Sonntag, 27. Mai 2018

Anspruch an die AfD, Prüfungsergebnis

Anfang April  habe ich im Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition eingebracht. Mit der Petition sollte die Blockade des @AZ_Beobachter durch @AfD, @AfDimBundestag etc. aufgehoben werden. Nun liegt die Antwort der Vorprüfung der Petition vor:


Im Schreiben heißt es:
"Nach Prüfung aller Gesichtspunkte kommt er (der Ausschussdienst, der die Vorprüfung vornimmt, Anm.) zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition voraussichtlich nicht den gewünschten Erfolg haben wird."
Zur Begründung wird ausgeführt:
"Grundsätzlich mache ich darauf aufmerksam, dass die Fraktionen ihre Internetauftritte in eigener Hoheit betreiben. Dazu gehört auch die individuelle Einstellung von gesperrten Sendeadressen, der Zeitpunkt und die Dauer der Sperrung sowie die Entscheidung, welche Gründe vorliegen müssen, um eine Sendeadresse zu sperren."
Schade, dass die Hoheit der Fraktionen und Parteien soweit geht, dass sie sich ihrem verfassungsgemäßen Auftrag zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung so leicht entziehen können. Die AfD handelt mit den Sperren zwar auf dem Boden der Gesetze. Allerdings wird sie ihrem eigenen Anspruch an Freiheit, Meinungsfreiheit etc. nicht gerecht, wenn sie sich auf eine solche Weise aus der politischen Diskussion verabschiedet.

Montag, 14. Mai 2018

CSU panisch hysterisch

Gregor Peter Schmitz hat in der Augsburger Allgemeinen am 14.5. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er den Zustand der CSU diagnostizierte:


