Freitag, 5. April 2019

Harder-Kühnel als Demokratieübung

Stefan Lange hat in der Augsburger Allgemeinen vom 5.4. einen Kommentar veröffentlicht, nachdem Mariana Harder-Kühnel von der AfD im dritten Wahlgang zu einem Posten als Bundestagsvizepräsidentin erneut gescheitert war:


Stefan Lange schreibt:
"Harder-Kühnel bekam 199 Ja- und satte 423 Nein-Stimmen, viele Abgeordnete rieben sich anschließend erfreut die Hände. [...] Viele Abgeordnete begründen ihre ablehnende Haltung damit, eine Kandidatin der AfD tauge nicht als Repräsentantin eines demokratischen Rechtsstaates."
Doch trägt dieses Argument? Stefan Lange weiter:
"Nachvollziehbar ist diese Denke nicht. Man muss die AfD nicht mögen. Aber die vom Bundestag selbst aufgestellten Regeln sehen nun einmal vor, dass jede Fraktion im Präsidium des Bundestages mit einem Vizeposten vertreten ist. Der AfD kann das nicht verweigert werden."
So einfach, so richtig. Dazu bedarf es noch nicht einmal des Hinweises, die AfD sei "vom Volk demokratisch gewählt", mithin "legitimiert". Wie sollte sie sonst in das Parlament gekommen sein? Auch der Hinweis, die AfD sei "die größte Oppositionspartei im Bundestag" ist entbehrlich, weil das einzige Kriterium für den Vizeposten die Fraktionseigenschaft ist - auf deren Größe kommt es nicht an, auch wenn § 10 BTGO eine Mindestgröße für Fraktionen "von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages" vorsieht. Und die Rechtslage ist eindeutig in § 2 (1) BTGO beschrieben:
"Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten."
Man muss die AfD nicht mögen. Man muss ihre "Politik" nicht mögen. Man kann ihre "Lösungen" für untauglich halten. Der Platz, ihr das zu sagen, ist das Parlament.
Jacques Schuster schreibt in Der Welt:
"Schlimmer noch: Die 423 Abgeordneten, die gegen die AfD-Kandidatin Mariana Harder-Kühnel gestimmt haben, verhalten sich genau so, wie sie es den Rechtspopulisten seit ihrem Aufkommen vorwerfen: Sie grenzen aus. Nicht im Namen des Volkes, wie es die AfD tut, im Namen der Moral schließen sie einen Teil der Abgeordneten und damit auch die Bürger aus, die sie gewählt haben. Dabei halten sie sich noch für besonders vorbildliche Demokraten."
Es ist natürlich übertrieben, 423 Abgeordneten zu unterstellen, sie grenzten "im Namen der Moral" aus. Jacques Schuster kennt die Motivlage der Abgeordneten nicht.
Dennoch ist der Eindruck, den die "besonders vorbildliche[n] Demokraten" hinterlassen, fragwürdig. Der AfD wird zu Recht vorgeworfen, sie spiele mit Emotionen der Wähler. Wiederholt wird gefordert, die Politik müsse zurück zur Sachlichkeit finden. Vernunft müsse einkehren. Jede Partei hält sich und ihre politischen Vorschläge für vernünftig. Dass dann im Kern der Demokratie - dem Parlament - derart unvernünftig, derart emotional abgestimmt wird, sägt an dem Ast, auf dem sich die Parlamentarier selbst sitzen sehen.
Die AfD hat nun angedroht, zu jeder sich bietenden Gelegenheit erneut Kandidaten zur Wahl zu bringen. Kopf durch die Wand. Das wird der Wand nichts anhaben, doch der Lack geht ab. Denn es ist zu erwarten, dass diese Wahlen nicht anders ausgehen werden wie die bisherigen.
Die anderen Fraktionen im Bundestag müssen sich fragen lassen, welche Eigenschaften ein Kandidat mitbringen muss, um gewählt zu werden. Ich bin mir sicher, es gibt keine vernünftigen Antworten.
Jacques Schuster schreibt:
"In dieser Legislaturperiode geht es dank der AfD lebhafter und damit auch demokratischer zu. Sieht man von diesem Tag ab."
Er hält die Nicht-Wahl von Harder-Kühnel für nicht demokratisch. Das ist falsch. Demokratie heißt ja nicht, eine bestimmte Option wählen zu müssen. Demokratisch legitimiert ist kein Kriterium für sinnvolle Ergebnisse, es beschreibt bestenfalls den Vorgang, wie die Ergebnisse erzeugt wurden. Die Nicht-Wahl von Harder-Kühnel ist wie die Abstimmungen im Britischen Parlament zum Brexit: Nein aus Prinzip, egal zu welchem Vorschlag. So, liebe Parlamentarier, geht Politik nicht. Deshalb nochmals die Frage an die anderen Fraktionen: Welches Schweinderl hätten's denn gern?