Dienstag, 30. Januar 2018

Populistische Braunheit

Michael Pohl fragt in der Ausgabe vom 30.1. der Augsburger Allgemeinen, wie braun die FPÖ sei:


Die FPÖ

Michael Pohl bezeichnet es als riskante Strategie, wenn der österreichische Bundeskanzler Kurz mit "Einbindung der FPÖ in die Regierungsverantwortung versucht", den Aufstieg der Populisten zu stoppen. Der zu zahlende Preis sei hoch:
"In vielen Punkten hat die ÖVP die Positionen der FPÖ übernommen, in anderen Feldern herrscht FPÖ-Politik pur."
Garniert wird das Ganze durch "braune neonazistische Skandale, wie das widerliche, den Holocaust verherrlichende Lied der Burschenschaft 'Germania'". Zu Zur Ergänzung hier ein Auszug aus dem Bericht des Falter, der die fragliche Passage aus dem "Lied" am 23.1. veröffentlicht hat:
"'Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.‘' So steht es geschrieben auf Seite 182 des Liederbuchs der pennalen Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt, einer Mittelschulverbindung mit dem einschlägigen Leitspruch 'Deutsch und treu in Not und Tod'. Die nächste Liedstrophe ist nicht weniger unappetitlich: 'Da schritt in ihre Mitte ein schlitzäugiger Chines’: ‚Auch wir sind Indogermanen und wollen zur Waffen-SS.'"
Dem Sauflied "Es lagen die alten Germanen" seinen "ein paar Strophen dazugedichtet" worden - so ein Spaß! Die FPÖ sieht das weniger schlimm:
"Was sagt die FPÖ zu alledem? 'Es stimmt, dieses Liederbuch gibt es', bestätigt der Sprecher des niederösterreichischen Spitzenkandidaten. Es sei aber in den 1980er- und Anfang der 1990er-Jahren produziert worden, 'lange vor Eintritt Udo Landbauers bei der Burschenschaft Germania. Seit er dort Mitglied ist, kennt er das Liederbuch nur mit herausgerissenen Seiten und geschwärzten Stellen.'
Doch das ist nicht die ganze Wahrheit: denn das Liederbuch inklusive antisemitischen Inhalts wurde noch im Jahr 1997 neu überarbeitet in Druck geschickt. Das belegen datierte Zeichnungen in dem Büchlein."
Michael Pohl schreibt richtig, der Ausgang des österreichischen Regierungsexperiments sei noch nicht absehbar. Sehr wohl absehbar ist die im Titel des Kommentars gestellte Frage, wie braun die FPÖ sei: Durch und durch. An einigen Stellen vermag blauer Lack das stinkende Blubbern ein wenig zu übertünchen. Dennoch brodelt die braune Brühe. Wenn's ganz schlimm wird und ein braunes Fettauge auf der blauen Oberfläche geplatzt ist und die Umgebung besudelt hat, war es ein Einzelfall, der keinesfalls geduldet würde. Auch das nur Oberflächenkosmetik.

Die AfD

Die Ähnlichkeit in den Methoden ist bei AfD und FPÖ unübersehbar. Alexander Gauland räumte die braune blubbernde Brühe selbst ein, als er die AfD als gärigen Haufen bezeichnete. Auch bei der AfD treibt es braune Fettaugen nach oben, die spritzend platzen. Auch dann kommt der Hinweis auf Einzelmeinungen, die keinesfalls Parteimeinung seien. Echte Konsequenzen gibt es nicht, wie das Beispiel Björn Höcke deutlich zeigt.
Die AfD hat es wie die FPÖ geschafft, ihre Themen prominent in der politischen Landschaft zu positionieren und so einen Großteil der Diskussion zu bestimmen. Den etablierten Parteien ist bisher kein Mittel eingefallen, dem Einhalt zu gebieten, weswegen ich von einer Offenbarung des Versagens schrieb. Im Gegenteil: Michael Pohl weist darauf hin, dass die ÖVP Positionen der FPÖ in das Regierungsprogramm übernommen hat. Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, eine andere Politik zu betreiben. Die ÖVP hat sich also nicht nur die Themen, sondern auch die "Lösungen" aufschwatzen lassen, und kann das Versagen mit dem Sieg in der Parlamentswahl auch noch als Erfolg verkaufen.
In Deutschland ist nicht zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die AfD an einer Regierung beteiligt wird - gut so. Allerdings versucht die CSU, in Gefilden der AfD zu angeln, nicht nur, was die Wähler angeht, sondern auch bei der Interpretation der Problemfelder und bei der Lösungsfindung. Dabei versucht sie, dennoch eine Abgrenzung zur AfD hinzubekommen. Insgesamt wirkt das Ganze dann äußerst verkrampft, wie sich im Parlament und in dessen Umfeld zeigt.
Die braune Brühe wird man nicht los, wenn man den Deckel draufhält. Die braune, gärige Brühe wird Deutschland nur los, wenn es sich den politischen Aufgaben stellt und brauen "Lösungen" als das ächtet, was sie sind: ein brauner Haufen.

