Mittwoch, 19. Juni 2019

Maut als Wahlkampffinanzierung

Bernhard Junginger hat in einem Leitartikel der Ausgabe der Augsburger Allgemeinen vom 19.06. das Urteil kommentiert:


Bernhard Junginger schreibt, das Aus der Maut sei "ein Debakel für die CSU". Das ist untertrieben, denn:
"Wenn eine geplante Gebühr schon 'Ausländermaut' genannt wird, dann ist es gut, wenn sie gar nicht erst zustande kommt. Allein der Name verrät, welches Denken dahintersteckt: Wir müssen 'bei denen' zahlen, drum sollen 'die' gefälligst auch bei uns den Geldbeutel aufmachen. Mit dem Ideal eines vereinten, solidarischen Europas hat diese Parole herzlich wenig zu tun."

Die Blamage 

Dieses Die-und-Denen-Denken wurde geboren, als die CSU ihr Heil als #AFDkopie suchte und von dem sie erst zur letzten Landtagswahl abzurücken begann. Kraftmeierei als Fassade für die absolute Unfähigkeit, den rechten Populisten mit Geist zu begegnen. Deshalb hat Bernhard Junginger recht:
"So ist das Nein des Europäischen Gerichtshofs zu den deutschen Plänen eine ebenso schallende wie verdiente Ohrfeige für Horst Seehofer und die CSU. In seltener Deutlichkeit zeigt das Maut-Debakel, wie wenig am Ende oft bei politischer Kraftmeierei herauskommt. Ohne Maut kein Koalitionsvertrag, drohte Seehofer Kanzlerin Merkel 2013. Bei der markigen Forderung aus der christsozialen Mottenkiste ging es Seehofer weniger um die erwarteten, eher überschaubaren Einnahmen. Sondern vielmehr darum, aus einer populären Stimmung politisches Kapital zu schlagen."
Die Welt berichtet, die Maut sei als Murks umgesetzt worden:
"Zwischen den Zeilen lässt sich aus dem Urteil herauslesen, dass der EuGH Deutschland vorwirft, sich mit einem vorgeschobenen Argument durchzuschummeln."
Doch offenbar war nicht nur die Konstruktion der Maut mangelhaft, sondern auch das Auftreten Deutschlands vor dem EuGH:
"Denn die dafür als Nachweis nötigen Fakten – etwa dazu, in welchem Umfang Steuern überhaupt zum Straßenbau beitragen – habe Berlin nicht geliefert. Die Regierung habe auch 'in keiner Weise dargetan', dass der Ausgleich für deutsche Fahrer angemessen und nicht etwa womöglich gar zu hoch angesetzt sei. Und sollte die festgestellte Diskriminierung von ausländischen Fahrern beispielsweise durch Umwelterwägungen gerechtfertigt werden können, habe Deutschland es ebenfalls versäumt, das nachzuweisen.
Einen weiteren Beweis dafür, mit vorgeschobenen Argumenten zu agieren, fanden die Richter in den Kurzzeitvignetten für Ausländer. Die CSU hatte geplant, Fahrern ohne deutsches Kennzeichen die Möglichkeit zu geben, eine Durchfahrerlaubnis für zehn Tage oder wahlweise zwei Monate anzubieten. Die Kosten wären abhängig gewesen von der Motorleistung. Dass Deutsche hingegen stets eine Jahresgebühr hätten berappen sollen, selbst wenn sie ihr Auto nur ein Mal im Jahr für zehn Kilometer benutzen, fand der EuGH nicht nachvollziehbar. Hier zeige sich doch, so die Richter, dass der Übergang zum 'Benutzer- und Verursacherprinzip' in Wahrheit nur Ausländer betreffe. 'Für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gilt weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip.'"
Schlecht konzipiert und dann schlecht argumentiert. Dobrindt und Scheuer als gegenseitige Fortsetzung politischen Unvermögens.

Die Feigheit

Dabei hätte der von Deutschland angeführte Übergang - weg von Steuerfinanzierung hin zu Verursacherprinzip - bewiesen werden können, hätte Alexander Dobrindt den Mut gezeigt, den ich vor fast exakt vier Jahren am 20. Juni 2015 von ihm forderte:
"Wären Sie, Herr Dobrindt, wirklich so mutig, wie Sie klingen, dann würden Sie die Unabhängigkeit der beiden Komponenten beweisen und von Ihrer nationalen Hoheit Gebrauch machen. Führen Sie die Steuerreduktion ein. Jetzt. Beweisen Sie damit der EU, dass die Infrastrukturabgabe alle belastet. Bleiben Sie Sieger."
Dobrindt war feige. Sein Nachfolger Andreas Scheuer war weiterhin feige. Die Quittung für Dilettantismus und Mutlosigkeit wurde nun serviert.
Die CSU muss sich hüten, nun auf trotziges Kindergartenkind umzuschalten. Bernhard Junginger empfiehlt richtig:
"Nach dem deutlichen Signal aus Luxemburg sollte die Bundesregierung tunlichst die Finger von weiteren nationalen Alleingängen in Sachen Maut lassen. Und sich stattdessen dafür einsetzen, dass die Gebühren-Kleinstaaterei auf Europas Straßen möglichst bald durch ein gerechtes und einheitliches europäisches System abgelöst wird."

