Freitag, 20. November 2015

Walter Rollers Geheimplan

Walter Roller sieht in seinem Leitartikel Europa vor einer Bewährungsprobe:




Nach diesem Artikel bin ich mir sicher, Walter Roller hat einen Plan. Es wird Zeit, diesen Plan zu enthüllen. Dazu vorab die relevanten Beobachtungen, um am Ende in der Offenbarung zu kulminieren.


Faktenfrei argumentieren

Er behauptet "unkontrollierte Masseneinwanderung". Die faktische Unterscheidung in Flüchtlinge und nicht fliehende Migranten macht er nicht. Wenn er auf der Höhe der Zeit kommentieren will, dürfte er den Bericht der UNHCR nicht ignorieren, nach dem Länder auf der Balkanroute beginnen, nur noch Personen bestimmter Herkunftsländer durchzulassen. Dazu gibt es beispielsweise bei der Deutschen Welle einen Artikel.
Er setzt "Millionen von muslimischen Einwanderern" in einen Zusammenhang mit "Parallelgesellschaften, wie sie in Frankreich entstanden sind". Die Gefahr besteht. Nur sind es nicht nur Einwanderer in der Parallelgesellschaft, sondern auch dort geborene. Das sind zwei unterschiedliche Problemkreise. Den Fakt, dass die einen durch Grenzmaßnahmen an der Einreise gehindert werden können, die anderen aber einfach da sind, differenziert er nicht. Er ignoriert, dass nicht nur Muslime fliehen, sondern auch beispielsweise christliche Jesiden.
Er ignoriert, dass die polizeilichen Befugnisse in Frankreich, was den Zugriff auf Telekommunikationsdaten (Stichwort: Vorratsdatenspeicherung) angeht, das Attentat nicht verhindert haben. Zwar erhebt er in seinem Artikel nicht die Forderung nach einer deutschen Vorratsdatenspeicherung. An anderer Stelle hat er dies jedoch bereits getan.


Demagogische Wortspiele

Die Faktenfreiheit wird verbunden mit einer Wortwahl, die Walter Rollers Plan unterstützt.
Er fordert, "dass die Politik ihre [die Bürger] Sorgen vor einer unbegrenzten Zuwanderung ernst nimmt". Grundsätzlich eine richtige Forderung. Nur: niemand redet einer unbegrenzten Zuwanderung das Wort. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, wird die bereits oben genannte Unterscheidung bezüglich Flüchtlingen und Nichtflüchtlingen machen und auf diesem Wege "unbegrenzt" ausschließen.
Er schreibt von "Millionen von muslimische[n] Flüchtlingen". Er schreibt das zwar über Europa, verankert aber durch die Nennung von Merkel in unmittelbarer Nähe einen Fokus auf Deutschland.
Er wiederholt gebetsmühlenartig, die Bevölkerung sei in Sorge, habe Angst. Die freiheitliche Ordnung stehe auf dem Spiel. Härte und Selbstverteidigungswille sei nötig. Nur der Rechtsstaat könne die Sicherheit zur Verteidigung der Freiheit garantieren. Er bietet Bomben und Kanonen als Lösung. Den nächsten Schritt verschweigt er: was aus den zerbombten Ländern werden soll. Egal! Hart durchgreifen! Christliches Abendland verteidigen gegen Terroristen, Flüchtlinge, Migranten. Dschihad den Dschihadisten!


Der Plan

Welches Bild ergibt sich, wenn die Schlussfolgerungen aus diesen Worten Walter Rollers gezogen werden?
  • Wer Fakten ignoriert und demagogisch spricht, kann es nicht anders oder er will es so. Die berufliche Vita spricht gegen ein Nicht-Können. Also ist es das Wollen, das Walter Roller treibt.
  • Er will harte Reaktionen auf Bedrohungen. Er will dichte Grenzen. Er will das Primat des Rechtsstaats und seiner Organe zur Sicherung der Freiheit. Er will die Registrierung Einreisender.
Ich frug mich, wo es das alles gibt. Wo gibt es keine Terroranschläge? Wo hat der Staat alles im Griff? Wo muss sich die Bevölkerung nicht sorgen, weil die Staatsführung die Sorgen antizipiert und rechtzeitig lenkt?
Walter Rollers Plan ist: Deutschland nach nordkoreanischem Vorbild.

