Donnerstag, 21. April 2016

Grenzen für den Rechtsstaat

Martin Ferber hat in der Augsburger Allgemeinen vom 21.4.2016 einen Bericht zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Befugnisse des BKA veröffentlicht. Er kommentiert in der Printausgabe hierzu:

 
Besondere Beachtung verdient der Satz:
"Gleichwohl ist nicht alles rechtlich zulässig, was technisch möglich ist."
Dieser Hinweis hat besonderes Gewicht, wenn man sich die Karikatur von Horst Haitzinger vom gleichen Tag anschaut:


Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen machen aus dem BKA noch lange keinen zahnlosen Kläffer. Die Beschränkungen setzen nur dem Irrglauben ein Ende, mit dem Argument Schutz vor Terror (und anderen schweren Straftaten) ließe sich jedwede Einschränkung freiheitlicher Grundrechte begründen.
Walter Roller hat in seinem Leitartikel "Gegen den Terror hilft nur Standfestigkeit" vom 26.3. geschrieben:
"Doch die ritualhafte Warnung vor einem 'Überwachungsstaat' und einem Verlust freiheitlicher Rechte ist übertrieben und blendet die ungleich größere Gefahr aus, die der Terrorismus für die innere Stabilität westlicher Gesellschaften darstellt."
Es ist eben keine "ritualhafte Warnung vor einem 'Überwachungsstaat' und einem Verlust freiheitlicher Rechte". Die Warnung hat Gewicht, weil nicht "die ungleich größere Gefahr" des Terrors zur beliebigen Aufgabe anderer Werte und der Rechtsstaatlichkeit führt. Walter Roller befindet sich mit seiner Aussage auf einer Linie zur AfD, die in ihrem Leitantrag zum Grundsatzprogramm schreibt:
"Die AfD fordert daher einen 'sicherheitspolitischen Befreiungsschlag', um den Schutz der Bürger an erste Stelle zu setzen. Andere Belange haben sich dem unterzuordnen. Wir wollen einen klaren Systemwechsel hin zu Behörden, die zum maximalen Schutz der Bürger in der Lage sind: Ausländerbehörden, Polizei und Strafverfolgung. Wir wollen den Sicherheitsbehör den bessere und moderne Vorschriften geben." (Kap. 3)
"Im Zweifel ist das Recht der Bürger auf Sicherheit höher zu bewerten als das eines Straftäters auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Implementierung von Datenschutzmaßnahmen ist immer der Mehraufwand für die Ermittlungspersonen und die Justiz zu berücksichtigen und sinnvoll abzuwägen. Ziel muss es sein, die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bürger zu verbessern. In der Vergangenheit hat ein ideologisch motiviertes übertriebenes Maß an Datenschutzmaßnahmen die Sicherheitsbehörden gelähmt und unverhältnismäßig bürokratisiert. Die Folge ist mangelnde Sicherheit für rechtschaffene Bürger und Datenschutz für Täter." (Kap. 3.6)
So einfach ist es nicht. Das Bundesverfassungsgericht definiert rechtliche Grenzen dessen, was technisch möglich ist. Die folgenden Zitate machen den Standpunkt des Gerichts klar und entstammen alle dem Urteil BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 20. April 2016  - 1 BvR 966/09 - Rn. (1-29).
In Absatz 104 müssen  die relevanten Straftaten gegen hinreichend gewichtige Rechtsgüter gerichtet sein und es muss tatsächliche Anhaltspunkte geben, die die Zielperson der Maßnahmen mit der Straftat in Verbindung bringen:
"1. Heimliche Überwachungsmaßnahmen, sofern sie, wie die meisten der hier in Rede stehenden Maßnahmen, tief in die Privatsphäre eingreifen, sind mit der Verfassung nur vereinbar, wenn sie dem Schutz oder der Bewehrung von hinreichend gewichtigen Rechtsgütern dienen, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Sie setzen grundsätzlich voraus, dass der Adressat der Maßnahme in die mögliche Rechtsgutverletzung aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach verfangen ist. Eine vorwiegend auf den Intuitionen der Sicherheitsbehörden beruhende bloße Möglichkeit weiterführender Erkenntnisse genügt zur Durchführung solcher Maßnahmen nicht."
Die Absätze 105, 109 und 110 konkretisieren die Angemessenheit näher und machen den Konnex zwischen Schwere der Straftat und den Maßnahmen klar:
"Bei der näheren Ausgestaltung der Einzelbefugnisse kommt es für deren Angemessenheit wie für die zu fordernde Bestimmtheit maßgeblich auf das Gewicht des jeweils normierten Eingriffs an. Je tiefer Überwachungsmaßnahmen in das Privatleben hineinreichen und berechtigte Vertraulichkeitserwartungen überwinden, desto strenger sind die Anforderungen. Besonders tief in die Privatsphäre dringen die Wohnraumüberwachung sowie der Zugriff auf informationstechnische Systeme."
"b) Die Erhebung von Daten durch heimliche Überwachungsmaßnahmen mit hoher Eingriffsintensität ist im Bereich der Gefahrenabwehr zum Schutz der genannten Rechtsgüter grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn eine Gefährdung dieser Rechtsgüter im Einzelfall hinreichend konkret absehbar ist und der Adressat der Maßnahmen aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach in sie verfangen ist."
"Auch diese Anforderungen hängen im Einzelnen zunächst von Art und Gewicht des Eingriffs ab. Für die besonders tief in die Privatsphäre eindringenden Eingriffe der Wohnraumüberwachung verlangt Art. 13 Abs. 4 GG eine dringende Gefahr. Der Begriff der dringenden Gefahr nimmt dabei nicht nur im Sinne des qualifizierten Rechtsgüterschutzes auf das Ausmaß, sondern auch auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens Bezug."
Absatz 113 zeigt ein Beispiel für eine fehlerhafte Abwägung der Rechtsgüter Sicherheit einerseits und Persönlichkeit, Menschenwürde etc. andererseits. "[D]iffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren" sind zu wenig:
"Dagegen wird dem Gewicht eines Eingriffs durch heimliche polizeirechtliche Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn der tatsächliche Eingriffsanlass noch weiter in das Vorfeld einer in ihren Konturen noch nicht absehbaren konkreten Gefahr für die Schutzgüter der Norm verlegt wird. Eine Anknüpfung der Einschreitschwelle an das Vorfeldstadium ist verfassungsrechtlich angesichts der Schwere des Eingriffs nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen. Die Tatsachenlage ist dann häufig durch eine hohe Ambivalenz der Bedeutung einzelner Beobachtungen gekennzeichnet. Die Geschehnisse können in harmlosen Zusammenhängen verbleiben, aber auch den Beginn eines Vorgangs bilden, der in eine Gefahr mündet [...]. Solche Offenheit genügt für die Durchführung von eingriffsintensiven heimlichen Überwachungsmaßnahmen nicht."
Die Absätze 120 und 121 machen den Kernbereich privater Lebensgestaltung greifbar:
"a) Der verfassungsrechtliche Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleistet dem Individuum einen Bereich höchstpersönlicher Privatheit gegenüber Überwachung. Er wurzelt in den von den jeweiligen Überwachungsmaßnahmen betroffenen Grundrechten in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und sichert einen dem Staat nicht verfügbaren Menschenwürdekern grundrechtlichen Schutzes gegenüber solchen Maßnahmen. Selbst überragende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen."
"Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit, innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen [...]. Geschützt ist insbesondere die nichtöffentliche Kommunikation mit Personen des höchstpersönlichen Vertrauens, die in der berechtigten Annahme geführt wird, nicht überwacht zu werden, wie es insbesondere bei Gesprächen im Bereich der Wohnung der Fall ist. Zu diesen Personen gehören insbesondere Ehe- oder Lebenspartner, Geschwister und Verwandte in gerader Linie, vor allem, wenn sie im selben Haushalt leben, und können Strafverteidiger, Ärzte, Geistliche und enge persönliche Freunde zählen."
Das Gericht antwortet damit auf die Frage, die Michael Stifter im Februar gestellt hat: "Haben Verbrecher ein Recht auf Privatsphäre?" und die ich damals bereits bejaht hatte.
Zum Schluss sei der Absatz 124 der AfD und Walter Roller zu Lektüre empfohlen und angeregt, in diesem Lichte ihren Leitsatz "Sicherheit über alles" zu reflektieren:
"c) Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist strikt und darf nicht durch Abwägung mit den Sicherheitsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden."

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