Sonntag, 13. Mai 2018

Herrmanns Herrlichkeit

Die Augsburger Allgemeine hat am 12.5. über die Massenproteste gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) und die politischen Reaktionen darauf berichtet:



Die Demonstration

Nach dem Bericht waren 30.000 oder 40.000 Teilnehmer bei der Demonstration. Zu den Sachgründen der Demonstration heißt es im Bericht:
"Auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, wies Herrmanns Kritik an den Gegnern zurück: 'Es gibt sehr gute rechtliche Argumente gegen das kritisierte Gesetz', sagte er."
Ausführlicher wird die Kritik dargestellt in einem Bericht vom 22.3. über die Expertenanhörung zum PAG:
"Der Strafrechtsexperte Hartmut Wächtler wies vor dem Innenausschuss darauf hin, dass damit 'die größte und umfassendste Kontrollkompetenz' für eine Polizei in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus im Jahr 1945 geschaffen werden würde."
"So müsse die Polizei keine konkrete Gefahr mehr nachweisen, um gegen Bürger vorgehen zu können. Das Post- und Telekommunikationsgeheimnis dürfe bereits präventiv bei 'drohender Gefahr' von der Polizei gebrochen werden. Dazu gehörten auch Zugriffe auf den Computer, das Smartphone und die Cloud. Die Daten dürften durchsucht, gespeichert, gelöscht und sogar verändert werden, dazu gehörten auch die Kommunikationsdaten einer E-Mail."
"Der Polizei steht es frei, Bürger präventiv als Gefährder zu kategorisieren. Diesen darf die Polizei ohne Prozess und Verteidiger einen Wohnort zuweisen. Sie dürfen bei konkretem Verdacht für zunächst drei Monate, mit richterlicher Genehmigung für unbegrenzte Zeit in Vorbeugehaft genommen werden. Vor dem Gericht steht ihnen aber kein Pflichtverteidiger zu. Es genügt, dass die Polizei eine Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in überschaubarer Zukunft eine Straftat begehen wird."
"Die Freiburger Kulturanthropologin Prof. Dr. Anna Lipphardt sagt: 'Vorgesehen ist ein Alles-ist-erlaubt-Gesetz, bei dem die Ermittler sehr weitreichende Befugnisse erhalten, ohne Rechenschaft über die Art der Anwendung geben zu müssen.'"
Eine Art globale Bewertung zum Gesetz kam vom bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten:
"Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri erkennt in dem Gesetzentwurf eine 'konsequente Herabsenkung der Einschreitschwellen'. Die zahlreichen neuen polizeilichen Datenverarbeitungsbefugnisse seien 'unter Freiheitsaspekten problematisch' und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben 'nicht geklärt'."
Wiederholt fällt ja die CSU auf mit Vorschlägen, die in der Abwägung freiheitlicher Bürgerrechte und Rechtsstaat immer klar den Rechtsstaat und die harte konsequente Linie bevorzugen. Jedenfalls liefert das Gesetz den Demonstranten genug Ansatzpunkte für Kritik.

Herrmanns Reaktionen

Die Expertenanhörung zeigte, dass es berechtigte Einwendungen gegen das Gesetz gibt. Doch was gehen die CSU Einwände an, wenn sie Härte zelebrieren will:
"Herrmann denkt, dass sich viele Demonstranten in die Irre führen haben lassen und wählt deftige Worte. Er spricht von 'Lügenpropaganda' der Gegner und von 'Stimmungsmache, die bewusst auf Unwahrheiten setzt'."
Lügen und Stimmungsmache als Vorwurf kennt man von der AfD, die sich damit jeglicher sachlicher Auseinandersetzung entledigt und sich ihrer Opferrolle versichert.
Auf Herrmanns Aussagen gab es natürlich Reaktionen, beispielsweise von der bayerischen SPD. Doch:
"Herrmann wehrte sich gegen die Kritik der Sozialdemokraten (an seiner Reaktion auf den Protest, Anm.). Er nehme alle Bürger ernst, sagte der Minister. 'Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Demonstranten oder Medien an sich. Sie richtet sich gegen diejenigen, die derzeit mit bewusst gestreuten Unwahrheiten Stimmungsmache gegen das PAG betreiben.' Es entbehre jeglicher Grundlage zu behaupten, die Polizei solle in eine Geheimpolizei und der Freistaat in einen Überwachungsstaat umgebaut werden. Auch künftig werde sich kein rechtschaffener Bürger vor der Polizei fürchten müssen, so Herrmann. 'Für die bayerische Polizei werden auch in Zukunft ganz klare und überprüfbare Regeln gelten, die rechtsstaatlich einwandfrei und ausgewogen sind', betonte der Innenminister."
Herrmann verschließt die Augen vor einem Befund, der bei der Expertenanhörung zur Sprache kam: die Polizei werde mit geheimpolizeilichen Befugnissen ausgestattet. Herrmann deutet das um in einen Befund, die Polizei solle zur Geheimpolizei umgebaut werden. Das ist nicht das Ziel, das nehme ich der CSU ab. Auch einen Umbau des Frei- in einen Überwachungsstaat erwarte ich nicht auf der politischen Agenda. Dennoch: das PAG erweitert Überwachungsbefugnisse, Menschen können ohne Anklage über Wochen und Monate im Gefängnis sitzen.
Herrmann behauptet, seine Kritik richte sich gegen die, "die derzeit mit bewusst gestreuten Unwahrheiten Simmungsmache" betrieben. Herrmann ist hier ein Vereinfacher, der pauschal allen Demonstranten solche Vorwürfe macht. Selbst falls Einzelne tatsächlich so agieren sollten, für die Masse der Demonstranten dürfte das kaum zutreffen.
Herrmann behauptet, es würden "auch in Zukunft ganz klare und überprüfbare Regeln gelten". Man frägt sich, ob er das Gesetz selbst gelesen hat, denn die "drohende Gefahr", bei der die Polizei zukünftig vorbeugend aktiv werden können soll, ist alles andere als eine klare Regel. Sie lässt viel Spielraum.
Herrmann behauptet, "kein rechtschaffener Bürger [müsse sich] vor der Polizei fürchten". Das ist der Stehsatz all jener, die am Fließband Freiheitsrechte opfern. Das ist das Mantra all jener, die finden, dass wer nichts zu verbergen habe, auch nicht betroffen sei. Doch genau dies ist falsch, weil beispielsweise für Gesichtserkennungssysteme alle Passanten zumindest erfasst werden müssen.