Montag, 16. November 2015

Rudi Wais Kriegserklärung

Rudi Wais leitartikelt über den Terror in Paris:


Richtig, der IS greift unsere Art zu leben an. Allerdings sind die Werte hinter dieser Art nicht so universell, wie der Artikel glauben macht. Es sind europäische Werte, vielleicht westliche Werte. In vielen Weltgegenden werden sie als falsch angesehen. Allein schon der hiesige Individualismus wird in vielen asiatischen Ländern nicht geteilt. Wir haben allen Grund, diese Werte zu verteidigen, auch ohne Anspruch auf universelle Größe. Im Gegenteil: die Behauptung, sie seien universell, ist ein Aspekt, warum die Terroristen sie bekämpfen.
Die Idee hinter dem Terror und seiner Wirkung ist die Angst. Kann ich noch Bus fahren? Kann ich auf ein Konzert gehen? Dass religiöse Inhalte pervertiert und als Begründung für den Terror herhalten müssen - geschenkt. Angst sei ein schlechter Ratgeber, schreibt Rudi Wais. Vielleicht hat er Angst, denn seine weiteren Ausführungen sind schlecht:
  • Er stellt Attentäter, die sich in der Deckung echter Flüchtlinge bewegen, in eine Linie mit den echten Flüchtlingen. "Sind mit ihnen dann noch andere gekommen?" fragt er und beteiligt sich damit an der rechten Rhetorik einer Pegida und AFD. Diese billige Propaganda setzt er fort, als er das deutsche Glück überstrapaziert sieht, wenn "Tag für Tag tausende von Menschen ins Land" gelassen werden. Diese Menschen fliehen vor dem Terror, den Paris erlebt hat. Diese Menschen haben diesen Terror täglich. Seit Monaten und Jahren.
    Er fordert nicht die Schließung der Grenzen. Als Denkbares gedacht wäre dies naheliegend. Nur was soll damit gewonnen werden? Als ob Attentäter, die einen Anschlag über Monate planen, sich von einem Uniformierten an einem bayerischen Grenzübergang aufhalten ließen. Dann kommen die Attentäter halt über Polen, Dänemark, Holland, Schweiz, Frankreich. Oder sie sind bereits im Land, vielleicht hier geboren und die Waffen werden gut versteckt in einem LKW oder Schiff geschmuggelt.
  • Die bisherige Strategie der Luftschläge wirkt nicht wie erhofft. Rudi Wais redet dem angeblich Undenkbaren das Wort, einem starken militärischen Eingreifen. Was soll daran undenkbar sein? Dieser Vorschlag ist nicht neu. Damit wurde er bereits gedacht und bisher aus gutem Grund nicht umgesetzt.
    Undenkbar ist, bei einem solchen Vorschlag nicht die Konsequenzen zu bedenken. Diesen notwendigen Schritt geht jedoch Rudi Wais nicht. Was soll nach der konzertierten Aktion kommen? Assad an der Macht bleiben? Fehden einzelner Stammesoberhäupter? Niemandsland? Mondlandschaft?
Völlig offen lässt Rudi Wais, wie er die Idee aus der Welt schaffen will, unsere Lebensweise sei zu verdammen und rechtfertige den Terror. Mit Bomben, Kanonen und Soldaten wird das nicht gelingen. Nach Al Kaida kommt ISIS kommt IS kommt ...
Mir wäre es lieber gewesen, die AZ hätte eine französische Flagge auf Halbmast gezeigt.

Sonntag, 15. November 2015

Das Spiel der AFD

Michael Stifter analysiert in der Augsburger Allgemeinen die Zukunft der AFD:



