Samstag, 24. März 2018

Islamdebatte - nötig oder Nonsens?

Die Augsburger Allgemeine hat am 20.3. über den Ärger der CSU berichtet, als Merkel in ihrer Regierungserklärung Seehofer zurechtgewiesen habe:


Seehofers Sandkasten

Im Bericht heißt es:
"'Ich werde meine Politik nicht um ein Jota ändern', sagte Seehofer dem Spiegel. Der CSU-Chef erklärte, die Aussagen Merkels in der Regierungserklärung hätten ihn vollkommen unvorbereitet getroffen. 'Dafür fehlt mir jegliches Verständnis.'"
Hatte Seehofer seine Behauptung, der Islam gehöre nicht nach Deutschland, mit Merkel abgestimmt? Offensichtlich nicht. Nach den Aussagen Merkels benimmt er sich nun wie ein Kind, das im Sandkasten alle drangsaliert und dann beleidigt reagiert, als es von Erwachsenen geschimpft wird wegen seines unmöglichen Verhaltens.
Rudi Wais hat die Vorgänge kommentiert und schreibt von "Szenen einer Ehe":


Rudi Wais schreibt:
"Eine Kanzlerin, die einem ihrer wichtigsten Minister öffentlich in die Parade fährt, [...] darf sich nicht wundern, wenn in ihrer Koalition jeder für sich und jeder gegen jeden arbeitet."
Warum richtet er diesen Vorwurf nicht gegen Seehofer, der mit Blick auf die bayerische Landtagswahl und vor Angst vor der AfD jede Gelegenheit nutzt, eine möglichst harte Linie zu fahren und dabei gegen bekannte Positionen seiner Koalitionspartner CDU und SPD zu agitieren? Rudi Wais nennt doch, "was ein Regierungsbündnis im Innersten zusammenhält: Loyalität, Fairness, eine gewisse Disziplin auch".  Ja, dann soll das bitte auch für die CSU gelten. Auch sie kann keine Rabatte dieser Werte für sich beanspruchen, nur weil ihre absolute Mehrheit in Bayern gefährdet scheint. Rudi Wais sagt voraus:
"Der nächste Ehekrach ist nur noch eine Frage der Zeit."
Diese Voraussage habe ich in meinem Blog schon oft getroffen. Jedes Mal, wenn die CSU sich mit der Kanzlerin angeblich versöhnt habe, fehlte mir der Glaube. Erneut liefert das Seehofer die Bestätigung, dass er dem Sandkasten nicht entwachsen ist.

Debatte zum Islam in Deutschland

Ausgangspunkt der Debatte war Seehofers Behauptung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Damit widersprach er einem ehemaligen Bundespräsidenten, der Kanzlerin. Doch er erhält Unterstützung von Markus Blume, dem Generalsekretär der CSU:
"Auch der neue CSU-Generalsekretär Markus Blume attackierte indirekt Merkel. Wer Seehofers Satz als Akt der Ausgrenzung sehe, 'der handelt böswillig und versteht die Debatte nicht', sagte Blume unserer Redaktion. Der Parteichef habe ja im nächsten Satz auch erklärt, 'dass selbstverständlich die Menschen muslimischen Glaubens zu diesem Land gehören'. Blume fügte hinzu: 'Es geht hier um die Frage der kulturellen Identität und was dieses Land im Innersten zusammenhält.'"
Sofort wird Widerspruch als "böswillig" bewertet, es fehle Verständnis für die Debatte. Wenn es eine Debatte wäre. Auf eine solche lässt sich die CSU überhaupt nicht ein, hat sie doch nur böswillige Nichtversteher als Gegner. Sie behauptet, es ginge um kulturelle Identität und ist nicht bereit, die Basis ihrer Argumentation - die christliche Prägung Deutschlands - zu debattieren. Bei der "Leitkultur" hieß es wiederholt, die wäre vor allem durch das Grundgesetz definiert. Doch da steht beispielsweise:
  • Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Man mag darin humanistische Züge erkennen. Die ebenfalls genannten Menschenrechte sind keine allein christlichen Errungenschaften.
  • Artikel 2 benennt die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Entfaltung. Auch hier kein spezifisch christlicher Anspruch.
  • Artikel 3 macht alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dies ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Frauen und Männer seien gleichberechtigt, ein Anspruch, dem die christliche Religion noch heute nicht entspricht, siehe katholisches Priesteramt.
  • Artikel 4 sichert die freie Religionsausübung zu. Auch hier kein Primat christlicher Elemente.
  • Artikel 20 schließlich beschreibt Deutschland als demokratischen und sozialen Bundesstaat. Demokratie ist keine christliche Erfindung.
Unschwer ist zu erkennen, dass Deutschland von vielem geprägt ist. Vorworte mit Bezug zu Gott vermögen daran nichts zu ändern. Die deutsche Gegenwart ist die Summe vieler historischer Strömungen, Denkwelten, Philosophien. Wenn nun manche glauben, das religiöse Element herausheben zu können, liegen sie methodisch falsch. Wenn sie zusätzlich glauben, mit diesem Element andere Religionen - vielmehr: eine bestimmte, den Islam - dominieren zu können, sollten sie lange und intensiv über die Gretchenfrage nachdenken.
Zu weiteren Aussagen von Markus Blume heißt es:
"Blume kündigte eine harte Auseinandersetzung mit dem Islam an: 'Wenn wir von Religionsfreiheit reden, dann gehört es zu unserem Land auch dazu, dass wir dem Islam aufzeigen, wo die Grenzen der Religionsfreiheit sind.' Religiöse Überzeugungen oder gar die Scharia könnten niemals die Rechtsordnung, das staatliche Gewaltmonopol oder den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag ersetzen."
Die Grenzen der Religionsfreiheit sind im Strafrecht zu finden. Die Rechtsordnung setzt ebenfalls Grenzen. Doch warum sollen Islamschulen den "Bildungs- und Erziehungsauftrag" in Frage stellen, andere Privatschulen nicht? Ergänzend ist zu fragen, warum für das Christentum andere Grenzen der Religionsfreiheit gelten sollen als für den Islam. Vielleicht muss man dem Islam gegenüber die Grenzen öfter verteidigen, öfter auf die Grenzen hinweisen. Doch deswegen gelten die identischen Grenzen.
Markus Blume weiter:
"Er warnte davor, die Diskussion nicht zu führen: 'Wenn jeder, der eine klare Position formuliert und sich nicht im Beliebigkeitsblabla der elitären Mitte aufhält, sofort den Stempel Spalter bekommt, ist das nicht gut.'"
Ahja, hier "klare Position", dort "Beliebigkeitsblabla der elitären Mitte". Von dort käme auch sofort der Spalter-Stempel geflogen. Eine solche Opfer-Haltung zeigt sonst vor allem die AfD, die sich bei Widerspruch als Opfer stilisiert. Doch die CSU lässt kaum eine Gelegenheit aus, sie zeigt sich als #AFDkopie.
Markus Blume weiter:
"Spaltend sei eher 'die Unterdrückung einer notwendigen Debatte'."
Ob das spaltend ist, sei dahingestellt. Es würde schon reichen, wenn die Unterdrückung schädlich wäre. Doch für eine Unterdrückung müsste sich die CSU überhaupt auf eine Debatte einlassen. Solange sie das nicht tut und lediglich ihre Position mit quasi-religiösem Sendungsbewusstsein lautstark hinausposaunt, läuft Blumes Vorwurf ins Leere. Seehofer bleibt im Sandkasten hocken und Blume spielt mit.