Sonntag, 21. Januar 2018

Smart Home smart?

Die Augsburger Allgemeine hat am 20.1. einen unterhaltsamen Artikel veröffentlicht, in dem Philipp Kinne über seine "ungleiche Beziehung mit Hindernissen" berichtet:


Philipp Kinne beschreibt das "neueste Wunderding des Internetriesen Amazon" und schildert seine ersten Erfahrungen, als sein Mitbewohner "von dem neuen Sprachassistenten schwärmt". Während die einen den Assistenten "lieben", könnten andere ihn "nur hassen":
"'Wie kann man nur, die hört einem ja ständig zu', sagen die Alexa-Hasser. Stasi 2.0, Abhör-Alexa."
Philipp Kinne ist skeptisch:
"Am Frühstückstisch lausche ich unserer neuen Mitbewohnerin: 'In Augsburg beträgt die Temperatur sieben Grad, bei Regenschauern und überwiegend bewölktem Himmel.'
Ein Blick aus dem Fenster bestätigt die Prognose. Ich bin wenig beeindruckt."
Für praktischer hält er den Hinweis, es stünden drei Termine an. Im Laufe der Zeit werden seine Bedenken und "Ansprüche an den Datenschutz immer kleiner", er zieht Vergleiche zu Instagram und Facebook, wo Frühstücksbilder und Standorte geteilt werden. Er schreibt:
"Für den Digitalexperten und Blogger Sascha Lobo ist der Vormarsch von Systemen wie Alexa nicht mehr aufzuhalten. In seiner Kolumne bei Spiegel Online schreibt er: 'Die Weltmacht der Bequemlichkeit schlägt alles.'"
Schließlich ist Philipp Kinne weichgekocht, er möchte "als junger Mensch natürlich nicht" gestrig sein. Er kauft sich selbst eine Alexa. Die Einrichtung sei einfach. Alexa könne die Fahrzeit zu seiner Freundin zutreffend schätzen. Alexa kann nicht egoFM als Radiosender einstellen, dafür kann sie eine dänische Band mit "Zungenbrechernamen" abspielen - ich vermute, dass sie dafür einen Musik-Streamingdienst benötigt. Wer den nicht abonniert hat, hört wahrscheinlich nix. Weiter schildert er:
"Doch es gibt auch unzählige Dinge, die meine digitale Freundin nicht kann. Noch ist die Technik alles andere als perfekt. 'Das gehört zu den Dingen, die ich nicht weiß', sagt Alexa, wenn ich sie nach dem Fernsehprogramm frage. Das erste Album der Beatles? 'Darauf habe ich leider keine Antwort.' Ich frage Alexa nach einem Schwimmbad in der Nähe, doch sie liest mir nur den zum Stichwort passenden Wikipedia-Artikel vor. Na toll."
Durch das dauernde Lauschen wird Alexa teilweise aktiv, auch wenn sie nicht gemeint war. Nach einem knappen Monat war "ein wenig die Luft raus". Anfangs war es aufregend, Alexa nach Nachrichten oder Staatsoberhäuptern zu fragen. Inzwischen greift Philipp Kinne "lieber wieder zur Tastatur. Das geht genauso schnell und ich muss mir keine Sorgen machen, nicht verstanden zu werden."

Smart Home Assistenten?

Alexa ist eine Vertreterin der Sprachassistenten, Google, Apple, Microsoft bieten ähnliche Dienste an. Andere Anbieter wollen ebenfalls auf den Zug aufspringen, wie beispielsweise das Handelsblatt berichtet hat.
Der englische Begriff "smart" wird mit clever, schlau, klug, gescheit übersetzt - in einem anderen Sinne gebraucht auch flink, gepflegt. Doch stimmt das?
Zweifelsohne steckt hinter den Assistenten eine beeindruckende technische Entwicklung. Die gesprochenen Worte müssen gehört und sinnhaft interpretiert werden. Inzwischen verstehen manche Assistenten den Kontext:
"Fragt man nach einem Kino in der Nähe, kann man nach der Antwort als nächsten fragen: 'Und wie lange hat es geöffnet?' Google versteht, dass es um das Kino geht, und nennt die Öffnungszeiten."
Ich frage mich, ab welchem Alter kleine Kinder ein solches Sprachvermögen haben. Schon im Vorschulalter klappt das. Ich frage mich weiter, was soll daran intelligent sein, Öffnungszeiten zu nennen oder Staatsoberhäupter Ländern - der Selbstversuch Philipp Kinnes - zuzuordnen? Würde ich im Berufsleben einen Assistenten wollen, der mir als Gipfel der Auskunftsfreude Wikipedia-Artikel vorliest? Manche "smarten" Geräte können auf die Frage, was da gerade für ein Lied laufe, Titel und Interpret nennen. Doch sie sprechen beispielsweise französische oder englische Namen und Titel deutsch aus, als würden sie ein neues deutsches Wort lesen - nicht sehr smart.
Im Artikel genannt war die Möglichkeit, das Licht oder die Heizung zu steuern. Das soll dann "Smart Home" sein. Nun, ein "smarter" Lichtschalter oder eine "smarter" Fensterkontakt oder eine "smarte" Heizungssteuerung kann erst einmal nichts. Er muss einem Smart Home System hinzugefügt werden, damit er im (Funk)Netz überhaupt zur Kommunikation fähig ist. Dann müssen Konfigurationen definiert werden, bei denen bestimmte Aktionen mit bestimmten Reaktionen verknüpft werden. Weil nun nicht jedes "smarte" Gerät kommunikationsfähig mit jedem anderen ist, kann es notwendig sein, hierfür die Hilfe von "Übersetzern" in Anspruch zu nehmen. Solche Übersetzer können als sog. Work-around gesehen werden oder sie schaffen es, als eigenständiges Produkt wahrgenommen zu werden (der Dienst "If This Then That IfTTT" ist ein Beispiel hierfür). Doch es bleibt dabei: Ohne genaue Angabe von Reiz-Reaktions-Relationen passiert nichts. Es werden keine Entscheidungen getroffen. Ein "smartes" Türschloss öffnet die Türe, wenn man mit dem richtigen Smartphone herumfuchtelt. Ob die richtige Person fuchtelt ist wurscht. Eine Drehorgel ist auch nicht "smart", wenn man sie mit einem Lochstreifen füttert und wenn dann beim Drehen an der Kurbel die entsprechende Musik ertönt.
Philipp Kinne muss sich Sorgen machen, nicht verstanden zu werden. Tatsächlich ist es ja so, dass die Sprachassistenten anfangs große Schwierigkeiten haben können, die Anweisungen zu verstehen. Sie lernen im Laufe der Zeit ihren Meister besser zu verstehen - eine beachtliche technische Leistung. Dennoch ist der Meister gezwungen, sich erstens dem Vokabular des Assistenten anzupassen und zweitens bei der Aussprache angemessen deutlich zu sein. Ein Nuschler hat schlechte Karten, verstanden zu werden. Wer das Vokabular nicht beherrscht, beherrscht nicht seinen Assistenten. Das, was als Hilfe angeboten wird, ist in erster Linie ein Sprechtraining für den Anwender. Nach ausreichend intensiver Beschäftigung besteht die Hoffnung, mit Sprachbefehlen einen Ausführungswillen des Assistenten zu treffen.
Die englische Wikipedia beschreibt in ihrem Eintrag zu Intelligenz:
"Intelligence has been defined in many different ways including as one's capacity for logic, understanding, self-awareness, learning, emotional knowledge, planning, creativity, and problem solving."
Die einzigen Aspekte, die Smart Home Geräte derzeit für sich beanspruchen können sind Logik (eben die Verknüpfung von Auslöser und Reaktion) und Lernen (zunehmendes Sprachverständnis; die "Skills", die beispielsweise Alexa steuern können, ordne ich der Logik zu). Sie lösen keine neuen, unbekannten Probleme oder Aufgaben, sie sind nicht kreativ und sie planen nicht (das Vorlesen vorhandener Kalendereinträge ist kein Planen).
Bislang sind die "smarten" Smart Home Geräte dumm. Das mag sich in den nächsten Jahren ändern. Für manche sind sie eine technische Spielerei, ein Faszinosum. Wer lange genug Vokabeln gepaukt und gemeinsam Sprechen geübt hat, wird an der einen oder anderen Stelle eine Erleichterung verspüren, es bequemer haben. Doch bei allen technischen Möglichkeiten, die die Sprachsteuerung bisher bietet: smartes Handeln ist das alles nicht.

Donnerstag, 18. Januar 2018

Kurz und Merkel

Bernhard Junginger hat in der Augsburger Allgemeinen vom einen Bericht veröffentlicht zum Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Kurz bei seiner deutschen Kollegin Merkel:


Bernhard Junginger schreibt über Sebastian Kurz:
"Denn sein kometenhafter Aufstieg vom Studienabbrecher zum Regierungschef in Wien gelang vor allem, weil er sich als energischer Widersacher der Flüchtlingspolitik Merkels stilisierte. Der Mann mit dem streng nach hinten gegelten Haar gilt seither auch in Deutschland als Vorbild für junge Konservative, die mit der Merkel-Politik hadern."
Pikant sind zwei Aspekte:

  • Kurz, inzwischen "als energischer Widersacher" einer an europäischen Werten orientierten Flüchtlingspolitik Kanzler geworden, war früher in seiner politischen Karriere Staatssekretär für Integration. Seine damaligen Vorschläge zielten auf einen verbesserten Dialog zwischen den Menschen und auf eine bessere Integration. Als Kanzler geht es um geschlossene Grenzen.
  • Im Wahlkampf zur Gemeinderatswahl in Wien fiel Kurz mit dem Slogan "Schwarz ist geil" und einem Geilomobil auf. Pfiffiger Wahlkampf, aber nicht unbedingt das, was "junge Konservative" üblicherweise "als Vorbild" ansehen dürften. Doch der Zweck heiligt.

Zudem: Die völlige Umkehr vom Integrationsstaatssekretär zum Verfechter einer harten Flüchtlingspolitik ist für einen Konservativen in so fern beachtlich, als das Konservative den Erhalt anstrebt. Die Wähler nehmen Kurz die unkonservative Flexibilität nicht übel. Ich nehme das als Indiz, wie hoffnungslos manch Wähler war und wie viel Hoffnung der junge eloquente Mann geben konnte.
Bernhard Junginger schreibt weiter:
"Im vergangenen Oktober hatten Kurz und seine konservative Österreichische Volkspartei die Parlamentswahlen gewonnen und dann zusammen mit einem umstrittenen Partner eine Regierung gebildet. Für seine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) wurde Kurz gerade in Deutschland scharf kritisiert. Seine ersten Antrittsbesuche führten ihn dann auch nach Brüssel und Paris, Berlin stand erst an dritter Stelle."
Eine schöne Formulierung, "seine konservative Österreichische Volkspartei". Das "seine" ist doppelt zu unterstreichen. Kurz hat aus der schwarzen ÖVP die türkise "Liste Kurz" gemacht, sich die ÖVP einverleibt. Er hat Wahlkampf geführt fast ohne Programm, nur mit seiner Person. Und so dominant sind auch die Anfänge seiner Regentschaft. Seinem Koalitionspartner FPÖ, Rechtspopulisten ähnlich der deutschen AfD, hat er jegliche Europakompetenz entzogen, in dem er Europaagenden in sein Kanzleramt holte und damit seiner Ministerin für Europa, Integration und Äußeres, Dr. Karin Kneissl (parteilos, aber auf Vorschlag der FPÖ im Amt) Kompetenzen entzog. Dem in Europa aufkeimenden Verdacht, mit der FPÖ als Partner könnte europafeindliche oder zumindest sehr europakritische Politik folgen, trat Kurz mit der Besuchsreihenfolge entgegen zu treten. Deshalb zuerst Brüssel, dann Paris, dann "erst an dritter Stelle" Berlin. Wobei: ganz ist die Kuh nicht vom Eis, wie die im Bericht dargestellte Meinungsverschiedenheit zeigt:
"Kurz findet, dass die Diskussion über die Quoten 'etwas zu breiten Raum' einnehme – und bekräftigt damit seine Unterstützung etwa für Ungarn und Polen, die die europaweite Umverteilung von Migranten nach einem festen Schlüssel ablehnen. Merkel widerspricht energisch: Es könne nicht sein, 'dass es Länder gibt, die sagen, an einer europäischen Solidarität beteiligen wir uns nicht'."
In einem anderen Online-Bericht über den Besuch heißt es zudem:
"Auch in Fragen der EU sind beide Regierungschefs allerdings nicht auf einer Linie. So will Kurz im Gegensatz zu Merkel die Macht Brüssels künftig beschränken. Auch mehr Geld für die EU lehnt Kurz ab. Union und SPD haben in ihren Sondierungsverhandlungen für eine neue große Koalition genau das beschlossen."
Wo Optimisten bei Kurz einen Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip erkennen, wittern andere eine Abwendung vom Gemeinsamen, eine Hinwendung zu den eigenen Leuten. Das muss kein Nationalismus werden. Aber wie so eine starke europäische Gemeinschaft wachsen soll, ist nicht klar und vor dem Hintergrund einer voraussichtlich mehrjährigen Koalition mit der FPÖ zweifelhaft. Merkel lässt solche Interpretationsspielräume nicht aufkommen. Und man nimmt ihr ab, dass sie nicht aus Angst vor der AfD deren Analysen und Lösungen teilt. Der Kurz'sche Wahlkampf hingegen war ganz auf den nunmehrigen Koalitionspartner ausgerichtet.
Bernhard Junginger schließt:
"Echte Harmonie kommt am Ende nicht mehr auf zwischen Merkel und Kurz."
Verständlich, denn es sind - trotz der gezeigten Harmonie - echte Differenzen zwischen beiden. Wo Merkel angeblich stur ihren Kurs beibehält - in Wirklichkeit (konservativ) an ihren Werten orientiert bleibt - hat Kurz sich vom Duft der Rechtspopulisten anlocken lassen. Mithin reiht er sich ein in die Riege des Versagens. Im Online-Bericht heißt es:
"Auf offene Kritik an der rechtspopulistischen FPÖ verzichtete Merkel. Man werde die Politik der österreichischen Regierung beobachten, sagte sie. 'Was zählt, sind die Taten.'"
Ja, wir werden sehen, welche Taten folgen. Wir müssen genau hinschauen und dürfen uns nicht von freundlichen Gesten der Regierung oder dem Kreidefraß der FPÖ ablenken lassen, wenn es darum geht, die Taten zu bewerten. Oder mit Helmut Kohl:
"Entscheidend ist, was hinten rauskommt."

Sonntag, 14. Januar 2018

AZ Beobachter in der AZ

Diesmal sozusagen in eigener Sache: Die Augsburger Allgemeine hat in der Ausgabe vom 13.1. das Schwerpunktthema „Heimat“ behandelt. Auf einen Aufruf hin, Leser mögen ihre Vorstellung von Heimat einreichen, habe auch ich ein paar Zeilen verfasst. Ich freue mich, es (gekürzt) in die Printausgabe geschafft zu haben:


Donnerstag, 4. Januar 2018

Offenbarung des Versagens

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 4.1. einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die Frage nach dem möglichen Scheitern einer erneuten GroKo diskutiert:


Walter Roller findet erstaunlich, dass "die SPD schweres Geschütz gegen die Union auffährt", hat doch die SPD in der letzten Legislatur die Politik mitgetragen, die sie nun ablehnt. Ja, man darf sich wundern.

Versagen der Volksparteien

Vor allem verwunderlich ist, wie die Volksparteien mit großer Stärke auftreten, wo doch der ganze Auftritt lediglich eine Offenbarung ihres Versagens ist. Dem gleichen Irrtum unterliegt Walter Roller:
"Dabei sollten doch die Wahlniederlage der Volksparteien und die sechs Millionen AfD-Stimmen gerade auch der noch mal geschrumpften SPD klargemacht haben, dass die Steuerung und dauerhafte Begrenzung des Zuzugs nicht nur im Interesse des Landes sind, sondern auch den Schlüssel zur Rückgewinnung von Wählern liefern."
Falsch, die Schlussfolgerung ist nicht, dass die "dauerhafte Begrenzung des Zuzugs" den "Schlüssel zur Rückgewinnung von Wählern" liefert. Die Schlussfolgerungen sind erst noch zu ziehen und der Weg aus der Situation aufzuzeigen. Bisher steht nur fest, die Volksparteien haben versagt:
  1. Sie haben strategisch versagt, weil die AfD das Thema Asyl und Migration besetzt hat und es den Volksparteien nicht gelungen ist, das Thema auf ein vernünftiges Maß zu stutzen und andere Themen im öffentlichen Diskurs zu setzen. Es gibt in der öffentlichen Wahrnehmung fast nur dieses Thema.
  2. Sie haben taktisch versagt, weil alle Volksparteien der Richtung der AfD folgen und ihr Heil in einer Verschärfung des Asyl- und Migrationsrechts suchen. An dieser Stelle scheint zumindest der SPD ein Dämmerlicht aufzugehen.
  3. Sie haben - und hier vor allem die Union, besonders die CSU - ethisch versagt, weil sie ihre europäischen, christlich geprägten konservativen Werte der Menschlichkeit, der Hilfe und des Gemeinsinns über Bord geworfen haben und durch eine Furcht vor Überfremdung und Überlastung ersetzt haben.
Das Versagen der Volksparteien ist auf ganzer Linie. Sie sind der AfD auf den braunen Leim gegangen und haben sich (noch?) nicht davon befreien können. So vehement, wie sie den Leim bespielen, stellt sich auch die Frage nach dem Wollen.
Walter Roller sieht drei Bruchstellen für eine GroKo:
  • Die gemeinsame Linie der Union gehe über das hinaus, was die SPD mittragen kann und will.
  • Die dem Wahlkampf der CSU geschuldete Härte sei "für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich" hart.
  • Die SPD will eine liberale, "von humanitären Motiven geleiteten Flüchtlingspolitik"; die Union will eine eher auf "auf Kontrolle, Begrenzung oder gar Abweisung" abzielende.
Diese Analyse ist richtig, und sie zeigt zumindest für die SPD (hoffentlich), dass sie ihr Versagen korrigieren möchte. Die Union hat hier weniger Einsicht, die CSU ist auf dem Auge völlig blind.
Als Ausweg schreibt Walter Roller:
"Bei vielen einzelnen Maßnahmen wie der Kürzung von Sozialleistungen oder dem Freischaufeln legaler Zugangswege für Arbeitsmigranten sind Kompromisse nötig und machbar. Wenn die SPD eine Begrenzung sicherstellen und mitregieren will, dann wird sie sich allerdings bewegen und die Mahnung ihres Ex-Chefs Gabriel beherzigen müssen, die Sorgen von Bürgern ernster zu nehmen. Als Schutzmacht der 'kleinen Leute' ist die SPD besonders gefordert, eine Überforderung des Sozialstaats durch ungebremste Zuwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern."
Das ist kein Aus-, sondern der Holzweg. Sozialleistungen sollen gekürzt werden und Asylbewerber in Zentren sich aufhalten. Die Menschen werden damit gehindert, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ihnen werden Möglichkeiten der Integration durch Teilhabe genommen. Anschließend wird ihnen vorgeworfen werden, sie würden in Parallelgesellschaften leben.
Walter Roller malt "eine Überforderung des Sozialstaats" an die Wand - die von Rechtspopulisten gern genutzte Mär der "Zuwanderung in die Sozialsysteme" schimmert durch. Natürlich belasten Asylbewerber die Sozialsysteme, weil sie ja aus diesen finanziert werden. Nur, ein paar Beispiele:
  • Knapper Wohnraum in Städten ist ein Phänomen seit Jahren. Zuzug in Städte, Landflucht, Abbau des sozialen Wohnungsbaus, Belastung des Wohnungsbaus durch Bauvorschriften etc. sind seit Jahren und Jahrzehnten im Gange. Und nun sollen's die Flüchtlinge gewesen sein?
  • Probleme an Schulen mit auffälligen Schülern gibt es seit Jahren. ADHS bei Schülern, ausgebrannte Lehrer, zuwenig Lehrer, viel zu wenig Schulpsychologen, zu langsame Reaktion des Schulwesens auf neue Entwicklungen (siehe auch Digitalisierung) sind seit Jahren und Jahrzehnten im Gange. Und nun sollen's die Flüchtlinge gewesen sein?
  • Über Jahre hinweg wurde bei Polizei und Justiz gespart, Stellen abgebaut - auch in Bayern. Und nun sollen allein die Flüchtlinge Schuld sein, dass die Organe am oder über dem Limit arbeiten?
Zudem: Als "Schutzmacht der 'kleinen Leute'" ist wenig gewonnen, wenn die Flüchtlinge als Sündenböcke dargestellt werden. Die Politik hat sich in den Jahren von den kleinen Leuten entfremdet, sie fühlen sich deshalb von dieser Politik nicht mehr ernst genommen. Flüchtlinge sind das Vehikel, auf dem die Botschaft an die Politik transportiert wird, zur Verfügung gestellt von der AfD. Einem vernachlässigten Kind ist nicht geholfen, wenn die Eltern behaupten, der Nachbarsjunge sei böse und sich dann weiter nicht um's Kind kümmern. Wenn Walter Roller und die Volksparteien nun die Flüchtlinge als Hauptschuldige ausmachen, zeigen sie nicht ihre Analysefähigkeiten. Sie dokumentieren ihr Versagen, problemadäquate Lösungen zu entwickeln und ihr Versagen bei der Selbstkritik.
Zum Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige fragt Walter Roller:
"Aber warum soll dies auch für jene gelten, die nur einen zeitlich befristeten Schutz genießen und in ihre Heimatregionen zurückkehren sollen, sobald dort wieder Friede eingekehrt ist?"
Den Familiennachzug zu versagen, wenn es um mehrwöchige Aufenthalte ginge, wäre in Ordnung. Der subsidiäre Schutzstatus kann jedoch über Jahre gelten. Es ist nicht einzusehen, warum der Familiennachzug am Status festgemacht werden soll und nicht an der zu erwartenden Aufenthaltsdauer. Zudem sollten die Proponenten der harten Linie auch die Ergebnisse einer Studie über Gewalttaten zur Kenntnis nehmen, über die die AZ in der selben Ausgabe berichtet hat. Im Bericht heißt es:
"Als besonders auffällige Gruppe machten die Forscher Flüchtlinge aus nordafrikanischen Ländern mit schlechter Bleibeperspektive aus. Dagegen wurden Syrer, Iraker und Afghanen vergleichsweise selten auffällig. 'Wer als Kriegsflüchtling für sich gute Chancen sieht, in Deutschland bleiben zu dürfen, wird bemüht sein, diese Aussichten nicht durch Straftaten zu gefährden', analysieren die Gutachter."
"Flüchtlinge leben in Deutschland häufig in Männergruppen zusammen – ohne Partnerin, Mutter, Schwester oder andere weibliche Bezugsperson. 'Überall wirkt sich negativ aus: der Mangel an Frauen', sagt dazu der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer, der auch einmal Justizminister in Hannover war. Dieser Mangel erhöhe die Gefahr, dass junge Männer sich 'an gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen orientieren', schreiben die Autoren der Studie. Pfeiffer hält die Idee des Familiennachzugs deshalb für 'nicht dumm'."
Stattdessen meinen die Autoren:
"Angesichts des Anstiegs von Gewalttaten in Deutschland fordern Kriminologen eine bessere Integration junger Flüchtlinge. Notwendig seien unter anderem Sprachkurse, Sport und Praktika sowie Betreuungskonzepte für ohne Familie eingereiste Jugendliche, schreiben die Autoren einer erstellten Studie."
Der Leitartikel von Walter Roller ist ein Dokument der Offenbarung.