Gregor Peter Schmitz schreibt:
"Warum verwandelte sich der besonnene Blume so rasch in ein CSU-Fallbeil? Die Wahrheit lautet: aus Panik."
"[...] und die rechte Konkurrenz nicht durch Hysterie aufzuwerten."
Ja, diese Diagnose ist richtig. Die CSU sah sich bisher als Gralshüter eines konservativen Bayerns. In Jahrzehnten der Alleinregierung hat sie diese Funktion verinnerlicht und in einen Anspruch transformiert. Nicht mehr nur, dass sie sich für die idealtypische Verkörperung Bayerns hält, sie beansprucht, von den Wählern so wahrgenommen zu werden.
Das hat über Jahre gut funktioniert. Die SPD war zu sehr Arbeiterpartei, als dass sie bäuerliche Politik glaubhaft generieren konnte. Die Grünen waren zu sehr Ökopartei in einem Bundesland, das heile Natur und gesunde Kühe als Werbebild in alle Welt exportiert. Die FDP bediente immer schon nur Randgruppen, durfte mal am Regierungstrog mitnaschen, als Mehrheitsbeschafferin. Andere Parteien wie die Bayernpartei, die Freien Wähler etc. versuchten es ähnlich der CSU über den bayerischen Weg, blieben jedoch Kopie.
Mit dem Aufkommen der AfD wandelte sich das Bild. Die CSU ist nun von einem einzigen Wunsch beseelt:
"Diese Partei soll nach dem Willen von Markus Söder aber unbedingt verschwinden."
Um das zu erreichen, bräuchte es eine Zauberformel, genannt Strategie. Doch:
"Nur: eine Strategie, dies zu verhindern, ist bislang nicht zu erkennen."
Doch wo ist das Problem? Die AfD behauptet von sich, eine konservative, patriotische Partei zu sein. Man kann darüber diskutieren, ob die Politik noch patriotisch oder schon nationalistisch ist. Man kann darüber diskutieren, ob die AfD konservative Werte glaubwürdig vertritt. Man kann darüber diskutieren, wie viel Populismus im Agieren der AfD steckt. Doch viel beunruhigender für die CSU ist, dass es der AfD gelingt, Themen über Stammtische auf die politische Agenda zu hieven, die tatsächlich Handlungsfelder verantwortungsvoller Politik sind oder sein sollten. Was die AfD auf die Agenda bringt, wird nicht einfach serviert. Es wird heiß serviert.
Es kommen also Themen hoch, die auch Themen einer CSU sein könnten. Die Themen werden durch erfolgreichen Einsatz sozialer Medien groß und laut gemacht. Bisher war die CSU für markige Sprüche bekannt. Mit der AfD taucht ein neuer Meister auf, der noch lauter, noch markiger ist. Zudem noch konservativer, zumindest in der Eigendarstellung. Der Zauberstab der CSU, mit dem sie bisher Wahlen dirigieren konnte, hat seine Wirkung verloren.
Da eine echte Alternative zur CSU in bayerischen Wahlen bisher nie zur Verfügung stand, hat die CSU auch keine entsprechende Übung im Umgang mit Alternativen. Sie glaubt nun, mit "more of the same" die AfD übertönen zu können. Doch das wird nicht funktionieren, weil die AfD in der Wahrnehmung Vieler nicht mehr nur eine Alternative ist, sondern das Original. Die AfD will strengere Gesetze gegen Straftäter als die CSU. Sie will härteren Umgang mit Asyl und Migration. Sie verteidigt nicht die christlich-jüdischen (so die Behauptung der CSU) Wurzeln Bayerns, sie verteidigt das ganze Abendland. Nicht nur gegen Terror, sondern auch gegen Islamisierung.
Je lauter die CSU zu sein versucht, desto mehr offenbart sie ihre Schwäche. Denn sie kann nicht glaubhaft vermitteln, die AfD sei brauner Schmutz, um im nächsten Satz Forderungen aufzustellen, von denen die AfD richtigerweise behaupten kann, sie seien von ihr abgeschrieben. Panisch fuchtelt die CSU mit ihrem wirkschwachen Zauberstab herum. Ab und zu würgt er ein Fünkchen (beispielsweise das Kreuz) hervor, das die CSU dann schon für großes Feuerwerk hält. Vor lauter Gefuchtel und Staunen über das vermeintliche Feuerwerk übersieht die CSU: sie sitzt auf dem Hexenbesen der AfD. Über diesen Besen hat die CSU keine Macht. Sie hält sich mit einer Hand krampfhaft fest, weil sie den Besen vermeintlich reitet. Mit der anderen Hand fuchtelt sie den entzauberten Stab. Dabei wäre es gescheiter, sie würde beide Hände für echte politische Arbeit verwenden. Wie Gregor Peter Schmitz schreibt:
"Deswegen sollte die CSU sich auf Tugenden besinnen, die in Wahljahren schwer fallen: Ruhe bewahren, effizient arbeiten"
Sollte die CSU das nicht schaffen, wird ihr Erfolg bei der Wahl fraglich sein und eine Alleinregierung nicht möglich. Und sollte sie weiter den Besen reiten, kann sie so viel Schaden anrichten, dass ihr die Koalitionspartner abhanden kommen: sie hat sich von der AfD auf braunes Gelände locken lassen, kann nicht mehr zurück ohne Gesichtsverlust, mit der AfD koalieren kann sie auch nicht und die anderen Parteien wollen nicht zu ihr auf's braune Gelände. Die Strategielosigkeit, Panik und Hysterie kaschiert mit markigem Auftritt würde dilettierend in der Sackgasse enden - mit schmutzigen Stiefeln.

Sonntag, 13. Mai 2018

Herrmanns Herrlichkeit

Die Augsburger Allgemeine hat am 12.5. über die Massenproteste gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) und die politischen Reaktionen darauf berichtet:



Die Demonstration

Nach dem Bericht waren 30.000 oder 40.000 Teilnehmer bei der Demonstration. Zu den Sachgründen der Demonstration heißt es im Bericht:
"Auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, wies Herrmanns Kritik an den Gegnern zurück: 'Es gibt sehr gute rechtliche Argumente gegen das kritisierte Gesetz', sagte er."
Ausführlicher wird die Kritik dargestellt in einem Bericht vom 22.3. über die Expertenanhörung zum PAG:
"Der Strafrechtsexperte Hartmut Wächtler wies vor dem Innenausschuss darauf hin, dass damit 'die größte und umfassendste Kontrollkompetenz' für eine Polizei in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus im Jahr 1945 geschaffen werden würde."
"So müsse die Polizei keine konkrete Gefahr mehr nachweisen, um gegen Bürger vorgehen zu können. Das Post- und Telekommunikationsgeheimnis dürfe bereits präventiv bei 'drohender Gefahr' von der Polizei gebrochen werden. Dazu gehörten auch Zugriffe auf den Computer, das Smartphone und die Cloud. Die Daten dürften durchsucht, gespeichert, gelöscht und sogar verändert werden, dazu gehörten auch die Kommunikationsdaten einer E-Mail."
"Der Polizei steht es frei, Bürger präventiv als Gefährder zu kategorisieren. Diesen darf die Polizei ohne Prozess und Verteidiger einen Wohnort zuweisen. Sie dürfen bei konkretem Verdacht für zunächst drei Monate, mit richterlicher Genehmigung für unbegrenzte Zeit in Vorbeugehaft genommen werden. Vor dem Gericht steht ihnen aber kein Pflichtverteidiger zu. Es genügt, dass die Polizei eine Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in überschaubarer Zukunft eine Straftat begehen wird."
"Die Freiburger Kulturanthropologin Prof. Dr. Anna Lipphardt sagt: 'Vorgesehen ist ein Alles-ist-erlaubt-Gesetz, bei dem die Ermittler sehr weitreichende Befugnisse erhalten, ohne Rechenschaft über die Art der Anwendung geben zu müssen.'"
Eine Art globale Bewertung zum Gesetz kam vom bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten:
"Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri erkennt in dem Gesetzentwurf eine 'konsequente Herabsenkung der Einschreitschwellen'. Die zahlreichen neuen polizeilichen Datenverarbeitungsbefugnisse seien 'unter Freiheitsaspekten problematisch' und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben 'nicht geklärt'."
Wiederholt fällt ja die CSU auf mit Vorschlägen, die in der Abwägung freiheitlicher Bürgerrechte und Rechtsstaat immer klar den Rechtsstaat und die harte konsequente Linie bevorzugen. Jedenfalls liefert das Gesetz den Demonstranten genug Ansatzpunkte für Kritik.

Herrmanns Reaktionen

Die Expertenanhörung zeigte, dass es berechtigte Einwendungen gegen das Gesetz gibt. Doch was gehen die CSU Einwände an, wenn sie Härte zelebrieren will:
"Herrmann denkt, dass sich viele Demonstranten in die Irre führen haben lassen und wählt deftige Worte. Er spricht von 'Lügenpropaganda' der Gegner und von 'Stimmungsmache, die bewusst auf Unwahrheiten setzt'."
Lügen und Stimmungsmache als Vorwurf kennt man von der AfD, die sich damit jeglicher sachlicher Auseinandersetzung entledigt und sich ihrer Opferrolle versichert.
Auf Herrmanns Aussagen gab es natürlich Reaktionen, beispielsweise von der bayerischen SPD. Doch:
"Herrmann wehrte sich gegen die Kritik der Sozialdemokraten (an seiner Reaktion auf den Protest, Anm.). Er nehme alle Bürger ernst, sagte der Minister. 'Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Demonstranten oder Medien an sich. Sie richtet sich gegen diejenigen, die derzeit mit bewusst gestreuten Unwahrheiten Stimmungsmache gegen das PAG betreiben.' Es entbehre jeglicher Grundlage zu behaupten, die Polizei solle in eine Geheimpolizei und der Freistaat in einen Überwachungsstaat umgebaut werden. Auch künftig werde sich kein rechtschaffener Bürger vor der Polizei fürchten müssen, so Herrmann. 'Für die bayerische Polizei werden auch in Zukunft ganz klare und überprüfbare Regeln gelten, die rechtsstaatlich einwandfrei und ausgewogen sind', betonte der Innenminister."
Herrmann verschließt die Augen vor einem Befund, der bei der Expertenanhörung zur Sprache kam: die Polizei werde mit geheimpolizeilichen Befugnissen ausgestattet. Herrmann deutet das um in einen Befund, die Polizei solle zur Geheimpolizei umgebaut werden. Das ist nicht das Ziel, das nehme ich der CSU ab. Auch einen Umbau des Frei- in einen Überwachungsstaat erwarte ich nicht auf der politischen Agenda. Dennoch: das PAG erweitert Überwachungsbefugnisse, Menschen können ohne Anklage über Wochen und Monate im Gefängnis sitzen.
Herrmann behauptet, seine Kritik richte sich gegen die, "die derzeit mit bewusst gestreuten Unwahrheiten Simmungsmache" betrieben. Herrmann ist hier ein Vereinfacher, der pauschal allen Demonstranten solche Vorwürfe macht. Selbst falls Einzelne tatsächlich so agieren sollten, für die Masse der Demonstranten dürfte das kaum zutreffen.
Herrmann behauptet, es würden "auch in Zukunft ganz klare und überprüfbare Regeln gelten". Man frägt sich, ob er das Gesetz selbst gelesen hat, denn die "drohende Gefahr", bei der die Polizei zukünftig vorbeugend aktiv werden können soll, ist alles andere als eine klare Regel. Sie lässt viel Spielraum.
Herrmann behauptet, "kein rechtschaffener Bürger [müsse sich] vor der Polizei fürchten". Das ist der Stehsatz all jener, die am Fließband Freiheitsrechte opfern. Das ist das Mantra all jener, die finden, dass wer nichts zu verbergen habe, auch nicht betroffen sei. Doch genau dies ist falsch, weil beispielsweise für Gesichtserkennungssysteme alle Passanten zumindest erfasst werden müssen.

