Samstag, 23. Juli 2016

Der Schock setzt sich

Jürgen Marks hat in der Augsburger Allgemeinen vom 23.7. einen Leitartikel veröffentlicht zum Attentat in München:


Ein wohltuend umsichtiger Leitartikel, der die Gefühlslage vieler treffend beschreibt:
"München, Würzburg und zuvor Nizza führen uns vor Augen: Jeder kann Opfer eines Terroranschlags werden. Immer und überall. Und das verbreitet das Gefühl von Machtlosigkeit und Angst. Das Gefühl der Sicherheit ist für viele Menschen dahin."
Auch das Besondere am "neuen Style" von Attentaten beschreibt Jürgen Marks im Zusammenhang mit der schwindenden Sicherheit:
"Früher brauchte der Terror eine Organisation. Die Mörder schmiedeten sorgfältig Pläne. Wer ein Attentat beabsichtigte, musste einen Aufwand betreiben."
Die Methode hat sich geändert:
"Das Kalifat radikalisiert Männer in aller Welt mit Hassbotschaften und Lügen, die es über das Internet verbreitet. Sogenannte einsame Wölfe können überall vor Computern sitzen und in die Falle der skrupellosen Terror-Anstifter tappen.
Unter ihrer schwarzen Fahne führen die Fundamentalisten einen Cyber-Dschihad, der überall zuschlagen kann, wenn er zufällig auf einen Menschen trifft, der das Gleichgewicht verloren hat. Das kann ein tunesischer Lieferfahrer in Nizza sein oder ein afghanischer Bäckerpraktikant in Ochsenfurt. Statt aufwendiger Planung brauchen sie nicht mehr als ein Messer, ein Beil oder einen gemieteten Lastwagen."
Es ist zu erwarten, dass mit steigendem Druck auf den IS in seinem "Staatsgebiet" die Aktivitäten außerhalb davon zunehmen werden. Wenn man sieht, wie schnell sich manche radikalisieren können, zeigt dies, wie gut der IS die Sprache der "einsamen Wölfe" spricht. Er besetzt die Themen und trifft den Ton, der in offene Ohren rinnt. Jürgen Marks fasst die Wirkung zusammen:
"Diese islamistischen Amokläufer sind kaum zu stoppen. Gegen sie hilft in unserer freien Gesellschaft keine Flüchtlings-Obergrenze, keine noch so genaue Registrierung an den Grenzen. Theoretisch kann sich jeder Biedermann in wenigen Tagen radikalisieren und zuschlagen. So bitter es ist: Gegen diese Bedrohung haben wir derzeit kein Mittel."
Ja. So ist es. Da hilft kein Grenzen-Dicht-Ruf, wie ihn die AfD wiederholt ausstößt. Eine genaue Registrierung an den Grenzen kann den Verfahrensweg vereinfachen, schützt aber genauso wenig. Brüssel hat gezeigt, dass Attentäter nicht einmal selbst eingewandert sein müssen, um in die IS-Falle zu tappen. Birgit Holzer beschrieb in ihrem Leitartikel die Empfänglichen als "nicht in der Gesellschaft angekommen". Jürgen Marks und Birgit Holzer zeigen, dass es mit Sicherheitsapparatur keine Sicherheit geben kann. Recht haben sie. Es wird kaum gelingen, ein Feuer zu löschen, wenn ständig Benzin zufließt.
Auch wenn wir derzeit kein Mittel haben, die Bedrohung durch den Terror sicher zu bekämpfen, lohnt ein Blick auf die Mechanismen, die zur Radikalisierung führen. Die folgende Beschreibung stellt keinen Vergleich an zwischen dem Terror und Populisten, sie zeigt lediglich Parallelitäten in den Mechanismen.
  1. Beide beschreiben ein Feindbild, auf das sich die Anhänger einigen können. Beim IS sind es Ungläubige, selbst wenn diese auch Moslems sind. Bei der AfD sind es Ausländer, bei Donald Trump Latinos, Mexikaner etc. und bei Erdogan die Kurden.
  2. Beide definieren sich selbst in der Abgrenzung zum Feindbild. Beim IS sind es die wahren Gläubigen, bei der AfD die Deutschen, Donald Trump weiß es selbst nicht so genau und Erdogan nennt die wahren Türken. Dabei spielt es keine Rolle, dass die eigene Gruppe nicht scharf abgegrenzt werden kann an Hand echter Kriterien. Es reicht, wenn die eigene Gruppe "gefühlt" werden kann.
  3. Beide behaupten, die eigene Gruppe dürfe bestimmte Ansprüche haben und diese Ansprüche würden von den Feinden abgelehnt bzw. deren Befriedigung bekämpft. Es kann sogar reichen, dass die eigene Gruppe nichts verliert, sondern nur nicht mehr von etwas Zustehendem bekommt, wie die AfD mit Verweis auf die Zuwendungen an Asylbewerber behauptet. Der IS behauptet, der (amerikanische/westliche) Imperialismus wolle den Islam zerstören. Bei Donald Trump wird Amerika zerstört, bei Erdogan die Türkei.
Wird der Feind als ausreichend böse, die eigene Gruppe als ausreichend beeinträchtigt und die Beeinträchtigung als ausreichend schwerwiegend dargestellt, kann dies zu Handlungen führen: Trump oder AfD wählen, gegen Kurden demonstrieren oder sie willkürlichen Gerichtsverfahren zuführen, Feinde töten.
Daraus lässt sich ein mögliches Mittel ableiten: Es müsste der Beweis erbracht werden, dass die unter 3. genannte Gefährdung der eigenen Gruppe nicht das Ziel der Feinde ist. Das wird nur niemand glauben wollen. Welcher IS-Anhänger hört schon die Beteuerungen der Ungläubigen, welcher überzeugte AfD-Wähler glaubt schon den Beweisen in Fakten-Checks, die AfD-Aussagen widersprechen. Wie lange sich ein solcher Überzeugungs-, nein Annäherungsprozess hinziehen kann, zeigt beispielsweise der Konflikt in Nordirland. Wie wackelig eine Annäherung sein kann, zeigt das Aufkeimen des Kalten Krieges mit Russland. Deshalb können wir nur versuchen, es im Rahmen unseres freiheitlichen Systems möglichst schwer zu machen, Attentate zu realisieren. Dennoch bleiben die Worte von Jürgen Marks gültig:
"So bitter es ist: Gegen diese Bedrohung haben wir derzeit kein Mittel."

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