Die Wahlkampffinanzierung

Zur Erinnerung über die damaligen Vorkommnisse sei ein Bericht im Tagesspiegel zitiert:
"Ganz in trockenen Tüchern ist sie noch nicht, die Infrastrukturabgabe. So lautet der offizielle Titel für die Pkw-Maut – einst als 'Ausländer-Maut' von der CSU im Wahlkampf propagiert und von den Christsozialen dann auch 2013 in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Gegen den ursprünglichen Willen der Kanzlerin (mit ihr werde es keine Maut geben, hatte Angela Merkel damals im Wahlkampf gesagt) und begleitet vom mlatenten Unmut der SPD. Es ist, nach dem Scheitern des Betreuungsgeldes, das einzige größere Projekt der CSU."
Trotz dieser Wahlkampfkracher brachte es die CSU nicht weit, wie Heise berichtet hatte:
"Der größte Verlierer der gestrigen Bundestagswahl ist die CSU. Ihr Ergebnis sank um über zehn Punkte von 49,3 auf 38,8 Prozent. So schlecht schnitt die Partei seit 1949 bei keiner Bundestagswahl ab. Die letzten Umfragen hatten die Christsozialen lediglich einen Verlust von zwei bis drei Punkten erwarten lassen."
Und in einem aktuellen Artikel der Augsburger Allgemeinen heißt es:
"Die Grünen schätzen, dass auf den Bund nun Kosten von über zwei Milliarden Euro zukommen, weil Verträge geschlossen und bereits Vorleistungen erbracht worden sind. 'Mit dem Urteil hat die CSU Steuergelder im Milliardenbereich in den Sand gesetzt', sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer."
Zusammengefasst:

  • Die CSU erfindet die Ausländermaut, um einen populistischen Wahlkampf zu führen
  • Der populistische Wahlkampf führt zum schlechtesten Ergebnis seit 1949 für die CSU
  • Für diesen Wahlkampf zahlt der bundesdeutsche Steuerzahler noch heute 
  • Es werden für den Bund Kosten von über zwei Milliarden Euro erwartet
Aus meiner Sicht ist das der teuerste Wahlkampf, der je in Deutschland geführt wurde. Dabei hat die CSU ihren Wahlkampf nicht selbst oder aus Spenden bezahlt, sondern nimmt ganz Deutschland in Haftung. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1992 entschieden, dass die Erstattung von Wahlkampfkosten zulässig, aber an die Einnahmen der Parteien gekoppelt ist. Mit den im Zusammenhang der Maut kolportierten Beträgen ist diese Grenze weit überschritten. Ob die Vorgänge parteirechtlich zulässig sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Dass Alexander Dobrindt, Andreas Scheuer und Horst Seehofer jeglichen Kredit verspielt haben, hingegen schon. Sie sollten alle politischen Ämter aufgeben.

Dienstag, 18. Juni 2019

Gauck im Interview

Michael Stifter hat in der Augsburger Allgemeinen vom 18.6. einen Beitrag geliefert zur Debatte, die das Interview mit Joachim Gauck im Spiegel ausgelöst hatte:


Die Überschrift drückt bereits aus, welche Vorwürfe gegen Gauck erhoben wurden. Und das, wo er doch lediglich "für 'erweiterte Toleranz in Richtung rechts'" wirbt. Michael Stifter bringt ein plakatives Beispiel der Reaktionen:
"'Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht.' Besser als mit diesem kurzen Satz kann man kaum beschreiben, wie es um die Debattenkultur in unserem Land bestellt ist. Geschrieben hat ihn nicht irgendein anonymer Internet-Troll, sondern Tiemo Wölken, Europa-Abgeordneter der SPD."
Zur von Gauck geforderten erweiterten Toleranz schreibt er weiter:
"Das tut er tatsächlich und darüber kann, darüber muss man streiten."
Und er nähert sich der Debatte mit der Frage, was Gauck tatsächlich gemeint habe:
"'Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden', stellt der 79-Jährige klar. Das kann nun nur missverstehen, wer es missverstehen will. Und genau da liegt das Problem. Es gibt heute in allen Lagern zu viele Leute, die nur darauf lauern, Zitate des politischen Gegners für ihre Zwecke zu missbrauchen."
Ein guter Zugang. Letztendlich dreht sich die Debatte um die Frage, was unter dem von Gauck verwendeten Begriff der Toleranz zu verstehen sei. Der im Beitrag zitierte Satz, "'Toleranz enthält das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten'" ist nicht nur schwurbelig. Er fällt zudem in den Erzählbereich der AfD, die gern davor warnt, der Tolerante (im Sinne Gutmensch) werde gegen den Intoleranten (im Sinne Islamisierer) letztendlich unterliegen.
Der verkrampfte Umgang mit den Verlautbarungen und dem Gebaren der AfD, die "Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang mit der AfD" ist nicht nur "das Ergebnis der eingangs erwähnten kaputten Diskussionskultur". Es ist umgekehrt: Weil die etablierten Parteien kein Mittel finden, den flachen Lösungen, dem populistischen Auftreten, dem schlagkräftigen Auftritten in sozialen Medien, den behaupteten Zusammenhängen, Verschwörungen etc. der AfD etwas wirksames entgegen zu setzen, entstand eine Debattenunkultur, in der sich Nazis mit linksgrünversifften Gutmenschen um die Deutungshoheit keilen und dabei lediglich einen Keil zwischen sich treiben.
Manche Punkte, die der AfD zu Gute kommen und die sie selbst anspricht, sind tatsächliche Probleme bzw. ungelöste oder nicht gut gelöste politische Aufgaben. Die AfD spricht sie an und verbindet das mit einem Hinweis auf die systematische Unfähigkeit oder Unwilligkeit der etablierten Parteien. Letzteres ist Quatsch. Das macht aber den Hinweis auf bestimmte Probleme nicht ebenfalls zum Quatsch. Die AfD braucht diese Verbindung, um ihrer Geschichte treu bleiben zu können, sie sei die einzige Alternative aus dem Gestrüpp arrivierter Politik. Der erwartbare Aufschrei der Etablierten öffnet der AfD die Tür zu einer weiteren Geschichte: dass man nicht mehr sagen dürfe, was doch gesagt werden müsse.
Michael Stifter dazu:
"Wenn der Altbundespräsident sagt, man müsse 'darüber sprechen können, dass Zuwanderung in diesem Maße nicht nur Bereicherung ist', stimmt das ja. Aber er unterstellt damit eben in AfD-Manier, dass man das bislang nicht darf. Und das ist Unsinn. Politiker aller Parteien haben es schließlich in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre getan."
Und wieder der AfD auf den Leim gegangen. Hätte Gauck doch bloß gesagt, man müsse darüber sprechen oder man solle darüber sprechen. Michael Stifter weiter:
"Und doch macht Gauck einen entscheidenden Fehler, indem er teilweise die Märtyrer-Erzählung der Rechtspopulisten übernimmt. Wenn er beispielsweise appelliert, 'nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel herauszudrängen', dann stimmt das natürlich. Aber einige AfD-Leute sind eben nicht 'schwer konservativ', sondern rechtsradikal. Wenn Abgeordnete Hitler-Bilder herumschicken oder den Holocaust verharmlosen, ist dann halt Schluss mit Toleranz."
Die Bandbreite der AfD-Wähler oder -Versteher ist vermutlich so breit wie die anderer Parteien auch. Sie deshalb alle als Nazis zu bezeichnen, deshalb schlichtweg falsch. Und ebenso falsch ist es - wie die AfD es tut - alle als Nicht-Nazis zu bezeichnen. Die Ich-Erzählung der AfD beschreibt die Partei als konservativ, patriotisch, national. Die Grenzen zu einem ins Rechtsextreme reichenden Verständnis von konservativ, patriotisch, national sind nicht klar zu ziehen. Immerhin haben auch andere Parteien inzwischen Heimat als Politikfeld entdeckt - und sind damit der AfD und ihrer Themensetzung hinterher gelaufen.
"Toleranz in Richtung rechts" kann nur heißen:

  • anerkennen, dass es solche rechten Ansichten gibt
  • anerkennen, dass teilweise aggressive Äußerungen der Rechten vorkommen
  • anerkennen, dass rechte Politikvorschlägen nur demokratisch begegnet werden kann

Was jedoch aus Toleranz gegenüber Rechten nicht passieren darf:

  • rechte Äußerungen unwidersprochen stehen lassen
  • rechte Lösungsvorschläge für zielführend zu halten, selbst wenn man der Problemdarstellung noch folgt
  • die Erwartung, sachliche Gespräche mit Rechten würden diese zum Umdenken bewegen 
Fehlgeleitete Intoleranz gegenüber Rechten ist es, wenn dadurch die Märtyrer-Erzählung der Rechten neue Nahrung erhält. Wird ein Bewerber um den Bundestagsvizeposten nicht gewählt, weil er von den Rechten ist, bedient das die Erzählung. Wird er nicht gewählt, weil er selbst in seinen Ansichten und Handlungen so rechts ist, dass das mit dem Wesen und Geist der Parlaments nicht verträglich ist, muss sich die AfD das gefallen lassen - auch wenn sie sich daraufhin als Märtyrer stilisiert. Oder wenn parlamentarische Anträge der AfD abgelehnt, inhaltlich gleiche anderer Parteien anschließend angenommen werden.
Man darf in Deutschland über alles reden. Über den Quatsch rechter Politiker und über missverständliche Aussagen ehemaliger Präsidenten. Das sollte in unserer demokratischen DNA sein und kein Akt der Toleranz.