Donnerstag, 18. Januar 2018

Kurz und Merkel

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom einen Bericht veröffentlicht zum Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Kurz bei seiner deutschen Kollegin Merkel:


Bernhard Junginger schreibt über Sebastian Kurz:
"Denn sein kometenhafter Aufstieg vom Studienabbrecher zum Regierungschef in Wien gelang vor allem, weil er sich als energischer Widersacher der Flüchtlingspolitik Merkels stilisierte. Der Mann mit dem streng nach hinten gegelten Haar gilt seither auch in Deutschland als Vorbild für junge Konservative, die mit der Merkel-Politik hadern."
Pikant sind zwei Aspekte:

  • Kurz, inzwischen "als energischer Widersacher" einer an europäischen Werten orientierten Flüchtlingspolitik Kanzler geworden, war früher in seiner politischen Karriere Staatssekretär für Integration. Seine damaligen Vorschläge zielten auf einen verbesserten Dialog zwischen den Menschen und auf eine bessere Integration. Als Kanzler geht es um geschlossene Grenzen.
  • Im Wahlkampf zur Gemeinderatswahl in Wien fiel Kurz mit dem Slogan "Schwarz ist geil" und einem Geilomobil auf. Pfiffiger Wahlkampf, aber nicht unbedingt das, was "junge Konservative" üblicherweise "als Vorbild" ansehen dürften. Doch der Zweck heiligt.

Zudem: Die völlige Umkehr vom Integrationsstaatssekretär zum Verfechter einer harten Flüchtlingspolitik ist für einen Konservativen in so fern beachtlich, als das Konservative den Erhalt anstrebt. Die Wähler nehmen Kurz die unkonservative Flexibilität nicht übel. Ich nehme das als Indiz, wie hoffnungslos manch Wähler war und wie viel Hoffnung der junge eloquente Mann geben konnte.
Bernhard Junginger schreibt weiter:
"Im vergangenen Oktober hatten Kurz und seine konservative Österreichische Volkspartei die Parlamentswahlen gewonnen und dann zusammen mit einem umstrittenen Partner eine Regierung gebildet. Für seine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) wurde Kurz gerade in Deutschland scharf kritisiert. Seine ersten Antrittsbesuche führten ihn dann auch nach Brüssel und Paris, Berlin stand erst an dritter Stelle."
Eine schöne Formulierung, "seine konservative Österreichische Volkspartei". Das "seine" ist doppelt zu unterstreichen. Kurz hat aus der schwarzen ÖVP die türkise "Liste Kurz" gemacht, sich die ÖVP einverleibt. Er hat Wahlkampf geführt fast ohne Programm, nur mit seiner Person. Und so dominant sind auch die Anfänge seiner Regentschaft. Seinem Koalitionspartner FPÖ, Rechtspopulisten ähnlich der deutschen AfD, hat er jegliche Europakompetenz entzogen, in dem er Europaagenden in sein Kanzleramt holte und damit seiner Ministerin für Europa, Integration und Äußeres, Dr. Karin Kneissl (parteilos, aber auf Vorschlag der FPÖ im Amt) Kompetenzen entzog. Dem in Europa aufkeimenden Verdacht, mit der FPÖ als Partner könnte europafeindliche oder zumindest sehr europakritische Politik folgen, trat Kurz mit der Besuchsreihenfolge entgegen zu treten. Deshalb zuerst Brüssel, dann Paris, dann "erst an dritter Stelle" Berlin. Wobei: ganz ist die Kuh nicht vom Eis, wie die im Bericht dargestellte Meinungsverschiedenheit zeigt:
"Kurz findet, dass die Diskussion über die Quoten 'etwas zu breiten Raum' einnehme – und bekräftigt damit seine Unterstützung etwa für Ungarn und Polen, die die europaweite Umverteilung von Migranten nach einem festen Schlüssel ablehnen. Merkel widerspricht energisch: Es könne nicht sein, 'dass es Länder gibt, die sagen, an einer europäischen Solidarität beteiligen wir uns nicht'."
In einem anderen Online-Bericht über den Besuch heißt es zudem:
"Auch in Fragen der EU sind beide Regierungschefs allerdings nicht auf einer Linie. So will Kurz im Gegensatz zu Merkel die Macht Brüssels künftig beschränken. Auch mehr Geld für die EU lehnt Kurz ab. Union und SPD haben in ihren Sondierungsverhandlungen für eine neue große Koalition genau das beschlossen."
Wo Optimisten bei Kurz einen Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip erkennen, wittern andere eine Abwendung vom Gemeinsamen, eine Hinwendung zu den eigenen Leuten. Das muss kein Nationalismus werden. Aber wie so eine starke europäische Gemeinschaft wachsen soll, ist nicht klar und vor dem Hintergrund einer voraussichtlich mehrjährigen Koalition mit der FPÖ zweifelhaft. Merkel lässt solche Interpretationsspielräume nicht aufkommen. Und man nimmt ihr ab, dass sie nicht aus Angst vor der AfD deren Analysen und Lösungen teilt. Der Kurz'sche Wahlkampf hingegen war ganz auf den nunmehrigen Koalitionspartner ausgerichtet.
Bernhard Junginger schließt:
"Echte Harmonie kommt am Ende nicht mehr auf zwischen Merkel und Kurz."
Verständlich, denn es sind - trotz der gezeigten Harmonie - echte Differenzen zwischen beiden. Wo Merkel angeblich stur ihren Kurs beibehält - in Wirklichkeit (konservativ) an ihren Werten orientiert bleibt - hat Kurz sich vom Duft der Rechtspopulisten anlocken lassen. Mithin reiht er sich ein in die Riege des Versagens. Im Online-Bericht heißt es:
"Auf offene Kritik an der rechtspopulistischen FPÖ verzichtete Merkel. Man werde die Politik der österreichischen Regierung beobachten, sagte sie. 'Was zählt, sind die Taten.'"
Ja, wir werden sehen, welche Taten folgen. Wir müssen genau hinschauen und dürfen uns nicht von freundlichen Gesten der Regierung oder dem Kreidefraß der FPÖ ablenken lassen, wenn es darum geht, die Taten zu bewerten. Oder mit Helmut Kohl:
"Entscheidend ist, was hinten rauskommt."

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