Das Versagen der CSU

In der selben Ausgabe der Print-AZ ist ein Interview mit dem CSU-Mann Hans-Peter Friedrich veröffentlicht, das das spezifische Versagen der CSU zeigt:


Auf die Frage, ob eine Kürzung von Sozialleistungen nicht Schwarzarbeit fördere, meint Friedrich:
"[...] wir geben ihnen Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Für einen Sozialstaat wie unseren ist das angemessen. Darüber hinaus aber muss man nicht gehen."
Das sind Leistungen, wie sie jeder Bauer seinen Schweinen im Stall zukommen lässt. Auf die Idee, dass Menschenwürde mehr bedeuten könnte als ein voller Magen und ein Dach, kommt Friedrich nicht. Er versagt dabei, sich von den Forderungen der AfD abzukoppeln, die Flüchtlinge bestenfalls als Tiere gehalten sehen will. Er versagt dabei, die von der CSU auf die eigenen Fahnen geschriebenen christlichen Werte zu verteidigen. Er versagt dabei, konservativ im positiven Sinne zu sein.
Auf die Frage nach medizinischen Tests zur Altersfeststellung meint Friedrich:
"Das kommt darauf an, wie man die Sache gesetzlich regelt. [...] Wer nicht nachweisen kann oder durch eine Untersuchung nicht belegen will, dass er unter 18 Jahre alt ist, wird als Erwachsener behandelt."
Nun mag es in einem Rechtsstaat angehen, dass ein Anspruchsberechtigter seinen Anspruch nachweisen muss. Dass aber Friedrich am Glauben festhält, medizinische Untersuchungen könnten genau die Volljährigkeit feststellen, offenbart sein Versagen, in seinem Weltbild unerwünschte Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen. Denn die Medizin räumt klar ein, dass eine medizinische Altersfeststellung etwa einen 20jährigen von einem 17jährigen unterscheiden kann. Sie kann aber nicht einen 17,9jährigen von einem 18,1jährigen unterscheiden. Wenn das Gesetz auf die Volljährigkeit abzielt, muss sie exakt bestimmbar sein. Wenn sie es nicht ist, muss der Rechtsstaatsgrundsatz gelten: "In dubio pro reo". Friedrich verwechselt hier offenbar den Grundsatz "In dubio pro duriore", der - anders als im Verfahrensverlauf - bei der Anklageerhebung Härte verlangt.
Auf die Frage nach dem Familiennachzug meint Friedrich:
"Wer nur subsidiären Schutz hat, wer also nur vorübergehend hierbleiben darf und so schnell wie möglich wieder gehen soll, der kann seine Familie nicht nachkommen lassen."
Friedrich versagt beim Verständnis, wie lange ein subsidiärer Schutz relevant sein kann und dass es sich nicht nur um wenige Wochen handelt. Er versagt bei der Bewertung der Konsequenzen, die ein permanentes Signal des Ihr-seid-hier-unerwünscht auf die Betroffenen und damit in Folge auch auf andere hat (wenn sich eben Menschen an "gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen" orientieren und andere zu Opfern werden).
Doch den Gipfel des Versagens der Abkoppelung von der AfD offenbart Friedrich in seiner letzten Aussage auf die Frage, ob in Österreich das durchgesetzt wird, worüber die CSU nur redet:
"Ohne verbissen zu sein, ohne ausfällig zu werden, ohne jede Schärfe im Ton macht er (Kanzler Kurz, Anm.) eine Politik, die dem gesunden Menschenverstand folgt."
Kurz koaliert mit seiner ÖVP in Österreich mit den Rechtspopulisten der FPÖ. Natürlich kann Kurz sich den scharfen Ton sparen, das besorgt die FPÖ. Kurz trägt Anzug, die FPÖ die Kampfstiefel. Mit seiner Behauptung, die von der FPÖ-Leitlinie gestaltete Politik folge "dem gesunden Menschenverstand" offenbart Friedrich - stellvertretend für die gesamte CSU? - sein Versagen, eine von europäischen Werten geleitete Politik zu gestalten, die sich von mit diesen Werten inkompatibler Populistenpolitik unterscheidet. Dieses Interview ist ein weiterer Offenbarungseid in der Selbstaufgabe der CSU. Sie möchte als stark wahrgenommen werden und schafft es nur zu einem Mitläufer in der Kinderbande, in der die AfD den Ton angibt. Oder bereitet die CSU bereits langsam das Feld, auf dem sie mit der AfD eine "Koalition des gesunden Menschenverstandes" errichten möchte? Die Landtagswahl wird die Antwort liefern, wenn die CSU keine Alleinregierung mehr schafft und niemand - außer der AfD - den Rechtsruck mitmachen will.