Sonntag, 6. Februar 2022

Vom Aus der Impfpflicht

Deutschland diskutiert die Impfpflicht, um der Corona-Pandemie Herr zu werden. Während die einen eine solche Pflicht für notwendig erachten, um die Pandemie zu überwinden, lehnen andere sie ab, weil sie einen Eingriff in die Freiheit bedeute. 

Im Folgenden sollen Gründe genannt werden, warum es keine Impfpflicht geben wird. Entweder, weil sie politisch nicht umsetzbar ist oder weil sie von Gerichten nachträglich als unzulässig angesehen wird. Die Gründe werden ohne den Freiheitsbegriff der Impfpflicht-Ablehner und ohne ein moralisches Argument der Befürworter auskommen. Insbesondere sind die Gründe keine, die sich Schwurbler auf die Fahnen heften sollten. Wer befürchtet, es würde in Deutschland Faschismus oder eine Diktatur eingeführt, vom Impfen würden Männer schwul und Frauen unfruchtbar, es gäbe einen Ausrottungsplan, der Impfstoff sei Gentherapie und experimentell etc., der hat sich ohnehin längst von einem argumentativen Diskurs verabschiedet.

Ungeachtet der Gründe, warum ich nicht mit einer Impfpflicht rechne, halte ich die Impfung selbst für sinnvoll.

Derzeit gibt es in Deutschland eine Impfpflicht für bestimmte Berufe. Damit sollen v.a. sog. vulnerable Gruppen geschützt werden, Menschen in Pflege- und Heilanstalten. Nun wird diskutiert, diese Impfplicht  auf weitere Gruppen bzw. alle auszudehnen. Manche fordern, sie müsse alle über 50 Jahre betreffen, manche möchten sie bereits ab 18 sehen. 

Was soll mit der Impfpflicht erreicht werden? In den Anfangszeiten der Pandemie hoffte man, jeder Einzelne könne sich schützen durch eine Impfung, weil sie eine Ansteckung verhindere. Als Impfstoffe verfügbar wurden zeigte sich, dass der Schutz nicht so zuverlässig vor Ansteckung schützt wie erhofft.  Mit dem Auftreten der Virusvariante Omikron ging dieser Infektionsschutz nochmals zurück. Nach derzeitigem Stand schützen die vorhandenen Impfstoffe eher vor schweren Krankheitsverläufen als vor einer Infektion selbst. Damit hat sich auch die Argumentation für eine Impfung verschoben. Nicht mehr der Infektionsschutz steht im Mittelpunkt, sondern der Schutz des Gesundheitssystems. Dies betrifft v.a. die Krankenhäuser, die davor bewahrt werden sollen, mit Corona-Infizierten belegt und überlastet zu werden und so für andere Erkrankte keine Kapazitäten mehr zu haben.


Impfpflicht als Ultima Ratio?

Alle Befürworter sind sich einig, eine Impfpflicht sei eine Ultima Ratio, ein letztes Mittel, um die Pandemie einzudämmen. Doch das Argument greift nicht:

  1. Beim Einsatz des letzten Mittels müssten vorher alle milderen Mittel erfolglos eingesetzt worden sein. Doch das ist keineswegs der Fall. Abgesehen von lokalen Maßnahmen zur Steigerung der Impfquote beließ es die Politik bei Appellen. Während in den USA beispielsweise Geldprämien bezahlt wurden für Impfungen, gab es in Deutschland vielleicht eine Bratwurst. Eine Impfprämie wurde diskutiert, jedoch nie eingeführt, ja nicht einmal ernsthaft ausprobiert.
    Zudem: Als Impfstoffe noch entwickelt bzw. anfänglich eingesetzt wurden, war von einer erforderlichen Impfquote von 80% die Rede. Derzeit sind in Deutschland ca. 75% geimpft. Das ist so nahe am Zielwert, dass eine Impfpflicht nicht angemessen ist.
  2. Eine Impfpflicht soll die Überlastung des Gesundheitswesens verhindern. Eine solche Überlastung lässt sich einerseits auf Patientenseite durch Verringerung der Einlieferungen vermeiden. Da soll die Impfpflicht ansetzen. Andererseits könnte die Überlastung vermieden werden durch Ausbau der Kapazitäten. Auch hier ist nicht zu erkennen, dass die Politik sich ernsthaft bemüht hätte. Außer wortreichen Bekenntnissen, dass der Pflegeberuf besser bezahlt werden müsse, ist nichts passiert.
Es ist also nicht zu sehen, dass die Politik bisher alles versucht hätte, um die Impfpflicht als letzte Waffe zu vermeiden. 

