Freitag, 17. April 2020

Lockdown bis zum Sanktnimmerleinstag

Die Bundesregierung hat am 15.04.2020 Schritte beschlossen, um aus dem bis dahin geltenden Lockdown in langsamen Schritten auszusteigen. Obwohl es Beschlüsse auf Bundesebene gibt, können die Bundesländer von diesen Beschlüssen abweichen, um auf die jeweilige Situation besser eingehen zu können. Die Lockerungen umfassen, wie die AZ berichtet, beispielsweise Geschäfte bis 800 Quadratmetern oder Buchhändler, Fahrrad- und Autogeschäfte (unabhängig von der Größe), die demnächst wieder öffnen dürfen. Dazu hat Stefan Stahl einen Kommentar am 16.04. verfasst:


Stefan Stahl schreibt:
"Doch Deutschland steht vor einem langen Marsch zurück zur Normalität, ob im Handel oder an den Schulen."
Damit ist zu rechnen, auch wenn derzeit die Politik sich um klare Aussagen drückt. Sie gibt einen Ausblick immer nur für die nächsten Tage, vielleicht wenige Wochen. Was fehlt, ist eine klare Perspektive, die der Sehnsucht nach Normalität ein Gegengewicht geben könnte. Stefan Stahl schreibt:
"Die Sehnsucht nach einer raschen Rückkehr zur Normalität wirkt groß. Doch Sehnsucht ist in Corona-Zeiten kein guter Ratgeber. Seiner Sehnsucht nachzugeben, kann tödlich enden. Zur Sehnsucht müssen sich Geduld, Leidensfähigkeit und Umsicht gesellen."
Geduld und Umsicht, ja. Dabei wird als Gegenszenario immer ein überhasteter, übereilter, mithin unvernünftiger Ausstieg dargestellt, wie der Teaser eines Artikels vom 13.04. im Spiegel zeigt:
"Die Bundesregierung will in der kommenden Woche über mögliche Szenarien für den Exit aus dem Lockdown beraten. Schon jetzt warnen Politiker vor einem überhasteten Aussetzen der Maßnahmen."
Als ob es nur diese beiden Pole gäbe: lebensrettend geduldige Lockerungen vs. übereiltem, tödlichem Ausstieg.
Derzeit haben sich die Vorsichtigen durchgesetzt und lediglich kleine Maßnahmen wurden beschlossen. Es ist ja vernünftig, Festivals, Sportveranstaltungen und alle anderen Veranstaltungen zu untersagen, bei denen viele Menschen sich sehr nahe kommen werden. Allerdings bleibt unklar, warum manche Maßnahmen so wie beschlossen beschlossen wurden. Ein paar Beispiele:
  • Geschäfte bis 800 Quadratmetern dürfen öffnen. Die Grenze von 800 qm ist willkürlich. Es gibt kein valides Argument, das die Schließung eines Geschäfts mit 810 qm erklären könnte.
  • Bestimmte Geschäfte dürfen unabhängig von der Größe öffnen, wie Buch- oder Autohändler. Warum die Gefahr in einem 1.000 qm Buchladen eine andere sein sollte als in einem 1.000 qm Elektromarkt, ist nicht einsehbar.
  • Die besonderes strengen Maßnahmen in Bayern begründet Markus Söder mit der Nähe zu Italien. Österreich ist näher an Italien und hat die Geschäfte unter bestimmten Auflagen bereits geöffnet. 
  • In Österreich ist die Flächengrenze für Geschäftsöffnungen 400 qm, in Tschechien 200 qm und in Deutschland 800 qm.
  • In Österreich müssen die Autohändler geschlossen bleiben, in Deutschland dürfen sie öffnen.
  • In Dänemark öffnen die Schulen wieder, in Deutschland bleiben sie geschlossen bzw. es werden nur die Abschlussklassen wieder aktiviert.
Dies zeigt, dass es keine "Killerargumente" für oder gegen einzelne Maßnahmen gibt. Selbst am wissenschaftlichen Fundament entstehen Zweifel, denn was unterscheidet Geschäfte in Deutschland, Osterreich und Tschechien so sehr voneinander, dass Flächenbegrenzungen um den Faktor vier variieren. Dass Autohändler in Deutschland öffnen dürfen, hat eher mit der hiesigen Autoindustrie zu tun und nichts mit dem Virus und seiner Ansteckungs- und Erkrankungsgefahr.
Die Maßnahmen sind politische Maßnahmen. Je unterschiedlicher die Maßnahmen in Regionen und Ländern ausfallen, desto schwächer wird das Argument der Politik, die Maßnahmen müssten so und könnten nicht anders sein. Wenn dann willkürliche Grenzen gezogen werden wie die Größengrenzen, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich Gerichte damit beschäftigen werden. Es wird sehr zweifelhaft sein, dass der Gleichheitsgrundsatz gewahrt wird, wenn ein Damenbekleidungsgeschäft mit 790 qm öffnen darf, das daneben liegende Herrengeschäft mit 810 qm jedoch geschlossen bleiben muss.
Gregor Peter Schmitz hat in der AZ vom 17.04. einen Kommentar veröffentlicht:



Gregor Peter Schmitz schreibt:
"Dennoch gibt es natürlich immer die Wahl, kleinere oder größere Schritte zu machen. Daher muss niemanden befremden, dass es unter den Bundesländern - und ihren Politikern - unterschiedliche Ansichten zum Tempo beim Ausstieg aus dem Stillstand gibt. Immerhin bewegen sich in dieser Krise alle im Neuland, sogar die Wissenschaft."
Das ist richtig. Weiter schreibt er:
"Aber Leben mit der Pandemie wird nicht nur aus Verordnen bestehen, auch aus Vermitteln: zwischen vielen Sorgen und Interessen."
Auch das ist richtig. Doch mit dem Vermitteln hapert es. So gibt die Politik keine wirkliche Perspektive. Wenn die Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung notwendig sind, bis Herdenimmunität erreicht oder ein Impfstoff verfügbar ist, geht es nicht um Wochen, sondern um Monate, vielleicht Jahre. Derzeit gehen Optimisten davon aus, dass ein Impfstoff im nächsten Jahr verfügbar sein könnte. Das wäre wahrscheinlich früher als die Herdenimmunität, die durch gebremste Ausbreitung des Virus erreicht werden kann. Die Politik sagt nicht, ob und wann große Kaufhäuser öffnen dürfen. Sie sagt nicht, wann Restaurants öffnen dürfen. Sie sagt nicht, wie der Sommerurlaub (veilleicht nur in Deutschland) möglich sein soll, wenn Hotels geschlossen bleiben. Es bleibt abzuwarten, wie im Sommer die Stimmung im Lande ist, wenn Badeseen gesperrt bleiben.
Das Bild, das die Politik derzeit vermittelt, ist das einer vorsichtigen und perspektivlosen Politik. Auch wenn Stefan Stahl schreibt, für die Vorsicht müssten wir uns mit Nachsicht bedanken, mag das heute und morgen zutreffen. Doch wenn die Politik zaudernd die Geduld über Gebühr strapaziert, wird die Nachsicht ein Ende finden. Denn weder eine fehlende Perspektive noch die teilweise schwach begründbaren Maßnahmen sind geeignet, die Nachsicht geduldig am Leben zu halten.

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