Montag, 12. März 2018

Seehofer rumpelt und stilzt

Die Augsburger Allgemeine berichtet in ihrer Printausgabe am 12.3. über die Ankündigungen des designierten Bundesinnenministers Horst Seehofer und die Reaktionen der Oppositionsparteien:


Seehofer wird zitiert mit Aussagen aus einem Interview in der Bild am Sonntag:
"Wir wollen ein weltoffenes und liberales Land bleiben. Aber wenn es um den Schutz der Bürger geht, brauchen wir einen starken Staat. Dafür werde ich sorgen."
Damit legt Seehofer die Messlatte an. Im Koalitionsvertrag heißt es in Zeile 5762:
"Ein handlungsfähiger und starker Staat für eine freie Gesellschaft"
Winfried Züfle hatte in einem Kommentar in der Augsburger Allgemeinen getitelt: "Terrorabwehr ja, weniger Bürgerrechte nein" und dabei aufgezeigt, zwischen welchen europäischen Werten abzuwägen ist. Wir dürfen gespannt sein, wie Horst Seehofer hierbei die Balance finden will. Denn, so wird er weiter zitiert:
"Es muss in ganz Deutschland Konsens herrschen, dass wir keine rechtsfreien Räume mehr dulden"
Wer wollte da widersprechen? Im Koalitionsvertrag heißt es:
"Wir werden den Rechtsstaat handlungsfähig erhalten."

Polizei und Rechtsstaat

Auch wenn Seehofer härter klingt als der Koalitionsvertrag, lassen sich beide Aussagen in Übereinstimmung bringen. Seehofers Rezept: "Stärkere Polizeipräsenz und mehr Videoüberwachung". Die Präsenz zu erhöhen ist sicher ein probates Mittel, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu verbessern. Allerdings weiß der Koalitionsvertrag in den Zeilen 5956ff:
"Die Bereitschaftspolizeien der Länder sowie des Bundes sind eine tragende Säule der inneren Sicherheit und sehen sich einer erhöhten Einsatzbelastung flächendeckend ausgesetzt."
Der Belastung soll mit neuen Polizeistellen (15.000 in Bund und Ländern) entgegengewirkt werden. Gut. Bei der Videoüberwachung hingegen ist Seehofer vielleicht schneller als der Koalitionsvertrag (Zeilen 5962ff):
"Deshalb wollen wir die Videoüberwachung an Brennpunkten einsetzen, sie verhältnismäßig und mit Augenmaß effektiv ausbauen und dabei auch technisch verbessern. Intelligente Videoüberwachung kann dabei eine Weiterentwicklung sein. Deswegen werden wir den laufenden Modellversuch abwarten, prüfen und bewerten."
Als intelligente Videoüberwachung wird eine Gesichts- und vielleicht eine Verhaltenserkennung bezeichnet. Immerhin, der Modellversuch soll abgewartet werden, bevor der Rechtsstaat liberale Bürgerrechte unter die Räder nimmt. Über eine erste Bewertung des Modellversuchs schreibt Netzpolitik.org:
"Was de Maizière einen sehr guten Wert nennt, ist eine zweifelhafte qualitative Einordnung, denn siebzig Prozent Erkennung bedeutet natürlich, dass dreißig Prozent der freiwilligen Tester von der Software in Südkreuz nicht erkannt wurden."
Zur Fehlerkennungsrate, als der Erkennung einer Person, die nicht gesucht wird, heißt es:
"Wenn in einem bestimmten Zeitraum zwanzigtausend Menschen passieren, würden knapp zweihundert Personen fälschlich identifiziert. Solche Fehlalarme können für die Betroffenen ernsthaft folgenreich sein."
Vor einer flächendeckenden Einführung warnt der Deutsche Richterbund. Eine anlasslose und flächendeckende Videoüberwachung und Gesichtserkennung dürfe nicht durchgeführt werden, weil die hierbei einhergehenden Grundrechtseingriffe zu schwer seien. Ein gezielter Einsatz an Kriminalitätsschwerpunkten sei jedoch möglich.
Erste Erkenntnisse aus dem Modellversuch liegen mithin vor. Sicherlich ist es noch zu früh für eine endgültige Abschätzung. Ich bin gespannt, ob Seehofer die nötige Geduld aufbringt oder Fakten schafft.

