Mittwoch, 12. Oktober 2016

Europäische Schadenfreude

Die Augsburger Allgemeine hat am 12.10. einen Leitartikel von Jürgen Marks veröffentlicht zu Samsungs Galaxy Disaster:


Jürgen Marks fasst zusammen:
"Soweit das aus der Ferne beurteilt werden kann, haben die Südkoreaner katastrophale Fehler gemacht. Das Qualitätsmanagement muss lausig sein, wenn Geräte brennen. Und der Kommunikationsabteilung der Koreaner hätte bereits ein Anfängerkurs in Krisen-PR über den Tag geholfen."
Ja, wenn ein Produkt entwickelt wird, dessen Qualitätsmängel zu Brandschäden führen können. Ja, wenn in Tests kein Szenario getestet wurde, das nun Brände auslöst. Ja, wenn ein solches Szenario zwar getestet, die Ergebnisse aber nicht adäquat bearbeitet wurden. Ja, wenn die Akkus zugeliefert wurden und von mangelhafter Qualität waren. Ja, vor allem wenn der Akku von Samsung SDI selbst hergestellt wurde. Ja, wenn zuerst versucht wird, das Problem auszusitzen und dann mit einer nicht wirksamen Maßnahme zu bearbeiten.
Es stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte. Eine Rolle könnte gespielt haben, dass im jährlichen Rennen um das smarteste Smartphone der Veröffentlichungstermin wichtiger war als ein gutes technisches Design. Es könnte eine Rolle gespielt haben, dass es vor allem im IT-Umfeld nicht unüblich ist, nur fast fertige Produkte auf den Markt zu bringen und später mit Updates nachzubessern. Es ist möglich, dass eine bessere Akkusteuerung mit einem späteren Software-Release hätte ausgeliefert werden sollen. Eine Rolle könnte gespielt haben, dass im Wir-haben-das-beste-Smartphone-Rennen Anforderungen formuliert wurden, deren Umsetzung in der geplanten Zeitschiene nicht möglich war.
An dieser Stelle ist der Punkt, wo auf Jürgen Marks Satz zu verweisen ist:
"Vor diesem Hintergrund sollte Europa die Schadenfreude über die brennenden Samsung-Smartphones im Hals stecken bleiben."
Samsung ist ein riesiger Mischkonzern mit fast einer Halben Million Mitarbeiter. Über Jahrzehnte hinweg war die Unternehmensführung in den Händen der Familie des Unternehmensgründers und wurde zentralistisch geführt. Respekt und kulturelle Gegebenheiten verschaffen noch heute in asiatischen Ländern vielen Unternehmensführern eine über jede Kritik erhabene Position. Widerspruch wird nicht geduldet. In der US-amerikanischen Firmenkultur gibt es ähnliche Leitgedanken: "I'll proof you true". Mitarbeiter werden alles daran setzen zu zeigen, dass der Chef richtig liegt. "Make it happen!", setze es um. Egal wie. Dies gilt auch dann, wenn die Vorgabe mehr auf Wünschen und weniger auf dem visionär Machbaren fußt. Ein Blick auf VW und Dieselgate genügt: Auch hier mussten Testkriterien eingehalten werden um jeden Preis. Der Preis wird nun Jahre später in Rechnung gestellt. Es müssen sich Manager kümmern, die teilweise an der Ursache nicht beteiligt waren. Das hat mit Unternehmenskultur, mit Führungskultur zu tun.
Auch aus anderen Gründen ist Schadenfreude fehl am Platze. Erhellend ist ein Blick auf die Datenbank für Rückrufe beim Kraftfahrt-Bundesamt. Über zig Fälle lässt sich nachvollziehen, dass mangelhafte Produkte aus deutscher Verantwortung und Produktion den Weg zum Konsumenten finden. Nicht nur Autos, Leitprodukt der deutschen Industrie, sondern auch andere Produkte wie Kühlschränke, Gasherde, Nahrungsmittel etc. sind wiederholt durch Rückrufe aufgefallen. Jürgen Marks schreibt:
"Dennoch verdeutlicht alleine die Infragestellung der Qualität den erheblichen Schaden für das Renommee Samsungs. Der Konzern wird weltweit erheblich in Produktexzellenz und Marketing investieren müssen, um diesen Absturz vergessen zu machen."
Ein Betriebswirt wird abwägen, wie viel er in die Produktqualität investieren soll oder wie hoch ein möglicher Schaden ist. Je unwahrscheinlicher es ist, dass der Schaden offenbar wird, desto weniger lohnt es sich, auf Produktqualität zu setzen. Dies gilt zumindest dann, wenn nicht langfristig oder zu großartig gedacht wird. Wenn Manager nur in Takten ihrer Verträge denken, also oft nur ein paar wenige Jahre, sind Schäden unsichtbar, die erst später auftauchen werden. Wer sich überhaupt für großartig hält, wird die Möglichkeit ignorieren, dass Fehlern und Schäden entdeckt werden. Hier kann nur ein nachhaltigeres Denken und Handeln in den Unternehmen helfen.
Es stimmt auch die weitere Ausführung von Jürgen Marks:
"Samsungs Wettbewerber können tatsächlich frohlocken. Dies ist vor allem der US-Konzern Apple, die Nummer zwei auf dem weltweiten Smartphone-Markt. Im TV-Geschäft werden Japaner wie Panasonic, Chinesen wie Hisense oder andere Südkoreaner wie LG vielleicht ein paar Marktanteile dazugewinnen.
Wenn in dieser Aufzählung ein Europäer fehlt, dann hat das einen Grund: Es gibt schlichtweg keinen Hersteller innerhalb der EU, der auf dem gigantischen Weltmarkt des digitalen Lifestyles irgendeine Rolle spielt."
Das große Geld mit dem modernen Lifestyle verdienen keine europäischen Unternehmen. Einzelne mögen eine Nische für ein Auskommen finden. Europa ist nicht an der "Spitze des Fortschritts", wie die Politik seit Jahren propagiert. Europa ist auch nicht gefeit vor Qualitäts- und Kommunikationsmängeln. Deshalb ist kein Raum für Schadenfreude. Deshalb ist es notwendig, Lehren zu ziehen ohne unmittelbare Betroffenheit.

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