Debattenhoheit oder: Simple Welt

Walter Roller hat in der gleichen Ausgabe der AZ, die auch eine Sonderausgabe zu 1968 ist, einen Leitartikel veröffentlicht zu den 68ern und zu ihrem zwiespältigen Erbe:


Walter Roller schreibt über die 68er, jedoch finden sich Anknüpfungspunkte zur Islamdebatte. Er sieht die 68er, die "[antiautoritäre], nach Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Frauen und Männer [strebende] Bewegung" als Gewinner der Geschichte. Walter Roller schreibt:
"Und die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung schätzt ja die liberale, weltoffene, tolerante, säkulare Gesellschaft, die ohne die 68er nicht zustande gekommen wäre. Wer will schon zurück in eine Zeit, in der es die Prügelstrafe gab, 'wilde Ehen' und Homosexualität verfemt waren und berufstätige Mütter angefeindet wurden? Oder wer findet es nicht gut, dass Bürger mitreden können, sich nicht mehr zu ducken brauchen vor staatlichen Autoritäten und die Herrschenden sich ständig erklären müssen?"
Trotzdem meint Walter Roller, Alexander Dobrindt zitieren zu müssen mit linker Meinungsherrschaft, meint "volkspädagogisches Eiferertum zur Umerziehung der bürgerlichen Mitte" unterstellen zu müssen. Er verortet Brandmarkung und Sprachverbote:
"Es hat sowohl mit dessen operativen Auswüchsen als auch mit jenem moralgetränkten Korrektheitsdenken zu tun, das jede Abweichung von der 'richtigen' Linie als 'rechts' brandmarkt und Sprachverbote verhängt."
Moment, hatte er nicht ein paar Worte vorher linke Meinungsherrschaft angeführt? Als links darf diffamiert werden, was "liberale, weltoffene, tolerante, säkulare Gesellschaft" anstrebt, der Gegenvorwurf "rechts" soll dann jedoch verboten sein für jene, die nicht so liberal, nicht so weltoffen, nicht so tolerant und nicht so säkular sind? Damit bedient er sich der gleichen Methoden, derer sich Markus Blume bedient: die eigene Position wird als unterdrückt behauptet.
Walter Roller weiter:
"Der Konservatismus, der Tradition und Familie schätzt, das Tempo von Veränderungsprozessen bremsen will und das bewährte Vorhandene erst über Bord wirft, wenn sich das Neue als besser erweist, hatte noch nie ein ausbuchstabiertes Programm. Doch das wachsende Unbehagen vieler Menschen über die Dominanz des 68er-Denkens ist mit Händen zu greifen."
Er hält Kurs, behauptet weiterhin Unterdrückung einer Meinung durch eine andere. Es ist schon seltsam: Konservativismus, Populismus, Nationalismus speisen ihre Berechtigung, ihre Ansprüche aus der Behauptung eines Feindes. Das vereinfacht natürlich, eine Debatte zu fordern. Denn auf inhaltliche Argumente kann weitgehend verzichtet werden, ebenso auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Position der Debattengegner. Schöne einfache Welt.

Die Essenz des Nonsens

In die Islamdebatte brachte sich Eva-Maria Otto ein, sie schrieb einen Leserbrief:


Sie schreibt, ein "gedeihliches Zusammenleben" sei nur möglich, "wenn Religion Privatsache bleibt". Wer das anders sehe, der solle "unser Land wieder verlassen". Zuvor führt sie aus, Deutschland sei "ein christlich geprägtes Land". Was nun: ist das Land christlich geprägt und alle müssen sich an den daraus entstehenden religiösen Vorgaben orientieren? Oder ist Religion Privatsache und religiöse Vorgaben existieren nicht? So viel Widersprüchlichkeit in den Argumenten offenbart, mit welchem Nonsens hierzulande manche Debatten geführt werden. Und wie schnell Koffer in Griffweite sein sollten.

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