Ein Anlass für den Leitartikel könnte die aktuelle Umfrage der INSA gewesen sein, die die AFD bei etwa 10% der Stimmen sieht. Damit wäre die AFD im Bundestag vertreten. Die im Text groß platzierte Aussage, nach der 90% mit der Partei nichts zu tun haben wollen, interpretiert die Umfrageergebnisse jedoch zu positiv. Denn zwischen "Ich wähle eine Partei XY" und "Ich will mit Partei Z nichts zu tun haben" gibt es  Unterschiede. Ich kann in bestimmten Punkten der Partei Z vollkommen zustimmen, aber dennoch eine andere Partei wählen. Dies insbesondere dann, wenn die andere Partei das bessere "Gesamtpaket" geschnürt hat. Michael Stifter schließt seinen Leitartikel mit der positiv klingenden Aussage, das Spiel der AFD wird nicht auf Dauer aufgehen. Ich meine, das kommt darauf an.
Wird die AFD lediglich auf ihre braunen Rülpser reduziert, die Michael Stifter beispielhaft anführt, wird die AFD nicht auf Dauer erfolgreich sein. So wie Republikaner und NPD bestenfalls ein Nischendasein fristeten und fristen, wird sich auch für die AFD kein weites Feld ergeben.
Ich sehe jedoch eine Gefahr, wenn es der AFD gelingt, auch andere Politikfelder zu besetzen. Hierzu lohnt ein Blick in die Leitlinien der Partei, nach denen
  • die Demokratie beschädigt sei, weil in Europa entschieden würde ohne demokratische Legitimation,
  • der Rechtsstaat beschädigt sei, weil Verträge gebrochen würden,
  • die Gewaltenteilung beschädigt sei, weil der Bundestag von der Regierung unter Druck gesetzt würde,
  • die soziale Marktwirtschaft beschädigt sei, weil Sparer haften müssten,
  • die europäische Idee beschädigt sei, verursacht durch die Eurokrise.
Bereits in diesen Leitlinien mag der eine oder andere Bürger sich erkennen. Die aktuelle politische Lage bietet weitere Ansatzpunkte. Als Lösung sieht die AFD
  • den Respekt vor der Mehrheitsbevölkerung und vor Minderheiten
  • die Durchsetzung des bestehenden Rechts
  • die Abschaffung der überbürokratischen Bevormundung der Bevölkerung
  • den Kampf gegen die Kriminalität bei Schutz der Privatsphäre
  • in der erweiterten Zuständigkeit des Parlaments
  • in direkter Demokratie und Meinungsfreiheit
  • in sozialer Marktwirtschaft
  • in Geldwertstabilität und Steuergerechtigkeit
  • in Investition in Familien und Bildung
  • in einer klaren Steuerung der Zuwanderung
  • im Respekt vor der Natur.
Auf einem solchen Abstraktionsniveau klingt die AFD nicht viel anders als die CSU in Bayern. Deshalb bin ich nicht beruhigt und glaube auch nicht an eine zwangsläufige Selbstzerstörung.
Um das Gefahrenpotential der AFD zu verstehen, lohnt ein Blick zur österreichischen FPÖ.
  1. Früher mit Jörg Haider, nun mit HC Strache verfügt die Partei über einen Proponenten, der auf die Bevölkerung sympathisch wirkt. Strache umgibt sich gerne mit der Jugend, gibt sich jugendlich, sucht den Kontakt beispielsweise in Diskotheken. Er erscheint so als Gegenentwurf zu den langweiligen, stromlinienförmigen, ja fast spießigen anderen Berufspolitikern.
    Freilich hat die AFD derzeit eine solch ansprechende Person nicht. Was wäre jedoch, wenn ein vergleichbarer Kopf auftauchen würde?
  2. In der FPÖ gibt es braune Gesinnung. Immer wieder tauchen entsprechende Äußerungen im Umfeld der Partei auf. In der Folge distanziert sich die politische Spitze mehr oder weniger von den angeblichen Einzelmeinungen. Sie kann so einerseits das Signal senden, sie wären keine Nazis, andererseits sind rechts-konservative Ansichten in der Partei möglich und üblich.
    Was wäre, wenn die AFD mit den Bachmanns, den Höckes, den Gaulands geschickter umginge, sie vielleicht sogar strategisch an der rechten Flanke einsetzen würde?
  3. Die FPÖ konnte sich als Kleiner-Mann-Versteher etablieren. Nur die FPÖ würde die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Sie setzte dabei auf Themen, die auch derzeit Angstthemen sind: Einwanderung, Islam, Euro.
    Was wäre, wenn die AFD sich als die einzige Partei präsentieren würde, die die Sorgen wirklich ernst nimmt? SPD und Grüne könnte sie als personifizierte Willkommenskultur darstellen, die CDU unter Kanzlerin Merkel als Wir-schaffen-das, die CSU als bestenfalls ein lokales Phänomen in Bayern. Was wäre, wenn die AFD einen bundesweiten CSU-artigen Kurs fahren würde?
  4. Die FPÖ konnte sich als Protestalternative positionieren. Die anderen etablierten Parteien seien in gegenseitigen Abhängigkeiten, im Filz und überhaupt in ihrer Schwachheit gefangen. Wer wirkliche Veränderung wolle, müsse FPÖ wählen.
    Was wäre, wenn die AFD vor dem Hintergrund akzeptabler politischer Inhalte noch eine Proteststimmung für sich nutzen könnte?
  5. Die FPÖ konnte sich mit plumpen wie eingängigen Wahlsprüchen permanent im Gespräch und in der Öffentlichkeit halten. Beispielsweise wurde "Daham statt Islam" propagiert, später ruderte Strache zurück und behauptete, der Spruch wäre eine Verkürzung, die er nicht mehr verwenden würde.
    Was wäre, wenn die AFD den Spagat schafft zwischen Sprüchen, die vorhandene Ängste der Bevölkerung aufgreifen, in der Öffentlichkeit diskutiert werden und andererseits der behaupteten Abgrenzung zum Rechtsradikalismus?
Derzeit mag die Gefahr noch nicht groß sein. Weder sehe ich die geeigneten Personen bei der AFD noch die dafür notwendige Professionalisierung im Auftreten. Wenn jedoch Konservative mit ihrem Vokabular den Boden bereiten - Schäubles Lawinenbild sei hier angeführt - und die AFD sich in dieser Spur geschickt verhält, kann sie CDU und CSU sehr wohl gefährlich werden und ihnen Wähler abspenstig machen. Bleiben wir also wachsam!

