (das hört sich nach mafiösem Umfang an) auf der einen und Bandendiebstahl auf der anderen Seite. Täter auf der einen und Teilnehmer auf der anderen Seite.
Walter Roller verweist nur auf die einfachen und plakativen Fälle schwerer Straftaten und setzt mit seiner Formulierung einen entsprechenden mentalen Anker. Seinem Leitartikel hätte es nicht geschadet, wenn er auch Beispiele am leichteren Ende der Straftaten genannt hätte:
  • Beischlaf mit einer Person, die durch KO-Tropfen widerstandsunfähig gemacht wurde
  • Demonstration gegen G7, Atomtransporte etc., wobei es zu Beschädigungen kommt, also Landfriedensbruch
  • Überfall auf einen Kiosk, wobei eine Waffenattrappe benutzt wird

Instrument zur Aufklärung schwerer Verbrechen?

Der erste Satz des Gesetzentwurfs lautet:
"Bei der Aufklärung schwerer Straftaten und bei der Gefahrenabwehr sind Verkehrsdaten ein wichtiges Hilfsmittel für die staatlichen Behörden."
Allerdings wird kein Beweis geführt. Die Nützlichkeit der Verkehrsdaten wird postuliert. Walter Roller übernimmt diesen Glaubenssatz unkritisch. Er erklärt nicht, wie Verkehrsdaten nützlich sein können, wenn die Mobilrufnummern beispielsweise von Schleusern nicht bekannt sind. Er erklärt nicht, wie gerichtsverwertbare Beweise für eine Beteiligung an einer Straftat geführt werden können, wo doch der Inhalt der Kommunikation geheim bleibt. Er erklärt nicht, warum ein Heuhaufen gespeichert werden soll, weil darin vielleicht eine Nadel sein könnte. Er erklärt nicht, welche Fehlschlüsse Behörden ziehen können, wenn harmlose Personen mehrfach in der gleichen Funkzelle mit Terroristen gefunden werden.
Am Ende verlässt Walter Roller das Gelände der Straftaten und verweist darauf, dass die "völlig unkontrollierte Datensammelwut großer Konzerne [...] weit weniger Skepsis" auslöst. Hier vergleicht er Äpfel mit Birnen. Er hat Recht mit dem Hinweis auf die unhinterfragte Nutzung von Diensten wie Facebook oder Google. Jedoch: Die Nutzung eines Telefons ist viel grundlegender als die Nutzung einer Google-Mailadresse. Durch eigenes Verhalten hat es der Einzelne zum Teil im Griff, welches Unternehmen welche persönlichen Daten von ihm hat. Bei der Vorratsdatenspeicherung gibt es dies nicht. Zudem: Weiter oben habe ich beschrieben, wie er einen mentalen Anker bei schweren Straftaten setzt. Nun benutzt er einen "Gegenanker", um für seine Argumentation pro Vorratsdatenspeicherung Zustimmung zu erlangen: Wer freiwillig seine Daten zu Facebook überspielt, soll sich nicht so haben, wenn es gegen den Terror geht.
Walter Roller hat die Chance verpasst, einen Leitartikel zu verfassen, der sich tatsächlich kritisch mit dem Gesetzentwurf auseinander setzt. Er hat lediglich den Überwachungsgläubigen nach dem Mund geredet.

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