Einordnung der Reaktionen

Zum Bericht kommentiert Holger Sabinsky-Wolf in der Printausgabe:

Holger Sabinsky-Wolf schreibt zu Recht, die Materie sei komplex. Die Lektüre der Drucksache 17/20425 für den Bayerischen Landtag zeigt dies. Dennoch haben sich viele Menschen an der Demonstration beteiligt:
"Zehntausende Menschen sind auf die Straße gegangen. Es waren sicher nicht nur Linktsextremisten und von Lügen Irregeleitete."
Die Bürger hätten ein "gutes Gespür dafür, wenn die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gestört wird". Sie fühlen sich "unwohl bei dem Gedanken, dass die Polizei künftig viel früher und massiver eingreifen darf". Doch Herrmann nehme dies nicht ernst, denn die CSU versuche, "das Polizeigesetz in aller Stille durchzusetzen". Holger Sabinsky-Wolf fordert, die CSU solle "sich mit ihren Argumenten (die der Kritiker, Anm.) sachlich" auseinandersetzen. Sie müsse "nachvollziehbar erklären, warum es das Gesetz in dieser Form braucht".
Richtig. Doch die CSU verweigert sich der Auseinandersetzung. Auch die Drucksache selbst liefert keinen Aufschluss. In der Problembeschreibung heißt es:
"Die Richtlinie (EU) 2016/680 vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (RiLi) ist für den Bereich der Bayerischen Polizei bis Mai 2018 in nationales Recht umzusetzen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), insbesondere mit Urteil vom 20.04.2016, Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR  1140/09 (BKAG-Urteil), seine Rechtsprechung zu den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung polizeilicher Eingriffsbefugnisse weiterentwickelt und präzisiert. Zudem bedarf es einer weiteren, dem Stand der Technik entsprechenden Ergänzung und noch effektiveren Ausgestaltung wichtiger polizeilicher Befugnisnormen."
Da wird mit Datenschutz argumentiert und im Gesetz eine verstärkte Überwachung normiert. Damit und durch die Verweigerung der gebotenen sachlichen Auseinandersetzung entsteht der Eindruck, die CSU habe sich in ihre eigene Welt verabschiedet. Die anstehende Landtagswahl ist das Universum, in dem es nur noch Extreme von links und rechts gibt, die CSU gibt den weißen Ritter. Wo sie sonst inbrünstig auf Umfragen und Volksmeinungen schaut, beim PAG gilt dies nicht. Augenscheinlich zählt Bürgermeinung nur, wenn der Bürger die Meinung der CSU teilt. Darum wähnt sie im Kreuzstreit eine Mehrheit hinter sich und fühlt sich gestärkt. Beim PAG sind die Bürger verblendete Linksextreme, die bestenfalls ignoriert werden, tatsächlich jedoch beschimpft.
Von außen lässt sich kaum sagen, ob die CSU so agiert, weil sie die AfD fürchtet, in deren "Lösungen" jedoch selbst Lösungspotentiale sieht. Oder ob die CSU trunken ist von langer Alleinregierung und sich für unfehlbar hält. Es bleibt zu hoffen, "dass das Thema dem neuen Ministerpräsidenten im Wahlkampf noch viel Kopfzerbrechen bereiten wird". Vielleicht führt der so induzierte Kopfschmerz zu einem Nachdenken und die CSU zurück auf den Weg zum Dialog mit dem Bürger und Wähler.