Weitere Gründe

Darüber hinaus gibt es weitere Argumente, warum eine Impfpflicht nicht kommen wird:

  • Das Auftreten der Omikron-Variante hat gezeigt, dass das Virus rasch mutiert und so bestehende Impfstoffe in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen kann. Eine Impfpflicht lässt sich nicht schlüssig damit zu begründen, es sollen zukünftig Infizierte vermieden und das Gesundheitssystem geschützt werden, wenn nicht klar ist, welche Wirkung die verwendeten Impfseren auf die nächste Virusvariante haben werden. Tritt eine neue Variante auf, müssten die Impfstoffe angepasst werden, was - überspitzt - bis zum Auftreten einer weiteren Variante dauern würde, gegen die dann die Stoffe wieder nicht optimal schützen. D.h. es würde bei einer Impfpflicht ein Impfstoff eingesetzt, dessen Schutzwirkung bereits in naher Zukunft fraglich ist. Eine Impfpflicht stünde auf tönernen Füßen.
  • In den Anfangszeiten der Pandemie wurde das Ziel ausgegeben, eine Impfquote von 80% müsse erreicht werden. Mit der Omikron-Variante und ihrer deutlich höheren Infizierungsmöglichkeit ist die Zielgröße auf inzwischen 90% oder 95% gestiegen. Die nächste Variante könnte diese Zielwerte wieder vermindern, wenn sie weniger ansteckend ist, oder auch erhöhen. Jedenfalls kann kein belastbares operationales Ziel angegeben werden, das mit der Impfpflicht erreicht werden soll. Und ohne Ziel lässt sich die Impfpflicht nicht begründen.
  • Die Impfpflicht solle, so die aktuelle Argumentation, das Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren. Doch das Virus mutiert, wodurch sich einerseits die Möglichkeiten einer Infektion sowie die Schwere der Erkrankung selbst ändern. Omikron ist wesentlich ansteckender als sein Vorgänger, hat dagegen wohl einen milderen Verlauf. Je milder der Verlauf, desto weniger Gefahren für das Gesundheitssystem. Niemand weiß, wie sich zukünftige Varianten entwickeln werden. Vielleicht noch mildere Verläufe? Oder schwerere? Und wie hilft hierbei die jeweilige Impfung? Wo wie z.B. bei Masern und seinem "stabilen" Virus eine Impfpflicht begründbar ist, ist sie es bei dem stark mutierenden Corona-Virus nicht.
  • In Deutschland gibt es kein Impfregister. Es ließe sich also nicht überprüfen, ob alle Verpflichteten tatsächlich geimpft sind. Die Pflicht müsste deshalb kontrolliert werden. Doch es könnten nicht alle überprüft werden. Dass Kontrolleure von Wohnung zu Wohnung ziehen, ist nicht zu erwarten. In Österreich gibt es eine Impfpflicht, die z.B. von der Polizei bei Verkehrskontrollen geprüft wird. Doch warum sollen nur Autofahrer geprüft werden? Oder Zugreisende? Oder Fahrgäste im Nahverkehr? Oder Menschen mit Arbeitsplatz durch Arbeitgeber? Es würden also v.a. bestimmte Personengruppen eine Impfpflicht zu spüren bekommen, weil sie einer "Kontrollgruppe" angehören. Andere, die keiner solchen Gruppe angehören, würden die Pflicht umgehen können. Damit wären nicht alle (egal, ab welchem Alter die Pflicht gelten solle) gleichmäßig verpflichtet und die Durchsetzung einer Impfpflicht systematisch ungerecht.
  • Einige Länder in Europa erlauben inzwischen Lockerungen oder verzichten fast vollständig auf Maßnahmen. Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die eine Ausstiegsperspektive fordern. Sogar Markus Söder, unter der Merkel-Regierung noch im "Team Vorsicht und Umsicht", hat nach dem Regierungswechsel in Berlin ebenfalls die Seite gewechselt und macht sich für Lockerungen stark.
    Manche fordern Lockerungen noch im Februar, andere für Ostern. Ihnen gemein ist, dass die Lockerungen in Kraft wären, wenn eine Impfpflicht eingeführt würde. Wenn die Politik einerseits für Lockerungen von Corona-Maßnahmen ist, kann sie nicht andererseits eine Impfpflicht fordern. Sie kann sich lediglich weiterhin für eine Impfung stark machen, sie aber nicht verpflichtend wollen, weil die Lockerungen ja gerade das Potential haben, mehr Infizierte zu produzieren und das Gesundheitssystem zu überlasten.
Mit ihrer zögerlichen Haltung hat sich die Politik zum Thema Impfpflicht selbst aus dem Spiel genommen. Wo sie im Frühjahr/Sommer 2021 noch gute Argumente gehabt hätte, hält sie heute nurmehr rieselnden Sand in der Hand. Die Impfpflicht ist deshalb eine Sandburg ohne Bestand.

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