Sonntag, 27. September 2015

Bsirske als Don Quijote

Die Augsburger Allgemeine berichtet über die Wiederwahl von Frank Bsirske als Chef der Gewerkschaft Verdi:

 
Verdi hat das Grundsatzreferat von Herrn Bsirske veröffentlicht. Er gibt darin an, was er unter guter Arbeit versteht:
"... ausgerichtet an den vier Prinzipien, die Gute Arbeit ausmachen:
Gute Arbeit muss gut bezahlt, sozial abgesichert und menschengerecht gestaltet sein.
Gute Arbeit umfasst gute Bildung, Qualifikations- und Entwicklungschancen. 
Gute Arbeit ist mitbestimmt und bietet den Beschäftigten Partizipationsmöglichkeiten. 
Und Gute Arbeit ist tariflich geschützte und gestaltete Arbeit, Kolleginnen und Kollegen."
Diesen vier Prinzipien kann grundsätzlich zugestimmt werden, wenngleich die letzten beiden deutlich gewerkschaftlich gefärbt sind. Die Frage ist, welche Realisierungschancen die Prinzipien haben im Kontext des im Referat dargestellten Umbruchs.
 

Umbruch der Arbeitswelt

Herr Bsirske stellt Besonderheiten der aktuellen Entwicklung dar:
"Der aktuelle Umbruch weist nämlich drei Besonderheiten auf: Erstens. Die Entwicklung der Roboter verläuft viel, viel schneller als gedacht. Das hohe Tempo der Innovation überrascht selbst Experten. Zweitens. Der Umbruch ist mittlerweile eng mit software- und plattform-basierten Geschäftsmodellen verbunden, die etablierte Unternehmen und ganze Branchen samt ihren Beschäftigten in schwere Turbulenzen stürzen und in ihrer Existenz gefährden - zu zertrampeln drohen, wie es da von der Westküste der USA hieß. Obendrein kommt, drittens, hinzu, dass der digitale Umbruch die Branchen gleichzeitig und nahezu flächendeckend erfasst."
Dieser Analyse zur Seite stellt er die Realität in Unternehmen:
"Ich sage das gerade im Hinblick auf die Managementkonzepte, die in vielen Betrieben Einzug gehalten haben und darauf zielen, die Beschäftigten autonomer und verantwortlicher arbeiten zu lassen. Höhere Verantwortung und höhere Autonomie aufseiten der Beschäftigten verbinden sich hier mit der Anforderung, die betrieblichen Prozesse ohne direkte Anweisungen und ohne den Blick auf die Uhr selbstständig zu meistern."
Die Untersuchung "Die Roboter kommen" der ING-Diba zeigt mögliche Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsplätze in Deutschland:
 
 
Im Durchschnitt seien 59% der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten bedroht. Vor diesem Hintergrund hat Bsirske eine digitale Agenda dargestellt:
"Eine solche Agenda müsste aus ver.di-Sicht fünf zentrale Zielsetzungen haben: erstens die Verbesserung unseres Wissens über die voraussichtlichen Beschäftigungswirkungen der Digitalisierung, zweitens die Unterstützung der von Arbeitsplatzverlusten bedrohten und betroffenen Menschen, drittens die Verteilung der vorhandenen und zumindest vorübergehend wohl reduzierten Menge an Arbeit auf die Gesamtzahl der Erwerbssuchenden, viertens die gezielte Erschließung neuer Beschäftigung in gesellschaftlichen Bedarfsfeldern und schließlich, fünftens, die Umlenkung der immensen Produktivitäts- und Wohlstandszuwächse der digitalen Umwälzung zur Finanzierung der anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben."

Möglichkeiten des energischen Kampfes

Die AZ leitet den Artikel ein mit dem Satz, Bsirkse habe zu einem "energischen Kampf" aufgerufen. Ich frage mich, welche Erfolgsaussicht ein solcher Kampf haben kann.
 

Moderne Managementkonzepte

Einerseits fordert Bsirske in seinen Prinzipien guter Arbeit Partizipationsmöglichkeiten. Moderne Managementkonzepte haben hierzu ihre eigene Lesart gefunden. Die Mitarbeiter wurden autonomer, ihr Verantwortungsbereich größer. Bsirske beschreibt die Auswirkung so:
"'Mehr Druck durch mehr Freiheit' - diese Formel bringt die Wirkung dieser Konzepte sehr gut auf den Punkt."
Zudem passt dieses Managementkonzept gut zum Individualitätsstreben westlicher Kulturen. Jeder strebt demnach nach Selbstverwirklichung, übernimmt Verantwortung für sich und sein Leben. Solche Konzepte sind also für Mitarbeiter attraktiv. Damit einher gehen natürlich gesteigerte Anforderungen an die Mitarbeiter. Es reicht nicht, fachlich gut zu sein. Das wird als selbstverständlich voraus gesetzt. Hinzu kommt, notwendig über Fähigkeiten des Selbstmanagements verfügen zu müssen sowie soziales Geschick zu haben, um die eigenen Leistungen vorteilhaft zu präsentieren. Damit entsteht nicht nur mehr Druck, es entsteht zusätzlicher Druck auf einem für manche Arbeitnehmer neuen Gebiet.
 

Gefährdete Berufe

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die Studie der ING-Diba und deren Ausführungen zu den weniger gefährdeten Berufen:
"Doch nicht alle Arbeitsplätze sind gleich gefährdet. Führungskräfte, sowie Akademiker in wissenschaftlichen und kreativen Berufen unterliegen der geringsten Wahrscheinlichkeit einer Automatisierung. Berufe, die eine Spezialisierung oder Expertenwissen erfordern, sind demnach mit lediglich 11%, bzw. 12%, betroffen."
Demnach sind Berufe mit hohem Expertenwissen, Menschenführung oder Kreativität am wenigsten in Gefahr, durch die Roboterisierung eliminiert zu werden. Die stark gefährdeten Berufe im Büro, Sachbearbeitung und einfach Berufe in der Fertigung zeichnen sich durch eine Gemeinsamkeit aus: sie sind regelgebunden in dem Sinn, dass ihre Arbeit regelhaft beschrieben werden kann: Wenn der Messwert so und so ist, dann steuere so und so dagegen. Oder in der Sachbearbeitung: Wenn im Antrag dieses und jenes steht, dann entscheide so und so. Solche Aktivitäten lassen sich relativ leicht roboterisieren. Auf numerische Messwerte zu reagieren, ist kein Problem. Die zunehmende Fähigkeit von Maschinen, die menschliche Sprache zu verstehen, ermöglicht die automatisierte Bearbeitung von Kundenanfragen, Anträgen etc.
 

Gewerkschaftlicher Kampf gegen Windmühlen

Bsirskes energischer Kampf gerät also von zwei Seiten unter Druck. Zunehmende Anforderungen an Arbeitnehmer auf der einen, leichte Ersetzbarkeit von Arbeitnehmern durch Automatismen auf der anderen Seite. Die Gewerkschaft mag sich vehement dagegen stemmen, es wird ihr nichts nützen. Die Umverteilung, Punkt drei der digitalen Agenda, funktioniert nicht ohne weiteres, da die wegautomatisierten Arbeitnehmer nicht auf einem Anforderungsniveau eingesetzt werden können, das sie nicht erfüllen. Die Qualifizierung, Punkt zwei der Agenda, funktioniert ebenfalls kaum, weil völlig andere Qualifikationen benötigt werden, Qualifikationen, die die wegautomatisierten Arbeitnehmer nicht benötigt haben, die sie sich über Jahre wegtrainiert haben.
Die Mitsprachemöglichkeit der Gewerkschaften ist somit stark eingeschränkt. Sie hat zudem keinerlei Einfluss auf Start-Ups. Solche Firmen fangen klein an, können dennoch eine immense Wirkung entfalten. Sie kommen überhaupt mit wenig Personal aus, weil sich ihr Produkt oft durch Computerleistung fast beliebig skalieren lässt. Als Beispiel seien Bezahldienste im Internet angeführt. Sie bedrohen Banken, weil sie eine viel einfachere Lösung für einen Geldtransfer anbieten. Kein Suchen nach BIC und IBAN, es reicht eine Mailadresse.
Bereits heute werden Kreditverträge durch Software-Regeln entschieden. Wo früher ein Bankmitarbeiter ein Beratungsgespräch führte und Anträge ausfüllen half, arbeitet heute der Kunde selbst. Im Hintergrund rechnet ein Computer aus, ob ein Kredit gewährt werden soll oder nicht.
Solche Entwicklungen werden sich nicht aufhalten lassen. Maschinen können die Arbeit billiger und zuverlässiger. Damit fallen vor allem die Berufe weg, aus denen sich der Großteil der Gewerkschaftsmitglieder rekrutiert. Übrig bleiben werden die Qualifikationen, die für Gewerkschaften bisher weniger zur angestammten Zielgruppe gehören. Es wird nicht reichen, wenn die Mitgliederwerbung via Internet ausgebaut wird, wie Bsirske in seinem Referat ankündigt. Es geht ums Überleben. Wenn Verdi energisch gegen Roboterisierung kämpft, ist das der Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen, bei dem er nicht merkt, dass Rosinante bereits im Treibsand untergegangen ist. Beispielhaft der Kampf bei Amazon. Je energischer Verdi hier kämpft, desto attraktiver für Amazon, Personal durch Roboter zu ersetzen.
 

Fazit

Werden diese Ausführungen an den vier Prinzipien gespiegelt, zeigt sich:
  • Gute Bezahlung, sozial abgesichert, menschengerecht: Das wird kommen, denn durch die hohe Qualifikation und Anforderung an Mitarbeiter werden die Entgelte eine angemessene Höhe erreichen müssen. Die soziale Absicherung wird fraglich sein.
  • Bildung, Qualifikationschancen: Das wird nicht kommen, denn die Qualifikation wird zur Grundvoraussetzung, überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen. Einfachere Jobs werden entfallen, für Unternehmen wird es lediglich interessant sein, hoch Qualifizierte bei aktuellen Entwicklungen mitzunehmen. Bereits heute sind Weiterbildungen der Kostenblock in Unternehmen, die ganz vorne auf der Kürzungsliste steht.
  • Mitbestimmt, partizipativ: Nicht im gewerkschaftlichen Sinn. Partizipation wird lediglich soweit gehen, wie Unternehmen es für nötig erachten, ihr qualifiziertes Personal zu halten.
  • Tariflich geschützt: Wenn die übliche Zielgruppe der Gewerkschaften kaum noch ein Lieferant relevanter Arbeitskräfte ist, wird das nicht Realität werden.

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