Sonntag, 13. September 2015

Kulturelle Statik der CSU

In der Augsburger Allgemeinen vom 12.09. schreibt Rudi Wais über Äußerungen von CSU-Politikern zur aktuellen Flüchtlingslage und der Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Aufnahme von Flüchtlingen:


Seehofers Notlage

Seehofer wird zitiert, der eine "nicht mehr zu beherrschende Notlage" auf Deutschland zukommen sieht. Leider wird nicht klar, was er mit "Notlage" meint. Laut dem Innenministerium haben im August 2015 über 36.000 Personen einen Asylantrag gestellt. Dies entspricht etwa einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahreswert. Das klingt nicht nach einer Notlage.
Die Polizei München wartet mit aktuellen beeindruckenden Zahlen auf:

Daran lässt sich eine Notlage festmachen. Denn diese Menschen müssen versorgt werden mit Unterkunft, Medizin, Hygiene, Nahrung. Diese Menschen müssen auch in Verwaltungsabläufen behandelt werden, z.B. ihr Asylantrag bearbeitet. Daraus ergibt sich eine Situation, die in ihrem lokalen Auftreten zu einer Situation führt, die als Notlage bezeichnet werden kann. Aber "nicht beherrschbar"? Schwierig oder sehr schwierig ja, unbeherrschbar nein.

Friedrichs Kontrollverlust

Der Ex-Minister Hans-Peter Friedrich wird zitiert, wir hätten die Kontrolle verloren. Welche Kontrolle meint er? Das Asylrecht war schon immer unkontrollierbar in dem Sinn, dass nicht politisch kontrolliert werden konnte, ob jemand einen Antrag stellt oder nicht. Kontrollierbar waren einerseits die Voraussetzungen, um einen Antrag zu stellen (z.B. in dem Land, in dem erstmals europäischer Boden betreten wurde), andererseits der Verwaltungslauf, wenn der Antrag bearbeitet wurde und beispielsweise sichere Herkunftsländer eine rasche Entscheidung ermöglichten.
Eine echt kontrollierte Migration ist lediglich außerhalb des Asylrechts denkbar. Wenn Menschen nach Deutschland einwandern wollen, um hier zu leben, kann die Politik gestalten: Persönliche, wirtschaftliche und andere Voraussetzungen können definiert werden, um gezielt die Menschen einwandern zu lassen, die erwünscht sind.
Zu seinem Interview mit der Passauer Neuen Presse schreibt Andreas Scheuer auf seiner Homepage:
"Scheuer stellte auch klar, dass zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen aus den Westbalkanstaaten ohne Bleibeperspektive unterschieden werde."
Er benutzt in beiden Fällen das Wort Flüchtling. Dabei handelt es sich im ersten Fall um Asyl, im zweiten Fall um Migration. Ich habe den Eindruck, dass insbesondere prominente Mitglieder der CSU bei aller rhetorischen Schärfe im Ausdruck oft zur Unschärfe im Vokabelverständnis neigen. Es scheint mir deshalb nicht abwegig, bei Herrn Friedrichs Kontrollverlust ebenfalls eine Vermischung unterschiedlicher Sachverhalte zu vermuten.

Söders Kulturstatik

Der Artikel der AZ zitiert Markus Söder, die "kulturelle Statik" dürfe nicht gefährdet werden. Es ist erschreckend, welches Vokabelverständnis er damit ausdrückt. Wikipedia beschreibt Statik als
"[...] ein Teilgebiet der Mechanik, das sich mit dem Gleichgewicht von Kräften an Körpern befasst. Damit ein ruhender oder sich unbeschleunigt bewegender Körper in Ruhe bleibt (bzw. sich unbeschleunigt bewegt), müssen die Summen aller Kräfte und Momente, die auf diesen Körper wirken, Null sein."
Sollte Herr Söder vor allem auf das Gleichgewicht abzielen, mag der Begriff Statik verständlich sein. Allerdings geht es bei Statik um Stabilität, um Nichtänderung eines Zustandes. Ein ruhender Körper bleibt in Ruhe, ein Gebäude bleibt stehen. Den Zusammenhang mit Kultur kann ich nicht erkennen. Ich vermute, er meint damit die Gefährdung der deutschen Kultur durch den Einfluss anderer Kulturen - das läge zumindest auf der üblichen Argumentationslinie der CSU.
Wiederum Wikipedia gibt einen Überblick, was in diesem Kontext mit Kultur gemeint ist:
"Kulturvergleichende Sozialforschung oder kurz Kulturvergleich ist eine Sammelbezeichnung für Studien der Sozial- oder Gesellschaftswissenschaften, die Aspekte menschlicher Verhaltensweisen, Darstellungsformen oder Wertvorstellungen aus verschiedenen Gesellschaften miteinander vergleichen." (Hervorhebung von mir)
Verhaltensweisen und Wertvorstellungen sind jedoch keinesfalls statisch. Kurzfristig ändern sich manche Wertvorstellungen: Was gestern schön war, ist es heute nicht mehr, wie uns die Mode mehrmals jährlich vor Augen führt. Die Bedeutung des Individuums in der Gesellschaft ist ebenfalls eine kulturelle Vorstellung, die in Europa anders gesehen wird als in Asien. Diese Wertvorstellung bewegt sich bedeutend langsamer als im Moderhythmus, aber sie bewegt sich. Wenn Herr Söder von "kultureller Statik" spricht, werde ich die Befürchtung nicht los, er denkt in 1000jährigen Zeiträumen. Er setzt damit die Linie fort, die Franz-Josef Strauß 1986 im Landtagswahlkampf formuliert hat:
"Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!"
Er liegt auf damit auf einer Linie mit der Einladung an Viktor Orbán, auf der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion am 23. September in Kloster Banz anwesend zu sein. Der ungarische Regierungschef ist sicherlich eine Person, mit der zu reden ist über die Sicherung der europäischen Außengrenzen. Er fällt jedoch häufig durch ein fragwürdiges Verständnis von Demokratie und Menschenrechten auf. Er findet deutlichere Worte als es sich die CSU jemals trauen würde. Ist der Grund für die Einladung zu einer Fraktionsveranstaltung: So "mutig" möchten Seehofer und Söder auch sein? Starke Rhetorik, ein statisches Element in der Kultur der CSU.

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