Sonntag, 6. Mai 2018

Lehren aus Ellwangen

Rudi Wais hat am 5.5. in der Augsburger Allgemeinen einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er "Lehren aus Ellwangen" zieht:


Rudi Wais schreibt:
"Ellwangen: Das ist seit dieser Woche ein Synonym für Kontrollverlust und politische Überforderung. Ein Menetekel."
Bewohner einer Asylunterkunft hatten sich zu einer Gruppe formiert und eine von der Polizei versuchte Abschiebung eines Togolesen verhindert. Im Angesicht der Gruppe und des aus dieser Gruppe heraus entstehenden Widerstandes hatten die Beamten ihren Versuch abgebrochen. Während dieses Vorganges soll es Faustschläge gegen ein Polizeifahrzeug gegeben haben, ernstlich verletzt wurde niemand.
Rudi Wais kennt sich aus mit dem Alltag im Umfeld von Asyl:
"Dass Abschiebungen wie in Ellwangen plötzlich aus dem Ruder laufen , dass Piloten sich weigern, jemanden nach Afghanistan oder in den Irak auszufliegen, dass Ärzte in letzter Minute mit einem Attest zur Hand sind oder Pässe auf wundersame Weise verschwinden: das ist inzwischen ernüchternder Alltag in Deutschland."
Sind "in letzter Minute" Atteste zur Hand, ist das nicht ernüchternd, sondern ich frage mich, warum sie nicht schon früher zur Hand waren (bei wirklicher Erkrankung) beziehungsweise welche Spielräume bei der Beurteilung von Symptomen sinnvoll sind. Denn kurzfristig erstellte Atteste sind ja kein Beweis für per se unlauteres Verhalten von Ärzten. Wenn Piloten die Zwangspassagiere nicht mitnehmen wollen, so steht dies im Einklang mit ihren verantwortungsvollen Aufgaben und ist ebenfalls nicht ernüchternd. Will Rudi Wais Piloten zur Zwangsmitnahme verpflichten, sollte er verbeamtete Piloten fordern oder Abschiebungen mit Staatsflugzeugen. Oder beides.
Auch ein Blick auf die von Rudi Wais genannten Zahlen lohnt:
"Jeder vierte der 230.000 Menschen, die das Land eigentlich längst wieder verlassen müssten, hat nicht einmal eine Duldung – tatsächlich abgeschoben aber wurden im vergangenen Jahr lediglich 24.000 abgelehnte Bewerber."
Ein Viertel von 230.000 Personen habe keine Duldung, das sind etwa 58.000 Menschen. Die restlichen sind demnach geduldet und nicht zur Ausreise verpflichtet. Den 58.000 Ausreisepflichtigen stünden 24.000 Abgeschobene gegenüber, das sind gut 40%. Keine zu schlechte Quote und sicherlich keine Kapitulation des Rechtsstaats "vor seinem eigenen Unvermögen". Und noch weit entfernt davon, dass "das großzügigste Asylrecht an eine Grenze" stoße.
Zweifelsohne ist es Aufgabe der Asylverfahren zu unterscheiden zwischen denen, "die unseren Schutz und unsere Hilfe benötigen, und denen, die nur ihr Glück in Deutschland versuchen". Zweifelsohne muss "ein negativer Bescheid [...] Folgen für den Bewerber" haben. Denn es gehört zum Wesen des Rechtsstaats, dass Entscheidungen dieses Staates umgesetzt werden, sobald die Entscheidungen rechtskräftig sind. Rechtskraft erlangen sie nach dem Ende des Verfahrensweges oder vielmehr -zuges, wenn mehrere Instanzen sequentiell involviert sind. Rudi Wais nennt dies richtig "eine rechtsstaatliche Pflicht". Zu der gehört jedoch auch, beispielsweise Atteste, sofern sie zu Recht ausgestellt wurden, angemessen zu berücksichtigen. Nicht alle Atteste unterminieren in einem Asylverfahren den Rechtsstaat.
