Donnerstag, 26. April 2018

Söders Gottesstaat

Uli Bachmeier hat in der Augsburger Allgemeinen vom 25.4. berichtet, wie "Bayerns Behörden künftig ihre Besucher begrüßen":



Bayern als Gottesstaat

Uli Bachmeier schreibt:
"'Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes im Freistaat', so hat es das Kabinett zuvor beschlossen, 'ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland anzubringen.'" 
Zu möglichen Bedenken hinsichtlich der staatlichen Neutralitätspflicht wird die Begründung Söders wiedergegeben:
"Söder betonte, dass die Kreuze in den Behörden seiner Auffassung nach kein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates seien. Sie seien auch nicht als religiöse Symbole zu verstehen, die sich gegen andere Religionen richten, sondern vielmehr als grundlegende Symbole 'der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung'."
Das ist an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten. Ein allgemein als klar religiös verstandenes Symbol wird als "Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland" verwendet, die religiöse Bedeutung grundsätzlich negiert. Dazu eine Prise Größenwahn, wenn Symbole in bayerischen Behörden für Deutschland insgesamt gelten sollen.
Die Fragen drängen sich förmlich auf:
  • Warum wird als Bekenntnis zur Rechtsordnung nicht Justizia gewählt?
  • Warum wird als Bekenntnis zu den Grundwerten nicht das Grundgesetz gewählt?
Als Entschuldigung für eine willkürlich anmutende Bedeutungsaufladung von Objekten lässt sich anführen, dass die CSU darin Übung hat: Das Kopftuch muslimischer Frauen wird ausschließlich als Symbol der Unterdrückung interpretiert.
Darüber hinaus wird eine kulturelle Identität postuliert, die christlich-abendländisch geprägt sei und durch ein Kreuz symbolisiert sein soll. Söder erreicht damit den Gipfel der Widersprüchlichkeit: die christliche Prägung soll durch das Kreuz symbolisiert werden, das Kreuz aber kein religiöses Symbol sein.

Bayern kein Gottesstaat

In der Ausgabe vom 26.4. veröffentlicht die Augsburger Allgemeine ein Interview mit dem Grünen Konstantin von Notz: 



Konstantin von Notz schätzt den Vorgang eindeutig ein:
"Es ist ein offenkundiger Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht."
"[...] der nächste groteske Vorstoß einer Regionalpartei, die zum wiederholten Male klare verfassungsrechtliche Vorgaben offen infrage stellt."
Die Behauptung Söders, es gehe um die Rechts- und Gesellschaftsordnung, entlarvt von Notz:
"Die Behauptung zeugt von vollständiger Ignoranz gegenüber unserem Grundgesetz."
Gelungen die Einschätzung aus der Perspektive Gläubiger:
"Die Vereinnahmung des hoch religiösen Zeichens Kreuz dokumentiert aber auch eine massive Übergriffigkeit der CSU gegenüber Christinnen und Christen und den Kirchen."
Die CSU schwingt sich als die Stimme der Christenheit auf und artikuliert einen Anspruch, wie es sonst nur die AfD mit ihrem "Wir sind das Volk" tut. Beide, CSU und AfD, genügen diesem Anspruch jedoch nicht.
Über die Ursachen muss man nicht lange rätseln. Von Notz sagt:
"Die Angst der CSU vor dem Verlust der absoluten Mehrheit treibt immer bizarrere Blüten"
Es ist nicht nur der Verlust der absoluten Mehrheit, es ist insbesondere die Angst vor der AfD. Und es ist der gebetsmühlenartig von der CSU gemurmelte Glaubenssatz, die potentiellen Wähler der AfD könnten nur zurückgewonnen werden, in dem sich die CSU weiter nach rechts bewegt. Ein weiterer Widerspruch: Zurück(!)gewinnen durch hingehen. Dieses Gemurmle hat inzwischen dazu geführt, dass auf manchen politischen Feldern die CSU eine #AFDkopie abgibt.
So verständlich die Ängste der CSU sein mögen, akzeptabel sind sie keinesfalls. Im Februar 2016 hat die Augsburger Allgemeine berichtet über ein Interview mit dem damaligen CSU-Chef Horst Seehofer, in dem dieser Merkels Flüchtlingspolitik als "Herrschaft des Unrechts" bezeichnet hatte. Empörte Reaktionen waren die Folge - zu Recht. Nun wendet sich der Vorwurf Seehofers gegen Bayern selbst. Empörung über den Vorwurf ist jedoch fehl am Platze. Denn - mit von Notz:
"Auch Bayern ist kein christlicher Gottesstaat."
Es gilt unsere Rechtsordnung. Auch für Ministerpräsidenten. Auch für die CSU und trotz ihrer Angst vor der AfD und der Landtagswahl. Jedenfalls in dem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Aber vielleicht hat sich die CSU bereits verabschiedet, in eine eigene Welt, in einen Gottesstaat Bayern. Wer weiß das schon.