Migration und Rechtsstaat

Im Bericht heißt es:
"Im Umgang mit kriminellen Asylbewerbern kündigte Seehofer ein kompromissloses Vorgehen an: 'Wer straffällig geworden ist, hat in unserem Land nichts verloren und muss schnellstmöglich abgeschoben werden', betonte er."
Auch hierbei wird die Balance zwischen Härte und Rechtsstaatlichkeit interessant werden. Denn wenn ein ausländischer Täter bei gleicher Straftat und an sich gleicher Strafbemessung zusätzlich mit Abschiebung bestraft wird im Vergleich zu einem deutschen Täter, muss sich der Rechtsstaat die Frage stellen, welche Ungleichbehandlung akzeptabel ist und welche nicht mehr.
Im Koalitionsvertrag heißt es weniger kompromisslos (Zeile 5064f):
"Wer sein Aufenthaltsrecht dazu missbraucht, um Straftaten zu begehen, muss unser Land verlassen."
Der Missbrauch des Aufenthaltsrechts ist etwas anderes als (einmalige) Straffälligkeit. Missbrauch könnte an weitere Voraussetzungen geknüpft sein wie Vorsatz, wie mehrfache Straffälligkeit.
Wenn Seehofer kompromisslos handeln will, wird er die Zustimmung der AfD finden, die in ihrem Wahlprogramm die Forderung so beschreibt:
"Wir fordern daher:
- Erleichterung der Ausweisung, insbesondere die Wiedereinführung der zwingenden Ausweisung auch schon bei geringfügiger Kriminalität
- Verhängung der Ausweisung bereits durch die Strafgerichte"
Noch hat Seehofer nicht klargemacht, wen er in diesem Kontext als Straftäter sieht. Sind es Schwarzfahrer in der Straßenbahn, Apfeldiebe im Supermarkt, Vergewaltiger? Und warum nur kriminelle Asylbewerber? Was ist mit kriminellen Touristen? Was mit Inhabern von Doppelpässen? Die AfD ist hier sehr klar, sie kennt keine Einschränkung auf Asylbewerber:
"Der erhebliche Anteil von Ausländern gerade bei der Gewalt- und Drogenkriminalität führt derzeit viel zu selten zu ausländerrechtlichen Maßnahmen. Insbesondere können sich ausländische Kriminelle sehr häufig auf Abschiebungshindernisse berufen und sind auf diese Weise von Abschiebung verschont."
Sie will sogar in bestimmten Fällen eine erfolgte Einbürgerung zurücknehmen:
"In folgenden Fällen soll eine Rücknahme der Einbürgerung erfolgen:
- bei erheblicher Kriminalität innerhalb von zehn Jahren nach erfolgter Einbürgerung
- bei Mitwirkung in Terrororganisationen (z.B. IS)
- bei Zugehörigkeit zu kriminellen Clans und zwar auch dann, wenn die Rücknahme der Einbürgerung zur Staatenlosigkeit führt"

Conclusio

In Bayern ist bald Wahlkampf. Markus Söder wird Unterstützung aus Berlin brauchen. Seehofer wird sie geben. Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärt in einem Interview mit der AZ, es wurde in "vergangenen Jahren [...] der AfD zu viel Raum im politischen Spektrum eingeräumt", es beherrsche "die Debatten ein linker Meinungsmainstream". Dennoch gäbe es "keinen Rechtsruck". Böse Zungen behaupten, die AfD fabuliert ebenfalls vom linken Meinungsmainstream und lehnt einen negativ konnotierten Rechts-Begriff für sich ab, sie sei nur nationalkonservativ.
Ich vermute, die Abwägung von Freiheitsrechten versus rechtsstaatlicher Härte wird mit einem Vorsprung für die Härte enden. Dafür wird die Angst vor der AfD sorgen und das Volksempfinden, auf das sich auch Dobrindt berufen hat.

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