In einem Atemzug mit denen, die ihr Glück versuchen, nennt Rudi Wais diejenigen, "die ihren Freunden und Verwandten hinterher ziehen oder oder es (Deutschland, Anm.) gar als Operationsbasis für Terror, Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften missbrauchen." Interessant, wie Rudi Wais hier die "Familienmenschen" mit Kriminellen, Terroristen und Drogenhändlern in einen Topf wirft. Dabei wäre es unmittelbar einsichtig, wenn der Rechtsstaat mit Kriminellen und mit "Familienmenschen" einen unterschiedlichen Umgang pflegte. In eine Topf gehören sie deshalb nicht.
Ellwangen sei so etwas wie exemplarisch:
"Horst Seehofer, der neue Innenminister, möchte Asylbewerber deshalb so lange in speziellen Aufnahmezentren kasernieren, bis deren Verfahren abgeschlossen sind."
Ja, das ist Seehofers Absicht. Rudi Wais findet:
"Dass ausgerechnet die Ereignisse von Ellwangen nun als Argument gegen Seehofers Sammelunterkünfte angeführt werden, ist vor diesem Hintergrund mehr als zynisch."
Mit diesem Satz entlarvt sich Rudi Wais. Er entlarvt sein geringes Verständnis für psychische und gruppendynamische Prozesse, die in solchen Sammelunterkünften entstehen können, wo Privatsphäre kaum möglich, die Vergangenheit der Untergekommenen schwierig und ihre Zukunft unklar ist. Er entlarvt sich weiter:
"Auch wenn hunderte von Flüchtlingen über Monate auf engstem Raum zusammen leben müssen, rechtfertigt das ja noch keine Schlägereien und Messerstechereien untereinander, geschweige denn Attacken auf Polizisten."
Wer rechtfertigt denn "Schlägereien und Messerstechereien" oder "Attacken auf Polizisten"? Niemand. Aber es gibt Erklärungsversuche. Doch Rudi Wais:
"Hier zäumen Seehofers Kritiker das berühmte Pferd von hinten auf: Nicht die Unterbringung war in Ellwangen, in Donauwörth und vielen ähnlich gelagerten Fällen das Problem, sondern die Gewaltbereitschaft der Untergebrachten."
"Gewaltbereitschaft der Untergebrachten". Das ist eine fragwürdige Unterstellung. Aber sie passt zur Selbstentlarvung: Wer kein Verständnis entwickeln kann für die gruppendynamischen und psychischen Prozesse in solchen Unterkünften, dem bleibt nur übrig, die Schuld bei den Untergebrachten zu finden. Damit es weiter einfach bleibt, wird denen generelle Gewaltbereitschaft unterstellt.
Vielleicht wünscht sich Rudi Wais "Flüchtlingscontainer": Jeder Flüchtling wird wie ein Container im Freihafen behandelt und soll solange stillstehen, bis über die weitere Verwendung entschieden wurde. Nur sind Menschen keine Container. Niemand käme auf die Idee, in sozialen Brennpunkten von Städten "Jetzt benehmt Euch gefälligst!" zu rufen. Es ist völlig klar, dass ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit nicht ausreicht. Immer geht es bei der Lösung solcher Brennpunkte um Perspektiven für die Betroffenen, um den Umgang mit ihnen. Einer Kasernierung redet hierbei niemand das Wort.
Rudi Wais schließt mit dem Satz, in dem er seine bisherigen Unterstellungen wie Gewaltbereitschaft um den abfälligen Titel "Mob" ergänzt:
"Wer das Asylrecht so missbraucht wie der Mob auf der Ostalb, hat jeden Anspruch auf Asyl verwirkt."
Der AfD-Politiker Udo Stein, Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, meint fast gleichlautend:
"Damit wäre jeder rechtmäßige Anspruch auf Asyl in Deutschland verwirkt und der Antragsteller müsse zumindest in das Land abgeschoben werden, in dem er zuerst sicheren Boden betreten habe."
Interessant, dass die zu ziehenden Lehren immer nur in eine Richtung deuten.

Freitag, 4. Mai 2018

Söders Überwachungsstaat?

Die Augsburger Allgemeine berichtet am 4.5. über eine von ihr beauftragte Umfrage, nach deren Ergebnis die "Mehrheit der Bayern (54,1 Prozent)" für eine starke Polizei sei:


Als starke Polizei werden "mehr Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten" für die Polizei verstanden.
Im oben verlinkten Online-Bericht wird gefragt:
"Sollte die Polizei Ihrer Meinung nach mehr Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten in Bayern erhalten?"
Online kann abgestimmt werden und nach derzeitigem Umfragestand sind etwa ein Drittel der Teilnehmer der Meinung, dass auf jeden Fall mehr Möglichkeiten nötig sind und ein weiteres Fünftel eher dieser Meinung. Welchen Einfluss die Vorkommnisse von Ellwangen, im deren Verlauf eine Abschiebung abgebrochen wurde, weil sich Migranten in der Einrichtung gegen die Polizei stellten, ist natürlich nicht erkennbar. Dennoch: "Das Thema polorisiert stark" und der Münchner Oberbürgermeister hat "nicht den Eindruck, dass es einer Veränderung bedurft hätte".
Zum Bericht kommentiert Holger Sabinsky-Wolf:


Sabinsky-Wolf nennt es deftig, was die bayerische Regierung als Sicherheitspaket serviert. Das Abhören von Telefonen und Auslesen von Computern soll zukünftig bereits "bei einer abstrakt drohenden Gefahr" möglich sein, "präventiv". Die oben genannte Umfrage zeigt, wie wenig die Berührungsängste der Bevölkerung ausgeprägt sind. Holger Sabinsky-Wolf fragt:
"Ist die CSU dabei, Bayern zu einem Überwachungsstaat zu machen? Nein. Aber es ist kritische Aufmerksamkeit gefragt."
Ein Überwachungsstaat wird Bayern noch nicht, wenn die CSU eine Gesetzeslage ändert, die keiner Veränderung bedurft hätte. Dafür geht das Paket nicht weit genug. Dennoch ist den Anfängen zu wehren, weil "die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit [...] fragil" ist. Bereits mehrfach habe ich der CSU vorgehalten, sie reagiere unausgewogen in Richtung Sicherheit.
Die Experten werden urteilen, in wie weit das Paket nicht gut ausbalanciert ist. Klagen sind bereits eingereicht oder werden vorbereitet. Das ist gut so, denn "ein solch wichtiges Thema sollte man nicht Politikern im Wahlkampfmodus überlassen". Doch notwendige Klagen gegen legistischen Unsinn sollten nicht nochwendig sein. Denn man sollte auch von Politikern im Wahlkampfmodus erwarten, im politischen Spielfeld mit mehr Vernunft zu agieren als durch tagesaktuelle Stimmungslagen bewegte Umfrageteilnehmer.
Unbefriedigend ist leider die Aussicht auf die Dauer von Klagen gegen solch gesetzliche Machwerke. Denn wenn der Wahlkampf der CSU mit dem Paket bestritten werden kann und erst nach der Wahl von Gerichten gebremst wird, hat die CSU auf einer Welle des Volkswillens reiten können. Das mag wahltaktisch geschickt sein. Auf mich wirkt es jedoch wie ein Strohhalm, an den sich die CSU aus Angst vor der AfD klammert. Letzterer wird zu Recht Populismus vorgeworfen. Die CSU ist vor dem selben Vorwurf nicht gefeit.