Montag, 2. April 2018

Zusammenhalt der Gesellschaft

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 31.3. einen Leitartikel veröffentlicht mit der Frage, was zu tun sei, "damit diese Gesellschaft zusammenhält":


Walter Rollers Leitartikel

Walter Roller schreibt einleitend:
"Jede Gesellschaft ist auf das soziale Miteinander angewiesen. Sie braucht Zusammenhalt und einen Vorrat an Gemeinsamkeiten, der jenseits unterschiedlichster Interessen die Bürger zusammenführt und ihnen das Gefühl vermittelt, dazuzugehören. Jede Gesellschaft benötigt, bei aller Pluralität der Meinungen und Lebensstile, Teamgeist und den Blick jedes einzelnen für das Wohl des Ganzen. Um all dies ist es in unserem Land nicht mehr gut genug bestellt."
Tatsächlich wird vieler Orten eine Spaltung der Gesellschaft diagnostiziert, verbunden mit einem "Niedergang demokratischer Debattenkultur", der sich vor allem in sozialen Medien zeige. Zur Spaltung schreibt Walter Roller:
"Das 'Wir'-Gefühl jedenfalls hat stark nachgelassen, weil die Risse und Gräben in der Gesellschaft tiefer geworden sind und die Deutschen sich zunehmend sorgen um das, was man heutzutage kulturelle Identität nennt und früher als Zugehörigkeit zu einer Sprach-, Kultur- und Schicksalsgemeinschaft namens Nation verstanden wurde."
Und er nennt einige Spaltungen, die "nicht neu" seien:
"Da ist die Gerechtigkeitslücke, weil der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist, Reiche und Großkonzerne zu gierig sind. Da ist die Armut von Millionen, die nur das Nötigste zum Leben haben."
Verschärft werde die Situation durch zwei aktuellere Entwicklungen:
"Erstens die Globalisierung, die Berufs- und Lebenswelt umkrempelt und die Souveränität überschaubarer Einheiten wegfegt. Zweitens die Masseneinwanderung, die Gesicht und Statik der Gesellschaft rasant verändert und das Land auf nie dagewesene Weise entzweit hat."
Insbesondere die aktuelleren Entwicklungen lösten Ängste aus:
"Beides löst Ängste vor sozialem Abstieg und vor einem Verlust jenes Deutschland [Fehler im Original, Anm.] aus, das uns 'lieb und teuer' ist."
Um diesen Ängsten zu begegnen, müssten "diese Prozesse besser und verträglicher" gesteuert werden. Zudem:
"Und noch eins ist zwingend nötig, um diese vielfältiger, auch kälter werdende Gesellschaft als Gemeinschaft zu erhalten. Wir brauchen eine Idee davon, was dieses Land über Sprache und Verfassung hinaus im Innersten zusammenhält, von anderen unterscheidet und verteidigt werden muss."

Welche Gemeinschaft, welche Gesellschaft?

Walter Roller schreibt von einem "'Wir'-Gefühl", das stark nachgelassen habe. Schaut man sich um, gibt es eine Reihe Spaltungen, die derzeit diskutiert werden:
  • Die Eliten vs. die Bürger
  • Die Reichen vs. die kleinen Leute
  • Die linken Gutmenschen vs. die Rechten
  • Die Vernünftigen vs. die populistischen Vereinfacher
  • Die Fortschrittlichen vs. die Konservativen
  • Unsere Leute vs. die Fremden
Die derzeit am meisten diskutierte Spaltung bezieht sich auf den Umgang mit der Migration und Asyl. Die Spaltung tritt hier sehr offen zu Tage. Doch hat die Frage der Migration tatsächlich die Spaltung verursacht oder war die Migration lediglich der Funke, an dem sich ein vorhandener Konflikt leicht entzünden konnte?
Walter Roller benennt die "kulturelle Identität", früher als "Zugehörigkeit zu [...] einer Nation" verstanden. 2006 zur Fußballweltmeisterschaft war davon keine Rede, Deutschland, einig Fußballland. Man durfte jubeln, Fahnen zeigen, ohne in den Verdacht deutscher Großmannssucht zu kommen. Dies zeigt, dass das Gefühl des Vereintseins oder der Spaltung induziert ist von Anlässen. Wenn in den letzten Monaten Debatten auftauchten zur Leitkultur, ist das lediglich der Versuch, die tumbe populistische Abgrenzung mit einem intellektuellen Anstrich zu versehen.
Dennoch bleibt die von Walter Roller gestellte Frage, was denn "diese Gesellschaft zusammenhält". Dazu müsste zu erst geklärt werden, was denn die Gesellschaft überhaupt ist. Wer dies wie Walter Roller an einer kulturellen Identität definieren will, dem geht es primär um Abgrenzung. Da gehören dann schnell Muslime nicht mehr dazu, wenn sie sich zu stark ihrer Kultur - was immer damit dann en Detail gemeint sein mag - zugehörig fühlen. Ausgenommen natürlich jene Muslime, die Steuern zahlen und im Fußballverein sind. Warum gehört ein deutscher Vergewaltiger mehr zur Gesellschaft als ein muslimischer? Schon wird die oft behauptete jüdisch-christliche Prägung Deutschlands als Argument schwach.
Nach Walter Roller braucht es "eine Idee davon, was dieses Land über Sprache und Verfassung hinaus im Innersten zusammenhält, von anderen unterscheidet und verteidigt werden muss". Ja, eine Gemeinschaft braucht etwas, was sie zusammenhält, etwas Gemeinsames. Aber warum muss dieses Gemeinsame von anderen unterscheiden? Warum wird eine Bedrohung konstruiert, so dass das Gemeinsame verteidigt werden muss?
Das Grundgesetz sichert jedem die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu, auch Religionsfreiheit. Dies findet sich im Abschnitt der Grundrechte. Sie gelten universell, nicht nur für die Deutschen. Explizit jeder - und nicht alle Deutschen oder dergleichen - hat auf sie Anspruch. Abseits der Grundrechte haben Deutsche in einem deutschen Staat als Staatsbürger weitere Rechte, zum Beispiel das Wahlrecht. Doch das rechtfertigt nicht, eine Gemeinschaft zu konstruieren, die "von anderen unterscheidet" und letztendlich ausgrenzen will. Die relevante Gemeinschaft kann nur die derer sein, die in Deutschland leben, und sei es vorübergehend. Denn Effekte der Globalisierung und Digitalisierung werden alle treffen, die in Deutschland leben.
Die Gemeinschaft, um deren Zusammenhalt sich Walter Roller sorgt, ist nicht die, die er uns Glauben machen will. Deshalb sind auch seine Antworten, die eine kulturelle Identität, eine Kulturgemeinschaft umfassen, wenig hilfreich. Denn die Frage, was die Spaltung in Deutschland aufzuheben vermöge, bleibt.

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