Einordnung der Reaktionen

Zum Bericht kommentiert Holger Sabinsky-Wolf in der Printausgabe:

Holger Sabinsky-Wolf schreibt zu Recht, die Materie sei komplex. Die Lektüre der Drucksache 17/20425 für den Bayerischen Landtag zeigt dies. Dennoch haben sich viele Menschen an der Demonstration beteiligt:
"Zehntausende Menschen sind auf die Straße gegangen. Es waren sicher nicht nur Linktsextremisten und von Lügen Irregeleitete."
Die Bürger hätten ein "gutes Gespür dafür, wenn die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gestört wird". Sie fühlen sich "unwohl bei dem Gedanken, dass die Polizei künftig viel früher und massiver eingreifen darf". Doch Herrmann nehme dies nicht ernst, denn die CSU versuche, "das Polizeigesetz in aller Stille durchzusetzen". Holger Sabinsky-Wolf fordert, die CSU solle "sich mit ihren Argumenten (die der Kritiker, Anm.) sachlich" auseinandersetzen. Sie müsse "nachvollziehbar erklären, warum es das Gesetz in dieser Form braucht".
Richtig. Doch die CSU verweigert sich der Auseinandersetzung. Auch die Drucksache selbst liefert keinen Aufschluss. In der Problembeschreibung heißt es:
"Die Richtlinie (EU) 2016/680 vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (RiLi) ist für den Bereich der Bayerischen Polizei bis Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), insbesondere mit Urteil vom 20.04.2016, Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR  1140/09 (BKAG-Urteil), seine Rechtsprechung zu den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung polizeilicher Eingriffsbefugnisse weiterentwickelt und präzisiert. Zudem bedarf es einer weiteren, dem Stand der Technik entsprechenden Ergänzung und noch effektiveren Ausgestaltung wichtiger polizeilicher Befugnisnormen."
Da wird mit Datenschutz argumentiert und im Gesetz eine verstärkte Überwachung normiert. Damit und durch die Verweigerung der gebotenen sachlichen Auseinandersetzung entsteht der Eindruck, die CSU habe sich in ihre eigene Welt verabschiedet. Die anstehende Landtagswahl ist das Universum, in dem es nur noch Extreme von links und rechts gibt, die CSU gibt den weißen Ritter. Wo sie sonst inbrünstig auf Umfragen und Volksmeinungen schaut, beim PAG gilt dies nicht. Augenscheinlich zählt Bürgermeinung nur, wenn der Bürger die Meinung der CSU teilt. Darum wähnt sie im Kreuzstreit eine Mehrheit hinter sich und fühlt sich gestärkt. Beim PAG sind die Bürger verblendete Linksextreme, die bestenfalls ignoriert werden, tatsächlich jedoch beschimpft.
Von außen lässt sich kaum sagen, ob die CSU so agiert, weil sie die AfD fürchtet, in deren "Lösungen" jedoch selbst Lösungspotentiale sieht. Oder ob die CSU trunken ist von langer Alleinregierung und sich für unfehlbar hält. Es bleibt zu hoffen, "dass das Thema dem neuen Ministerpräsidenten im Wahlkampf noch viel Kopfzerbrechen bereiten wird". Vielleicht führt der so induzierte Kopfschmerz zu einem Nachdenken und die CSU zurück auf den Weg zum Dialog mit dem Bürger und Wähler.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen