Sonntag, 12. April 2015

Rudi Wais blickt nur mit einem Auge auf den Mindestlohn



Rudi Wais nimmt die ersten 100 Tage zum Anlass, um einen Blick auf den Mindestlohn zu werfen:
Er beschreibt, wie sich Hans-Werner Sinn getäuscht hat, als dieser eine Million Arbeitsplätze gefährdet sah. Dennoch reiht er sich ein in die Reihe der einäugigen Kritiker.
  • Er bezeichnet die mit der Lohnerhöhung einhergehende Kostensteigerung in Unternehmen als "Kollateralschäden". Diese Vokabel ist völlig falsch, denn als Kollateralschäden werden unbeabsichtigte Schäden bezeichnet. Als die Regierung den Mindestlohn eingeführt hat, waren ihr die Kostensteigerungen bestimmt bewusst und damit nicht kollateral.
  • Er behauptet, die im Gesetz verankerten Dokumentationspflichten würden "nur Unternehmer, Manager und Personalchefs [verärgern]". Er führt ein Beispiel an, das tatsächlich zumindest kritikwürdig ist. Nur sollte er auch wissen, dass in manchen Branchen eine erhebliche Kreativität herrscht, um Vorgaben zu umgehen. Insbesondere die Auftraggeberhaftung scheint mir notwendig, um den Mindestlohn auch faktisch durchzusetzen. Es soll ja abenteuerliche Konstruktionen mit Unternehmern, Subunternehmern, Sub-Subunternehmern etc. geben, die so lange geführt werden, bis es zur Verantwortlichkeitsdiffusion kommt. Alle schieben die Schuld auf den nächsten, bis das letzte Glied in der Kette nicht mehr greifbar ist.
Für einen Leitartikel würde ich mir einen stärker ausgewogenen Blick wünschen. Herr Wais stellt es so dar, als ob alle Chefs und Unternehmer sich lediglich in ihr Schicksal ergeben würden, da "[d]ie Regierung, die den gesetzlichen Mindestlohn abschafft, [...] erst noch gewählt werden [muss]". Und er vermittelt den Eindruck, die Dokumentationspflichten seien überzogen.
Herr Wais sollte auch beleuchten, warum die Regierung die Dokumentationspflichten eingeführt hat. Von dieser Position aus kann er auf manch überschießende Regelung kritisch verweisen. Absolut zu kurz kommt die Gegenposition zum Kostenargument: das wirtschaftliche Verhalten der Nutznießer des Mindestlohns. Aufschlussreich ist ein Blick auf die Sparquote in Abhängigkeit vom Einkommen:
Infografik: Reiche legen Mehr Geld zurück | Statista
Der Mindestlohn kommt den Geringverdienern zu Gute. Sie haben eine geringe Sparquote, zusätzliches Geld gelangt primär in den Konsum.
Die Wirtschaftswoche berichtete am 26. Februar 2015, die Deutschen seien im Kaufrausch: das Geld sitze locker, die Aussichten seien rosig und die "Neigung der Bürger, sich Teures wie Autos oder Möbel zu gönnen, wächst". Der starke Konsum wird als der Antrieb der aktuellen deutschen Konjunktur gesehen. Die Konsumneigung der Bevölkerung beschert den Unternehmen und Händlern gute Umsätze. Es gibt also nicht nur dunkle Kostenprobleme, wie sie Herr Wais darstellt. Es hätte seinem Leitartikel gut getan, auch die helle Seite der Medaille zu beleuchten.

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