Mittwoch, 4. November 2015

Orbán ist kein Waisenknabe

Rudi Wais hat einen Artikel veröffentlicht, in dem er auf Defizite beim wertorientierten Handeln in der Politik hinweist:


Ohne Zweifel zeigt Rudi Wais Scheinheiligkeiten im Handeln deutscher Politiker auf. Diese Liste ließe sich fortsetzen.
An einem Punkt muss ich jedoch widersprechen: Rudi Wais vergleicht Viktor Orbán mit Erdogan und kommt zu dem Schluss, Orbán wirke wie ein Waisenknabe. Viktor Orbán ist kein Waisenknabe. Er ist ein übler Zeitgenosse, der zwar christliche Vokabeln bemüht, aber ein fragliches Verhältnis zu Werten hat. Während Erdogan ungeniert demokratische Grundfeste ignoriert, kommt Orbán unauffälliger daher.
Wes Geistes Kind Orbán ist, zeigt sich in einer Rede bei der Vorstellung der Diskussionsschrift Zeichen der Zeit. Einige Auszüge daraus:
"Europa ist verraten worden, und wenn wir uns nicht für dieses Europa engagieren, dann wird man uns dieses Europa wegnehmen. Dieses Europa wird nicht mehr das Europa der europäischen Bürger sein, sondern es wird die rauschhaften Träume einiger gut organisierter – wenn Sie jetzt an die Soros-Stiftung denken, dann ist dieser Gedanke nicht unbegründet –, einiger gut organisierter, große Gelder hin- und herbewegender, über die Rahmen der Nationalstaaten hinaus denkender Aktivisten, von niemandem gewählter Führer erfüllen."
Orbán schwadroniert von Aktivisten, die große Gelder hin- und herbewegen, nicht gewählt seien. Er nennt die Soros-Stiftung. Diese Stiftung gehört zu George Soros, ein Mann ungarischer und jüdischer Herkunft. Ohne es explizit auszusprechen bringt Orbán die unsägliche Idee eines international agierenden Finanzjudentums auf's Tableau.
Weiter fabuliert Orbán:
"Wer hat die europäischen führenden  Politiker damit beauftragt, auf Grund welcher Ermächtigung geschieht das, dass sie zu Hunderttausenden die von der europäischen Kultur abweichenden Gruppen nicht einfach auf den europäischen Kontinent hereinlassen, sondern sie hineintransportieren? Auf eine Weise, dass langsam unsere europäische kulturelle Identität in Frage gestellt wird."
Er unterstellt, die Flüchtlinge würden nicht einfach hereingelassen, sie würden sogar hereintransportiert. Da schimmert verschwörungstheoretisches durch. Später wird er konkreter mit seiner Behauptung:
"[...] doch die Antwort kann von unserer Seite aus nur sein, dass wir entgegen dieser Verschwörung, diesem Verrat uns an die Demokratie, an das Volk wenden müssen, und wir müssen erreichen, dass wir die europäischen Menschen, ganz gleich ob als europäische Menschen oder als Bürger der Nationalstaaten auf irgendeine Weise zu Worte kommen lassen, damit diese Menschen sagen können, dass sie das, was geschieht, nicht wollen [...]"
So spricht kein Waisenknabe. So spricht jemand, auf den wir ein wachsames Auge richten müssen.