Sonntag, 17. Juli 2016

Härte reicht nicht

Birgit Holzer hat in der Augsburger Allgemeinen am 16.7. einen Leitartikel veröffentlicht zum Terroranschlag in Nizza:


Sie fordert zu Recht einen schonungslosen "Blick auf die Hintergründe [...]. Eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen alleine reicht nicht".
Birgit Holzer schreibt:
"Mit der Strandpromenade von Nizza, einem der glamourösesten Orte Frankreichs, suchte sich der Attentäter am Donnerstag erneut ein symbolträchtiges Ziel aus. Kinder, Frauen, Männer – wer seine Opfer waren, muss ihm in seiner totalen Verblendung gleichgültig gewesen sein. Aber möglichst viele wollte er treffen. Auch den 14. Juli als Datum wählte er nicht zufällig: Frankreichs Nationalfeiertag, an dem das Land mit pompösen Paraden sich selbst, seine Geschichte und prunkvolle Armee feiert."
Der Attentäter wollte Schaden anrichten, großen Schaden. Er wählte ein symbolträchtiges Datum. Wie die Attentate von Brüssel zeigen, ist der Schädigungswille größer als der Wille zur Symbolik: Für Frankreich geplante Attentate wurden nach Belgien "umgelenkt".
Birgit Holzer weist diejenigen in die Schranken, die glauben, mir schierer Dosis des Sicherheitsapparates Sicherheit garantieren zu können:
"Nur die Sicherheitsmaßnahmen immer noch zu verstärken, weitere Soldaten und Polizisten zu mobilisieren und die geheimdienstliche Überwachung auszubauen, wird nicht reichen, um künftige Gräueltaten zu verhindern.
Seit Monaten herrscht der Ausnahmezustand, die Sicherheitskräfte erreichen längst ihr Limit. Präsident und Premierminister treten erneut standfest und entschlossen auf, um den verunsicherten Menschen zu vermitteln, dass dieser Krieg, wie sie ihn nennen, gewonnen wird. Doch was Frankreich braucht, ist keine martialische Rhetorik, sondern Geschlossenheit."
Denn worauf sollten sich die Sicherheitskräfte vorbereiten? So schreibt DEBKAfile, das auf Sicherheits- und Geheimdienstnachrichten spezialisiert ist:
"[..] it is clear that the large truck used to run down dozens of people on the promenade was carefully prepared for the attack, debkafile's counterterrorism sources report.
The windshield and apparently the side windows of the cab were made of bulletproof glass. In other words, the driver carried out the attack while sitting in the protected cab that he had built for himself. It was the first time for this method to be used by terrorists."
Zum anderen reicht es nicht, sich auf sogenannte islamistische Gefährder zu konzentrieren. Burkhard Körner, seit 2008 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, sagte in einem Interview, das die Augsburger Allgemeine ebenfalls am 16.7. druckte:
"Ein Beispiel sind die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerberheime. In Bayern kam ein Großteil der Täter nicht aus dem klassischen rechtsextremen Spektrum. Die meisten waren Nachbarn oder aber gewalttätige Personen, die bisher mit Rechtsextremismus nichts zu tun hatten, etwa Hooligans."
Es handelt sich offenbar nicht nur um Personen, mit einer längeren extremistischen Biografie. Ebenso wenig können alle Attentäter, die islamistisch geprägte Verbrechen begehen, einfach als Islamisten gestempelt werden. In beiden Fällen hat ein Prozess aus bisher unauffälligen Personen Gewalttäter gemacht. Birgit Holzer zeigt auf, wo für Frankreich ein gewichtiger Teil der Lösung zu suchen ist:
"Viele Menschen mit Wurzeln in Nord- und Westafrika sind nicht in der Gesellschaft angekommen, gelten höchstens als Franzosen zweiter Klasse, obwohl sie oft hier geboren wurden. Ausgegrenzt in den verwahrlosten Vorstädten entwickeln viele von ihnen einen explosiven Hass gegen Frankreich, wo der Rechtsnationalismus stetig ansteigt. Ohne Perspektive und mit gebrochener Identität scheinen sie besonders anfällig für extremistische Botschaften."
Wieviel Frust und Perspektivlosigkeit muss sich anhäufen, bis jemand über 80 Menschen totfährt? Es macht keinerlei Sinn, solche "Karrieren" gedeihen zu lassen, um dann einen Amok-LKW beim Attentat zu stoppen.
Aus dem Qualitätsmanagement in Unternehmen kennt man Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen: Korrekturen beheben einen akuten Fehler, Vorbeugemaßnahmen verhindern ein erneutes Auftreten des Fehlers. Der Ruf nach mehr Sicherheitsapparaturen ist nur die Korrektur, um zu verhindern, dass ein geplantes Attentat realisiert wird. Nötig - und nicht kurzfristig zum Erfolg führend - sind Vorbeugemaßnahmen. Würde es am Beispiel Frankreichs gelingen, die Menschen mit Wurzeln in Nord- und Westafrika ankommen zu lassen, sie sich als Franzosen erster Klasse fühlen zu lassen, es wäre nicht so leicht, sie für extremistische Botschaften zu gewinnen. Die Hemmschwelle zur Tötung wäre höher, weil es "die eigenen Leute" träfe, nicht unwerte Wesen.
Derzeit entsteht ein Kreislauf: Die Gewalt der Ausgeschlossenen führt dazu, dass sie als "die Anderen" in einen Topf geworfen werden, zum Beispiel nach ihrer Herkunft und so ganze Gruppen zum Sündenbock werden. Der Graben vertieft sich, jeder fühlt sich mehr und mehr legitimiert, "Wir" und "die Anderen" zu separieren. Das ist keine Lösung, wie ein Blick in die Türkei (Kurden), Israel (Palästinenser), Nordirland etc. zeigt. Erst wenn eine Partei mutig genug ist, sich in die vermeintlich schwächere, weil gewaltlose Position zu begeben, leuchtet das Licht der Hoffnung am Horizont.

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