Dienstag, 10. April 2018

Anspruch an die AfD

In den letzten Tagen hat mich die AfD im Bundestag und später die AfD selbst auf Twitter geblockt, von einzelnen Landesverbänden gar nicht zu reden. Ich habe deshalb eine Petition im Bundestag eingebracht:


Die Petition beantrage ich:
"dass es den im Bundestag vertretenen Parteien nicht erlaubt ist, Nutzer auf sozialen Plattformen zu blockieren, so dass diese Benutzer den Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien nicht mehr folgen können. Das Verbot soll nur gelten, sofern die Nutzer lediglich sachliche Kritik an den Veröffentlichungen üben. Das Verbot soll nicht gelten, sofern sich Nutzer beleidigend, hetzend etc. verhalten."
Als Begründung führe ich an:
"Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit (Art. 21 1 GG). Blockiert nun eine Partei einen Nutzer in einem sozialen Medium, so wird der Nutzer von der Partei an seiner Willensbildung gehindert. Der Nutzer kann sich nicht mehr aus der ansonsten frei zugänglichen Quelle ungehindert unterrichten (Art. 5 1 GG).
Eine Blockade von Nutzern wird auf sozialen Plattformen angewendet, um sich nicht mit den Positionen des Blockierten auseinander zu setzten oder einer Art Verfolgung zu entgehen. Eine Blockade ist deshalb vertretbar für Nutzer, die sich beleidigend, hetzend, untergriffig oder andersweitig unsachlich und persönlich äußern. Eine Blockade kann nicht vertretbar sein für Nutzer, die sachliche Kritik an den politischen Positionen der Partei üben oder die Partei auf Fehler in ihren Veröffentlichungen hinweisen. Denn in diesem Falle überwiegt das Recht, sich ungehindert zu unterrichten und die Pflicht zur Mitwirkung bei der politischen Willensbildung den Unwillen, sich mit den vom Nutzer geäußerten Positionen zu beschäftigen.
Die Petition bezieht sich ausdrücklich nur auf die Auftritte in sozialen Medien von Parteien und deren Fraktionen im Parlament. Einzelne Politiker sind explizit ausgenommen, hier ist die Interessenslage anders zu bewerten. Parteien und Fraktionen als besondere Institutionen des Staatswesens haben gegenüber der jedoch Öffentlichkeit besondere Verpflichtungen, derer sie sich nicht so einfach entziehen können dürfen."
Ich weiß nicht, ob das Thema ein Thema ist, mit dem sich der Petitionsausschuss im Bundestag befassen wird. Wir werden sehen.

Dienstag, 3. April 2018

Demokratieverständnis der AfD, Fortsetzung

Nachdem die @AfDimBundestag mich auf Twitter geblockt hat, zieht die @AfD nach:


Wahrlich, das ist die hohe Schule der politischen Diskursfähigkeit. Oder nur Kindergarten?

Montag, 2. April 2018

Zusammenhalt der Gesellschaft

Walter Roller hat in der Augsburger Allgemeinen vom 31.3. einen Leitartikel veröffentlicht mit der Frage, was zu tun sei, "damit diese Gesellschaft zusammenhält":


Walter Rollers Leitartikel

Walter Roller schreibt einleitend:
"Jede Gesellschaft ist auf das soziale Miteinander angewiesen. Sie braucht Zusammenhalt und einen Vorrat an Gemeinsamkeiten, der jenseits unterschiedlichster Interessen die Bürger zusammenführt und ihnen das Gefühl vermittelt, dazuzugehören. Jede Gesellschaft benötigt, bei aller Pluralität der Meinungen und Lebensstile, Teamgeist und den Blick jedes einzelnen für das Wohl des Ganzen. Um all dies ist es in unserem Land nicht mehr gut genug bestellt."
Tatsächlich wird vieler Orten eine Spaltung der Gesellschaft diagnostiziert, verbunden mit einem "Niedergang demokratischer Debattenkultur", der sich vor allem in sozialen Medien zeige. Zur Spaltung schreibt Walter Roller:
"Das 'Wir'-Gefühl jedenfalls hat stark nachgelassen, weil die Risse und Gräben in der Gesellschaft tiefer geworden sind und die Deutschen sich zunehmend sorgen um das, was man heutzutage kulturelle Identität nennt und früher als Zugehörigkeit zu einer Sprach-, Kultur- und Schicksalsgemeinschaft namens Nation verstanden wurde."
Und er nennt einige Spaltungen, die "nicht neu" seien:
"Da ist die Gerechtigkeitslücke, weil der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist, Reiche und Großkonzerne zu gierig sind. Da ist die Armut von Millionen, die nur das Nötigste zum Leben haben."
Verschärft werde die Situation durch zwei aktuellere Entwicklungen:
"Erstens die Globalisierung, die Berufs- und Lebenswelt umkrempelt und die Souveränität überschaubarer Einheiten wegfegt. Zweitens die Masseneinwanderung, die Gesicht und Statik der Gesellschaft rasant verändert und das Land auf nie dagewesene Weise entzweit hat."
Insbesondere die aktuelleren Entwicklungen lösten Ängste aus:
"Beides löst Ängste vor sozialem Abstieg und vor einem Verlust jenes Deutschland [Fehler im Original, Anm.] aus, das uns 'lieb und teuer' ist."
Um diesen Ängsten zu begegnen, müssten "diese Prozesse besser und verträglicher" gesteuert werden. Zudem:
"Und noch eins ist zwingend nötig, um diese vielfältiger, auch kälter werdende Gesellschaft als Gemeinschaft zu erhalten. Wir brauchen eine Idee davon, was dieses Land über Sprache und Verfassung hinaus im Innersten zusammenhält, von anderen unterscheidet und verteidigt werden muss."

Welche Gemeinschaft, welche Gesellschaft?

Walter Roller schreibt von einem "'Wir'-Gefühl", das stark nachgelassen habe. Schaut man sich um, gibt es eine Reihe Spaltungen, die derzeit diskutiert werden:
  • Die Eliten vs. die Bürger
  • Die Reichen vs. die kleinen Leute
  • Die linken Gutmenschen vs. die Rechten
  • Die Vernünftigen vs. die populistischen Vereinfacher
  • Die Fortschrittlichen vs. die Konservativen
  • Unsere Leute vs. die Fremden
Die derzeit am meisten diskutierte Spaltung bezieht sich auf den Umgang mit der Migration und Asyl. Die Spaltung tritt hier sehr offen zu Tage. Doch hat die Frage der Migration tatsächlich die Spaltung verursacht oder war die Migration lediglich der Funke, an dem sich ein vorhandener Konflikt leicht entzünden konnte?
Walter Roller benennt die "kulturelle Identität", früher als "Zugehörigkeit zu [...] einer Nation" verstanden. 2006 zur Fußballweltmeisterschaft war davon keine Rede, Deutschland, einig Fußballland. Man durfte jubeln, Fahnen zeigen, ohne in den Verdacht deutscher Großmannssucht zu kommen. Dies zeigt, dass das Gefühl des Vereintseins oder der Spaltung induziert ist von Anlässen. Wenn in den letzten Monaten Debatten auftauchten zur Leitkultur, ist das lediglich der Versuch, die tumbe populistische Abgrenzung mit einem intellektuellen Anstrich zu versehen.
Dennoch bleibt die von Walter Roller gestellte Frage, was denn "diese Gesellschaft zusammenhält". Dazu müsste zu erst geklärt werden, was denn die Gesellschaft überhaupt ist. Wer dies wie Walter Roller an einer kulturellen Identität definieren will, dem geht es primär um Abgrenzung. Da gehören dann schnell Muslime nicht mehr dazu, wenn sie sich zu stark ihrer Kultur - was immer damit dann en Detail gemeint sein mag - zugehörig fühlen. Ausgenommen natürlich jene Muslime, die Steuern zahlen und im Fußballverein sind. Warum gehört ein deutscher Vergewaltiger mehr zur Gesellschaft als ein muslimischer? Schon wird die oft behauptete jüdisch-christliche Prägung Deutschlands als Argument schwach.
Nach Walter Roller braucht es "eine Idee davon, was dieses Land über Sprache und Verfassung hinaus im Innersten zusammenhält, von anderen unterscheidet und verteidigt werden muss". Ja, eine Gemeinschaft braucht etwas, was sie zusammenhält, etwas Gemeinsames. Aber warum muss dieses Gemeinsame von anderen unterscheiden? Warum wird eine Bedrohung konstruiert, so dass das Gemeinsame verteidigt werden muss?
Das Grundgesetz sichert jedem die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu, auch Religionsfreiheit. Dies findet sich im Abschnitt der Grundrechte. Sie gelten universell, nicht nur für die Deutschen. Explizit jeder - und nicht alle Deutschen oder dergleichen - hat auf sie Anspruch. Abseits der Grundrechte haben Deutsche in einem deutschen Staat als Staatsbürger weitere Rechte, zum Beispiel das Wahlrecht. Doch das rechtfertigt nicht, eine Gemeinschaft zu konstruieren, die "von anderen unterscheidet" und letztendlich ausgrenzen will. Die relevante Gemeinschaft kann nur die derer sein, die in Deutschland leben, und sei es vorübergehend. Denn Effekte der Globalisierung und Digitalisierung werden alle treffen, die in Deutschland leben.
Die Gemeinschaft, um deren Zusammenhalt sich Walter Roller sorgt, ist nicht die, die er uns Glauben machen will. Deshalb sind auch seine Antworten, die eine kulturelle Identität, eine Kulturgemeinschaft umfassen, wenig hilfreich. Denn die Frage, was die Spaltung in Deutschland aufzuheben vermöge, bleibt.