Freitag, 9. Oktober 2015

Angst angesichts der Flüchtlinge

Walter Roller kommentiert

In der heutigen Ausgabe der Augsburger Allgemeinen kommentiert Walter Roller das Festhalten von Kanzlerin Merkel an ihrer Flüchtlingspolitik:


Er nennt die Haltung Merkels ein "Mantra" und sagt:
 "Mögen [...] die Umfragewerte der Union sinken: Merkel bleibt auf jenem Weg, den sie in der Nacht zum 5. September mit der Öffnung der Grenzen eingeschlagen hat."
Nun ja, die aktuelle Sonntagsfrage von infratest dimap zeigt für Bayern, dass die CSU um 2 Prozentpunkte auf mittlerweile 40% gesunken ist. Der CSU kann wahrlich nicht nachgesagt werden, sie würde dem Weg der Kanzlerin uneingeschränkt folgen.
Er schreibt von "berechtigten Sorgen der Bevölkerung um eine Überforderung Deutschlands". Damit hat er grundsätzlich Recht: Es ist eine große Aufgabe, Deutschland darf nicht überfordert werden. Allerdings lohnt ein Blick auf die Sorgen der Bevölkerung.

Angst angesichts der Flüchtlinge

Als Teil der Bevölkerung habe ich Ängste angesichts der Flüchtlinge. Ich versuche das ein wenig zu strukturieren.

Angst vor Meinungsmachern

Meinungsmacher können wie Pegida eher laut und plump daher kommen. Solche Meinungsmacher müssen beobachtet werden. Sie sind jedoch zu plump, um den Großteil der Bevölkerung anzusprechen.
Andere Meinungsmacher treten geschickter auf. Sie wählen ihre Worte bedachtsam, wirken seriös. Durch ihre Seriosität sprechen sie viele an. Ein Beispiel ist der obige Kommentar, aus dem folgende Passagen sind:
"es kommen ja nicht nur friedfertige, fleißige, eingliederungswillige, die Spielregeln akzeptierende Menschen"
"die unkontrollierte Einwanderung zu begrenzen und die Ordnung wiederherzustellen"
"Aber warum weigert sie sich so hartnäckig, auch die Grenzen dessen, was Deutschland leisten kann, zu beschreiben?"
Solche Passagen sind eingebettet in einen Kontext, der sich den tatsächlichen Problemen zuwendet. Allerdings bedienen sich die Passagen genau jener Inhalte, die Rechte in ihren diffusen Äußerungen verwenden. Es werden friedfertige Menschen genannt, jedoch das Bild des einreisenden Terroristen erzeugt. Es wird den Grenzen des Leistbaren eine grenzenlose Einwanderung gegenüber gestellt. Leitartikel bilden Meinungen, dazu sind sie da. Allerdings darf die Wortwahl nicht unterschwellig Ängste schüren unter einer glatten Oberfläche aus Problemanalyse.

Angst vor Politikern

Politiker wie Horst Seehofer haben Macht und Einfluss, regieren. Die Augsburger Allgemeine berichtete diese Woche, Seehofer habe mit Notwehr des Freistaates gedroht. Die AZ schreibt:
"Er werde sich dabei auch nicht von rechtlichen Bedenken bremsen lassen [...] [w]enn er breite Rückendeckung in Bayern spüre [...]"
Ein Ministerpräsident, der eine nach Recht und Ordnung rufende Partei führt, dem es aber egal ist, wenn sein eigenes Verhalten rechtlich bedenklich ist, macht mir Angst. Es macht mir Angst, wenn die Rückendeckung der Bevölkerung mehr für ihn zählt als rechtlich Zulässiges.
Ich habe Angst vor einem Ministerpräsidenten, der stolz ein Treffen mit Viktor Orbán organisiert und selektiv nur die errichteten Grenzzäune als tolle Maßnahme wahrnimmt, dabei jedoch die fragwürdige Haltung Orbáns zu Europa ignoriert.

Angst vor dem christlichen Abendland

Insbesondere viele Leserbriefschreiber in der Augsburger Allgemeinen machen mir Angst. Zwei Beispiele:

Bei Susanne Tescheschner ist die Rede von Wahnsinn angesichts der Flüchtlinge, Merkels Haltung sei die einer Mutter Theresa. Regina Fischer sieht viel grundsätzlichere Strömungen und verortet atheistisch-nihilistisches, materialistisches und sexistisches "Gedanken-'gut'", das "unsere Wertvorstellungen und unsere christlich geprägte Kultur schleichend, aber nachhaltig auflösen" will. Sie stellt fest, es "haben radikale, zerstörerische Kräfte jedweder Partei und Religion in unserer Heimat nichts verloren." Wo, Frau Fischer, sehen Sie die Grenze zum christlichen Radikalismus?
Das christliche Abendland und seine Kultur wird als gefährdet dargestellt. Warum christlich? Weil Christen die größten Religionen hierzulande sind? Weitaus prägender für unsere Kultur sind beispielsweise demokratische Strukturen, deren Ursprünge in die vorchristliche Zeit zurück reichen. Weitaus prägender ist auch die Aufklärung, die uns Freiheiten und überhaupt ein anderes Denken geschenkt hat.
Ich habe Angst, dass die vorgeblichen Hüter des Abendlandes den Koran als böses Werk darstellen können und dabei übersehen, dass sich auch in der Bibel bemerkenswerte Stellen finden:
"Ephraim mengt sich unter die Völker; Ephraim ist wie ein Kuchen, den niemand umwendet. Fremde fressen seine Kraft, doch will er's nicht merken; er hat auch graue Haare gekriegt, doch will er's nicht merken." Hosea 7
"Euer Land ist wüst, eure Städte sind mit Feuer verbrannt; Fremde verzehren eure Äcker vor euren Augen, und es ist wüst wie das, so durch Fremde verheert ist."  Jesaja 1.7
"nicht Fremde von deinem Vermögen sättigen" Sprüche
Ich habe Angst, dass diejenigen, die christliche Nächstenliebe predigen, sich selbst näher sind als dem Nächsten. Ich habe Angst, dass sie solche Bibelstellen abtun, das müsse im Kontext gesehen werden, das sei aus der damaligen Zeit zu verstehen und ins Heute zu transferieren und andererseits den Koran insgesamt ablehnen, obwohl dort auch aus heutiger Sicht akzeptable und nicht mehr akzeptable Stellen zu finden sind.

Angst vor einfachen Antworten

Eine Reihe von Politikern sowie Teile der Bevölkerung bieten Antworten an auf die Fragen im Zusammenhang mit Flüchtlingen. Bayern führt Grenzkontrollen auf Autobahnen ein. Der bayerische Minister Söder fordert Zäune. Schnelle Abschiebung sei die Lösung, vor allem wenn sie mit Sachleistungen statt Geldleistungen während des Verfahrens kombiniert wird.
Als ob das wirklich funktionieren würde. Solche Maßnahmen mögen punktuell erfolgreich sein, aber ich zweifle an der Breitenwirkung. Werden Autobahnen kontrolliert, werden mehr Fahrten über kleinere Straßen erfolgen. Werden die auch kontrolliert, bleiben Waldwege oder das Unterholz. Wer abschieben will, muss sagen wohin. Bei Asylbewerbern ohne Papiere nicht ganz einfach, wird es zudem schwieriger, wenn der vermeintlich zuständige Staat die Aufnahme verweigert.
Horst Seehofer gibt die Schuld für die Anzahl der ankommenden Flüchtlinge Angela Merkel mit ihrer Willkommenskultur. Dass Frau Merkel die Grenzen öffnete, als Viktor Orbán seine europäischen Pflichten ignorierte und die Flüchtlinge weiterschob, ignoriert Seehofer. Merkel als Verantwortliche zu beschuldigen, ist einfacher.

Angst vor nachlassender Wachsamkeit

Vor einiger Zeit war ein gewisser Herr Sarrazin en vogue in den Medien. Häufige Berichte, Fernsehauftritte, Interviews. In letzter Zeit war es auffällig still um diesen Mann. War er untätig? Ich weiß es nicht. Jedenfalls tauchte er bei H-C Strache, dem Parteiobmann der rechtspopulistischen FPÖ auf, ohne dass die deutsche Presse davon Notiz nahm. Strache selbst verkündet auf Facebook, die Veranstaltung mit Sarrazin sei ein Erfolg gewesen:


Transnationale Zusammenarbeit der Rechtspopulisten mahnt zur Wachsamkeit.

Angst angesichts der Flüchtlinge

Ich habe Angst, dass wir im Angesicht der Flüchtlinge die Angst im Angesicht der Flüchtlinge nicht mehr sehen.

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